Die Opferung Isaaks wird auf Hebräisch „Akedah“ genannt, was mit „Bindung“ übersetzt wird. Gemeint ist wohl die Bindung Abrahams zu Gott, der auf Gottes Befehl hin bereit ist, seinen geliebten Sohn zu opfern. Die übliche Interpretation in allen drei Abrahamitischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam) bekräftigen diese Auffassung. Abrahams Liebe zu Gott ist stärker als die Liebe zu seinem Sohn. Im Gegensatz zum Leser weiß Abraham noch nicht, als er die Vorbereitungen zur Opferung seines Sohnes trifft, dass ein Engel Gottes im letzten Moment die ruchlose Tat verhindern wird.
Diese Interpretation der Akedah ist uralt. Doch gibt es im Judentum fortlaufend neue Interpretationen, die darauf basieren, dass das Judentum nicht eine praktische, sondern eine philosophische, also moralische Religion ist.
Zunächst: Warum nennen sich die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam „Abrahamitisch“? Um eine Verbundenheit zwischen diesen drei Religionen zu demonstrieren? Gibt es seit der Entstehung dieser Religionen ein einziges Jahrhundert, ja ein einziges Jahr oder einen einzigen Tag, an dem Anhänger der einen Religion die Anhänger der anderen Religion im Namen Gottes nicht umgebracht haben? Wie die Antwort lautet, ist jedem Gebildeten bekannt.
„Abrahamitisch“ soll nicht die Verbundenheit, sondern die Ähnlichkeit der drei Religionen bezeugen. Für Juden ist Abraham der leibliche Stammvater, aus dem die Israeliten, die frühen Juden, hervorgehen. Für Christen ist Abraham eine Idee, der alle drei Religionen anhängen. Abrahams (erfolglose) Opferung seines geliebten Sohnes gilt als Vorwegnahme der (gelungenen) Kreuzigung Jesus. Für Muslime ist Abraham der Stammvater der Araber, Muslime wie Christen (letzteres wird verdrängt), und nicht aller Muslime. Der zu opfernde Sohn, der im letzten Moment gerettet wird, ist nicht Isaak, sondern Ismael, der Stammvater der Araber. Ismael begrüßt laut Koran seine Opferung, da man Allah gehorchen muss. Aus diesem Grund sehen Muslime in Abraham den ersten Muslim, was „Unterwerfung unter Allah“ bedeutet.
Schon aus dem Wort „Abrahamitisch“ erkennt man, dass die drei Abrahamitischen Religionen durch unüberbrückbare Unterschiede getrennt sind.
Die moralische jüdische Interpretation der Akedah.
In Genesis 22,2 spricht Gott zu Abraham. Es fällt der Hebräische Befehl „ha‘alehu sham le‘olah“, der üblicherweise mit „opfere ihn dort als Brandopfer“ übersetzt wird. Es gibt jedoch auch andere Auslegungen. In Genesis Rabbah 56:8 lautet die Übersetzung: „bringe ihn nach oben auf den Berg“. Somit hat Abraham den Befehl Gottes falsch verstanden. Oder Abraham hat eine andere als Gottes Stimme befolgt. Abraham hat den Test Gottes nicht bestanden. Wie Kant bemerkt, ist das moralische Gesetz, welches das Töten Unschuldiger verbietet, höher zu bewerten als jedes scheinbare Gebot Gottes, welches zum Töten Unschuldiger im Seinem Namen aufruft. Im Gegensatz dazu ist Kierkegaard davon überzeugt, dass selbst ein sinnlos erscheinendes Gebot des höchsten Wesen einen Sinn beinhaltet, hier, dass man dem Schöpfer bedingungslos zu gehorchen hat.
Nach der erfolglosen Akedah verschlechtert sich das Verhältnis zwischen Abraham und seinem Sohn. Eine Aussprache über die Opferung zwischen Vater und Sohn wird in der Thora nicht erwähnt. Auch die Ehe mit seiner Frau Sarah wird durch den baldigen Tod Sarahs beendet. Der gottesfürchtige Abraham ist nicht in der Lage, die Familie zusammenzuhalten.
Abraham, der bis zur erfolglosen Opferung seines Sohnes über prophetische Erfahrungen verfügt, verliert nach der Akedah die Unterstützung und Freundschaft Gottes, weil er bereit gewesen ist, seinen Sohn Isaak zu opfern. Denn aus Ehrfurcht und Demut besteht die Gottesfurcht, nicht aus Blutvergießen.
„Ha‘alehu sham le’olah“ kann somit nur bedeuten: „Bringe ihn nach oben!“
Im Judentum ist jegliches Menschenopfer verboten. Im Christentum ist das religiöse Menschenopfer der Ursprung und die Basis der Religion. In islamischen Staaten werden bis heute Menschen geopfert, zuweilen mit der Begründung, dass es Allahs Wille ist.
Dieses sind die Gemeinsamkeiten der Abrahamitischen Religionen.
Aus dieser und anderen Quellen
Kenneth Seeskin:
Thinking about the Torah: A Philosopher Reads the Bible
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