„Unsere Körper und unsere Gene sind übereinander geschichtete biologische Erfindungen, die im Laufe der Jahrmilliarden aufeinander abgestimmt wurden (…); jede Zelle und jedes Gen ist das Produkt der Wechselbeziehungen zwischen unserem Planeten und den Lebewesen.“ Bereits in seinem ersten Buch „Der Fisch in uns“ beschäftigte sich Neil Shubin, Paläontologe und Leiter des Instituts für organische Biologie und Anatomie an der University Chicago, mit dem Ursprung des Menschen. Jeder von uns trägt die 3,5 Milliarden lange Geschichte des Lebendigen in sich. Aber das Leben hat eine noch viel weiter zurückreichende Wurzel, die noch nicht einmal mit der Entstehung unserer Erde vor 4,57 Jahren und auch nicht mit der unseres Sonnensystems bzw. unserer Galaxie, der Milchstraße, seinen Anfang nahm, sondern bis in die ersten Sekunden unseres Universums zurückverfolgt werden kann.
Beginnend mit einer Expedition nach Grönland, in dessen Felsen „die tiefreichendsten Verbindungen zu den Kräften, die unseren Körper, unseren Planeten und sogar das gesamte Universum geformt haben“ liegen, unternimmt Shubin eine nahezu atemberaubende Reise von etwa knapp 14 Milliarden Jahren. Er macht sich eine, sicherlich seiner Profession geschuldete Eigenschaft zu eigen, die ihn gelernt hat, in den meisten vertrauten Gegenständen eine tiefer liegende Realität zu sehen. „Wenn man lernt, die Welt durch diese Brille zu sehen, werden Lebewesen und Sterne zu Fenstern in eine Vergangenheit, die nahezu unbegreiflich weit zurückreicht, hin und wieder von Katastrophen geprägt wurde und den Lebewesen und dem Universum, das sie hervorgebracht hat, immer gemeinsam war.“
Entlang einer Zeitachse, die sich vom Urknall in zehn Kapiteln bis in die Gegenwart streckt, erläutert Shubin dem interessierten Laien verständlich und gut nachvollziehbar, dass sich zum Beispiel die Moleküle, aus denen sich unser Körper zusammensetzt, bei längst vergangenen kosmischen Ereignissen zu Beginn unseres Sonnensystems bildeten; dass Veränderungen in der Erdatmosphäre unsere Zellen und den gesamten Stoffwechselapparat modellierten oder die Formung der Gebirge sowie Veränderungen der Planetenumlaufbahnen „Auswirkungen auf unseren Körper, unseren Geist und die Art, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen“ hatten. Neil Shubin geht auf den Ursprung des Wassers ein, ohne das sich niemals Leben hätte entwickeln und bestehen können. Er zeigt, dass der Jupiter einen nicht unerheblichen Anteil an unserem Dasein hat oder erläutert den immensen Einfluss des Sauerstoff- und Stickstoffgehaltes unserer Atmosphäre sowie den der Plattentektonik. Auch den mehrfachen globalen Katastrophen, die zwar Leben breitflächig zerstörten, letztendlich aber stets neues hervorbrachten, ist ein großer Abschnitt gewidmet. Und immer wieder sind es die Steine und die in ihnen eingeschlossenen Fossilien und Erze, die einen weiteren Fingerzeig liefern. „Das Gestein lässt uns wie eine Linse in die Vergangenheit blicken.“
Keinen trockenen, sondern einen gut lesbaren, mitunter witzigen und anhand einiger Schaubilder auch für den Leser ohne umfassende naturwissenschaftliche Vorkenntnisse höchst aufschlussreichen, nachvollziehbaren Text liefert der amerikanische Wissenschaftler. Interessante Querverweise, zum Beispiel welche Vorfahren Wale haben, dass auch wir im Mutterleib einmal Fische waren, warum wir gerade so groß sind wie wir sind und Farben sehen können oder dass sich ein Neugeborenes aus einem bestimmten Grund nicht sonderlich stark von einer Kartoffel unterscheidet, lockern das Buch zusätzlich auf. Immer wieder flicht er kurze biografische Sentenzen von Wissenschaftlern ein, die einen entscheidenden Anteil an der Gewinnung neuer Erkenntnisse hatten. Letztendlich kristallisiert sich mit jeder Seite dieses abwechslungsreichen Buches heraus, dass „die Erdgeschichte das Produkt miteinander verflochtener Veränderungen des Planeten und seiner Lebewesen“ ist.
Fazit: „Das Leben verändert die Erde, die Erde verändert das Leben, und wir, die wir heute über unseren Planeten wandeln, tragen die Folgen von all dem in uns.“ Neil Shubin vermittelt auf höchst informative und gut verständliche Art und Weise, interessant, abenteuerlich und fesselnd etwas von dem Magischen und „dass unser Körper, unser Geist und unsere Ideen, die aus diesem Geist entspringen, ihre Wurzeln in der Erdkruste, im Wasser der Ozeane und in den Atomen der Himmelskörper haben.“ Dabei zieht sich gut erkennbar ein roter Faden durch den gesamten Text: Indem „wir die kleinsten Atome zertrümmern und die größten Galaxien vermessen, das Gestein auf den höchsten Bergen und in der Tiefe der Meere erforschen und uns mit dem Erbgut aller Arten von Lebewesen vertraut machen, enthüllen wir eine Wahrheit von erhabener Schönheit. In jedem von uns liegt eine der tiefgündigsten Geschichten von allen.“
Neil Shubin
Das Universum in dir. Eine etwas andere Naturgeschichte
Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel
Titel der Originalausgabe: The Universe Within
S. Fischer Verlag (Juli 2014)
303 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3100720059
ISBN-13: 978-3100720054
Preis: 21,99 EUR
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