Ein literarischer Doppelagent – Vor 120 Jahren wurde Graham Greene geboren

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Der britische Schriftsteller Graham Greene, der am 02. Oktober 1904 in Berkhamsted, Hertfordshire geboren wurde, ist ein wenig in Vergessenheit geraten. Das war mal anders. In der Bundesrepublik fanden Greenes Werke als preiswerte rororo-Taschenbücher seit den 1950er Jahren reißenden Absatz.

„Sex, Katholizismus, Sadismus und wieder Sex“: Mit diesen Worten hat der britische Schauspieler und Schriftsteller Noël Coward in seinen Tagebüchern eines der Werke des britischen Autors Graham Greene beschrieben. Diese Charakterisierung fasst das schillernde Wesen des Autors von Bestsellern wie „Die Kraft und die Herrlichkeit“, „Der dritte Mann“ oder „Der Honorarkonsul“ recht gut zusammen.

Lange Zeit galt er als dezidiert katholischer Autor, später als linker Großschriftsteller mit einer saftigen anti-amerikanischen Note. Greene hat nie den Nobelpreis für Literatur erhalten, weil er als internationaler Bestseller-Autor ernsthafte Themen auf eine sehr unterhaltsame Weise geschildert hat, oft in der Form eines Spannungsromans. Neben Eric Ambler hat Greene sicher Polit-Thriller mit dem höchsten literarischen Anspruch geschrieben.

Der Zeithistoriker Hans-Peter Schwarz, selbst eingefleischter Thriller-Fan und Autor des Buches „Phantastische Wirklichkeit. Das 20. Jahrhundert im Spiegel des Polit-Thrillers“, sieht Greene in der Nachfolge des von ihm bewunderten Joseph Conrad. Jeder Spionage-Thriller werde Greene unter der Hand zum Psycho-Thriller: „Nicht die Spionageapparate oder deren politische Ziele interessieren, sondern die Psyche des Agenten, aber noch mehr dies des Verräters und Doppelagenten.“

Greene, dessen Helden oft anti-amerikanisch, anti-kapitalistisch und anti-heroisch sind, war Inoffizieller Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes. Wäre dies zu seinen Lebzeiten publik geworden, so hätte dies dem Ruf des Linkskatholiken, der seine letzten Lebensjahrzehnte aus Steuergründen in der Schweiz verbrachte, wohl erheblich geschadet. Ein Mann voller Widersprüche, dem Langeweile immer ein Gräuel war.

Die Charaktere in Greenes Büchern sind oft gebrochen, die Landschaft ist trist und schäbig, es geht viel um Sünde, Ehebruch, Verrat, Religion, Verbrechen oder auch Kolonialismus. Der schmale Vietnam-Roman „Der stille Amerikaner“ aus dem Jahr 1955 ist ein perfekter Einstieg in das Werk des Großneffen von Robert Louis Stevenson und auch heute noch lesenswert. Denn dort porträtiert sich Greene selbst in der Person des Erzählers, eines zynischen englischen Journalisten, „der aus dem Leben an Lustgewinn herausholt, was irgendwie drin ist“ (Hans-Peter Schwarz). In der Person des „stillen Amerikaners“ namens Pyle beschreibt er einen negativen Helden, der mit seinen abstrakten Ideen von Demokratie und der vermeintlichen Vorbildfunktion der Vereinigten Staaten vielleicht das Gute will, aber das Schlechte schafft.

Bei Greene ist man sich nie sicher, was Wahrheit und was Lüge ist. So hat er zwar mit dem Ruf als katholischer Autor kokettiert, aber zugleich seine Ehefrau betrogen und die Bordelle in aller Herren Länder fleißig aufgesucht. Viele seiner Romane wurden verfilmt, so „Der Dritte Mann“, der im Schwarzmarktmilieu des Nachkriegs-Wiens spielte. Orson Welles ist als Harry Lime genauso unvergessen wie die Zithermusik des Österreichers Anton Karas.

Greene ist eine sehr ambivalente Figur, was sicher auch seinen Reiz ausmacht. Sein Biograph Michael Shelden hält die „Lust am Doppelspiel“ für den „Schlüssel zum Leben des Romanciers“. Es ist wieder an der Zeit, Graham Greene zu lesen. Wobei nicht sicher ist, was spannender ist: das Leben oder das Werk des Autors.

Über Ansgar Lange 22 Artikel
Ansgar Lange wurde 1971 in Arnsberg / Westfalen geboren. Er studierte Politische Wissenschaft, Geschichte und Germanistik in Bonn und schrieb seine Magisterarbeit über "Christa Wolf und die DDR" bei Professor Hans-Peter Schwarz. Während seines Studiums war er freier Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Schloss Eichholz . Anschließend arbeitete er in einer Bonner Kommunkationsagentur und journalistisch (u. a. Deutschlandfunk, Die Furche, Die Tagespost, Die Politische Meinung, Die Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte). Seit 2009 ist er als Geschäftsführer einer Ratsfraktion in Remscheid tätig.