Thema Migration: Cem Özdemir ist der erste grüne Spitzenpolitiker, der so klar sagt, was Sache ist

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@Cem Özdemir und das „Warum erst jetzt?“

Ich verstehe sehr gut, warum der Vater des 17jährigen Mädchen, das im Regionalzug in Brokstedt mit dem Messer ermordet wurde, die Politik anklagt. Denn es stimmt ja, es wurde viel zu lange über die offenkundigen Gemeinsamkeiten des Täters und des Tathergangs mit hunderten ähnlich gelagerten Fällen geschwiegen und beschwichtigt. Wenn der Mörder gar nicht im Land sein dürfte, stellt das automatisch die Frage, ob das eigene Kind noch leben könnte, wenn die Politik rechtzeitig gehandelt hätte. Ich habe selbst wieder und wieder darauf aufmerksam gemacht.

Ich bin allerdings der Meinung, dass die Kritik an Cem Özdemir, er melde sich erst jetzt, da seine Tochter betroffen sei, nichtzutreffend ist. Ausfolgenden drei Gründen:

  1. Weiß ich wohl am besten, dass es in meiner früheren Partei lange Zeit nicht möglich war, das Thema anzusprechen, ohne als Fremdenfeind und Rassist attackiert zu werden. Das Meinungsklima nicht nur bei den Grünen, sondern weit darüber hinaus, hat solche Debatten einfach nicht erlaubt.

 

  1. Cem Özdemir ist der erste grüne Spitzenpolitiker, der so klar sagt, was Sache ist und sich dabei sogar noch auf einen Text bezieht, den ich mit zwei Amtskollegen in der ZEIT publiziert habe. Dafür wird nun er mit Rassismus-Vorwürfen überzogen. Ich halte nicht sein langes Schweigen, sondern den Mut, jetzt voranzugehen, für das Wesentliche.

 

  1. Cem Özdemir hat sein ganzes politisches Leben persönliche Erfahrungen in die Politik eingebracht. Das war schon in im Jahr 2000 so, als ich eine Rede von ihm zur doppelten Staatsbürgerschaft hörte. Das war so, als ich fragte, welche Gesellschaft eine Bahnwerbung abbilden sollte, die ausschließlich Menschen mit Migrationshintergrund zeigte. Er beschimpfte mich nicht, er schilderte glaubhaft, ihn mache das betroffen, denn die Menschen in der Werbung hätten seine Kinder sein können. Wenn er jetzt erneut Erfahrungen seiner Familie beschreibt, dann ist das bei ihm nicht instrumentell, sondern sehr persönlich und authentisch.

 

Wer Cem Özdemirs Wortmeldungen zum Thema Migration in den letzten Jahren verfolgt hat, wird feststellen, dass er nicht zu denen gehörte, die eine naive Willkommenskultur feierten. Bei ihm mischten sich auch kritische Töne in die Analyse. Für mich zählt, dass er jetzt klar Position bezieht, trotz weiterhin großer innerparteilicher Widerstände. Früher wäre das für ihn einfach nicht möglich gewesen. Und wir sollten anerkennen, dass die Gesellschaft sich verändert hat. Wenn jemand sich dann von alten Irrtümern emanzipiert, sollte das nicht wegen der Vergangenheit kritisiert, sondern wegen der Zukunft als Chance begriffen werden.

Ich verstehe sehr gut, dass aus dem Schmerz über den Verlust der eigenen Tochter auch eine Anklage entsteht. Als Gesellschaft müssen wir aber nach vorne schauen und Lösungen suchen. Cem Özdemir hat dazu einen großen Schritt getan, der Anerkennung verdient.

Quelle: Facebook