Thomas Frank: Americanic. Berichte aus einer sinkenden Gesellschaft. Antje Kunstmann Verlag, München 2019, ISBN: 978-3-95614-260-4, 24 EURO (D)
Der Journalist Thomas Frankwar früher Leitartikler beim Wall Street Journalund Kolumnist für Harper’s, ist Gründer von The Baffler und schreibt regelmäßig für den Guardian. Seit Jahren verfolgt Thomas Frank die Veränderungen der amerikanischen Gesellschaft, das Abdriften großer Teile der Bevölkerung in prekäre Verhältnisse, das Erstarken fundamentalistischer Bewegungen, die Erosion der politischen Parteien.
Die hier veröffentlichten Aufsätze gehen auf viele verschiedene Aspekte des Lebens in den USA ein, sie alle haben die langsam sinkende Gesellschaft, symbolisch mit der Titanic versehen, gemeinsam. Gewöhnliche Bürger erfahren, dass die Struktur unter ihnen zusammenbricht und in der der amerikanische Traum zu Ende geträumt ist. Ferner berichtet er vom Verlust geregelter Arbeit, Schulden, Armut großer Teile der Bevölkerung und wachsender Klassengegensätze, und von den Eliten und der politische Klasse, die sich um sich selbst dreht und die das Vertrauen bestimmter Bevölkerungskreise verloren hat.
In kurzen Berichten behandeln diese Essays die Jahre der Präsidentschaft von Barack Obama und die populistische Explosion, die ihr Ende markierte.Es war eine Zeit, in der die liberalen Hoffnungen sanken und das neu gestärkte rechte Lager sich von Triumph zu Triumph berauschte.Die Demokraten kontrollierten beide Häuser des Kongresses zusätzlich zur Präsidentschaft, nach ihren Versäumnissen saß Donald Trump im Oval Office und die Republikaner hatten eine fast nie dagewesene Macht über das politische System der USA eingenommen.
Dabei geht er auch ausführlich auf die Ursachen und Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007-2010 ein. Diese sei keine Verkettung unglücklicher Umstände, die keiner habe voraussehen können, wie sie Notenbankchef Ben Bernanke interpretiert. Vielmehr sei die Krise durch menschliche Taten und Tatenlosigkeit verursacht worden. Ihre Ursachen seien ein enormes Versagen von Regierung und Finanzaufsicht sowie ein rücksichtsloses Risikomanagement der Geldindustrie gewesen. Nicht nur seien Politiker auf die Krise schlecht vorbereitet gewesen. Die seit Jahren sichtbaren Risiken wurden entweder ignoriert oder unterschätzt. Zu den Warnsignalen gehörten unethische Kreditvergabepraktiken, eine dramatisch steigende Verschuldung der privaten Haushalte und ein exponentielles Wachstum des Finanzsektors, insbesondere des Handels der wenig regulierten Finanzderivate.
Die grenzenlose Gier und die Weltentrücktheit der Verantwortlichen wird am Beispiel des Enron-Konzerns dargestellt. Im Jahr 2001 verursachte Enron aufgrund fortgesetzter Bilanzfälschungeneinen der größten Unternehmensskandale, die die US-Wirtschaft bislang erlebte. Die Vorgänge hatten eine drastische Verschärfung der in den Regierungsjahren zuvor entschärften gesetzlichen Vorschriften zur Unternehmensberichterstattung zur Folge, den Sarbanes-Oxley Act. Wegen ihrer nach dem Skandal vehement dementierten engen Verbindungen zum Enron-Gründer und CEOKenneth Laygeriet auch die Regierung von George W. Bushin scharfe Kritik.
Frank zeigt in diesem Buch eine gesellschaftliche Entwicklung auf, die erodierend sein könnten. Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in einem Land, das schon immer von Besitzunterschieden geprägt war, ist eine statistisch nachvollziehbare Tatsache. Hier werden vor allem die Versäumnisse der demokratischen Partei als Grund genannt, warum Trump Präsident werden konnte und alles noch viel schlimmer macht. Ein trotz seines ernsten Themas unterhaltsam geschriebenes Buch mit vielen guten Analysen.
Ob die Entwicklung der USA auch ein Warnsignal für Europa, auch für BRD ist, bleibt fragwürdig. In der BRD gibt es ein Sechsparteiensystem statt zwei führender in den USA und die politische Kultur und das Wahlsystem sind auch anders.