Kinder als Störfall ? – Wie politische Maßnahmen unsere gesellschaftliche Zukunft behindern

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Im Jahr 1957 äußerte Bundeskanzler Konrad Adenauer den legendären Satz „Kinder bekommen die Leute immer“. Lag die Geburtenrate zu diesem Zeitpunkt durchschnittlich bei ca. 2,5 Kindern, so schwankte sie nach dem ‚Pillen-Knick’ ab Mitte der 1970er Jahre jahrzehntelang um den Wert von 1,4 Kinder je Frau. Nach einem Anstieg der Fertilitätsrate auf 1,53 Kinder ist sie nach einer Pressemeldung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) vom 20.3.2024 im Herbst 2023 auf 1,36 gesunken. Als mögliche Ursachen werden „der Krieg in der Ukraine, die gestiegene Inflation oder auch der fortschreitende Klimawandel“ gesehen. Da aber schon ab Mitte der 1970er Jahre über viele Jahre die Fertilitätsrate bei ca. 1,4 lag, können die aktuellen Krisen wohl kaum als Erklärung dienen.

Ein Kinderwunsch entwickelt sich am ehesten in einer stabilen und zukunftsorientierten Gesellschaft. Ergänzend sollte die Umsetzung ohne gravierende finanzielle Einbußen möglich sein. Aber in einer Gesellschaft, welche stark durch die Maxime ‚Geld regiert die Welt‘, durch Spaß und Konsum geprägt ist, werden Kinder schnell zum Störfall. Umso wichtiger ist es für jene Paare, welche sich dennoch bewusst für die Elternschaft entscheiden, optimale Hilfestellungen zur Erfüllung der Erziehungs-Verantwortung zu erhalten. Die Nachhaltigste ist, den Müttern bzw. Vätern für die ersten zwei bis drei Lebensjahre finanziell und arbeitsvertraglich viel Beziehungszeit mit Ihrem Kind zu ermöglichen. Stattdessen aber setzt der Staat seit über 20 Jahren alles daran, durch die Bereitstellung von weitestgehend staatlich subventionierten Krippenplätzen die Mütter und Väter dazu zu drängen, sich nach der Geburt möglichst schnell auf die Erwerbsarbeit zu konzentrieren. Dadurch erhalten Eltern kaum die Chance, zu ihren Kindern eine intensive Bindung aufzubauen.

Verstoß gegen Gleichheitsgrundsatz beim elterlichen Kinderbetreuungs-Wahlrecht

Mit einer solchen Politik wird nicht nur die Wahlfreiheit der Eltern torpediert, wie sie ihre familiären und beruflichen Erfordernisse aufteilen bzw. gestalten, sondern sie werden auch finanziell maximal benachteiligt, wenn sie beruflich kürzer treten, um sich für optimale Erziehungsvoraussetzungen in der Familie und damit gegen eine Fremdbetreuung entscheiden. Ergänzend werden den kleinen Kindern wichtige positive Bindungs-Erfahrungen vorenthalten, mit möglicherweise lebenslangen negativen Folgen. Denn: ‚Es gibt keine zweite Chance für originäre Beziehungszeiten mit den eigenen Kindern’.

Dazu äußerte sich der über viele Jahre als Krippen-Ober-Befürworter bemühte Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilios Fthenakis in einem TAZ-Interview recht selbstkritisch: “Die Bindungs-Qualität ist heute genauso so wichtig, wie früher (…). Die Eltern lassen sich durch nichts ersetzen (…). Bei Kindern unter zwei Jahren muss man sehr individuell schauen (…). Aber es gibt kein Konzept für alle, jedes Kind ist anders. Ich habe meinen Sohn in die Krippe gebracht, und als ich sah, wie er reagiert hat, habe ich ihn wieder herausgenommen.”

Krippen-Offensive verfehlt die prognostizierte Trendwende bei den Geburtenzahlen

Aber die wissenschaftlichen Befunde von Kinderärzten, Therapeuten, Pädagogen und Psychologen zu den immensen Gefahren einer frühen Fremdbetreuung werden beständig ignoriert. Stattdessen wird diese frühkindliche Eltern-Kind-Entfremdung auch noch als wertvolle Bildungs-Maßnahme verkauft. Ergänzend sollen durch Kinder-Krippen mögliche Nachteile für die berufliche Karriere reduziert und gleichzeitig der Kinder-Segen gesteigert werden. Fakt ist, dass seit Beginn der Krippen-Offensive keine Trendwende in der Geburtenstatistik feststellbar ist. Trotz aller fachlichen Umkehr-Appelle setzt die Politik, koste es was es wolle, weiter auf das Prinzip ‚raus aus dem Elternhaus’ und ‚rein in die Krippe’. Zur richtungsweisenden Zäsur wurde am 3.11.2002 ein Interview im Deutschlandfunk mit dem damaligen SPD-Generalsekretär Olaf Scholz zu den Betreuungsmöglichkeiten für U3-Kinder: „Wir wollen da eine kulturelle Revolution erreichen (…). Wir wollen die Lufthoheit über den Kinderbetten erobern.“

Der Begriff „Lufthoheit“ verdeutlicht: Es geht um einen Krieg gegen das im Grundgesetz verbriefte Elternrecht, welches unter dem besonderen Schutz des Staates steht. Ein Lichtblick: Wenigstens am internationalen Kindertag 2023 wurde im Bundestag das Kindeswohl in den Fokus gerückt und verdeutlicht, dass „die Lufthoheit über den Kinderbetten einzig und allein bei den Eltern liegt“.

De facto wird jedoch nicht Erziehung, sondern ‚Entsorgung’ von Kindern staatlich gefördert. Das alltägliche Sprachverständnis von ‚Betreuung’ offenbart die Problematik. Denn so wie Blumen oder ein Kanarienvogel während des Urlaubs von Nachbarn betreut werden, kann doch wohl kein Kind über Jahre meist unbekannten anderen überlassen werden. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) drückt sich im § 22 klar aus: „Die Aufgabe umfasst die Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes. Das Leistungsangebot soll sich pädagogisch und organisatorisch an den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familie orientieren.“

Wer also vor diesem Hintergrund mehr Betreuungsplätze fordert, sucht im Grunde beaufsichtigte ‚Parkhäuser für Kinder’. Die Praxis belegt, dass z.Z. auch nicht mehr geht bzw. gewollt ist. Es gibt weder ausreichend bezahlte und ausgebildete Fachkräfte, noch ein verbindliches Erziehungskonzept zur Zusammenarbeit mit den Eltern. So wird Bildung und Erziehung – bewusst oder unbewusst – ausgeklammert und dem in der Verfassung geforderten Kindeswohl zuwider gehandelt.

Staat, wie hast du’s denn mit der im Grundgesetzt verankerten Eltern-Verantwortung?

Im Kern geht es um die leicht variierte Gretchenfrage: Staat, wie hast du’s mit der Eltern-Verantwortung? Setzt du auf Befähigung und gute Rahmenbedingungen für eine Erziehung im Elternhaus, oder diktierst du ein öffentliches Versorgungsmodell zwischen Kinderkrippe und Tagesmüttern? Und die Gegenfrage müsste lauten: Eltern, wie habt ihr’s denn mit eurer Erziehungs-Verantwortung? Wurde sie schon kommentarlos der Öffentlichkeit überlassen oder nehmt ihr noch die Erst-Verantwortung für das Aufwachsen eurer Kinder wahr? – Denn Kinder benötigen keine Verschiebe-Bahnhöfe zwischen öffentlich finanzierter Ganztags-Betreuung und familiärem Nacht-Quartier, sondern Eltern, welche für sie mit ihren vielfältigen Bedürfnissen da sind.

Oft wird beklagt, dass Persönlichkeiten mit Ich-Stärke und Souveränität kaum zu finden sind. Ob in Politik, Medien, Wirtschaft oder im privaten Bereich: Egoismus, Beziehungsbrüche und Ausgebranntsein haben Hochkonjunktur, während Fairness, Geradlinigkeit und Verlässlichkeit eher ein Schattendasein führen. Aber wie können Menschen Entscheidungen mit Umsicht und in Klarheit treffen und dafür einstehen, wenn sie sich ihres Selbst nicht sicher sind? Die Basis dazu wird früh gelegt – oder auch nicht. Die Bedingungen, in denen Kinder aufwachsen, werden zum Indikator der Zukunft einer Gesellschaft. Zu vielen Schulabgängern, so beklagen es Ausbildungsbetriebe und Hochschulen seit Jahren unisono, wird zum Abschluss eine einfache, mittlere oder gehobene Lebens-Unreife attestiert.

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Über Albert Wunsch 16 Artikel
Albert Wunsch ist promovierte Erziehungswissenschafter und Psychologe, Supervisor (DGSv), Konfliktcoach, Erziehungs- und Paarberater (DGSF). Seit über 10 Jahren ist er an der Hochschule für Oeconomie und Management (FOM) in Neuss und Düsseldorf tätig. Vorher leitete er ca. 25 Jahr das Katholische Jugendamt in Neuss und lehrte anschließend für 8 Jahr hauptamtlich an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen (KatHo) in Köln. Daneben hatte er über 30 Jahren einen Lehrauftrag an der Philosophischen Fakultät der Uni sowie der FH Düsseldorf und ist Autor zahlreicher Bücher, darunter Die Verwöhnungsfalle, Mit mehr Selbst zum stabilen ICH! Resilienz als Basis der Persönlichkeitsentwicklung oder Boxenstopp für Paare.