Alles ebenso geliebt wie verwurstet

Der November war sein Monat. An einem 12. dieses nebeligen Gesellen kam er zur Welt. In Brandenburg an der Havel. Das war 1923. Wer zählen kann, merkt: Dies Jahr hat er einen runden Geburtstag, am 12. 11. Hat er aber nicht, hätte er. Denn er ist, am 22. August 2011, dahingegangen. Für immer und ewig: Loriot. Der eigentlich Vicco von Bülow hieß. Aber das war diesem hurtigen Menschen wohl zu lang, und er nannte sich Loriot. Einfach so. Was französisch ist und „Pirol“ bedeutet.Ein Vogel also, dieser Loriot. Ein komischer. Aber wem sagt man das? Alle Welt kennt Loriot. Von seinen Fernseh-Moderationen, von seinen Filmen, von Lesungen und Operninhaltsangaben der Sonderklasse, von seinen Büchern mit den Serien, die ihn schon früh, in den 1950er Jahren, bekannt machten. Doch vieles blieb von Loriot unbekannt. Das wusste man bei seinem Züricher Verlag ebenso wie beim Münchner Literaturhaus. Also nix wie ran an eine Ausstellung der „Spätlese“ – ein guter Tropfen! Keiner, der bislang die Ausstellung – sie ist noch bis 12. Januar 2014 zu sehen – verließ, ging ohne ein Schmunzeln raus. Das herzhafte Lachen geschah bereits in der amüsant gestalteten Schau – oft so laut, dass sich stille Genießer beeinträchtigt fühlten. Bis sie merkten, dass es ihnen ähnlich geht: Ein lautes Lachen zurückzuhalten, fällt schwer.
Schon das Gästebuch­-Kapitel. Dazu heißt es: „Im Winter 1957 bezog Loriot mit seiner jungen Familie eine Villa in Gauting. Dem beruflichen folgte jetzt auch der gesellschaftliche Aufstieg. Mit der ihm eigenen Stilsicherheit und Lust an der Persiflage setzte er nun die Sitte jener Jahre, sich bei Einladungen in ein Gästebuch eintragen zu müssen, eine besucherfreundlichere Variante entgegen. Gäste wurden bei ihm immer mit einer Säule in Szene gesetzt und fotografiert. Im Hintergrund prangte ein Vorhang, den Ehefrau Romi eigens dafür genäht hatte. In den folgenden Jahren entstand in dieser Kulisse eine imposante Fotogalerie. Die Abzüge verwahrte Loriot sorgsam in einer Schachtel. Das geplante Gästebuch hat er nie angefertigt.“ Aus diesem Text ist eine Menge Charakteristisches von Loriot enthalten: Familienmensch mit Persiflier-Lust, Traditionalist, aber Konventionsgegner, Menschenfreund, Regisseur, Medienfan, Phantast, Planer mit offenem Schluss …
Das Nette: Der Ausstellungsbesucher kann sich – a la Loriot – selber ein Gästebuch zusammenstellen. Die Schritte muss er nicht, sollte er aber befolgen. So er Zeit hat. Die vielen Ausgrabungen aus LoriotsNachlass nehmen ihn in Anspruch. O ja. Da sind die oft vertrackten „Frühstücke“, also die „frühen Stücke“ für „Stern“, „Weltbild“, „Quick“ und dergleichen Illustrierte fabriziert – am laufenden Band. Manche – das ist nachzulesen und ein Spaß für sich – wurden von bornierten Redakteur(inn)en abgelehnt. Den „Stern“ bestellten pikierte Abonnenten ab, weil sie sich nicht verarscht sehen wollten von einem Menschen, der es, im Grunde, gut mit ihnen meinte. Da sind weiters die zig Möpse, sogar welche mit Engels-Flügeln, die einen anglotzen, dass Gott erbarme. Da sind die „Berühmten Deutschen“, eine Galerie spezieller Art. Loriot nahm sich viel heraus, verhohnepiepelte Größen wie Wagner und Nietzsche, Goethe und Schiller, Thomas Mann und Schopenhauer. Einige der Karikaturen von „Großkopferten“ widmete er Freunden, Bekannten, Organisationen, Verlegern … Eine wahre Wonne für alle, die schon längst wussten, dass Größe darin besteht, sich klein zu sehen.
Weniger lustig wird`s am Schluss – der Ausstellung ebenso wie des dicken Wälzers, der sie wunderbar begleitet, alle Exponate fein abbildet, bekömmlich einleitet und oft hinterhältig kommentiert. Am Ende kennt man Loriot nicht wieder. Er litt an Schlafstörungen, erfährt man lapidar, und die nützte er für Zeichnungen auf Notizblockpapier, für skurrile Gebilde, Ansammlungenwüster Köpfe mit eben den Knollennasen, die schon den deutschen Berühmtheiten aufgesetzt bekamen. Jetzt werden sie zu Baselitz`scher Groteske verform. Jetzt schauen einen der kubistische Braque und der leibzerteilende Picasso an, werden clowneske Gestalten wach, die sich zum nächtlichen Geisterreigen versammeln, zum Fürchten. Und wieder mit der Lust am unnachgiebigen Frotzeln. Janoschs Tröpfe und schamvolle Aufgedunsene blecken die Zähne. Dem schweinsohrigen zyklopischen Führer klebt Loriot eine 6-Pfennig-Briefmarke „Deutsches Reich“ auf den Mund. Nachtmahre. Heimsuchungen. Böse Gestalten. Ganz am Ende guckt der Zeichner den Buchblätterer über die im höheren Alter oft getragene Lesebrille an, nachdem er ein knallrotes Herz gespalten hat, aus dem er hervor lugt. „Mit großer Neugier begegne ich dem Wachstum nächtlicher Schatten. Nichts wird vertrieben, alles wird ebenso geliebt wie verwurstet. Loriot“ – so lautet das von den glückhaften Herausgebern dieses unglaublich reichen Loriot-Kompendiums gewählte Schlusswort. Gut so. Jetzt kennen wir uns aus: nichts vertreiben, alles lieben, alles in seinen Kosmos aufnehmen. Ein Lebensmotto.
Es lässt – wie so vieles, was auch die kurzen, humorvoll gewürzten Zwischentexte P. Geyers angeht – schmunzeln, nein: laut auflachen. Hoffentlich sind recht viele Leute um den lauten Lacher herum versammelt – sie amüsieren sich köstlich. Stundenlang – das allerdings macht nur das Buch möglich.
NB: Um nochmals auf Loriots Monat November zu kommen: Ab 11/2013 sind drei Loriot-Weine im Handel (einer nennt sich „Hupfheimer Jungferngärtchen“), deren Verkaufserlös der Ehrenamtlichen Arbeit des Roten Kreuzes in Bremen zugutekommt. Eine feine Sache.

DAS BUCH zur Ausstellung (Literaturhaus München, bis 12. 1. 14)
Susanne von Bülow, Peter Geyer, OA Krimmel (Hrsg.): „Loriot. Spätlese“, 372 Seiten, durchgehend teils farbig illustriert, 39,90 Euro, Zürich: Diogenes Verlag 2013

Über Hans Gärtner 499 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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