Einem mit Seide ausgelegten Holzsärglein ist der intarsierte Deckel abgenommen. Zum Vorschein kommt eine auf dem Rücken liegende Kindfrau, das Haupt auf einem Kissen. Eine Schwangere. Ihr hochgewölbter Leib samt Brust aus Elfenbein ist abnehmbar und gibt, miniaturhaft filigran, die Organe bis zur Gebärmutter, sogar den Fötus, zur Besichtigung frei. Nicht etwa zu Lehr- und Studien-, sondern allein zu Schauzwecken schuf der Nürnberger Bildhauer mit Drechslerausbildung Stephan Zick (1639 – 1715) dieses absonderliche Stück.
Als „typisches Wunderkammerobjekt“ stellt Virginie Spenlé, promovierte Kunsthistorikerin, dem Leser des Initiations-Bandes der neuen Reihe „Kunstkammer Edition“ des Münchner Antiquitätenhändlers Georg Laue Zicks kleines Opus vor, als „kostbares Kunstwerk“, das beim „neugierigen Betrachter das Interesse für anatomische Fragen wecken und jenen Prozess des Erkundens und Entdeckens in Gang setzen“ sollte, „auf den die frühneuzeitliche Kunst- und Wunderkammer abzielte“ (S. 91).
Um Kunst- und Wunderkammerobjekte, „Wunderwerke der Natur und der menschlichen Kunstfertigkeit“, geht es hier, um „seltene Naturalien, kostbare Automaten, Erzeugnisse aus fernen Welten und exquisite Kunstwerke“ (S. 13). Sie sollen den Betrachter, sagen wir`s ein wenig reißerischer als die zarte Töne anschlagende gelehrte Textautorin, zum spontanen „Maulaufsperren“ bringen. Wer staunt nicht über so wunderliche, eigentlich nutzlose, allein schon ihrer seltenen Materialien wegen ins Auge fallenden Gebilde wie Igelfisch und Nautilusschale, Steinbockshornkrug und Kokosnusspokal, Sandbankhai und Bezoar mit Silbermontur? Da mögen Prunkschreibkästen, Silberbecher, Ebenholzstundengläser und Alabasterreliefs nicht im Entferntesten etwas Abstruses oder Abseitiges an sich haben.
Sagen wir so: Das ganze prächtige, professionell edierte Buch ist ein kleines Wunder. Vom bildhaft luziden Text bis hin zu den Meisterfotos, die alles, was der Kunsthändler Georg Laue aus der Münchner Schellingstraße zu bieten hat – und bei weitem mehr – zum Anfassen klar und animierend dem Auge darbieten. Dazu gibt es einen jedes „Wunder“-Exemplar kurz annotierenden Katalog.
Berühmte Herrscher, geistliche und weltadelige Fürsten, auch begüterte Bürger mit Sinn für Schönheit und nichts als Schönheit treten in dem Buch auf – mit ihrem Faible fürs spielerisch Außergewöhnliche, immens Wertvolle und kunsthandwerkliche Spitzenqualität Repräsentierende. Manche Sachen mochten zu Andacht und Meditation angeregt haben, ein „großer Bernsteinaltar im originalen Futteral“ (Danzig um 1670) etwa oder eine vom Künstler Caspar Pfaff (Augsburg um 1610) signierte Figuren-Uhr mit Kreuzigungsgruppe.
Auf einem der ganzseitigen Fotos zeigt sich Georg Laue persönlich. Er schlüge als Kunsthändler, wie kürzlich eine Tageszeitung schrieb, „die verblüffendsten Pfade in die Vergangenheit ein“. Auf der „Tefaf“ in Maastricht bot er heuer drei der äußerst raren Alabasterreliefs des Leonhard Kern (1588 – 1662) und einen fast 500 Jahre alten Bronzemörser von Wenzel Jamnitzer (1507/8 – 1585) an, der überhaupt damit angefangen hatte, so etwas wie Abgüsse von Eidechsen in Naturgröße herzustellen und sie zu verzieren. Band 2 der neuen Laue-Reihe ist denn auch diesem Kunsthandwerker gewidmet, und Leonhard Kern wird in Band 3 als „der deutsche Giambologna“ gefeiert.
Der Kunst- und Wunderkammer-Freund wird diese neue Reihe nicht missen wollen. Band 1 („Die Kunstkammer – Wunder kann man sammeln“, ISBN 978-3-00-052135-5) führt nicht nur anhand zahlreicher Beispiele in die Thematik ein, sondern lässt eine Literaturliste und ein Verzeichnis von Kunst- und Wunderkammern in Europa und Übersee sowie ein Glossar der beileibe nicht alltäglichen Kunsthandelssparte folgen: von „Apotropäum“ bis „Vanitas“.
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