Eine druckfrische Untersuchung legt der Saarbrücker Juraprofessors Hannes Ludyga, auch ausgewiesener Spezialist für die Rechtsgeschichte, in diesen Tagen vor. Er befasst sich mit dem Themenfeld „Recht und Antisemitismus“. Das ist brennend aktuell, denn Menschen jüdischen Glaubens erleben derzeit verstärkt die Nichtachtung ihrer Persönlichkeitsrechte, letztlich unter Missachtung der Allgemeinen Menschenrechte. Ein so knappes wie klares Eingangskapitel, eigentlich fast eine Definition, zugleich aber auch eine Schilderung des Ist-Zustands, steht am Beginn. Jeder Satz sitzt, jeder logische Schluss überzeugt, jede Tatsache ist belegt. Die sachlich-trockene Analyse ist umso bedrückender.
Der derzeit wieder allgegenwärtige Antisemitismus also, sei er offen und provokativ herausgebrüllt oder klandestin und hinter anderen Themen wie zum Beispiel der Kolonialismuskritik verborgen, ist Gegenstand der Untersuchung. Dazu durchleuchtet Ludyga gründlich, objektiv und distanziert zunächst das Privatrecht, Gebiete wie Anfechtung, Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Mietrecht und Reisevertragsrecht. Der Antisemitismus, derart nüchtern-juristisch betrachtet, wandelt sich unversehens zum höchst interessanten Thema – klar definierte Kriterien machen ihn messbar, und Ludyga gibt sie der Leserschaft an die Hand. Seine insgesamt knapp gehaltene, aber höchst konzentrierte Abhandlung ist aus einem interdisziplinären Ansatz heraus verfasst, das macht sich hier bereits fruchtbringend bemerkbar.
Stark der Abschnitt B III, er sei exemplarisch herausgegriffen. Hier, beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht, macht es betroffen, wie niedrig die Schwelle zum Antisemitismus ist, wie leicht sie überschritten wird. Speziell für die Universitäten, an denen aktuell der Antisemitismus besonders stark grassiert, konstatiert Ludyga deutliche Lücken im Umgang mit judenfeindlichen Studenten. Wünschenswert wäre es indessen gewesen, dass er noch klarer die antisemitischen Äußerungen aus der Klimaschutz-Bewegung heraus benannt hätte, denn unter dem Zeichen eines falsch verstandenen Antikolonialismus sind selbsterannte „Klimaretter“ unversehens in antisemitische Richtung gedriftet, lehnen in Teilen das Existenzrecht Israels rundweg ab. An ausgewählten Beispielen aus dem Bereich der Wirtschaft und des Tarifrechts – immer mit Bezug zu Antisemitismus – zeigt der Autor außerdem, wie die Judenfeindschaft auch in Gebieten wuchert, die gutwilligen und mit Selbstverständlichkeit gesetzestreuen Bürger nicht unbedingt in diesem Zusammenhang einfallen würden.
Dann kommt Ludyga zur Ziviljustiz. Hier geht er noch mehr ins Detail. Den Fall des Sängers Xavier Naidoo beschreibt er objektiv, und deutlich ist seine Kritik an der Justiz. Anhand des zum harten rechten Spektrum zählenden Publizisten Jürgen Elsässer analysiert er sodann sehr richtig und schlüssig die deutlichen Defizite der deutschen Justiz gegenüber Judenfeinden angesichts eines höchstrichterlich sehr eng ausgelegten Antisemitismus-Begriffes. Ludygas erkennbares Unbehagen über das darauf basierende Handeln der Münchner Justiz ist bestens nachvollziehbar.
Ein aktuelles Urteil, das ein spätmittelalterliches Bildwerk betrifft, es handelt sich um die Wittenberger „Judensau“, schildert Ludyga daran anschließend. So traurig und zugleich beschämend derlei Hinterlassenschaften aus vergangenen Jahrhunderten sein mögen – die berechtigten Interessenskerne von Denkmalschutz einerseits und heutiger Pädagogik andererseits liegen wahrscheinlich unvereinbar weit auseinander. Ludygas Schlussfolgerungen treffen in diesem Fall nicht ganz den Kern der Sache. Der sich anschließende Abschnitt „Rechte Richter“ beschreibt zwar ein ernstes Problem, das drohen könnte, weil die Wege für „rechte“ Richter – die Definition ist aber nicht ganz klar – theoretisch offen wären. Er bringt hier nur ein einziges Beispiel, das überdies unscharf ist. Diese beiden Abschnitte sind aber die Ausnahme in Ludygas ansonsten durchweg schlüssiger Art zu argumentieren.
Last but not least beleuchtet Ludyga die Juristenausbildung – besser: er durchleuchtet sie geradezu. Die Defizite der Universitäten, vorher bereits angerissen, tauchen hier wieder auf und werden aus einem neuen Blickwinkel nochmals deutlicher und konturenreicher. Der Schreibstil bleibt dabei trocken und sachlich, akribisch ist die Belegführung, entsprechend groß der Erkenntnisgewinn.
Ludyga sieht bei allen seinen Überlegungen das gesamtgesellschaftliche Spektrum. Er bezieht umsichtig die einschlägigen Erkenntnisse aus Rechts-, Politik-, Sprach- und Geschichtswissenschaften sowie der Soziologie ein. So gelingt es ihm, vor möglichen, durchaus im Bereich des Möglichen liegenden Szenarien der unangenehmsten Art zu warnen. Wirklich stattgefundene Fälle des Antisemitismus bleiben in Ludygas Studie insgesamt vage, unscharf, ungenau – vielleicht, weil zum Glück das Äußerste doch noch nicht eingetreten ist. Eine Ausnahme stellt das antisemitische Potential dar, das die dogmatische Linke aufschärft und effizient anwendet – hier wird Ludyga auch gleich wesentlich konkreter, was anerkennenswert ist. Das ist überhaupt eine der Stärken dieses knappen, handlichen Buches: erstens existierende Gefahren benennen, zweitens auf andere, mögliche Gefahren hinweisen und dabei drittens sachlich bleiben, ganz so, wie es Rudolf Augstein, dabei selbst Rosa Luxemburg zitierend, forderte: „Sagen, was ist.“
Insgesamt ist Ludyga ein eindringliches und engagiertes Buch gelungen. Seine Effekt erzielt der bereits mit mehreren Studien über jüdische Schicksale, darunter einer Biographie über Philipp Auerbach, hervorgetretene Rechtshistoriker mit betont sachlicher Wortwahl. Seine Sätze sind zu konzentrierter Faktenfülle reduziert, unangebrachte Übertreibungen sucht man vergeblich, Tendenzaussagen werden ausnahmslos und kleinteilig belegt, die Wissensmehrung für die Leserschaft ist groß. Empfehlung: unbedingt lesen!
Ludyga, Hannes, Antisemitismus. Privatrecht – Ziviljustiz – Juristenausbildung, Baden-Baden 2024, 1. Auflage, broschiert, 146 Seiten, ISBN: 978-3-7560-2270-0, 39 Euro.