Annas Kniefall vor Artur – Für den erkrankten Plácido Domingo sprang im Salzburger „Trovatore“ Artur Rucinski ein

Salzburg in Nöten? Nicht, wenn die Festspiele – noch – von einem Intendanten namens Alexander Pereira durch das Meer unverhofft aufkommender Widerwinde gelotst werden. Dass Plácido Domingo (74), ehemals Super-Tenor, noch immer Kulturmanager und gelegentlich Dirigent, seit einiger Zeit jedoch keineswegs einhellig mit eitel Freude akzeptierter Bariton, die Rolle des „Troubadour“-Rivalen Graf Luna nicht durchstehen wird, zeigte sich bereits zu Beginn der dritten Vorstellung, die ARTE übertrug. Im Pausen-Gespräch mit ORF-Chef-Kulturreporterin Barbara Rett gestand der sichtlich Überforderte, sich schwer zu tun, vor allem mit dem Atmen. Hinzu sei eine „Unterkühlung“ gekommen, wie er sich ausdrückte. Drei Tage darauf, als die vierte von insgesamt sechs Aufführungen der Neuproduktion von Giuseppe Verdis „Il Trovatore“ ins Haus stand, kapitulierte Domingo.
Bevor sich am vergangenen Montag der Vorhang des Salzburger Großen Festspielhauses hob, trat Pereira, hörbar unsicher, auf die Bühne, um zu verkünden: Domingo bedaure, nicht singen zu können, er läge mit fast 40 Grad Fieber darnieder und leide an angegriffenen Bronchien und einer Blasenentzündung. Der Einspringer, den Pereira auf die Schnelle fand, wird die übrigen – restlos ausverkauften – Vorstellungen der allein wegen der Starbesetzung gefragtesten Neuinszenierung dieser Salzburger Sommer-Festspiele unter der Stabführung von Daniele Gatti übernehmen: die auf dem Kulminationspunkt ihrer 2002 an der Salzach begonnenen Weltkarriere befindliche Anna Netrebko als Leonora, dazu der höhensichere Francesco Meli als Manrico und die junge, gestalterisch starke Kanadierin Marie-Nicole Lemieux als Azucena.
Artur Rucinski wurde in Warschau zum Sänger ausgebildet, debütierte vor 12 Jahren am dortigen Nationaltheater, gastiert regelmäßig in Berlin, Bregenz, Krakau, Wien und Tokyo, war in Paris in Beethovens Neunter, im bulgarischen Fernsehen in Faurés Requiem und bei der Eröffnungs-Gala der diesjährigen Wiener Festwochen zu hören und wird mit größeren Aufgaben an der Mailänder Scala betraut werden, die ab nächstem Jahr unter der Intendanz Alexander Pereiras steht.
Ins erlesene Sänger-Quartett der Salzburger „Trovatore“-Paraderollen fügte sich Rucinski mühelos ein. Er machte eine optimale Figur und bewegte sich so selbstverständlich, als ob er in die von Alvis Hermanis beileibe nicht unkompliziert ausgeklügelte Inszenierung von Anfang an eingebunden gewesen wäre. Im Duett mit Riccardo Zannelato (Ferrando) im 1. Teil noch verhangen, blühte die edle, perfekt sitzende und berührende dunkle Stimme des jungen Polen mehr und mehr auf. Am Ende der dreistündigen Vorstellung, die den Wiener Staatsopernchef Franz Welser-Möst, aber auch Publikumslieblinge wie Thomas Gottschalk und Hansi Hinterseer unter den Promis des Festspielpublikums sah, jubelte das Haus einhellig allen vier Hauptdarstellern sowie dem Dirigenten der glanzvoll disponierten Wiener Philharmoniker und der Konzertvereinigung Wiener Staatopernchor zu. Positiv reagierten vor allem jüngere Befragte aus dem Publikum auf den von der Premieren-Presse großenteils arg beschimpften ungewöhnlichen Schauplatz der im 15. Jahrhundert spielenden Handlung, ein Museum à la Münchner Alte Pinakothek, wo die Madonnen-Porträts aus Spätgotik, Barock und Manierismus auf das verworrene Geschehen aus riesigen Bilderrahmen herabblicken.
Anna Netrebko ging eindeutig als die am intensivsten Gefeierte unter den Solisten hervor. Ihr Sopran leuchtete bis in die schwindelnden Höhen der genussreichen, wunderbar gestalteten Partie der jungen Adeligen hinein, die sich, unsterblich in den Troubadour verliebt, am Ende das Leben nimmt, um ihr Versprechen nicht einlösen zu müssen, das die Verzweifelte dem verschmähten Grafen Luna gab. Vor ihm, alias Artur Rucinski, ist sie – so wollte es die Regie – in einer Szene regelrecht in die Knie gegangen. Was, der Einspringer-Situation gemäß, durchaus als Geste der Bewunderung vor Rucinskis höchst respektabler Leistung gelesen werden kann.

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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