Es muss einmal klar gesagt werden: Die heutigen Kommunikationswelten sind derart gefährlich geworden, dass sie Krisen, Kriege und die Probleme der Welt aktiv mit beschleunigen. Einerseits, weil Medien und Kommunikation scheinbar quasi „proletarisch“, also allseits verfügbar geworden sind. Und auf der anderen Seite haben sich die Macht- und Herrschaftsverhältnisse dahinter komplett geändert! Nur die Revolution bleibt aus. Wir unterwerfen uns und spielen einfach mit! Das sollten wir überdenken. Von Stefan Endrös.
Let’s talk about … Communication!
Ist es das wert? Angesichts der großen Krisen, der großen Kriege, der Spaltungen der Gesellschaft, der Digitalisierung auf allen Feldern. Haben wir da nicht wirklich ganz andere Probleme, und andere Themen, als über Kommunikation zu sprechen?
Oder ist es gerade deswegen andersherum: um so wichtiger? Denn vielleicht ist ja Kommunikation mitverantwortlich an den wachsenden Problemen? Vielleicht haben die neuen Entwicklungen der letzten Jahre, die überbordende „Digital-Industrialisierung“ der Kommunikation, uns in eine Situation gebracht, in der unser soziales Miteinander und Leben komplett viele ihrer Grundpfeiler, Werte und Gewohnheiten verloren hat? So wie einst bei der industriellen Revolution, als die klassischen, eingespielten Rollenverteilungen, Werte und Zuordnungen komplett über den Haufen geworfen wurden.
Damals gab es Revolutionen, gesellschaftliche Verwerfungen, neue politische Ordnungen, die all diese Veränderungen der Industrialiserung als riesigen Entwicklungsschritt wieder einzufangen und einzuordnen versuchten. Ich glaube, Ähnliches passiert aktuell durch die komplett neuen kommunikativen Umwerfungen – von einer lange Zeit gewohnten, „gepflegten“ Kommunikations- und Medienwelt hin zu einem immer stärker digitalisierten Tohuwabohu und komplett neuartig strukturierten Kommunikationswegen, Channels und Verantwortlichkeiten.
Aus klassischen Medien wurden zunehmend Social Medien, Community-Medien für bestimmte Meinungen und Gruppen, und aus feststehenden gesicherten medialen Quellen wurde plötzlich jeder einzelne von uns zu einer möglichen Quelle. Und auch die Verbreitung der Inhalte läuft längst nicht mehr linear über eine eingespielte „Distribution“ im herkömmlichen Sinne, sondern über taktisch strategische Algorithmen und Interaktionen. …
Jeder macht seine eigene, Interessens getriebene „Propaganda“
Im Grunde „publiziert“ heute jeder für seine eigenen Standpunkte wild und ungefiltert „seine“ mediale Kommunikation: soziale Meinungs-Aussagen fast so einseitig wie persönliche „Propaganda“. Und das, was es einstmals – und in manchen Ländern bis heute – aus einer zentralen Quelle gab, kommt heute aus Tausenden von individuellen Quellen, und niemand weiß, wohin das Wasser fließt. Wo es austrocknet oder wo es zu Überflutungen kommt. Sicher ist nur, dass es sich mit Macht ganz neue Flut-Wege suchen.
Und so, wie sich damals in Zeiten der Industrialisierung die Gesellschaft gänzlich neu ordnen musste, sich ganz neu umfunktioniert hat, mit einer Arbeiterschicht, Gewerkschaften, dem Bürgertum, und der (noch verbliebenen) Aristokratie, später der Industrie-Aristokratie, so wandelt sich die Gesellschaft nun unversehens im kommunikativen Sinne komplett in ganz neue „Herrschaften“: mit einem ganz neuen, dezentralen Kommunikations-„Proletariat“, den noch sich mühenden „bürgerlichen“ Mediatoren – und einer neuen digitalen Daten-Aristokratie von Meta, Microsoft, Google bis X.
Voller Begeisterung freuen wir uns inmitten dieser Welt bisweilen wie Kinder, wenn wir uns bei KI, TikTok & Co ganz spielerisch diesen neuen Machtverhältnissen unterwerfen, jegliches Recht an der Persönlichkeit und am Schutz der eigenen Daten lässig progressiv aufgeben, – und wir sind voll motiviert und begeistert, dass wir angesichts dieser neu-industriellen, digitalen Kommunikations-Daten-Verheißung neue Meilensteine der Menschheit umzusetzen scheinen.
Entmündigt uns die neue Kommunikationswelt?
Können wir diese kommunikativen Umwerfungen wirklich so lässig betrachten und hinnehmen? Ich glaube nicht! Denn in Wirklichkeit haben sie extrem weitreichende Folgen. Wir geben unser Recht auf Daten ab, und wir unterwerfen uns den Daten und deren Berechnungen und Algorithmen. Wir sind nicht mehr Herr des Geschehens, oder dieses „Spiels“, – und wir sind nicht mal mehr in der Lage, ernsthaft mitbestimmend daran teilzuhaben. Wir sind nur in der Lage, auf den fahrenden Zug aufzuspringen oder auf der Welle mit zu schwimmen. Und das war’s dann schon.
Das, was cool klingend „künstliche Intelligenz“, KI und digitale Errungenschaften auf immer mächtigeren Hochleistungs-Servern heißt, bedeutet vermutlich für uns die wachsende Entmündigung im Sinne von kommunikativer Mitwirkung. Sprechen können wir nur noch mit unserem Gegenüber, sprechen im medialen Sinne können wir nur noch via Server-Daten. Und wir wissen dabei beim besten Willen nicht, was dabei wirklich herauskommt. Mit anderen Worten: Wir können uns kein Bild mehr machen – von der Lage, von Entwicklungen und Ereignissen. Weil wir nicht wissen, was uns aus den Welten der Daten und sozialen Medien zugespielt wird. Und wir wissen nicht, welches Bild wir selbst abgeben. Jedes Statement, Aussage, jedes Foto, jede Meinung wird in den digitalen Kanälen unabhängig von uns, von der Quelle oder der Intention, auf zunehmend eigene Weise gespielt, gelenkt – und beherrscht.
Der Aufschrei aufgrund der digitalen Revolution bleibt aus
Wenn man es einmal so formulieren will: Nach den sozialen Revolutionen der letzten beiden Jahrhunderte leben wir nun mitten in der medialen, digitalen Revolution. Nur es gibt nicht mal mehr einen Aufschrei, es gibt keinen Streik, keine Gewerkschaften, eben doch keine Revolution. Es gibt ganz einfach neue Macht- und Herrschaft-Konstellationen. Und die nehmen wir nicht einmal wirklich wahr.
Ist es zu hoch gegriffen, solche brachialen Worte bei der Beschreibung unseren aktuellen kommunikativen Entwicklungen in den Mund zu nehmen? Und was hat das jetzt dann auch noch mit den großen Krisen, den brutalen, digitalisierten Kriegen und den ungebremsten Problemen in der Welt zu tun? Rund um die Klimaerwärmung, Hunger, Migrationen – und angesichts der neuen Geld-Aristokratie im Machtbereich der neuen Medien, Data, Social Media, Telekommunikation, Software und Datenübertragungen.
Wenn es aus den kommunikativen Sphären heraus keine klaren Lagebilder, Fakten und „Zertifizierungen“ mehr gibt oder geben kann, dann kann es auch keine gemeinsamen Einschätzungen, Bewertungen und Übereinstimmungen mehr geben. Keinen Konsens in einer Gesellschaft, in einem Land, oder auf der Welt. Nicht einmal mehr in einem Bekanntenkreis, in einem Dorf oder einer Stadt. Die Welt zersplittert, digitalisiert in 1000 Ausspielungen.
Was bedeutet das für die Politik?
Es gibt keine Mehrheiten mehr, es gibt nur noch Interessens-Gruppen. Überall dort, wo sich die klassischen Medien-Beherrschungs-Dominanzen auflösen und in die neuen segmentierten Kanäle umwandeln, wachsen die Spaltungen innerhalb einer Gesellschaft, unter den Menschen. Klassische Parteiengefüge ändern sich in diversifizierende Meinungs-Gruppierungen, zu 50/50-Wahlen und immer schwieriger zu verbindender Konstellationen. Es gibt keine übergreifenden Massenmedien mehr, die quasi die Öffentlichkeit einigen. Und so scheinen nur noch autokratische Länder kraft Medienmacht noch in der Lage auf einheitlichere gesellschaftliche Leitbilder.
Vielleicht mag man sich noch vor ein paar Jahrzehnten vorgestellt haben, im digitalen Überschwang der neuen, erhofft nicht autoritärer Netzwerke, dass die Konstellation von sich selbst definierenden und legitimierenden Gruppen ein neuartiges gesellschaftliches Gefüge in einem kritischen Diskurs entstehen lässt. Das Gegenteil ist der Fall: In der heutigen Kommunikationswelt fehlt auf jeder Ebene absolut jede Chance, dass sich Meinungen, Ideen oder gar Visionen wieder zu einer Art fundierter Öffentlichkeit zusammenfügen.
Was bedeutet das für unsere gelernte Idee der Kommunikations- und Medienlandschaft?
Nichts Gutes! Es gibt sie noch, aber sie wird sich verlieren, weil die Menschen nicht mehr wirklich darauf zurückgreifen. Weil sie nicht mehr auf eine Art von glaubwürdiger Öffentlichkeit vertrauen, mit dem entsprechenden, notwendigen Konsens. Sie gehen einfach ihre eigenen Wege. Kommunikativ proletarisch sozusagen: Sie streamen, sie googeln, sie surfen im Internet. Sie folgen bei Instagram & Co irgendwelchen willkürlichen Videovorschlägen, sie liken, klicken weiter, kommentieren, und manchmal posten sie auch was dazu. Jeder für sich! Jeder in seinem Ego – und geleitet von den Daten-KI-Algorithmen.
Was bedeutet das für Marketing, Werbung und Unternehmens-Botschaften?
Auch sie unterliegen der Welt der Daten, die die Daten-Beherrscher zur Verfügung stellen. Man kann seine Informationen, Ads, und Visuals bereitstellen, zur Verfügung stellen, man kann sie in die neuartige Kommunikations-Maschinerie einspielen. Aber man kann nur noch in einem bestimmten Rahmen daran partizipieren, was dabei wo herauskommt.
Medien als klare Info-Quellen weg, Marketing als „branded“ Taktgeber weg. Was bedeuten nun all diese kommunikativen Umwerfungen für unsere Inhalte, unsere Aussagen und verbindenden Werte? Es gibt sie nicht mehr. Zumindest sicher nicht mehr im großen Rahmen. Und das ist brandgefährlich: Denn wenn es keine gemeinsamen Wertvorstellungen mehr gibt, die uns die „vor-digitalisierte“ Kommunikation vor rund zwei Jahrzehnten noch teilweise ermöglicht hat, dann können Menschen, Politiker und Gruppen in selbstgerechter Weise nach ihrem Ermessen, Interessen und ihren Einschätzungen heraus auf einmal ganz echt Kriege führen, Kämpfe initiieren, Brandstiftung betreiben und auf „Teufel komm raus“ gezielt und bewusst auf Kosten anderer ihre Bestandstümer sichern und verteidigen, Gegner abkanzeln. Ganz real, weil die Übermittlung aller Infos und „Fakten“ dazu komplett digital abläuft.
Macht Kommunikation Krieg oder Frieden?
Übertrieben formuliert? Ich würde sagen: Siehe Welt!
Um bei den parallelen Vergleichen zu bleiben: Heutzutage ist es vielleicht kein neuer „Klassenkampf“, sondern ein massiver, kommunikativer Meinungs-Krieg, der aber letztlich ebenso verbittert und kompromisslos geführt wird. Und sich in das reale Leben fortsetzt. Jeweils zur Verteidigung und zum „Schutz“ der jeweiligen Interessen, vermeintlicher Besitztümer und eigener Vorrechte. Jeweils auf Kosten der anderen. Auf Teufel komm raus.
Das ist brutal. Und wie wir sehen, durchaus extrem tödlich, auch wenn das alles hinter der bunt-wilden Bilderwelt-Fassade der Medien immer weit weg und ungreifbar erscheint. Wir müssen also dringend anfangen, uns zu überlegen, wie wir diese mächtige Umverteilung kommunikativer Macht aus Dezentralisierung und Daten-Monopolen Irgendwie wieder in einer neuen Grundordnung „handlebar“ machen. Keine Ahnung, ob das überhaupt geht. Aber ich bin der Überzeugung, dass es den Versuch wert ist. Oder mit anderen Worten: Wir müssen … denn vielleicht ist es sogar eine Frage von Krieg oder Frieden.