Warum man in Österreich dennoch protestiert und diskutiert
In Österreich gibt es eine gesetzliche Regelung bezüglich der Abtreibung. Was gibt es also immer wieder zu argumentieren und warum kommt das Thema „Abtreibung“ nicht zur Ruhe? Weil das Thema ideologisch bestens ausbeutbar ist, zumal man mit schwergewichtigen Metaphern und Slogans wie dem „Recht auf Leben“ und „Jedes Leben ist wertvoll“ um sich werfen kann. Das bringt Stimmen und spricht die ganz großen Emotionen an. Einmal von der Welle erfasst, ist es scheinbar für viele nicht mehr einsehbar, dass das Recht eines Staates oder eines Volkes über den Körper (und damit auch über das Leben) einer Frau zu bestimmen, genau dieser Frau das Recht auf ihr Leben (und dessen Lebensgestaltung) abspricht. Man/frau hätte meinen können, dass die Emanzipationsbewegung dies seit den 60ern erfolgreich hätte zeigen können, so dass den Frauen diese Wahlfreiheit ohne Proteste und Häme für alle Zukunft erhalten bliebe. Zur Erinnerung:
Am 1.1.1975 traten in Österreich folgende Artikel in Kraft:
§97 StGB, Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs
(1) Die Tat ist nach §96 nicht strafbar,
1.wenn der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft nach vorhergehender ärztlicher Beratung von einem Arzt vorgenommen wird; oder
2.wenn der Schwangerschaftsabbruch zur Abwendung einer nicht anders abwendbaren ernsten Gefahr für das Leben oder eines schweren Schadens für die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren erforderlich ist oder eine ernste Gefahr besteht, daß das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde, oder die Schwangere zur Zeit der Schwängerung unmündig gewesen ist und in allen diesen Fällen der Abbruch von einem Arzt vorgenommen wird: oder
3.wenn der Schwangerschaftsabbruch zur Rettung der Schwangeren aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Lebensgefahr unter Umständen vorgenommen wird, unter denen ärztliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist.
(2) Kein Arzt ist verpflichtet, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen oder an ihm mitzuwirken, es sei denn, daß der Abbruch ohne Aufschub notwendig ist, um die Schwangere aus einer unmittelbar drohenden, nicht anders abwendbaren Lebensgefahr zu retten. Dies gilt auch für die im Krankenpflegefachdienst, in medizinisch-technischen Diensten oder im Sanitätsdienst tätigen Personen.
(3) Niemand darf wegen der Durchführung eines straflosen Schwangerschaftsabbruchs oder der Mitwirkung daran oder wegen der Weigerung, einen solchen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen oder daran mitzuwirken, in welcher Art immer benachteiligt werden.
Addendum: Abgesehen von den erwähnten Bestimmungen gibt es keine weiteren Vorschriften in Österreich, so dass sich die Beratung und Behandlung bestmöglich nach den individuellen Bedürfnissen richten kann.
Es gibt in Österreich keine vorgeschriebene Wartezeit, keine vorgeschriebene Beratung in einer Beratungsstelle, keine inhaltlichen Vorgaben für die ärztliche Beratung und die Frau muss ihre Gründe für den Abbruch nicht angeben. Die persönlichen Daten werden nicht weitergegeben, da es keine Meldung an die Krankenkassen oder irgendeine andere Institution gibt.
So weit, so klar – zumindest die Rechtslage, wenn auch die nötige Empathie und der Respekt vor der freien Wahl der betroffenen Frauen generell fehlen und das Thema somit zu einem (gesellschaftlichen) Tabu wird. Erschreckend sind dann Kommentare wie von dem BZÖ-Abgeordneten Ewald Stadler, der Abtreibungen mit Massenmord in den KZs vergleicht und damit sowohl betroffene Frauen wie auch ausführendes (medizinische) Personal als Mörder abstempelt. Wenig besser sind auch Aussagen von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der zu Stadlers KZ-Vergleich meint: „Naja. Wir verlieren jährlich rund 60.000 Leben, das ist, hochgerechnet auf Jahre und Jahrzehnte, auch eine Katastrophe für die Menschheit.“ Die Menschheit an dieser Stelle ins Spiel zu bringen, ist auch ein satter Versuch zur Dramatisierung. Da ist man geneigt auf die tausenden von Kinder hinzuweisen, die verhungern müssen, weil wir auf unserem Planeten reichlich überbevölkert sind. Alles eine Frage der Zahl? Die Betonung der quantitativen Kalkulation solcher Überlegungen wird von Strache allerdings durch die folgende Aussage abgeschwächt: „Ich setze mich für das Leben ein. Wir müssen den Frauen helfen, sich für das Leben zu entscheiden. Da gibt es in Deutschland tolle Modelle mit verpflichtender Beratung. Da soll sich der österreichische Staat endlich einbringen.“ [IN: Der Standard, 19/20 September 2009, Chronik „Ich will keine auf unseren Straßen haben“] Diesem Part bin ich gewillt zuzustimmen, freilich mit einer geringen Abwandlung, nämlich: Wir müssen den Frauen helfen, sich für IHR Leben zu entscheiden, das heißt für ihr Leben, in dem ein Kind eine Rolle spielen wird oder eben nicht. Die Frage ist nur: Wer ist „wir“? Der Staat, die vom Staat beauftragten Berater, jeder einzelne Bürger? Ich nehme an, dass in diesem Fall die Berater gemeint sind und auch in diesem Punkt sollte die Entscheidung, ob Beratung oder nicht, der betroffenen Frau selbst überlassen sein – wünschbar, dass dieses Angebot ausreichend zur Verfügung steht. In verpflichtender Beratung kommen stetsinteressensleitende Faktoren zum Tragen, die sich je nach staatlicher Situation ändern können. Schließlich muss auch das beratende Personal bezahlt werden – und Vater Staat macht nichts umsonst oder ohne Nutzen. Fraglich ist jedoch, in welchem Verhältnis der Nutzen des Staates zum Nutzen des weiblichen Menschen steht.
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