Es dürfte bekannt sein, dass die neu gegründete Partei „Alternative für Deutschland“ bei der Bundestagswahl am 22. September d. J. nur knapp an der 5 % Hürde gescheitert ist. Wer gedacht hatte, dass es sich bei dieser Neugründung um eine Partei handeln würde, wo sich einige alte Männer um einen verwirrten Professor aus Hamburg versammelt haben, um aus deutschnationaler Verärgerung in Sachen Euro ihren Protest auszuleben, der dürfte sich gründlich getäuscht haben.
Offensichtlich macht man wieder einmal den Fehler, diese Partei mit Schlagworten in eine rechtspopulistische Ecke zu drängen, ohne sich mit der Ideologie auseinander zu setzen. Diese Partei vertritt offensichtlich, ähnlich wie in den USA, die Tea-Party, eine fundamentalistische neoliberale Politik. Diese Ideologie greift die Vorstellungen eines Adam Smith aus der Zeit um 1750 auf, um diese auf das 21gste Jahrhundert zu übertragen.
Adam Smith gilt als der Erfinder der Nationalökonomie. Smith vertrat die so genannte „Laissez-faire“- Strategie, welche eine freie Wirtschaft, was dem Gesetz von Angebot und Nachfrage folgen sollte, zum Ziel hat. Er war der Meinung, dass allein egoistische Aktivitäten das wirtschaftliche Geschehen beschleunigen würden, was zu einer vom Schöpfer gewollten „natürlichen“ Ordnung führen solle. Eine derartige Marktwirtschaft sollte von einer derartigen Ordnung, auch als „unsichtbare Hand“ bezeichnet, beherrscht werden. Um das Werk von Smith würdigen zu können, bedarf es der Fähigkeit, sich in die Zeit um 1750 versetzen zu können. Der heutige Wissensstand ist ein anderer.
Der Ökonom Joseph Schumpeter beurteilte das Werk dahingehend, dass es keine neuen Ideen enthalten würde, sondern lediglich die Zusammenfassung des damaligen ökonomischen Wissens. Es trifft demnach nicht zu, dass Adam Smith seiner Zeit vorausgeeilt sei. Smith`s Theorie einer unsichtbaren Hand wird heute dahingehend ironisch interpretiert, dass wohl eine „göttliche Hand“ für unangenehme Folgen ökonomischer Fehlhandlungen herzuhalten hat.
Die so genannten „Chicago Boys“, die Vertreter der geistigen Strömung des Neoliberalismus, griffen jedoch die Thesen eines Adam Smith wieder auf. Es entstand die „Österreichische Schule“, deren einflussreichsten Vertreter Ludwig von Mises, Friedrich August von Hayek und Milton Friedman waren.
Es würde im Rahmen des Kommentars zu weit führen, die Lehrmeinung der Neoliberalen im Detail darzulegen (Literaturhinweise befinden sich am Ende dieses Kommentars). Auf eines wird jedoch hingewiesen, dass die Lehrmeinung des Neoliberalismus einen totalen Marktradikalismus beinhaltet, der offensichtlich falsch interpretiert wird, was gerade die heutige Zeit bewiesen hat. Offensichtlich haben deren Vertreter völlig die Erkenntnisse des deutschen Ökonomen Heinrich von Stackelberg ignoriert, welcher eine eigenständige Marktkonformlehre entwickelte, und die Thesen heutiger selbsternannter Ökonomen schon in den 30er Jahren des 20gsten Jahrhunderts widerlegte.
Des weiteren ist festzustellen, dass der Neoliberalismus der „Österreichischen Schule“ alle Lebensbereiche der Marktideologie unterwirft. Der Staat ist für deren Vertreter ein Feindbild, und soziale Autoritäten wie Familie und Kirche sollen das Individium vor diesen schützen. Man nennt derartige Vorstellungen auch „paläolibertär“. Die Tätigkeit des Staates hätte sich nach dem Leitbild der Neoliberalen lediglich auf die Landesverteidigung sowie der Rechtssprechung zu beschränken, welche natürlich die neoliberalen Vorstellungen zu schützen hätte, und auch zum Ziel hat, den Freien die Freiheit zu erhalten, diese anderen vorzuenthalten.
Um deutlich zu machen, um welche Weltanschauung es sich beim Neoliberalismus der „Österreichischen Schule“ handelt, werden einige Kernaussagen der Leitfigur dieser „geistigen Strömung“ wiedergegeben:
–Maximierung der Bedürfnisbefriedigung oder Maximierung des Sozial- produktes ist nicht das Ziel einer freien Marktwirtschaft.
–Soziale Gerechtigkeit ist nicht definierbar.
–Sozialstaatlichkeit wird durch eine institutionalisierte Armenpflege abgelöst.
–Wettbewerbsbeschränkungen durch Unternehmensmonopole sind weitgehend durch die Regierungen verursacht und vergleichsweise unschädlich.
–Die gravierenden Wettbewerbsbeschränkungen gehen von den Gewerk-schaften aus.
–Die Verfolgung individueller Ziele ist der einzige gesellschaftliche Zweck der Wirtschaft.
Einen gewissen Höhepunkt stellen die Aussagen Friedrich August von Hayek in nachstehenden Interviews dar:
„Eine freie Gesellschaft benötigt eine bestimmte Moral, die sich letztlich auf die Erhaltung des Lebens beschränkt, nicht auf die Erhaltung allen Lebens, denn es könnte notwendig werden, das eine oder andere individuelle Leben zu opfern zugunsten der Rettung einer größeren Anzahl anderen Lebens. Die einzig gültigen moralischen Maßstäbe für die »Kalkulation des Lebens« können daher nur sein: das Privateigentum und der Vertrag.“ – Interview in: El Mercurio, 19. April 1981 Santiago de Chile.
„Ungleichheit ist nötig. […] Wenn wir garantieren, dass jedermann am Leben gehalten wird, der erst einmal geboren ist, werden wir sehr bald nicht mehr in der Lage sein, dieses Versprechen zu erfüllen.“ – Interview 1981 in der Wirtschafts- woche.
Wie menschenverachtend eine derartige Weltanschauung ist, zeigen unter anderem auch die Aussagen der heutigen Vordenker. So plädiert zum Beispiel Peter Oberender von der Universität Bayreuth dafür, dass Hartz IV-Empfänger zur Verbesserung ihrer Finanzen ihre Organe verkaufen dürfen sollten. Das AfD Vorstandsmitglied Roland Vaubel, VWL-Professor an der Universität Mannheim, plädiert dafür, den „untersten Klassen“ das passive Wahlrecht zu entziehen. Im Jahre 2006 plädierte bereits das Vorstandsmitglied Konrad Adam in einen Welt-Kolumne mit dem Titel „Wer soll wählen“ für eine derartige Vorgehensweise.
Der menschenverachtende „Paläoliberalismus“ der beschriebenen Form stellt keine Seltenheit in der „Akademischen Welt“ dar. Es ist davon auszugehen, dass eine gewisse „elitäre Wahnvorstellung“ Grundlage für Derartiges darstellt. Der Kolumnist der Springer Presse, Henryk M. Broder, ist zum Beispiel häufiger Gast bei der Friedrich August Hayek-Gesellschaft und wurde auf einer Wahlparty der AfD gesehen.
Eine besondere Paradoxie stellt der Fortschrittsbegriff von Hayek dar, der offensicht- lich dazu führte, dass die Vertreter dieses „Denkers“ in der Neuzeit ständig mit Plagiaten in Verbindung zu bringen sind:
Nach Hayek beginnt die Zivilisation nämlich dann, wenn der Einzelne in der Verfolgung seiner Ziele mehr Wissen verwerten kann, als er selbst erworben hat.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich hier eine Partei entwickelt, welche die gleichen Thesen wie die Tea-Party in den USA vertritt um die Interessen gewisser Schichten durchzusetzen. Gewisse Schichten deshalb, da offensichtlich wie nach indischem Muster die Gesellschaft zerlegt wird. Einer Umfrage zufolge geben bereits 18 bis 20 % der US-Bürger an, Anhänger dieser „Tea-Party“ zu sein.
Zu den Hauptfinanzierern der Tea-Party-Bewegung in den USA werden die beiden Milliardäre David H. Koch und sein vier Jahre älterer Bruder Charles gerechnet. Ihnen gehören 84 % vom zweitgrößten Privatunternehmen der USA. Es betreibt Öl-Raffinerien, Kohleversorger, Chemieanlagen und Holzunternehmen und hat im Jahr einen Umsatz von etwa 100 Milliarden Dollar. Die Süddeutsche Zeitung folgert: „Die Kochs wollen den totalen Kapitalismus, und sie sind bereit zu kämpfen – gegen ein staatliches Gesundheitssystem, gegen den Klimaschutz und alles andere, das sie für Auswüchse des Sozialismus halten.“
Im Artikel der TAZ mit dem Titel „Die Deutsche Tea Party“ wird folgende Meinung vertreten:
„Wer die AfD auf Ihren Rechtspopulismus reduziert, verkennt die eigentliche ideologische Gefahr, die von dieser Partei ausgeht.“
Dem Verfasser dieses Kommentars liegen einige Unterlagen vor, die im Prinzip ein Beweis dafür sind, dass die ideologische Gefahr, welche von dieser Partei ausgeht, in vielen Fällen vollkommen unterschätzt wird. Insbesondere Ausführungen der SDS Hochschulgruppe in Hamburg geben Anlass zu der Vermutung, dass die AfD als eine Randerscheinung angesehen wird.
In der Bundesrepublik lösen die kurz angerissenen neoliberalen Vorstellungen immer wieder Unglauben aus, obwohl eine entsprechende Politik der Bundesregierung im Prinzip nicht zu verkennen ist. Eine neoliberale Politik wird u. a. dadurch erkennbar, dass diese mit einer ständigen Missachtung von Arbeit in Verbindung gebracht werden kann. Der so genannte Leichtlohnsektor in diesem Lande ist von der Größenordnung mittlerweile in Europa als einmalig zu betrachten. Es findet eine radikale Umverteilung von unten nach oben statt. Bereits 8 Millionen Menschen befinden sich in diesem Lande am unteren Ende der Einkommensskala. Dass über ein „Aufstockerunwesen“ Unternehmen subventioniert werden, entspringt offen-sichtlich der Beratungsleistung eines Bernd Lucke.
Sprechen wir von Missachtung der Arbeit, so ist ein Blick in die Vergangenheit sehr hilfreich. Interessanterweise kannten ältere Kulturen, vor allem die antiken Sklavenhaltergesellschaften, nicht die hohe Wertschätzung der Arbeit. Aristoteles unterscheidet zum Beispiel zwei Arten der menschlichen Tätigkeit: das Herstellen materieller Gegenstände und die diskutierende, öffentliche Tätigkeit der Bürger, denen es um das Wohl und um das gute Leben geht. In seiner Ethik stellt er eine Hierarchie der Tätigkeitsarten auf, an deren Spitze die Tätigkeit der Vernunft steht. Die körperliche Arbeit in Verbindung der Herstellung von Gegenständen wurde den Arbeitssklaven überlassen.
Die positive Wertschätzung der Arbeit im Sinne des Herstellens von Gebrauchs- werten wurde durch das Christentum vermittelt und von mittelalterlichen Mönchs- orden mit ihrer Forderung: „ora et labora“ propagiert. Die von Klöstern betriebene Kultivierung von Brachland und Wildnis trug demnach zur Förderung des Arbeits- ethos bei und gilt als eine wichtige Voraussetzung für die Entfaltung eines bürger- lich-kapitalistischen Arbeitsethos, der aber immer mehr unterlaufen wird.
Abschließend bleibt festzustellen, dass eine neoliberale Wirtschafts- und Finanz- politik dazu angetan ist, die gesellschaftlichen Verhältnisse des 18ten Jahrhunderts wieder herzustellen. Die Argumentation, dass eine Umverteilung von unten nach oben letztendlich den abhängig Beschäftigten zu Gute kommt, da die UnternehmenArbeitsplätze schaffen, ist an intellektueller Unredlichkeit nicht mehr zu übertreffen. Es ist unbestreitbar der Fall, dass es sich beim Neoliberalismus um eine Theorie handelt, welche als abstrakt und außerordentlich gefährlich zu bezeichnen ist. Die Umsetzung einer derartigen Lehrmeinung bewirkt soziale Verwerfungen, bewirkt Fremdenfeindlichkeit und Ghettobildung. Kurz, sie gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt durch die Aus- und Abgrenzung breiter Bevölkerungsschichten auf das Äußerste.
Offensichtlich dient eine neoliberale Politk dazu, eine Umverteilung zu Gunsten derjenigen herbeizuführen, welche dem so genannten Finanzadel und den Begüterten angehören, und begünstigt demnach eine Kastenbildung nach indischem Muster.
Im Prinzip kann die Lehrmeinung der Neoliberalen bereits als gescheitert angesehen werden. Aber die Behauptung von Keynes, dass kein wirtschaftswissenschaftliches Konzept jemals tot sei, ist bis heute nicht widerlegt. Gerade die Deutschen müssten aus der Geschichte und dem Nationalsozialismus gelernt haben, was pseudowissenschaftlich begründete Weltanschauungen an Unglück hervorbringen können.
Literaturhinweise:
Die Verfassung der Freiheit, Friedrich August von Hayek
Der Weg zur Knechtschaft, Friedrich August von Hayek
Friedrich August von Hayek, Hans Jörg Henneke
http://www.youtube.com/watch?v=t3n-9eMA2nE
(1)http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3005/
(2)http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3021/
(3)http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3027/
(4)http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_4658/
(5)http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3058/
(6)http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3646/
(7)http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_4324/
(8)http://www.taz.de/Debatte-Alternative-fuer-Deutschland/!115108/
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