50 Jahre Kommissar Haferkamp: Berliner Beamter mit Buletten und Bier

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Welcher legendäre „Tatort“-Kommissar ernährte sich hauptsächlich von Buletten, Altbier und anderen Spirituosen, kleidete sich korrekt mit Pullunder und Krawatte, hatte ein äußerst entspanntes Verhältnis zu seiner geschiedenen Frau und in dem stinkende Stumpen rauchenden Assistenten Willi Kreutzer (Willy Semmelrogge) einen kongenialen Sparringspartner? Genau, der 1931 in Berlin als Sohn eines Berufsoffiziers und späteren Fliegergenerals geborene Hansjörg Felmy gab „seinem“ Kriminaloberkommissar Heinz Haferkampf ein unverwechselbares Profil.

Am 28. April 1974 – also vor rund 50 Jahren – wurde die erste Folge mit dem Titel „Acht Jahre später“ ausgestrahlt. Haferkamp und sein mit koboldhaftem Charme versehener Kollege Kreutzer sollten sich bis 1980 ein Büro teilen. Am 16. November 1980 wurde dann die letzte Folge „Schönes Wochenende“ ausgestrahlt.

Alle 20 Fälle sind nun in einer Jubiläums-Gesamtedition erschienen. Eine gute Gelegenheit gerade für ältere Zuschauer, noch einmal viele schöne und spannende Stunden mit einem der beliebtesten deutschen Schauspieler der 1970er Jahre zu verbringen. Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2008 war der Kriminaloberkommissar Haferkamp hinter dem ganz anders gelagerten, vulgären Horst Schimanski und dem tollen Duo Stoever (Manfred Krug) und Brockmöller (Charles Brauer) der drittbeliebteste aller bisherigen „Tatort“-Kommissare.

Dass die Haferkamp-Folgen fast durchgängig über ein hohes künstlerisches Niveau verfügen, liegt sicher auch an exzellenten Drehbuchautoren  wie Karl Heinz Willschrei („Graf Yoster gibt sich die Ehre“, „Ein Fall für zwei“, „Der Alte“, „Wolffs Revier“ etc.) oder Herbert Lichtenfeld („Die Schwarzwaldklinik“, „Der Landarzt“, „Unsere Hagenbecks“ usw.). Wolfgang Staudte, Hartmut Griesmayr, Hajo Gies und weitere Meister ihres Fachs führten Regie.

Warum kann man die mehrere Jahrzehnte alten Krimifolgen auch heute noch mit Genuss sehen? Das hängt vor allem mit der Hauptfigur zusammen. Auch wenn Heinz Haferkampf im Ruhrpott ermittelt, hat sein ganzes Auftreten doch etwas Preußisches. Felmy gab den „typischen“ deutschen Beamten, der nüchtern und sachlich, aber mit äußerster Beharrlichkeit ermittelte. Die Arbeit steht für den sentimentalen Melancholiker, der in seiner Junggesellenbude gern Jazzplatten hört, immer an erster Stelle. Daran ist sicher auch seine Ehe mit Ingrid Haferkamp, dargestellt von Karin Eickelbaum, gescheitert. Die beiden verstehen sich immer noch gut und unternehmen auch privat viel zusammen. Ja, man könnte fast sagen, dass sie noch eine Art Affäre miteinander haben. Doch letztlich ist ein Zusammenleben der beiden unmöglich, weil der bisweilen brummig auftretenden Haferkamp vor allem für seinen Beruf, der eben kein Job ist, lebt und er dabei auch gern seine Ex-Frau für Ermittlungen einspannt – was ihr nicht behagt.

Beim Sehen der Serie fühlt man sich in eine andere Zeit, ja sogar in ein anderes Land versetzt. Im Büro wird noch Kette geraucht und Alkohol getrunken. Veganismus steht noch nicht hoch im Kurs. Es ist herrlich anzuschauen, wie sich Haferkamp und Kreutzer die Frikadellen teilen. Und so hat der Ermittler durchaus auch menschliche und private Seiten. Wir erfahren einiges über seine Ess- und Trinkgewohnheiten, seinen Umgang mit seiner Ex-Frau, seine Leidenschaft für den Jazz und dass er aufgehört hat, Romane zu lesen. Haferkamp ist ein gebrochener Ermittler, er lebt in Scheidung und hat keine Kinder. Er ist auch kein Superhirn, sondern eher ein beharrlicher, knochentrockener Analytiker. Action und Gewalt wird nur in kleinen Dosen präsentiert. Doch sind alle 20 Folgen durchweg viel spannender als manche heutigen, durchideologisierten „Tatort“-Folgen. Es geht um spannende Kriminalfälle, aber vor allem auch menschliche Schicksale. Als Zuschauer kann man sich mit dem Kommissar und auch mit vielen Akteuren identifizieren, ob sie nun einen Auftritt als Opfer oder Täter haben.

Man kann sich Haferkamp in Ansätzen vielleicht als eine Art bundesrepublikanischen Kommissar Maigret vorstellen, der nicht in Paris, sondern in einer bundesrepublikanischen Großstadt ermittelt. Essen als Stadt spielt eigentlich gar keine Rolle. Die Folgen wurden zum Großteil in München gedreht. Gezeigt wurden aber auch Essens schöne Seiten wie der Baldeneysee, aber auch die Tristesse der Arbeitersiedlungen. In den 20 Haferkamp-Folgen spiegeln sich – exemplarisch an einer Ruhrgebietsmetropole  – die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüche der Bundesrepublik Deutschland in den 1970er Jahren. Während unser Land in dieser Zeit von einem nüchternen Manager wie Helmut Schmidt regiert wurde, löste ein ziemlich desillusionierter Beamter seine Fälle im Fernsehen. Er verfolgte dabei das Ziel, die Welt nach seinen Möglichkeiten wieder ein bisschen mehr in Ordnung zu bringen. Sein Nachfolger Horst Schimanski – dargestellt vom ebenfalls in Berlin geborenen Götz George – war von ganz anderem Schlag: Aktionistisch, köperlich, laut. Im Vergleich dazu hat Hansjörg Felmy einen wesentlich realistischeren Kommissar gegeben, der trotzdem kein Langweiler ist und nicht vor Autoritäten kuscht. So gerät er ein um das andere Mal mit seinem Chef Karl Scheffner (Bernd Schäfer) aneinander, den er nicht so recht zu respektieren scheint. Haferkamp agiert hier aber nicht laut, sondern mit Kritik und Ironie. Er testet Grenzen und Regeln zwar aus, überschreitet sie aber nicht regelmäßig wie sein Nachfolger in der Feldjacke der US-Streitkräfte.

Auch im Privaten war Felmy, der einer Hugenottenfamilie entstammte und in Braunschweig aufwuchs, ein durchaus rebellischer Geist. Nach einem Streit mit einem Lehrer musste er das Gymnasium ohne Abschluss verlassen und machte zunächst eine Ausbildung zum Schlosser und Buchdrucker, bevor er mit Rollen in „Der Stern von Afrika“, „Wir Wunderkinder“, „Buddenbrooks“ oder „Und ewig singen die Wälder“ in den 1950er Jahren bundesrepublikanische Filmgeschichte schrieb. Er starb im Jahr 2007 nach einem langen Leiden an Osteoporose.

Team Essen. 50 Jahre Kommissar Haferkamp. Jubiläums-Gesamtedition. Alle 20 Fälle: 1974-1980. Spieldauer 1761 Minuten.

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Über Ansgar Lange 23 Artikel
Ansgar Lange wurde 1971 in Arnsberg / Westfalen geboren. Er studierte Politische Wissenschaft, Geschichte und Germanistik in Bonn und schrieb seine Magisterarbeit über "Christa Wolf und die DDR" bei Professor Hans-Peter Schwarz. Während seines Studiums war er freier Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Schloss Eichholz . Anschließend arbeitete er in einer Bonner Kommunkationsagentur und journalistisch (u. a. Deutschlandfunk, Die Furche, Die Tagespost, Die Politische Meinung, Die Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte). Seit 2009 ist er als Geschäftsführer einer Ratsfraktion in Remscheid tätig.