Erklären(d), beschreiben(d) oder sollen(d)? SH Milk Bowl 1.3

Der Philosoph Herbert Schnädelbach, 1936-2024, © Foto: Jakob Bertzbach

„Der Fluch des Christentums“ ist die Überschrift einer ehemals heiß debattierten These, als Gegenpol zum „Segen des Christentums“.  Hierbei wird deutlich, wie Religionskritik mittels „persönlicher Urteilskraft“ sich unterscheidet von typischen Aussagen der Theologie und Wissenschaft.

Philosophie und Wissenschaft können zwar oftmals „nicht-kritisch“ sein (z.B. bloß beobachtend), sollten aber niemals „unkritisch“ sein, denn das können sie sich – jedenfalls als „verantwortliche“ – nicht leisten wegen der vielseitigen sozialen Umstände.

Musst Du nicht ebenfalls aufgrund komplexer Verflechtungen im Leben – ziemlich oft sogar – kritisch Stellung beziehen?  Ganz in diesem Sinne wird mit kritischer Haltung und sorgsamem Blick auf aktuelle Krisen der Welt am Schluss des folgenden Videofilms, direkt nach dem Spielen russischer Musik, für die Ukraine „Flagge gezeigt“.

Herbert Schnädelbach beginnt diese 3. Filmepisode mit wenig Worten.  Trompeten und auch andere Philosophen sind zu hören, und er zeigt Bilder seines Berufslebens.  In Bezug auf Geltungsgründe von Argumenten erklärt er uns dann, wie seine „These der Diskursvermengung“ zu verstehen ist (auch benannt als These der Diskursvermischung).

Sie kann für uns alle klärend wirken und so Orientierung verschaffen: in der Philosophie, in der Politik und im alltäglichen Streitgespräch, also recht wahrscheinlich auch in Deinem Leben.  Denn damit können wir im Durcheinander von strittigen Aussagen sorgfältig sortieren, ob mit ihnen vor allem etwas beschrieben, erklärt, gesollt oder eben „vermengt“ ist.

 

Schnädelbach und die Hegelsche Milchschale

– Philosophische Orientierungen in (post-)moderner Zeit

Film(-Serie) 1: „Glauben Wissen Kritisieren“

Episode 1.3 „Erklären(d), beschreiben(d) oder sollen(d)?“ (Level B), 36 min

8) Polyphones Intermezzo @1:15

9) Schnädelbachsche Diskursunterscheidung @8:08

10) ‚Kritik’ und ‘Wissenschaft’ am Beispiel der Religionskritik @15:25

11) Kritische Philosophie/Wissenschaft @26:37

12) Plädoyer, Stellung zu beziehen @31:55

 

Philosoph aus Thüringen

Herbert Schnädelbach, geboren am 6. August 1936 in Thüringen, Schulzeit vor allem in Sachsen und in der Pfalz, Professor der Philosophie von 1971 bis 2002, starb am 9. November 2024 in Hamburg-Eidelstedt, wo er an diesem Wochenende im Familienkreis beerdigt wurde.

Seine Katze ist im Artikelbild über seiner Schulter zu sehen, während er ein älteres Foto hochhält.  Das Bild kann vielseitige Reflexion und auch den Wechsel zwischen früher und später symbolisieren: Herbert Schnädelbach ist, war und wird sein – mit seinen nachdenklichen und aufklärenden Reflexionen.

Der Videofilm bietet zumeist Interview-Szenen und zudem Statements der Philosophen Ekkehard Martens, Heiner Hastedt, Rolf-Peter Horstmann, Oswald Schwemmer sowie Jürgen Habermas – dieser nennt Schnädelbach einen „der bedeutendensten philosophischen Köpfe der Gegenwart“.

In zahlreichen Sprachen wurden übersetzt insbesondere (1.) Herbert Schnädelbach, Philosophie in Deutschland 1831–1933. Suhrkamp: Frankfurt a. M. 1983, (2.) ders., Kant, Reclam: Leipzig 2005, und (3.) ders., Was Philosophen wissen und was man von ihnen lernen kann, C. H. Beck: München 2012.

 

Einschlägige Quellen

– Interview mit Christian Modehn: Herbert Schnädelbach – ein “frommer Atheist”?, in: Religions-Philosophischer Salon, 12.11.2024 (zuerst erschienen als: Herbert Schnädelbach: »Ich rechne nicht mit Gott«, in: Publik-Forum, 13.10.2009)

– Herbert Schnädelbach, Religion in der modernen Welt, Fischer: Frankfurt a. M. 2009 (Vorträge, Abhandlungen und Streitschriften, gewidmet seinen Kritikern)

– Herbert Schnädelbach, Der Fluch des Christentums. Die sieben Geburtsfehler einer altgewordenen Weltreligion. Eine kulturelle Bilanz nach 2000 Jahren, in: Die Zeit,

– Jakob Bertzbach und Herbert Schnädelbach, Was zählt wirklich? Denke umsichtig, rede mit UN-Bezug! SH 1.3, 35‘: pro Ukraine, Youtube.com/@philosophieren, San Bruno, CA, 4. Posting, 12.11.2024.

– Herbert Schnädelbach, Erkenntnistheorie zur Einführung, 2., korr. Aufl., Hamburg: Junius Verlag (2002) 2004, S. 10f. (empfohlen als Einstieg in die Philosophie).

– Herbert Schnädelbach, Reflexion und Diskurs. Fragen einer Logik der Philosophie, Suhrkamp: Frankfurt a. M. 1977 (sein diskursanalytisches Hauptwerk mit einer sprachpragmatischen Theorie zur Diskurspluralität und -vermengung).

 

Nachrufe und Kerzen

– Christian Geyer-Hindemith, Nachdenklichkeit ist keine Pose. Wer nichts behauptet und nichts vertritt, ist immer fein raus: Zum Tod des Philosophen Herbert Schnädelbach, der mit seinem Willen zur Prägnanz dem Relativismus widersagte, in: Frankfurter Allgemeine, 11.11.2024

– Dirk Knipphals, Philosoph Herbert Schnädelbach gestorben, in: taz, 12.11.2024.

– Geert Keil, Nachruf auf Herbert Schnädelbach – Man braucht viel Vernunft, um sie zu kritisieren. Zum Tod des Philosophen Herbert Schnädelbach, der im Alter von 88 Jahren gestorben ist, in: Frankfurter Rundschau, 10.11.2024

– Jakob A. Bertzbach, „Ich freue mich, wenn es regnet, denn …!“ Zur Erinnerung an Herbert Schnädelbach und seine soziale Sinnschärfe, in: Soziopolis, 29.11.2024

– Sandra Ausborn, Simone Dietz et al., Todesanzeige zu Herbert Schnädelbach von seinen Schülerinnen und Schülern, in: Die Zeit, 27.11.2024

– Herbert-Schnädelbach-Familie, Traueranzeige, in: Süddeutsche Zeitung, 7.12.2024, mit Kerzen, die gleiche Traueranzeige, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.12.2024, mit Kerzen, als Möglichkeit – wie auch hier auf Tabularasa – für eigene Gedenkworte von Dir.

 

Über Jakob A. Bertzbach 7 Artikel
Jakob A. Bertzbach arbeitete als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Vergleichende Ethik an der Freien Universität in Berlin. Er studierte in Berlin, Oxford und New York. Mit seinem Filmessay „Glauben, Wissen, Kritisieren" versuchte er den Zugang zur Philosophie als Aufklärung und Wissenschaft in einem Spiel aus sich wiederholenden Fragen nachvollziehbar zu gestalten.