Aus der Ferne betrachtet, bestechen die Gemälde, die das NS-Dokumentationszentrum im Rahmen seiner Reihe „Kunst gegen das Vergessen“ zeigt, durch ihre starke Farbigkeit, eine Farbigkeit, die alle Blicke auf sich lenkt. Man denkt an Blumenkompositionen oder an ein Feuerwerk, das seine explosive Energie freigibt. Oder auch an Figuren in einem Tanzrausch begriffen. Die Illusion ist aber nur von kurzer Dauer und verflüchtigt abrupt, wenn man – wie erschlagen – vor dem Bild steht. Stummes Entsetzen macht sich breit. Denn die farbenprächtigen Kompositionen sagen unvermittelt aus, was die Bildunterschriften und die begleitenden ausführlichen Beschreibungen näher erklären. Sie zeigen in aller Deutlichkeit, was Menschen, Millionen von Menschen, am eigenen Körper erleiden mussten, wenn sie in jene Vernichtungsmaschinerie gerieten, die man seit einigen Jahren „Holocaust“, oder-treffender – nach dem gleichnamigen Film von Claude Lanzmann – „Shoah“ nennt.
Der 1903 in Bratislava geborene Maler Adolf Frankl war einer von ihnen, eine Nummer unter vielen, die plötzlich und ohne jeglichen rationalen Grund von allem Hab und Gut, vor allem aber seiner Identität beraubt wurden, um Teil einer amorphen Gruppe zu werden.
Das Schicksal wollte, dass ein begabter Künstler die grausame Erfahrung des perfekt organisierten Massenmordes teilen musste und dass er überlebte. Um später zum unerbittlichen Augenzeugen der Geschehnisse im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau zu werden. Um Zeugnis abzulegen für all diejenigen, die dessen Existenz immer noch in Frage stellen oder gar verneinen.
Die Farbigkeit ist – wie Zentrumsdirektor Prof. Winfried Nerdinger im Vorwort des reich bebilderten 94seitigen Katalogs schreibt –„Ausdruck der Authentizität und psychischen Wirkkraft des Erlebten“. Brennende Farben, die die Erregung des Künstlers an den Betrachter weitergeben. Die Werke sind selbstverständlich nicht im Lager entstanden, sondern erst nach Frankls Rückkehr in das heimatliche Bratislava und später nach seiner Übersiedlung nach Wien. Beinah akribisch rekonstruiert er mit Pinsel und Spachtel die Phasen seiner Höllenfahrt: Von der Deportation im Jahre 1944 zur Tätowierung, von den plastisch dargestellten medizinischen Versuchen bis hin zu den Augenblicken unmittelbar vor der Vergasung und in Anbetracht der Verbrennungsöfen. Szenen eines apokalyptischen Alltags, die sich in seinem Gehirn „eingemeißelt“ haben und nicht aufhören, ihn Tag und Nacht zu verfolgen:„Frauenbad“, „Essensverteilung“, „Appelle“, „Hunger“ nennen sich seine Bilder oder auch „Köpfe ohne Ende“. Wirbeln von Köpfen, die noch ein Gesicht haben, und einzelne Schädel dazwischen, in die er sich selbst immer wieder abbildet. Phantastische Visionen wie „Der Wirbelturm“, ein Gemälde, in dem das „tierhaft Unmenschliche“ in einer beinah psychedelischen„Eruption des Bösen“ heraufbeschworen wird. Die Qualen verdingen sich auf der Leinwand. Der Ur-Schrei materialisiert sich in einem Kopf, der schon zum Skelett mutiert. Die physischen Leiden werden offen gelegt. Die seelischen sind die stummen Begleiter einer fast unerträglichen Existenz. Der Künstler malt sie sich aus der Seele ab. Er versucht die fürchterlichen Gedanken, die ihn überfallen, die Gespenster , die ihn belagern, aufs Blatt zu bringen. Nicht die Erinnerung. Die Erinnerung bleibt. Er malt, um sie wach zu halten. Er malt für alle, die es nicht tun können.
„Gesichter, die mich verfolgen“ ist eines der Bilder, in denen er das immer währende Trauma vom erlittenen Grauen zu verarbeiten versucht. Es spricht mit seinen vielen Antlitzen in einer vom Grün bis ins Blau und Violett hinreichender Farbpalette von einem unendlichen stillen Schmerz, der den Atem verschlägt. Hoffnungslosigkeit ist das Gefühl, das Frankls Figuren beherrscht. Leidende, gleichgültige Gestalten, die leblos vor sich hin blicken, mit herunter hängenden Armen und aus den Höhlen heraustretenden Augen. Geschlagene Wesen, deren transparente Leiber sie schon als Teil einer überirdischen Dimension in einem undefinierbaren Jenseits der Verdammten auszeichnen.
Mit Frankls Augen, durch seine expressive und schonungslose Malweise, wird der Betrachter erstmalig in die Lage versetzt, Auschwitz zu „sehen“, denn er dokumentiert das „Unfassbare“, das was der normale, rationale Mensch nicht versteht. Die Frage der Darstellbarkeit von Auschwitz stellt sich – wie Prof. Nerdinger betont – bei Frankl nicht. Denn er hat das Unfassbare selbst persönlich experimentiert, er ist schlicht und einfach sein Chronist, wie auch Primo Levi es gewesen war.
Adolf Frankl reiht sich mit seinem beachtlichen Werk in die Spur des Wiener Expressionismus, des frühen Oskar Kokoschka und von Egon Schiele mit einer Malerei, die sich um einen ins Chaotische abgleitenden Zug bereichert, der sich ideal dazu eignet, die „Auflösung aller Humanität und Sitte in der Welt des Lagers“ auszudrücken. Es sind Darstellungen, denen – wie Willibald Sauerländer in seinem einleuchtenden Begleittext vermerkt – „die Kraft zum Pathos“ fehlt, jenes sublimierte Element, das die Kunst seit der Antike immer wieder beflügelt hat. Einzige Ausnahme bildet das furchterregende Bildnis des „Spediteurs der Endlösung“ Adolf Eichmann. Ein „Betongesicht“, – definiert es Sauerländer – die „einzige Visage scheinbar heroischer Entschlossenheit“. Ein gnadenloses, hassverzerrtes Gesicht, in dem – wie in einem verwesten Schädel – die geschundenen Leichenteile seiner Opfer auftauchen. Leichenteile, die in einer Art „Danse Macabre“ um Ohren und Augen, um Nase und Mund des SS- Obersturmbannführers herumkreisen und schreiend nach Gerechtigkeit rufen. Man denkt gewiss an Arcimboldo – wie Sauerländer suggeriert -, aber auch an Hieronymus Bosch. Am linken Revers der Uniform ist ein Gaswagen abgebildet: Der erste rudimentale Gasofen, der in Auschwitz eingesetzt wurde.
Eröffnet wurde die aufwühlende Ausstellung mit 29 Gemälden und einer Reihe von Grafiken des slowakisch-österreichischen Künstlers von der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Frau Dr. h.c. Charlotte Knobloch, vom Kulturreferenten der LHS München Dr. Hans-Georg Küppert sowie vom Stadtrat Marian Offmann, der vor dem erneuten Entflammen eines menschenverachtenden xenophobischen Gedankengutes eindringlich warnte.
Aus Wien extra angereist waren Thomas Frankl, Sohn des Künstlers und seine Frau Ruth, die die Initiatorin der Schau ist. Beide betreuen den Nachlass von Adolf Frankl in der „Galerie Art Forum“ am Judenplatz in Wien. Tief bewegt und humorvoll zugleich ging Thomas Frankl auf seine persönliche Geschichte ein, insbesondere auf die Geschichte seiner Rettung vor der Deportation, während der Großteil seiner Familie in der Shoah umkam. Von seinem Vater sagte er, dass er überlebt hatte, aber nie wirklich wieder ins reale Leben zurückfinden konnte. Das Malen betrachtete er – anders als andere Überlebende -nicht als Therapie. Seine Gemälde entstanden vielmehr aus dem Bedürfnis heraus, das Inferno zu erzählen.„Mit seinen Werken“ – so der Sohn – habe er „ allen Völkern dieser Welt ein Mahnmal gesetzt.“
www.ns-dokumentatonszentrum-muenchen.de
21.Juli – 25. September 2016
Fotos: Angelika Weber
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.