Friedrich Merz „Putin zerstört mit seinem Krieg eine politische Ordnung in Europa“

putin vladimir russland präsident menschen mann, Quelle: Maklay62, Pixabay License Freie kommerzielle Nutzung Kein Bildnachweis nötig

Seit mehr als 2 ½ Jahren tobt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die öffentliche Aufmerksamkeit lässt erwartungsgemäß nach, andere Ereignisse wie der Konflikt im Nahen Osten beherrschen die Nachrichten. Dabei sind die schweren Kriegsverbrechen des russischen Regimes in den letzten Monaten immer weniger auf militärische Ziele ausgerichtet gewesen. Russische Bomben zerstören ganze Wohnviertel, Altenheime, und Krankenhäuser. Die Antwort auf den „Friedensbesuch“ des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban in Moskau Anfang Juli war die Bombardierung eines großen Kinderkrankenhauses in Kiew. 80 Prozent der Energieversorgung des Landes sind mittlerweile beschädigt oder zerstört.

In Anbetracht der furchtbaren Bilder, die wir vom Kriegsgeschehen sehen, ist der Wunsch verständlich, dass doch nun bald Frieden herrschen möge in der Ukraine. Auch wächst das Unbehagen in der Bevölkerung über unsere militärische Unterstützung der Ukraine einerseits und über die große Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine andererseits, deren Schicksal mehr denn je ungewiss ist. Was können wir also tun? Vor allem: Was könnte Deutschland tun, um diesen Krieg bald zu beenden?

Die erste und wichtigste Antwort ist: Wir dürfen uns über den Charakter dieses Krieges nicht täuschen und auch nicht täuschen lassen. Putin zerstört mit seinem Krieg eine politische Ordnung in Europa, die wir mit Russland und nicht gegen Russland gemeinsam nach 1990 errichtet haben. Von Europa und der NATO gingen und gehen bis heute keinerlei Provokationen oder gar Vertragsverletzungen aus, die auch nur im Ansatz gerechtfertigt sein könnten, einen solchen Krieg gegen die Ukraine zu beginnen. Die Veränderungen in der politischen Einschätzung der eigenen Rolle liegen ausschließlich bei Russland, ein Land, das nach dem Zerfall der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre bis heute um seine Bedeutung ringt zwischen Weltmacht und Großmacht. Für eine Weltmacht ist das wirtschaftliche Gewicht einfach viel zu klein, für eine Großmacht sind allein die nuklearen Fähigkeiten ausschlaggebend – in der Selbstwahrnehmung zumindest, in der angsteinflößenden Wirkung auf den Rest der Welt aber auch.

Wenn der Westen vor dieser Drohung zurückweicht, hat Russland gewonnen und bekommt Appetit auf mehr.  Wenn die Ukraine standhaft bleibt und der Westen sie weiter unterstützt, wird Russland einsehen, dass weitere militärische Gewalt sinnlos ist. So unterschiedlich die Auslöser und die Verläufe jeweils waren, jeder Krieg geht irgendwann einmal zu Ende, der 100-jährige Krieg zwischen England und Frankreich ebenso wie der 30-jährige Krieg zwischen Protestanten und Katholiken. Auch der erste und der zweite Weltkrieg waren irgendwann zu Ende. Alle diese Kriege haben Millionen von Opfern gefordert, sinnlos und von unglaublichem Hass geprägt, aber trotzdem zu Ende. So wird es auch eines Tages mit dem Krieg in der Ukraine sein, und es wird die Frage im Raum stehen: Wer sind die Akteure, die die politische (Friedens-) Ordnung nach diesem Krieg prägen?

Die einzige Weltmacht, die bisher noch die Kraft hat, auf diesen Prozess wesentlichen Einfluss zu nehmen, sind die USA. Dort finden allerdings am 5. November Präsidentschafts- und Kongresswahlen statt, und die Unterstützung für die Ukraine könnte nach diesen Wahlen ein abruptes Ende nehmen. Zumindest werden die USA unabhängig vom Ausgang der Wahlen sehr viel mehr politisches Engagement der Europäer einfordern, und selbst wenn sie es nicht täten, sind wir gut beraten, uns auf eine solche Aufgabe vorzubereiten

Auf dieser Seite des Atlantiks gibt es vier Nationen, die für eine solche Zusammenarbeit besonders gefordert sind: Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Polen. Diese vier Länder verfügen sowohl politisch als auch wirtschaftlich und militärisch über genügend Potential und Fähigkeiten, bestimmenden Einfluss zu nehmen auf die Gestaltung der politischen Ordnung Europas nach dem Krieg in der Ukraine. Und deshalb sollten diese vier Regierungen schon jetzt eine Kontaktgruppe der Regierungschefs oder der Außenminister ins Leben rufen, die sich genau auf diese Aufgabe vorbereiten. Dabei sind zwei Bedingungen der Zusammenarbeit und der Ausarbeitung von Vorschlägen unverzichtbar: Vorschläge für einen Friedensplan dürfen niemals von Deutschland allein unterbreitet werden, sondern immer nur in enger Abstimmung mit eben diesen europäischen Partnern. Und in den ost- und mitteleuropäischen Staaten, insbesondere in der Ukraine, darf zu keinem Zeitpunkt der Eindruck entstehen, es werde über ihre Köpfe hinweg die politische Landkarte Europas neu gezeichnet.

Das alles mag sich anhören wie eine ferne Utopie. Und eine Utopie bleibt es auch, solange Russland nicht erkennt und erkennen muss, dass mit militärischen Mitteln kein weiterer Geländegewinn möglich ist. Der Verzicht auf die weitere Verteidigung der Ukraine dagegen wird einen „Frieden“ (und das Ende der Ukraine) zwar möglicherweise schneller herbeiführen, aber zu Bedingungen, die vielleicht Frau Wagenknecht und der AfD gefallen mögen. Das ist dann aber nicht mehr das Europa und die Freiheit, für die die Gründerväter der Europäischen Union ebenso gekämpft haben wie alle diejenigen, die sich im Osten Europas auf den Weg der Freiheit und des Friedens vor gut dreißig Jahren gemacht haben. Vielleicht denken wir auch daran, wenn wir in dieser Woche dankbar zurückblicken auf die Überwindung der Teilung Europas und der deutschen Einheit vor 34 Jahren.

Quelle: MerzMail

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Über Stefan Groß-Lobkowicz 2153 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".