Analytiker des Unrechtsstaats – Zum Tod Wolfgang Schullers in Konstanz

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Ich lernte Wolfgang Schuller im Sommer 1989 auf einer Gesamtdeutschen Tagung im noch geteilten Berlin kennen. Was mir sofort auffiel, war sein umfangreiches DDR-Wissen, was ungewöhnlich war für einen Professor, der an der Universität Konstanz Alte Geschichte lehrte. Konstanz lagt weit weg von Mitteldeutschland, die Leute dort unten am Bodensee wie auch im badischen Freiburg, wo ich 1974 lebte, interessierten sich weit mehr dafür, was in der Schweiz und im Elsass geschah als für die Zustände im SED-Staat.

Der Althistoriker Wolfgang Schuller war da die große Ausnahme! Er wurde am 3. Oktober 1935 in Berlin geboren und legte 1955 in Lüneburg das Abitur ab. Danach nahm er ein Studium der Rechtswissenschaften auf, das er 1960 und 1965 mit beiden Staatsexamina abschloss. Am 27. Juni 1968 wurde er an der Universität Hamburg mit einer Arbeit über „Politisches Strafrecht in der DDR 1945-1953“ promoviert, die in erweiterter Fassung 1980 unter dem Titel „Geschichte und Struktur des politischen Strafrechts der DDR bis 1968“ als Buch erschien.

Noch während seiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Assistent an der Juristischen Fakultät in Hamburg nahm er ein Studium der Altertumswissenschaft, Ägyptologie und Geschichte auf, das er an der Freien Universität Berlin beendete. Dort wurde er 1971 auch in Alter Geschichte mit der Arbeit „Die Herrschaft der Athener im Ersten Attischen Seebund“ habilitiert (Buchfassung 1974).

An der Pädagogischen Hochschule in Berlin-Lankwitz erhielt Wolfgang Schuller 1972 seine erste Professur, bevor er 1976 nach Konstanz wechselte. Dort schrieb er dann seine grundlegenden Werke wie „Griechische Geschichte“ (1980), „Frauen in der griechischen Geschichte“ (1985), „Frauen in der römischen Geschichte“ (1987), „Die Welt der Hetären“ (2008) und „Cicero oder der letzte Kampf um die Republik“ (2013).

Für DDR-Forscher wie DDR-Opfer bleibt aber seine Analyse des politischen Strafrechts von kaum zu überschätzender Bedeutung. Mit DDR-Geschichte hat er sich noch einmal, als der Unrechtsstaat untergegangen war, in seinem Buch „Die deutsche Revolution 1989“ (2009) auseinandergesetzt. Gestorben ist er am 4. April in Konstanz.

Über Jörg Bernhard Bilke 261 Artikel
Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.