Zwangsverheiratung und Zwangsehe sind weltweite Probleme – in den westlichen Gesellschaften eher klandestin. Aber weltweit, zumal in Afrika und im Mittleren Osten, ganz offen. Junge Mädchen, die zumeist davon betroffen sind, müssen rechtlich noch als Kinder gelten. Pfarrer Peter Fuchs von der internationalen Menschenrechtsorganisation „Christian Solidarity International“, kurz CSI, stellt klar: „Damit wird eine absolute Grundlage der Menschenrechte missachtet“, und er nennt einen Unterschied zum moslemischen Kulturkreis: „Schon in den ersten Versen der Bibel wird klargestellt, dass Mann und Frau denselben Wert haben.“ Konkret bezieht er sich auf die Schöpfungsgeschichte, Genesis 1, 27: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“ Woraus sich eine völlige Gleichberechtigung ergibt.
Wo Stammesstrukturen herrschen, unter dem moslemischen Glauben insbesondere, und mehr noch, wenn dies beides zusammentrifft, ist Gleichberechtigung für Frauen keineswegs selbstverständlich. Ganz im Gegenteil: sie ist faktisch nicht vorhanden, egal, was beteuert wird. „Im Zusammenhang mit der seelischen Qual, die fast immer mit schweren körperlichen Verletzungen im Schambereich einhergeht, wird fast immer von ‚Minderjährigen’ gesprochen – das ist ein Euphemismus. Es sind Mädchen. Es sind Kinder.“ Anderes gesagt: Männer zwingen Mädchen in ein Leben der faktischen Unsichtbarkeit und leisten dem Missbrauch Vorschub. An echte Kritik an der Praxis der Zwangsehe ist in moslemischen oder stark archaisch geprägten Ländern gar nicht zu denken. Das Problem der Entrechtung der Mädchen ist lediglich in vergleichsweise unauffälligen islamischen Gesellschaftsteilen, etwa in traditionell westlich geprägten Ländern, etwas weniger verbreitet.
Die Dunkelziffern für Zwangsehen sind überall dort, wo Moslems wohnen, hoch bis sehr hoch. Beispielhaft mag Pakistan stehen: Hier liegt die Heiratsrate unter Cousins und Cousinen bei etwa 60 Prozent – und das ist garantiert kein Beleg für überdurchschnittlich viel Liebe unter sehr nah blutsverwandten Menschen. Was hier, unter gesellschaftlichem oder familiärem Zwang, genetisch vor sich geht, läßt sich für Pakistan mangels Zahlen nicht dokumentieren. Wohl aber geht das für das Vereinigte Königreich, in dem, bedingt durch koloniale Vergangenheit, eine große Zahl von Pakistanern wohnt, die nach moslemischen Gesetzen leben. Von vor zwanzig Jahren gibt es dazu eine valide Zahl. Damals lag der Prozentsatz pakistanischer Kinder bei 3,4 Prozent aller Geburten, aber diese knapp dreieinhalb Prozent stellen 30 Prozent bei den rezessiven Erbkrankheiten. Diese Zahl nennt die in den USA lebende und aus Somalia stammende Politologin Ayaan Hirsi Ali am 25. Juli 2024 in der NZZ. Womit aber eine drastisch erhöhte Signifikanz für genetische Erkrankungen dokumentiert wird. Was läge näher, als diese Horrorzahl mit dem Praxis der Zwangsehe unter Blutsverwandten in Zusammenhang zu bringen. Wie auch immer – was in Pakistan selbst vorgeht, kann nur gemutmaßt werden. Unermesslich viel Leid erdulden dort und zunehmend auch in Europa unzählige moslemische Mädchen – das ist leider völlig sicher.
Auch für den faktischen Hausarrest, den moslemische Frauen wider Willen erdulden müssen, gibt es Zahlen aus Europa. Im Jahr 2020 schätzte ein Imam, dass zwischen 2.000 und 3.000 moslemische Frauen in Dänemark zwangsverheiratet sind und den Mann, den sie sich nicht ausgesucht haben und den sie nicht lieben, ohne Lebensgefahr nicht verlassen können. Im Vereinigten Königreich sind die bekannt gewordenen Fälle von Gewalttaten, die „eng mit moslemischen Zwangsverheiratungen verbunden“ sind – es geht also um Freiheitsberaubung, Vergewaltigung, Hausarrest –, von 2022 bis 2024 um 60 Prozent und seit 2016 um 193 Prozent gestiegen, wie die somalische Soziologin Hirsi ebenfalls dokumentiert. Und so resümiert die Wissenschaftlerin denn bitter: „Es ist vielleicht an der Zeit, dass junge westliche Frauen – ob muslimisch oder nicht – etwas mehr über diese ‚unglaubliche Hoffnung’ für Frauen erfahren, wenn die muslimische Macht weiter wächst.“
Das, was Europa droht, ist in Pakistan seit Jahrzehnten schreckliche Realität. Exemplarisch sei der Fall der jungen Christin Muskan Ashgar aus Wazirabad in der Provinz Punjab genannt. Am 14. Mai 2023 entführte sie der Muslim Ahmad Ali und zwang sie tags darauf zur Heirat, nachdem sie zuvor unter Drohungen die erste Sure des Koran aufsagen musste, was für Moslems bereits als Übertritt zum Islam gewertet wird. In dieser „Ehe“ wurde die 19jährige misshandelt, mit Drogen gefügig gemacht und mit den Füßen an ihr Bett gefesselt. Erst Tage später nahm die Polizei die Anzeige der christlichen Familie entgegen, schonte den Entführer aber. Zudem erhielt die Familie des Mädchens vom moslemischen Vermieter ihrer Wohnung die ultimative Aufforderung, die Anzeige zurückziehen. „Wir gingen nicht darauf ein und mussten das Haus räumen“, so Muskans Vater.
Nach über drei Monaten erst konnte Muskan Ashgar fliehen: „Ali schlief tief. Es gelang mir, den Knoten der Fessel mit den Zähnen zu öffnen, ohne dass er es bemerkte. Ich schmierte Haaröl an die Türklinke, um jedes Geräusch zu vermeiden.“ Doch nun drohte unmittelbar die Rache der Familie des Entführers, ja Gewalt von allen moslemischen Nachbarn. Hilfe kam von der internationalen Menschenrechtsorganisation CSI. Deren lokaler Partner Anjum brachte das Mädchen im von CSI betriebenen Schutzhaus für gerettete Mädchen unter. CSI übernahm zudem die Miete für die Notunterkunft der Familie da diese aus Sicherheitsgründen eine Zeitlang untertauchen musste und trägt alle laufenden Anwaltskosten, denn noch ist dieser Fall nicht völlig ausgestanden. Und Christen haben in Pakistan nur theoretisch gleiche Rechte wie Moslems.
Jährlich werden nach angaben von CSI mehr als 1000 christliche Mädchen Opfer der Zwangsverheiratung. „Das davon ausgelöste Leid ist unvorstellbar groß. Die zwangsverheirateten und zum Islam genötigten Mädchen erleben Wochen, Monate oder gar Jahre der Unterdrückung und des Missbrauchs“, weiß Pfarrer Fuchs. Und so war es auch bei der heute 22jährigen Mehwish Patras. Sie wurde im Februar 2021 in einer pakistanischen Großstadt von einem Moslem mit vorgehaltener Schusswaffe in ein Auto gezerrt, als sie sich mit Studienkolleginnen auf dem Weg zum College befand. Der Entführer drohte, Mehwish zu töten, wenn sie nicht zum Islam konvertiere. Danach folgte sofort zu eine erzwungene Heirat: „Er behandelte mich wie eine Sklavin.“
Der „Ehemann“ befahl Mehwish, in einem Kosmetikgeschäft zu arbeiten. Eine ihr wohlgesonnene moslemische Arbeitskollegin alarmierte schließlich Mehwishs Eltern. Mit praktischer Unterstützung durch CSI-Partner Anjum konnte die schwer traumatisierte Mehwish ins CSI-Schutzhaus gebracht werden, wo sie eine Ausbildung zur Friseurin und Visagistin absolvierte. Dank juristischer Hilfe durch die internationale Menschenrechtsorganisation CSI hat das zuständige Gericht auch die Zwangsheirat mit ihrem Entführer für nichtig erklärt. Pfarrer Fuchs resümiert: „Die Berichte der Opfer sind sich sehr ähnlich – und doch ist jedes einzelne Schicksal ein Abgrund von Leid.“
Das alles ist bekannt, und deswegen ist Pfarrer Fuchs höchst besorgt: „Wo bleibt der weltweite Aufschrei?“ Der Geistliche, der die internationale Menschenrechtsorganisation CSI in Deutschland vertritt, mahnt eindringlich: „Auch hierzulande gibt es Zwangsverheiratungen. 80 Fälle werden für 2023 aufgelistet, das ist eine Steigerung von 25 Prozent seit 2013, aber die Dunkelziffer ist eminent groß!“ Die hierzulande noch überschaubare Zahl bekanntgewordener Fälle darf nicht darüber hinwegtäuschen: Pakistan ist überall. Für junge moslemische Frauen gibt es bislang keinen Schutz vor einer Zwangsehe. Nirgendwo.