Im Sommer 1956, zwei Jahrzehnte nach Beginn des Spanischen Bürgerkriegs am 17. Juli 1936, fand in Ostberlin, der Hauptstadt des SED-Staates, eine merkwürdige Ehrung statt: Neben Hunderten von überlebenden Spanienkämpfern, die wegen ihres tapferen Einsatzes 1936/39 auf republikanischer Seite ausgezeichnet werden sollten, wurden auch Kommunisten geehrt, die nachweislich keinen einzigen Tag ihres Lebens an der Bürgerkriegsfront in Spanien verbracht hatten! Darunter waren beispielsweise der „Spanienkämpfer“ Walter Ulbricht (1893-1973), der im französischen Exil gelebt hatte und 1938 nach Moskau emigriert war, der „Spanienkämpfer“ Stephan Hermlin (1915-1997), der von Palästina, wohin er aus Deutschland geflohen war, nach Spanien aufgebrochen, aber nie dort angekommen war, sondern ängstlich in Paris den Ausgang des Bürgerkriegs abgewartet hatte, und der „Spanienkämpfer“ Erich Mielke (1907-2000), später DDR-Minister für Staatssicherheit 1957/89, der immerhin als „Hauptmann“ bei den „Internationalen Brigaden“ registriert gewesen war, aber nicht an der Front gekämpft, sondern hinter der Front Anarchisten und Trotzkisten liquidiert hatte! Das alles kann man nachlesen im zweiten Band des „Deutschen Tagebuchs“ (1961) des Ostberliner Literaturprofessors Alfred Kantorowicz (1899-1979), der 1936/38 in Spanien gekämpft, aber zwei Jahrzehnte später, im Sommer 1957, mit dem Kommunismus gebrochen hatte und nach Westberlin geflohen war.
Der Spanische Bürgerkrieg, der 1939 mit einer verheerenden Niederlage für die republikanische Seite beendet worden war, war kein Forschungsobjekt für die DDR-Geschichtsschreibung, obwohl 5000 Deutsche, vornehmlich Kommunisten und Sozialisten, in den „Internationalen Brigaden“ gekämpft hatten. Hunderte von ihnen, die danach ins Exil gegangen waren, lebten, wie Walter Janka (1914-1994), Leiter des Aufbau-Verlags 1953/56, nach 1949 im SED-Staat und bezogen hohe Versorgungsrenten und andere Vergünstigungen. Wer in Spanien gekämpft oder, nach DDR-Lesart, sein Leben im „Klassenkampf“ gegen den „Faschismus“ eingesetzt hatte, war zeitlebens ein angesehener Mann, der noch im Rentenalter als Zeitzeuge gefragt war.
Aber dass der Beitrag deutscher Kommunisten zum Spanischen Bürgerkrieg, anders als die gescheiterten Revolutionen von 1848/49 und 1918/19, kaum wissenschaftliche Aufarbeitung fand, hat seine Gründe: Niederlagen feierte man nicht! Und von den unbestechlichen Zeugen dieser Niederlage, die einer staatlich verordneten Heroisierung hätten widersprechen können, lebten 1959 noch 350 im SED-Staat.
Deshalb dürfte es kaum verwundern, dass das Kriegsgeschehen in Spanien 1936/39 in DDR-Geschichtsbüchern weitgehend ausgeblendet wurde. Im kümmerlich geratenen „Abriss der Spanienliteratur“ (1960), der der literarischen Aufarbeitung des Bürgerkriegs gewidmet war, wurden vornehmlich zwei Autoren behandelt, die heute längst vergessen sind: Bodo Uhse (1904-1963) und Eduard Claudius (1911-1976)! Ihre beiden Spanien-Romane „Leutnant Bertram“ (1944) und „Grüne Oliven und nackte Berge“ (1945) wurden kaum gelesen und waren, anders als Anna Seghers` Widerstandsbuch „Das siebte Kreuz“ (1942), unbrauchbar für die Literaturagitation im Deutschunterricht an DDR-Schulen.
Aber auch die Autoren, die als Kriegsteilnehmer authentische Berichte geliefert hatten wie Ludwig Renn (1889-1979), Alfred Kantorowicz (1899-1979) und Willi Bredel (1901-1964), waren politischen Pressionen ausgesetzt, weshalb ihre Werke nur gekürzt und verstümmelt erscheinen konnten. Am glimpflichsten kam noch Willi Bredel davon, der der Hamburger „Arbeiterklasse“ entstammte und 1933 im Hamburger Konzentrationslager Fuhlsbüttel gesessen hatte. Als braver Parteisoldat, der in seinem Roman „Begegnung am Ebro“ (1939) aus „parteilicher Sicht“ über die Kämpfe berichtet und sich jeglicher Kritik an der Kriegsführung der „Internationalen Brigaden“ enthalten hatte, blieb er mit seinem Spanien-Buch, das auch 1977 in die Gesammelten Werke aufgenommen wurde, unbehelligt, zumal er als Politkommissar des Thälmann-Bataillons auch das „schädliche Wirken“ der Anarchisten und Trotzkisten schilderte. Anders erging es Ludwig Renn, dessen Buch „Der spanische Krieg“ (1955) weitaus kritischer ausgefallen war und deshalb auch nur in gekürzter Fassung erscheinen konnte. Die vollständige Ausgabe wurde erst 2006 in Berlin veröffentlicht.
Der Berliner Jurist, Journalist und Redakteur Alfred Kantorowicz war 1931 der KPD beigetreten und 1933 nach Paris emigriert, wo er schon 1928/29 als Kulturkorrespondent der „Vossischen Zeitung“ gelebt hatte. Drei Jahre später zog er als Freiwilliger in den Spanischen Bürgerkrieg und kehrte 1938 nach Frankreich zurück, nach dem Kriegsausbruch im September 1939 konnte er im Juni 1940 aus Marseille im unbesetzten Frankreich in die Vereinigten Staaten fliehen. Anderen kommunistischen Emigranten wie Anna Seghers beispielsweise wurde dort das Asyl verweigert, weshalb sie nach Mexiko ausweichen mussten. Sein „Spanisches Tagebuch“, das er im Exil in Südfrankreich nach Aufzeichnungen während des Bürgerkriegs geschrieben hatte, erschien 1948 im Ostberliner Aufbau-Verlag, damals schon in gekürzter und verstümmelter Fassung. Warum die SED-Zensoren schon mit dieser ersten Fassung nicht zufrieden waren, das teilte uns der Verfasser im Vorwort zur zweiten Fassung mit, die in erweitertem Umfang 1966, zum 30. Jahrestag des Bürgerkriegs, in Köln erschien. In einem Beschluss des Politbüros, dem höchsten Machtzentrum des SED-Staats, waren 1951 alle Kritikpunkte genannt, die dazu führten, dass das Buch nicht nur nicht in die 1945 gegründete „Bibliothek Fortschrittlicher Deutscher Schriftsteller“ aufgenommen wurde, sondern auch die zweite Auflage, die mitten in der Auslieferung war, eingestellt wurde: „Es ist voller Schwächen und nicht das Spanienbuch, was wir brauchen. Das Buch…ist aber zweifellos vom Gesichtswinkel der Intellektuellen aus geschrieben. Es lässt den Parteistandpunkt vermissen. Sowohl die Rolle der spanischen Kommunistischen Partei als auch der entscheidende Anteil der deutschen Kommunisten am spanischen Befreiungskampf bleiben nahezu unberücksichtigt.“
Zu dieser für den Autor unerträglichen „Mängelliste“, die auf blanker Unkenntnis des Buches beruhte, reagierte Alfred Kantorowicz mit berechtigtem Zorn. Der Brief mit den Vorwürfen einer „politisch verantwortlichen Stelle“, der ihm am 15. Dezember 1951 von Willi Bredel, dem Herausgeber der Bibliothek, zugestellt worden war, wurde erst acht Wochen später, am 12. Februar 1952, von ihm beantwortet.
Wir erfahren aber auch in diesem Vorwort, wie das Manuskript entstanden und über den Krieg gerettet wurde. So hätte der Verfasser „aus der amorphen Masse der Notizen“ ein Manuskript von „rund 800 Schreibmaschinenseiten“ gefertigt, von denen er „einen Durchschlag vor der zweiten Internierung im Hause meines Freundes Lion Feuchtwanger“ deponiert hätte. Sie gelangten im Gepäck des Schriftstellers auf der Flucht von Marseille 1941 ins kalifornische Exil, von wo sie dem Autor, der inzwischen in New York lebte, zugeschickt wurden. Eine zweite Kopie war von französischen Freunden in einer Ölhaut vergraben worden und konnten so dem Zugriff der GESTAPO entzogen werden, auch diese Kopie wurde dem Autor nach Kriegsende wieder zugestellt.
Zu dieser oben erwähnten „Mängelliste“ nahm Alfred Kantorowicz ausführlich Stellung und widerlegte die „Vorwürfe“, ohne freilich von der „politisch verantwortlichen Stelle“, von der sie erhoben worden waren, jemals einer Antwort gewürdigt zu werden.
Wenn man heute beide Ausgaben, die von 1948 und die von 1966, miteinander vergleicht, dann erkennt man, warum das die Literatur überwachende Politbüro auf einer „rudimentären Veröffentlichung“ (Alfred Kantorowicz) bestanden hat. Bei einer vollständigen Veröffentlichung des Textes wäre aller Voraussicht nach eine kaum mehr einzudämmende Diskussion über das, was in Spanien wirklich geschehen ist, ausgebrochen. So berichtet er in einem Pariser Tagebucheintrag vom 1. Mai 1938, von einer Sitzung des „Bundes der Spanienkämpfer“: „Da waren etwa zwanzig deutsche Invaliden versammelt, Verwundete, Armlose, Beinlose, Schüttler, alle bedrückt, hungrig, fertig mit den Nerven. Da sitzen diese armen Jungen mit ihren zerschossenen Knochen und müssen sich (von einem selbstzufriedenen Parteibeamten) das erste einer Reihe von Referaten über den Trotzkismus anhören.“
Und noch ein anders Thema schnitt Alfred Kantorowicz in der Vollfassung seines Tagebuchs an, wovon er während des Bürgerkriegs nichts gewusst, allenfalls geahnt hatte: Die Verfolgung und Ermordung von Anarchisten und Trotzkisten hinter der Front! Über solche Greueltaten konnte er später in den Büchern „Mein Katalonien“ (1938) des Trotzkisten George Orwell (1903-1950) und „Das große Beispiel“ (1940) des Kommunisten Gustav Regler (1898-1963) nachlesen. Demnach gab es ein „schwimmendes Konzentrationslager“ auf einem Schiff im Hafen von Barcelona, auf dem Folterungen und Erschießungen vorgenommen wurden, und in Albacete, dem Zentrum des Verwaltungsapparates der „Internationalen Brigaden“, einen Folterkeller, der auf Befehl Walter Ulbrichts eingerichtet worden war. Beide Autoren sind durch das Erlebnis der Spanischen Bürgerkriegs, über den noch keineswegs das letzte Wort gesprochen ist, zu Abtrünnigen des Weltkommunismus geworden.
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