Pressemitteilung – Die ersten Filmprogramme der 67. Festivalausgabe von DOK Leipzig stehen fest. Mit je einer Hommage würdigt das Festival zwei Filmemacherinnen: die renommierte französische Regisseurin Dominique Cabrera und die spanische Animationskünstlerin Isabel Herguera. Dem in Ost-Berlin geborenen Regisseur und Autor Thomas Heise gedenkt das Festival mit einem Filmprogramm, einer Abendveranstaltung sowie der diesjährigen DEFA Matinee.
Dominique Cabrera hat sich in ihrer 40-jährigen Laufbahn zahlreichen Ausdrucksformen gewidmet, ist zwischen Kurz- und Langfilm, zwischen Spiel- und Dokumentarfilm hin- und hergewechselt. Ihre Filme wurden auf zahlreichen internationalen Filmfestivals gezeigt und ausgezeichnet, etwa in Cannes, bei der Berlinale, in Toronto und Locarno.
Cabreras dokumentarisches Schaffen ist geprägt von ihrem sozialen Engagement. Ihre frühen Dokumentarfilme gaben oft marginalisierten Menschen das Wort, etwa in der Banlieue und in Trabantenstädten. Bezeichnend ist dabei ihre starke Empathie für die Porträtierten, spürbar zum Beispiel in „Chronicle of an Ordinary Suburb“ (1992).
Ihr Werk umfasst durchweg persönliche Filme. Cabreras Biografie als Algerienfranzösin, eine sogenannte „pied-noir“, aber auch ihre alltäglichen Lebenserfahrungen verhandelt sie in unterschiedlichen Intensitäten. Nicht selten sprechen ihre Filme Unbequemes an, etwa psychische und physische Krankheit, Sterben und Vergänglichkeit. Ihr erster langer Dokumentarfilm, das Video-Tagebuch „Tomorrow and Again Tomorrow“ (1997), handelt von ihren Ängsten und Freuden, bleibt aber stets allgemeingültig.
„In ihren Filmen geht es beständig darum, sich selbst im Anderen zu erkennen und den Anderen in sich selbst“, resümiert Festivalleiter Christoph Terhechte.
Abgerundet wird der Blick auf die Facetten von Cabreras Filmschaffen mit dem Spielfilm „The Milk of Human Kindness“ (2001), der von den Brüchen in scheinbar heilen Familien handelt, und dem Dokumentarfilm „Hi Mister Comolli“ (2023). Darin nimmt sie Abschied von ihrem schwerkranken Freund, dem ehemaligen Chefredakteur der „Cahiers du cinéma“ Jean-Louis Comolli, der wie sie mit der algerischen Unabhängigkeit das Land verlassen musste. Man spricht über das Leben, den Tod und die Liebe, vor allem aber über die Liebe zum Kino.
Im Vorfeld ihrer Meisterklasse am 31. Oktober wird Chris Markers einflussreicher Experimentalfilm „Am Rande des Rollfelds“ („La Jetée“, 1962) gezeigt. Dieser bildet die Grundlage von Dominique Cabreras neuestem Werk „La Jetée, the Fifth Shot“ (2024), der ebenfalls Teil der Hommage ist und zudem seine Weltpremiere bei DOK Leipzig im Internationalen Wettbewerb Dokumentarfilm feiern wird.
Isabel Herguera präsentierte 2023 ihren ersten langen Animationsfilm „Sultana’s Dream“ bei DOK Leipzig außer Konkurrenz im Internationalen Wettbewerb Animationsfilm. Durch ihre gestalterische Handschrift seien Hergueras aktuelleren Filme „visuell unverwechselbar“, beschreibt Kuratorin Franka Sachse: „Durchscheinende Farbflächen, kontrastiert mit porösen Tuschestrichen in sattem Schwarz, eigenwillige Perspektiven und eine ausdrucksstarke Animation.“ In der Gestaltung und Stimmung ihrer Filme sind Hergueras Anfänge im Bereich der freien Kunst spürbar. So studierte sie unter anderem in Düsseldorf bei Fluxus-Pionier Nam June Paik und spezialisierte sich erst später auf die Animation. Oftmals verhandeln ihre Filme auf berührende Weise politisch und sozial relevante Themen, etwa „Los Muertitos“ (1994), „Ámár“ (2010) und „Black Box“ (2016). Der erste Teil des Hommage-Programms widmet sich ihren Kurzfilmen, von der Studienzeit hin zu ihrem Schaffen als Co-Kreatorin. Der zweite Teil versammelt Filme, die sie als Inspiratorin und Mentorin zeigen. Herguera leitet als Professorin für Animation an der Kunsthochschule der Medien in Köln und in Workshops auf der ganzen Welt Studierende an, arbeitet gemeinsam mit Künstler*innen an Ideen und unterstützt als Produzentin den Herstellungsprozess unterschiedlicher Filmprojekte.
Am Festivalfreitag, dem 1. November, wird Isabel Herguera in einer Meisterklasse anhand von ausgewählten Making-ofs und dokumentarischen Mitschnitten über die Wechselwirkungen zwischen individueller und dialogisch entwickelter Kreativität berichten.
Mit der Reihe „Thomas Heise (1955–2024). Nicht aufgehen“ würdigt DOK Leipzig das Filmschaffen des Regisseurs und Autors Thomas Heise. Das Programm umfasst drei dokumentarische Langfilme, die allesamt von Biografien mit Brüchen erzählen und selbst Bruchstücke vom Werk Heises darstellen, das sich nicht kategorisch einordnen lassen will.
In „Eisenzeit“ (1991) setzt er sich rückblickend mit seinem Studienprojekt über vier gegen die DDR-Ideologie rebellierende Jugendliche aus Eisenhüttenstadt, ihre Träume, Perspektiven und Ressourcen auseinander. „Barluschke“ (1997), einer seiner unbekannteren und seltener gezeigten Filme, porträtiert einen undurchsichtigen Mann, der je nach Lebensphase und Arbeitgeber seine Identitäten wechselte: mal Agent für das MfS, dann für den BND und die CIA, nach der Wende Verkäufer von Waffen der NVA, daneben Vater, scheiternder Ehemann und homosexuell. In seinem letzten, monumentalen Film „Heimat ist ein Raum aus Zeit“ (2019) widmet sich Thomas Heise schließlich einer Erzählung nicht nur über die Geschichte seiner Familie, sondern darüber hinaus über die eines gesamten Landes und Jahrhunderts.
„Wir möchten diese drei Werke gemeinsam mit dem Leipziger Publikum schauen, das sicher zu einem großen Teil Thomas Heises Erfahrungen und die seiner Protagonist*innen teilen kann“, so Jan Künemund, Mitglied der Auswahlkommission für den Deutschen Wettbewerb, der die Filmreihe gemeinsam mit Festivalleiter Christoph Terhechte zusammengestellt hat. „In Heises Filmen zeigt sich eine wichtige Qualität des Dokumentarischen, die auch mit Blick auf die gegenwärtige politische Landschaft relevant sein kann: Verhältnisse erst einmal zu sehen und anzusehen, ohne sie direkt deuten oder einordnen zu wollen.“
Am 1. November richtet DOK Leipzig zusätzlich einen Abend zu Ehren von Thomas Heise im CineStar aus, bei dem sein Werk mit renommierten Gäst*innen reflektiert wird. Es werden Ausschnitte von unveröffentlichtem Filmmaterial zu sehen sein, an denen Heise zuletzt arbeitete. Moderiert wird der Abend von dem Filmpublizisten Ralph Eue, bis 2020 Programmer bei DOK Leipzig, und der Filmemacherin und Autorin Cornelia Klauß, die seit 2017 die Sektion Film- und Medienkunst an der Akademie der Künste in Berlin verantwortet.
Die DEFA Matinee am 2. November präsentiert Heises Dokumentarfilm „Volkspolizei“ (1985) sowie seine DEFA-Produktion „Imbiß Spezial“ (1990). Peter Badel, langjähriger Weggefährte des Filmemachers, ist als Gast anwesend.
Der Festivalpartner 3sat sendet am 18. und 19. November die Heise-Filme „Stau, jetzt geht’s los“ (1992) und „Heimat ist ein Raum aus Zeit“ (2019) im linearen Programm.
Das vollständige Programm von DOK Leipzig inklusive aller Termine wird am 10. Oktober veröffentlicht. Gleichzeitig startet der Ticketverkauf.
Die DEFA Matinee ist in Zusammenarbeit mit der DEFA Stiftung entstanden. Das Programm zu Thomas Heise wird unterstützt von 3sat und German Films.
Die vollständigen Filmlisten der oben beschriebenen Reihen finden Sie hier:
Filmlisten Sektionen 2024