Wem je einmal ein Riefelbild unterkam, weiß, wie man sich als Betrachter eines Bildwerks täuschen kann. Riefen sind Längsrinnen, Streifen, Rippen. Cordhosen haben samtene Riefen. Geriefeltes ist etwas mit Rillen, Rippen, Streifen, Längsrinnen Versehenes. Der Riefelbild-Meister brachte sie absichtlich an, um den Betrachter irrezuführen. Schaut er das Bild von links an, zeigt es, zum Beispiel, Madonna, den Popstar, während dasselbe Bild, von rechts betrachtet, Madonna, die Mutter Jesu zum Vorschein bringt. Diese halb Heiligen-, halb Profan-Bild ist raffiniert. Im Mühldorfer „Jagdmusseum“ hängt so eine doppelte Madonna.
In der Münchner Hypo-Kunsthalle heißt das Riefelbild „Jesus und Maria“, 1. Hälfte 17. Jahrhundert. Es wird dem Kreis um den Barockmaler Guido Reni zugeschrieben. Bei frontaler Betrachtung bleiben beide religiöse Motive „miteinander verbunden und damit verworren. Nur von den Seiten aus ist entweder das eine Bild oder das andere erkennbar“, wie es in der Beschreibung heißt. Vor diesem und den in der 1. Abteilung der aktuellen Kunsthallen-Ausstellung „Lust der Täuschung“ zu findenden weiteren religiösen Bildern bleiben schon viele Besucher hängen. Wer von ihnen wüsste, dass ihn mindestens 10 weitere Abteilungen mit ähnlichen hinterhältigen Angeboten von der Antike bis zur jüngsten Variante des Augentrugs namens „VR“ (Virtual Reality) erwarten, würde sich beeilen. Aber besser alles genau betrachten als von Saal zu Saal stürmen.
„Schau genau!“ So nennt sich denn auch einer der von drängelnden Scharen Wohlmeinender jeden Alters und jeglicher Herkunft besuchten Hallensäle. Immer wieder begegnet man den wunderlichsten Exempeln der besonders im Barock beliebten „Trompe-l`oeil“ (französisch: „Täusche das Auge“)-Malerei. Trickreich und zugleich meisterhaft wird da dem „leichtgläubigen“ Sinnesorgan etwas vorgegaukelt, was bei näherer Inaugenscheinnahme schnell, und meist mit einem sich selbst für so viel Zuversicht entschuldigenden Lächeln, zurückgenommen wird. Schon vor 4500 Jahren gab`s so was „Gemeines“: Bei einem monolithischen Mauerstück aus Alt-Ägypten meißelte der Bildhauer täuschend echt eine Tür ein, die sich, logo, nicht öffnen lässt.
Täuschend echt liegt das auf Wunsch der Herodias-Tochter Salome abgeschlagene Haupt Johannes des Täufers auf einem Teller. Kinder erschrecken, wenn sie es sehen – bis sie merken: „Ist ja nicht echt!“ Empathie erzeugte, wenn auch nur kurz, dieser Männerkopf. Ebenso sollte beim Mitgefühl erzeugt werden, wenn eine Bibel-Szene extrem in die Nähe des Betrachters gerückt wurde – etwa bei Caravaggios Gemälde, auf dem der ungläubige Apostel Thomas seinen prüfenden Finger in Christi Wunde legt. Mit den Tricks der räumlich werdenden Bilder durch Zentralperspektiven-Wahl wurde und wird noch heute (siehe Hans Peter Reuters „Kachelraum ohne Ding“ von 1976) gerne gearbeitet. Zahlreich sind die Beispiele für nur scheinbar veritable Pinnwände – etwa die Edwaert Colliers (um 1706) oder Wallerant Vaillants von 1658: Kreuz und quer sind rote Bänder auf ein Holzbrett genagelt, hinter die Gänsekiel, Schreibfeder und zusammenfaltete und beschriftete Briefe gesteckt sind. Schaut wie echt aus. Und erzeugte Kopfschütteln – wäre man nicht schon vorsichtig geworden und traute seinen Augen nicht mehr wie zu Beginn der unendlich witzigen und sich vor Überraschungen geradezu überschlagenden Schau, die ihr Thema voll ausgeschöpft hat. – Bis 13. Januar täglich außer 24. 12. von 10 – 20 Uhr, montags halber Preis.
Foto (Hans Gärtner)
Trompe-l`oel-Malerei vor 360 Jahren: Wallerant Vaillant hänselt das Auge des Pinwand-Betrachters