Neulich bekam ich per Mail eine Anfrage zum Lebensschutz. Gefragt wurde ich unter anderem, ob das 5. Gebot „Du sollst nicht töten“ immer gelte und man Abtreibung als Mord bezeichnen sollte. Aber auch, ob nicht Behinderungen des Kindes, zum Beispiel Trisomie 21, eine Abtreibung rechtfertige.
Als ich mich erkundigen wollte, wer denn hinter der Anfrage – die angeblich im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit gestellt sei – stecke und was die fragende Person mit meiner Antwort und meinen Antworten machen wollte, wurde diese Person etwas schmallippig. Auf ihrem Account fand ich nichts – außer wenigen Allgemeinheiten. Die Person, die mich fragte, wollte ihre Identität offenbar lieber nicht nennen.
Nun ja, ein Vertrauensverhältnis wurde so – trotz des wichtigen und sensiblen Themas – geradezu verunmöglicht. Schade eigentlich. Ganz plötzlich, als ich einige ganz normale Spielregeln benannte, hatte die Person, die zuvor Zeitdruck vorgab und echtes Interesse an meinen Überzeugungen signalisierte, also ganz plötzlich verschwand das Interesse an diesem „Dialog“. Seltsam. Aber wie sagt der Rheinländer: Et kütt, wie et kütt.
Das, was ich damals als Antwort formuliert hatte und nicht mehr abschickte, weil es plötzlich kein Interesse mehr gab, will ich heute meinen fb-Freunden anvertrauen. Es verseht sich von selbst, dass die Antwort als ganze gesehen werden muss und man nicht einzelne Teile und Wörter herausschneiden sollte oder missbrauchen darf:
„Das 5. Gebot gilt. Immer. Wie alle anderen der Zehn Gebote auch. Es gibt kein Recht auf Tötung, aber es gibt ein Recht auf Leben. Ich zitiere da Joseph Kardinal Ratzinger, den späteren Papst Benedikt XVI., aus dem Jahre 1977: „Wo Tötung von unschuldigem Leben zu Recht erklärt wird, wird Unrecht zu Recht gemacht. Wo Recht menschliches Leben nicht mehr schützt, ist es als Recht in Frage gestellt.“ Und das ist keine christliche Spezialmoral, sondern Erfahrung der Menschheit, wie wir sie aus vielen Bereichen kennen. Und im Blick auf unsere Diskussion über Abtreibung und Euthanasie gilt: Es gibt kein gutes Töten.
Entscheidend ist, dass einfach einmal die – wissenschaftlich unzählige Male bestätigten und erwiesenen – Fakten anerkannt werden: Bei der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle entsteht nichts anderes als ein neuer Mensch, der ALS solcher wächst und sich entfaltet. Es geht also nicht „nur“ um „die“ Schwangerschaft, also nicht nur um den Zustand einer Frau. Es geht vor allem auch darum, dass mit der Entstehung eines neuen Menschen eine neue und besondere Verantwortung gegeben und gefordert ist. Denn dieser Mensch verdient Schutz und Hilfe. Vor der Geburt und nachher.
Jeder Mensch hat, als Mensch und weil er Mensch ist, ein Recht auf Leben. Jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes und hat eine vorgegebene unantastbare Würde. Das bekennt auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Artikel 1. Daraus folgt: Das Recht auf Leben ist unteilbar und verlangt nach Schutz. Immer. Wer da glaubt, Gründe zur Selektion von Menschenleben zu haben, muss sich fragen lassen, ob diese Gründe wirklich tragfähig sind für eine derart tödliche Entscheidung – und ob er diesen schrecklichen Schritt wirklich vor dem Gewissen rechtfertigen kann. Heute, morgen und auch übermorgen.
Wer selektiert, macht sich letztlich unglaubwürdig und versündigt sich am Menschen und seinem Lebensrecht. Übrigens: Der Grad der Gesundheit ist keine Bemessung für das Lebensrecht. Dieses Recht hat man immer, grundsätzlich, 100-prozentig. Auch, wenn man nicht 100 Prozent gesund ist. Ganz abgesehen davon, dass wohl niemand immer zu 100 Prozent bei vollster Gesundheit ist: das vollste Lebensrecht gilt immer zu 100 Prozent und verlangt immer ein Ja zur Verantwortung und zum Schutz. Erst recht, wenn der neue kleine Mensch, der ja bereits entstanden ist und lebt, sich selbst nicht äußern kann und man offenbar bereit ist, dessen Selbstbestimmungsrecht komplett zu ignorieren – und ihn brutal zu töten.
Töten ist keine (!) Lösung. Allen, die durch eine Schwangerschaft in eine gefühlte oder wirkliche Notlage kommen, sollte aufklärendes Wissen zur Verfügung gestellt werden und Wege der Hilfe für ein Ja zum Leben erschlossen werden. Hier sind Klarheit und Behutsamkeit gefordert. Auch in der Sprache. Das gilt in alle Richtungen. Wer von einem „Menschenrecht auf Abtreibung“ spricht und dieses fordert, hat nicht verstanden oder will nicht verstehen, was MenschenRECHTE sind. Wer Lebensschützer und Lebensrechtler mit dem Beiwort „selbsternannte“ oder „sogenannte“ diskreditieren will, verrät Angst vor einem fairen Dialog und vor Erkenntnis.
Besonders unglaubwürdig wird eine solche Diskriminierung, wenn sie im Namen „selbsternannter“ beziehungsweise „sogenannter“ Frauenrechtler vorgetragen wird. Wer andere – etwa Lebensschützer – so bezeichnet, möchte vielleicht auch selbst dieses Attribut bekommen und in Anspruch nehmen? Zweierlei Maßstäbe widersprechen dem gleichen Recht für alle und sind indiskutabel. Noch einmal: Das Recht der Frau und Mutter lässt sich nicht wirklich gegen das Recht des noch nicht geborenen Menschen ausspielen.
Wir brauchen eine Kultur des Lebens, aber keine Unkultur des Tötens. Glaubwürdigkeit ist nur gegeben, wenn man in den Fragen des Lebensrechtes nicht selektiert, sondern im besten Sinne Inklusion fordert und fördert. Jeder Mensch hat ein eindeutiges Recht auf Leben. Jeder Mann, jede Frau, jedes Kind. Aber für niemanden folgert daraus, einem anderen das Recht auf Leben abzusprechen und ihn zu töten.
Wirkliches Glück und belastbare Freiheit, wonach sich eigentlich jeder Mensch sehnt, braucht eine gute Grundlage. Wer einen anderen – außer bei Notwehr – tötet, schafft keine gute Grundlage. Ein noch nicht geborener Mensch ist keine Einladung zur lebensvernichtenden Notwehr. Ein noch nicht geborener Mensch will leben, will Leben – mit seinem Vater und seiner Mutter, von denen er Schutz und Hilfe zum Leben erwartet.
Man darf den noch nicht geborenen, kleinen Menschen, der unschuldig ist und noch keine eigene Stimme hat sowie sich nicht wehren kann, nicht mit dem Tod für seine Existenz bestrafen. Eine Mutter, die sich nach meiner Überzeugung bei einer Abtreibung fatal falsch entscheidet, tut auch sich selbst nichts Gutes. Da geht es nicht um Verurteilung. Der Ansatz muss und sollte stets jede Aufklärung und Hilfe sein, dass ein Ja zum Leben möglich wird und bleibt. Gerade Mütter, die sich bedrängt sehen, brauchen gute, kluge und gewissenhafte Ratgeber und Mutmacher, die ihr dabei helfen.“