
Wahlversprechen nach der Wahl eklatant und unmittelbar zu brechen – das ist keine Novität. Aber es schadet dem Vertrauen in die Demokratie. Besonders in diesen Zeiten. Zwischenruf von Helmut Ortner.
Wer vor der Wahl Zusagen macht und diese nach der Wahl vergessen machen will, der verhöhnt den Wähler-Willen. Im richtigen Leben laden wir solche Leute nicht mehr zum Gartenfest ein.
Friedrich Merz, der voraussichtlich neue Kanzler, strapaziert seine konservative Wählerschaft mit einer 180 Grad-Wende. Er hebelt die Schuldenbremse aus, um freie Hand für die Verteidigung zu haben, er schafft flugs ein neues Sondervermögen für Investitionen in die Infrastruktur, damit Pläne geschmiedet werden können, von denen die Ampelkoalition nur träumen konnte. Vorher militanter Verfechter der Schuldenbremse, nun kreativer Impresario eines Milliarden-Sondervermögens. Wahlgeschenke inklusive: Union und SPD bedenken Rentner, Gastwirte oder Bauern und versprechen viele Wohltaten.
Die Grünen wollen dem von Union und SPD geplanten Finanzpaket und den dafür nötigen Änderungen im Grundgesetz nicht zustimmen. Das kann man nun gut finden oder schlecht. Man kann an die staatspolitische Verantwortung appellieren und mahnen, dass Demokraten zusammenhalten müssen, damit Autokraten im Inneren wir im Äußeren und so weiter und so fort…
Anderseits: Wer monatelang durch die Lande zieht und von den Bühnen ruft „Alles Spinner außer uns“, tja, der darf sich nicht wundern, wenn besagte Spinner sich danach nicht so gerne umarmen lassen. Der besorgniserregende Grünen-Fetisch von Söder und Merz mag die eigenen Reihen schließen, nach außen hat er die entgegengesetzte Wirkung. Und so lange dieses Land keine Autokratie ist, so lang muss auch der Regierungschef – sowie jener, der es zu werden wünscht – über diese nicht gerade sehr komplizierten Mechanismen der Kooperation nachdenken. Auch darüber, im Stil größer zu sein, als man es gewohnt ist.
Wahlversprechen so eklatant und unmittelbar zu brechen – dass aber schadet dem Vertrauen in unser demokratisches Grundprinzip: Wer vorher anders spricht als nachher – begeht Wähler-Täuschung. Deutlicher: er verhöhnt den Wähler-Willen. Das ist nicht gut für die Demokratie.
Die gigantische Verschuldung wird nun mit Hinweis auf eine neue Weltlage – legitimiert. So als hätte man davon erst kurz nach der Wahl erfahren, dass es im Land neue Brücken, eine bessere Bahn, mehr Digitalisierung und weniger Bürokratie braucht – dazu das Klima-Desaster. Keine der Herausforderungen, auf die sich die künftigen Koalitionäre nun berufen, ist über Nacht gekommen. Die Lage mit der wir es nun tun haben – ist das Ergebnis jahrzehnte-langer Versäumnisse. Parteiübergreifend.
Wir sollten die gewählte politische Klasse – die jetzt schon wieder so selbstgefällig und selbstgewiss auftritt – samt ihrer Claqueure und Dienstboten in die Pflicht nehmen. Ihre Versäumnisse sind der Nährboden für Populisten.
Aktuelles Buch unseres Autors: