Globale Welten

Die Kulturstädte Weimar und Potsdam

Die Globalisierung von Lebenswelten, der Import exklusiv ausländischer Denkansätze, dies ist keineswegs, wie man so oft glaubt, und wie es Peter Sloter­dijk widerlegt hat, eine Erfindung postmoderner Zivilisation. Vom alten Ägypten, über die griechische Polis hinaus zieht sich der Strang global-auf­ge­klärten Denkens, der sich auch und insbesondere immer wieder in der Garten­kunst niederschlug. Neben den als originär zu beschreibenden Bildenden Künsten, die im Diskurs der Künste lange Zeit federführend waren und seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts wieder sind, ist es insbesondere die Garten­kunst, die sich einem offenen, eben globalen Denkhorizont verdankt. Gärten bleiben, über den jeweiligen Genius loci hinaus, universale Inszenierungen, denn hier vereinigen sich nationale sowie übernationale Denkansätze zu einer Einheit. Sie sind, und dies gilt insbesondere für das ausgehende 18. Jahr­hundert, Sammelsurien, quasi verspätete mittelalterliche Summen, in denen sowohl genuin asiatisches als auch englisches oder französisches Denken in einen einheitlichen Kanon eingebettet wird, in diesem geradezu kulminiert. Ohne England und Frankreich, ohne die Chinoserien wäre die deutsche Garten­kunst, insbesondere in ihrer Ausprägung als englischer Landschaftsgarten un­möglich gewesen.i Diese Infiltrierung zeigt sich nicht nur explizit an den nach französischem Vorbild inszenierten deutschen Barock- oder Rokokogärten, sondern insbesondere in einer Gartengestaltung, die sich von der reinen Form, vom französischen Vorbild verabschiedet,ii vom mos geometrico distanziert.iii

Im Zeichen der Aufklärung, im Ozillieren zwischen Machtanspruch einerseits und rational-geistigem Lumen andererseits, offenbarte sich eine Wirkungs­ästhetik, die dem europäischen Kulturdenken mächtige Impulse erhielt. Die philosophische Rezeption der Schriften von Shaftesbury und Rousseau,iv die Grande Tour – sie liefern neue, kritisch-fundierte, ästhetische Paradigmen und Erlebnishorizonte, denen nicht nur Intellektuelle, sondern im gleichen Maße auch Gärtner und Gartentheoretiker folgten. Lenné (1789 – 1866),v der ab 1816 bei der Gestaltung der Gartenanlagen in Potsdam federführend beteiligt war, hielt sich ab 1808 für längere Zeit in Paris und später in Wien auf. Hier studierte er, der spätere Gartendirektor, nicht nur die Botanik, seine – wie übrigens für Goethe auch – Lieblingsdisziplin, hier wurde er mit dem Kulturgut französischer Gartengestaltung, die sich an Le Nôtre orientierte, vertraut.vi

Auch die geniale Ikone der Gartenkunst – Hermann Fürst von Pückler-Muskau (1785 – 1871) – unternahm 1826 eine längere Englandreise, besuchte die Gärten von Chilham/Kent, Blenheim/Oxfordshire, Hampton Court, deren Gestaltungsprinzipien auf Lancelot Brown (1716 – 1783) zurückgingen. Über die intensive Rezeption der Gartenkultur auf der Insel informieren in aller Detailgenauigkeit Pücklers „Briefe eines Verstorbenen“, insbesondere der 3. Brief vom Oktober 1826. Kurzum: Die Ästhetisierung, der Anspruch auf eine originäre Gartengestaltung bezieht sich aus übernationalem Interesse, aus der Tatsache, globalisierte Denkansätze in den national-strukturierten Raum zu infiltrieren.

Dem globalen Denken, der europäischen Kulturinfiltrierung also, dem steht auch der Weimarer Kulturkreis keineswegs nach, denn der Musenhof unter Anna Amalia galt als geistiges Musterland, als Republik freier Geister, war eine aus europäischer Philosophie und Ästhetik gebildete ideale Welt, die mit Wieland, später mit Goethe,vii Schiller und Herder zum geistigen Zentrum Deutschlands wurde.

Die enge Verquickung zwischen aufgeklärter Monarchie und dem neu inszenierten sentimentalischen Denken englischer Gestaltungsmaximen, dies prägte nicht nur den Kulturkreis Potsdam, sondern eben auch die kleine Resi­denzstadt an der Ilm samt ihren nach englischem Vorbild geschaffenen Garten­anlagen. Das Weimar […] eigentlich ein Park , in dem eine Stadt liegt, dies bekundete schon der Literat Adolf Stahr (1805 – 1876), als er seine Eindrücke über Weimar und Jena 1852 in seinem Reisetagebuch veröffentlichte.viii Aber auch der schon genannte Pückler-Muskau legt in seinen „Andeutungen über Landschaftsgärtnerei, verbunden mit der Beschreibung ihrer praktischen Anwendung in Muskau“ix beredtes Zeugnis über das Szenario einer Landschaft ab, die dem Weimarer Gesamtkunstgefüge nicht nachsteht – den Potsdamer Anlagen. Ambivalent war sein Verhältnis zum Initiator der Brandenburger Anlagen gewesen, doch mustergültig heißt es in der „Landschaftsgärtnerei“: „Doch dürften wir hoffen, dass die königlichen Anlagen unter der Leitung des hochverdienten Lenné, welche großartig ganz Potsdam mit einem weiten Parke umschließen sollen, gewiss einst ein solches Muster aufstellen werden.“x

Die Aufklärung wurde zum Zauberwort der Gartenästheten, mit Kant und Moses Mendelsohn im Hintergrund, mit Alexander Pope als Vorbild – ihre Ideale galt es in ein mustergültiges Konzept einzubetten, das einen seiner Initialpunkte in den neuen Garteninszenierungen fand. So sehr die englische Gartenkunst – ihre Gestaltungen nach den Vorbildern von Chambers und Brown – dabei dominierte, nicht zu übersehen ist, dass der Wörlitzer Park das Fundament einer gartengestalterischen Entwicklung war, dass er zum ästhetischen Leitbild für die deutsche Gartenkunst wurde. So nimmt es nicht wunder, dass Goethe, der 1775 in die kleine Residenz an der Ilm kam, wirkmächtige Impulse der sentimentalen Gartengestaltung von Fürst Franz III. von Anhalt-Dessau entnahm.xi Auch für Friedrich Wilhelm II. war Wörlitz Paradigma, mustergültiges Beispiel einer idealisierten Landschaft, die nicht nur die Gattung der Landschaftsmalerei überflügelte, wie der Gartentheoretiker Hirschfeld es einforderte, sondern zum Topos einer „Welt“ im Garten wurde. Italienische Vorbilder sowie französische, chinesische und ägyptische Elemente buchstabierten die Welt im Kleinen nach, der Garten erwies sich als national-globales Refugium, als Reisegarten, in dem sich unterschiedliche Epochen samt ihrer Ideengeschichte zu einer Einheit verbanden.

Nachhaltig hat sich diese Idealtypik ja auch in den Potsdamer Anlagen, in ihrer sentimentalischen Prägung im „Neuen Garten“ niedergeschlagen, für deren Gestaltung Friedrich Wilhelm II sich verantwortlich zeigte. Der Gärtner Eyserbeck d. J. aus Wörlitz lieferte dazu die wirkmächtigsten Impulse.xii

Wörlitz bleibt also Vorbild – dies gilt sowohl für Weimar als auch Potsdam.xiii In beiden Residenzen entwickelten sich – fast zeitgleich – autonome Geistes­repu­bliken, wenngleich der Weimarer Kulturkreis mit seinen intellektuellen Kapazi­täten sicherlich dominierte. Der Musenhof in Weimar war weit mehr als eine auf­geklärte Monarchie, die sich um den Sohn von Anna Amalia, Carl August, gruppierte, er war, auch für die weitere Entwicklung der Gartenkunst weg­weisend.xiv

Es ist wiederum Goethe, das Genie, das für einen Paradigmenwechsel inner­halb des ästhetischen Denkens steht.xv Während Wieland sich allzu gern in die arkadische Landschaft versetzen ließ, ganz im Stile des Rokoko die elysische Einsamkeit feiert,xvi während Schiller – gleichwie Hirschfeld – nach einer genuin deutschen Gartenkunst sucht, die sich sowohl der französischen als auch englischen Tradition verpflichtet weiß,xvii ist es der Weimarer Olympier, der mit dem Vokabular der sentimentalen Gartenkunst bricht, der sich, er der in Italien zum Klassiker gewordene Künstler, nunmehr von den wirkungsästhetischen Regularien sentimentaler Gartenkunst verabschiedet und, ganz im Sinne Kants, nach allgemeinen Kriterien sucht, die jeder Kunst voranzustellen seien. Goethe gibt sich nicht oder will sich nicht mit der Wirkungsästhetik Hirschfelds zufrieden geben, ihn reizt die Naturwissenschaft, die strenge Systematisierung, wie er sie von Carl von Linné (1707 – 1778) her kannte. Sein letztes Wort ist die Gehaltsästhetik, die von ästhetischen Kunstprinzipien ausgeht, diese als regulative Ordnungs- und Kategorisierungsmuster bei der Beurteilung jed­weder Kunst zugrunde legt. Die sentimentalische Gartenkunst fällt dabei aus dem Rahmen, so die Kritik Goethes, den ihr fehle der ideale Gehalt, die fundierende Idee, sie bleibt also bloße Chimäre, eine Welt des schönen Scheins, der jede Verbindlichkeit abhanden geht.

Goethe zeigt sich – und dies bringt ihn in die Nähe von Lenné und Pückler-Muskau – als kritischer Revisor der englisch-sentimentalen Garten­kunst. Auf Zierrat, auf überflüssige Allegorien – auf all diese nichtssagenden Formen und Gestaltungselemente, die nichts zur Natur der Sache beitragen, sei, dies die fundierte Maxime Goethes, die sich an die Adresse einer unauf­ge­klärten sentimentalen Gartenkunst richtet, zu verzichten. Wie Lancelot Brown bereits für die englische Insel reklamierte, ist es der Genius des Ortes, der aus­schlaggebend für jede Gestaltung werden soll. Goethes kritisches Veto, seine Distanzierung von den Gestaltungsmaßnahmen in Weimar zeigt in aller Deutlichkeit, dass es, wenn es um eine Nobilitierung der Gartenkunst gehen sollte, um eine pragmatisch-fundierte Grundierung derselben handeln müsste, Aspekte der Nützlichkeit sollten Vorrang genießen. Das sinnentleerte Spiel mit den bloßen Formen wird ihm immer fremder. Goethe verabschiedet sich also von dieser sentimentalischen Gartenkunst relativ früh. Zu einer Blüte dieser stilistischen Überzeichnung der Gartenkunst sollte es erst am Ende des 18. Jahrhunderts kommen, zu einer Zeit also, wo sich Goethe bereits intensiv mit den Bildenden Künsten und ihrem Formvokabular auseinandergesetzt hat, vom elegischen Spiel sich restlos verabschiedet hatte.

Die Kritik Goethes, der von ihm geforderte – gleichermaßen mit Rousseau im Einklang stehende – Imperativ „Zurück zur Natur“ – sie war es auch, die Gartengestalter wie Lenné und Pückler-Muskau begeisterten. Beiden war eine allzu fromme und übersteigerte Gefühlsästhetik, eine melancholische Gefühlsduselei suspekt, beide waren Verfechter einer nachgoethe’schen Ästhetik, die es sich zur Vorgabe machte, mit dem Formvokabular der Garten­kunst sparsamer, eben klassisch umzugehen. Das von Lenné in Potsdam ver­anschlagte Gestaltungskonzept verzichtet auf eine Überstrapazierung im Sinne der allegorischen Methode, wenngleich ihm die Antike und somit die Arkadien-Thematik immer wieder zur Inspirationsquelle wurden. Noch rigider agierte Pückler-Muskau in Muskau, Babelsberg und in Ettersburg bei Weimar. Auch hier verinnerlichte er die Kritik Goethes an der Überzeichnung, wenn er in seiner „Landschaftsgärtnerei“ schreibt:

„Daher muss man sich auch mit Tempeln, die im Altertum eine ganz andre, volks­tümliche, religiöse Bedeutung hatten, und ebenso mit nichtssagenden Monu­menten sehr in acht nehmen, wenn sie nicht, statt einen tief erregenden Eindruck, den des Läppischen hinterlassen sollten. Die abgedroschene, missverstandene Weise, wie man heutzutage die Mythologie auffasst, möchte es geraten machen, diese ganz weg­zu­lassen, und sich ebenfalls in der Regel der Inschriften zu enthalten, die an gewissen Orten gewisse Gefühle zu haben vorschreiben wollen. Wären sie selbst von Göthe, wie in Weimar – auch diese finden ohnfehlbar in seinen Schriften einen bessern Platz.“xviii

Goethe und seine Kritik am englisch-sentimentalen Garten blieb wegweisend für die Gartengestaltungen, wie sie sich in der darauffolgenden Zeit sowohl im „Neuen Garten“, in Schloss Glienicke, auf der Pfaueninsel, in Babelsberg und in den – unter Aufsicht von Friedrich Wilhelm IV. – sich an die Barock, bezieh­ungsweise Rokokoanlage Sanssouci anschließende Anlage Charlottenhof finden. Anders gesagt: Der kritische Ästhetizismus, der seinen Ursprung in Weimar hatte, erwies sich als stilbildend. Dies gilt insbesondere für die Weimarer Anlagen selbst, deren Genese auch eine ist, die sich von der senti­mentalen Idee verabschiedet und zunehmend den Weg zur klassischen Garten­kunst fortführt. Mit seiner neuen Vorgehensweise, wie sie Pückler-Muskau in Ettersburg praktiziert, die ganz im Zeichen seiner kritischen Sicht auf die senti­mentale Gartenkunst steht, zeigt sich, dass es nicht nur Dichterfürsten und Adlige sind, die für einen Kulturaustausch zwischen den Residenzen stehen, sondern eben bedeutsame Gärtner, so auch der in der Pückler-Muskau nach­folgende Eduard Petzold, der im Tiefurter Park die frühromanische Anlage des jüngsten Sohns von Anna Amalia, von Prinz Constantin, in den Jahren 1845 – 1850 erneuerte bzw. umgestaltete.xix

Neben dynastischen Beziehungen, Anna Amalia war ja, wie bekannt, die Nichte Friedrich des Großen,xx sind es eben nicht weniger wichtige „Garten­dilettanten“, die sich für die damalige Zeit – quasi global denkend – in andere Kulturkreise integrieren.

Insbesondere in Glienicke zeigt sich eine eindeutig nachweisbare Parallele, worauf Klaus-Henning von Krosigk hingewiesen hat, zwischen den Kulturkreisen Weimar und Potsdam.xxi Prinz Carl von Preußen, der drittälteste Sohn von Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise, war seit 1827 mit Marie, Prinzessin von Sachsen-Weimar, verheiratet. Die Enkelin von Goethes Intimus, Herzog Carl August, wuchs unter der geistigen Einflussnahme des aufgeklärten Klassikers Goethe auf, der zugleich als ihr Pate fungierte. Der Einfluss des Weimarer Kulturkreises zeigt sich, wie Krosigk nahe legt, in der „herausge­hob­enen Präsentation der ‚Ildefonso-Gruppe’, Castor und Pollux darstellend. Mit dem Bronzeabguss, genommen vom Vorbild in Weimar, überraschte Prinz Carl Marie 1828, indem er sie an zentraler Stelle des Gartenhofes aufstellen ließ, gleichsam als ewigen Gruß aus dem elterlichen Weimar. Marie kannte seit frühester Kindheit die beiden griechischen Jünglinge sowohl aus dem Treppenhaus des Goetheschen Hauses am Frauenplan, als auch vom Ilm-Park, wo die später in die Stadt translocierte Gruppe in der Nähe des Hauses der Frau von Stein stand“.xxii

Die Residenzen von Weimar und Potsdam erweisen sich als kulturelle Geisteszentren, die sich der epochalen Ästhetik der Aufklärung verpflichtet fühlten. Die jeweiligen Kulturkreise sind eindeutiger Beweis für eine Infil­trier­ung europäischen Denkens, sind also Sinnbilder geistesgeschichtlicher Epoché, Zentren, die zwischen Nationalinteressen einerseits und globaler Geistes­ge­schichte andererseits vermitteln. Szenarien dieser epochemachenden Ästhetik waren – in beiden Fällen – die Landschaftsgärten, die ja für den intellektuellen Binnenraum diskursiven Denkens geradezu die Vorlage lieferten, denn die unge­zwungene Atmosphäre des Gartens, die Rückbindung an die ge­schichtliche Ära des Goldenen Zeitalters, der Rekurs auf Griechen und Römer gleichermaßen, er war es, der der klassischen sowie nachklassischen Epoche zum Wegweiser elitärer Inspirationen wurde, der zum Sinnbild, ja, zum Ent­wurf liberalisierter Denkungsweise führte. Die Gärten von Weimar und Potsdam stehen also nicht nur ikonographisch, sondern mehr noch ikonologisch für einen, wie es Adrian von Buttlar für die englische Gartenkunst reklamierte, „liberalen Weltentwurf“, für ein rigides Abschiednehmen vom despotischen Denken, das sich in einem neu gefundenen Naturbild Ausdruck verschaffte. Die Natur, die über Jahrhunderte hinweg nur zum Spielball rationaler Denk­ungs­weise wurde, sei es bei Descartes oder Leibniz, verschaffte sich ihren Freiraum.

Wie Potsdam ist Weimar ein Bezugsgefüge ästhetischer Land­schafts­ge­staltung, eine Parklandschaft in nuce, wie die drei – fast ineinander übergeh­enden – Gärten, der Tiefurter Park, der Park an der Ilm und der Garten Belve­dere im Norden es verdeutlichen. Die Gartenlandschaft ist hier aber mehr als nur ein kompositorisches Gefüge, sie prägt die urbane Gestaltung – ähnlich wie in Potsdam mit seinen Schlössern Sanssouci, Charlottenhof, Neuem Garten, Babelsberg und Glienicke. Die jeweiligen Gärten erweisen sich als autarke Gebilde einerseits, andererseits sind sie Bilder einer idealisierten Natur, die die Welt im Kleinen widerspiegeln. Globales Denken, die arkadischen Vorbilder, die Kulturräume Italiens und Englands – all dies lässt die Gärten zu pan­harmonischen Schöpfungen werden, die – wie die Potsdamer Anlagen – durch Sichtachsenbeziehungen miteinander verbunden, gestaltete und nicht­domesti­zierte Natur in ein Wechselverhältnis überführen, wobei der Betrachter nicht weiß, wo die idealisierte Kunstwelt aufhört, wo sich also umgekehrt die unge­staltete Natur ihre Domänen zurückerobert. Auch im Park von Tiefurt sind die Raumgrenzen verschwommen, der Garten, der unter der Hand Knebels zu seinem sentimentalen Refugium wurde, vermittelt das Gefühl der Offenheit, des Offenseins, die Sehnsucht und den Traum nach der großen Natur, deren Existenz Goethe – während seiner Schweizreise – als erhabene fühlte, die ihm nicht nur seine Endlichkeit vor Augen stellte, sondern auch seinen Wunsch be­stärkte, endlich Arkadien, das vielgepriesene Italien zu sehen.

Auch dem Rezipienten, der die Gärten in Weimar und Potsdam besucht, beschleicht heute noch das Gefühl, in Arkadien anzulangen. Sehnsuchtstopoi bleiben beide Anlagen, denn sie eröffnen einen Blick in die Welt, die es so zwar nicht mehr gibt, die aber in ihrer idealisierten Form zum Fundament wird, in dem sich Glückseligkeit und Glückswürdigkeit vereinen, die dem Betrachter also jenes geistige Klima vermittelt, in das er sich gern einbetten möchte.

Bibliographie:

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Sammelbände:
– Wielandgut Oßmannstedt, hg. von Klaus Manger und Jan Philipp Reemtsma, München, Wien 2006.

i Dazu: Bauer, Hermann: Idee und Entstehung des Landschaftsgartens in England, in: Inszenierte Natur. Landschaftskunst im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. B. Baumüller, U. Kuder und Th. Zoglauer, Stuttgart 1997, S. 18-37.

ii Günter, Harri: „Da ist doch ein ganzes Land voll Gärten, welches mein System begünstigt […].“, in: Gärten der Goethezeit, hg. v. H. Günter, Leipzig 1993, S. 29-31.

iii Siehe auch: Niedermeier, Michael: Das Ende der Idylle. Symbolik, Zeitbezug, ‚Gartenrevolution’ in Goethes Roman „Die Wahlverwandtschaften, Berlin, Bern, Frankfurt/Main, New York, Paris, Wien 1992.

iv von Buttlar, Adrian: Der englische Landsitz 1715-1760. Symbol eines liberalen Weltentwurfs, Mittenwald 1982, S. 129-131.

v Dazu: von Buttlar, Adrian: Vom Landschaftsgarten zur Gartenlandschaft – Peter Joseph Lenné und seine Parkschöpfungen in Berlin und Potsdam, in: Berlin durch die Blume oder Kraut und Rüben. Gartenkunst in Berlin-Brandenburg, hg. im Auftrag des Senators für Stadtentwicklung und Umweltschutz von M.-L. Plessen, Berlin 1985, S. 137-139.

vi Zu Le Nôtre: Bazin, Germain: DuMont’s Geschichte der Gartenkunst, Köln 1990, S. 130-132.

viiAuch Goethe, einer der ersten Verfechter der sentimentalen Gartenkunst, wird seine frühen Kunstmaximen bald kritisch überdenken, die Reisen in die Schweiz, wie sein Briefwechsel mit Charlotte von Stein nahe legt sowie der zweijährige Aufenthalt in Italien formen das unfiltrierte Genie zum Klassiker, lassen den Stürmer und Dränger des „Werther“ zu einer gereiften Persönlichkeit werden, die sich von seinen Jugendspielereien zusehends verabschiedet.

viii Huschke, Wolfgang, Vulpius Wolfgang: Park um Weimar, Weimar 1956, S. 9.

ix Dazu: Schäfer, Anne: Der Muskauer Park (1815), in: Gärten der Goethezeit (1993), S. 251-253.

x Hermann Fürst von Pückler-Muskau, Andeutungen über Landschaftsgärtnerei, verbunden mit der Beschreibung ihrer praktischen Anwendung in Muskau, hg. v. G. J. Vaupel, Frankfurt/Main 1988, S. 16.

xi Trauzettel, Ludwig: Das Gartenreich von Wörlitz und Dessau, in: Gärten der Goethezeit (1993), S. 45-47.

xii Günther, Harri: Der Neue Garten, Potsdam (1793), in: Gärten der Goethezeit (1993), S. 215-217.

xiii Groß, Stefan: Wörlitz und die moderne Welt oder von der Idealisierung der Natur, Aufklärung und Bildungsoptimismus, in: Die Gartenkunst, 17. Jahrgang, Heft 1/2005, S. 146-148.

xiv Grundlegend dazu: Gamper, Michael: „Die Natur ist republikanisch“. Zu den ästhetischen, anthropologischen und politischen Konzepten der deutschen Gartenliteratur im 18. Jahrhundert, Würzburg 1998.

xv Groß, Stefan: Johann Wolfgang Goethe und die Gartenkunst. Eine Gattung verliert an Einfluss – Die Gartenkunst und ihre Kritik, in: Die Gartenkunst, 17. Jahrgang, Heft 2/2005, S. 311-318.

xvi Jäger, Jürgen: Goethe-Gärten in Weimar, in: Gärten der Goethezeit (1993), S. 92f. Vgl. Wielandgut Oßmannstedt, hg. v. K. Manger und J. P. Reemtsma, München, Wien 2006, S. 109-111.

xvii Groß, Stefan: Die Stellung der Gartenkunst innerhalb der Hierarchie der Künste im ästhetischen Werk Friedrich Schillers, in: Die Gartenkunst, 16. Jahrgang, Heft 1/2004, S. 93-95.

xviii Pückler-Muskau, Andeutungen über Landschaftsgärtnerei (1988), S. 42.

xixRohde, Michael: Von Muskau bis Konstantinopel. Eduard Petzold – ein europäischer Gartenkünstler, 1815-1891, Dresden 1998. Vgl. auch: Rohde: Zur Bedeutung der Planung Carl Eduard Petzolds in Greiz und zur veränderten Ausführung durch Reinecken, in: Jahrbuch der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten 1997/98, Rudolstadt 1999, S.151-160.

xx Merseburger, Peter: Mythos Weimar. Zwischen Geist und Macht, Stuttgart 31999, S. 47-49.

xxi von Krosigk, Klaus-Henning: Die Parkanlagen Klein-Glienicke, in: Gärten der Goethezeit (1993), S. 263-265.

xxii von Krosigk, Klaus-Henning: Die Parkanlagen Klein-Glienicke, in: Gärten der Goethezeit (1993), S. 270.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2157 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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