Der Schwarm der weißen Tauben  

Michael Pendrys neueste Installation mitten in München, passend zum Kirchenpatron „Heiliger Geist“. Foto: Hans Gärtner.

33 Grad im Schatten, mitten in München. Der nicht angesagte Gewitterregen prasselt auf das Dach der Heilig-Geist-Kirche und treibt Touristen hinein, so viele auf einmal wie kaum je zuvor. Gerade noch gelang es, einen Sitzplatz, solo auf einem Bänkchen rechts dicht am Eingang zu ergattern. Niemand traut sich, daneben Platz zu nehmen. Wie angenehm!

Der Blick, auf den Hochaltarraum gerichtet, bleibt dort hängen: Ein Schwarm weißer Papiertauben schwebt in kühner Bogen-Formation an dem Pfingst-Altargemälde mit der Heilig-Geist-Taube vorbei, die von links oben auf Christi Mutter mit den Aposteln herab flattert. Spontan die zu sich selbst gestellte Frage: Wie viele Papiertauben sind das? Auf dem mit weinrotem Samt bezogenen Gebetsstuhl vor dem Sitzplatz liegt ein 6-seitiges Faltblatt mit der Antwort: 2000 sind`s. „Hunderte von Tauben aus Papier gefaltet und mit Wünschen belegt – von Menschen, die in die Kirche kommen, von Fußgängern im Tal und auf dem Viktualienmarkt, von Nachtschwärmern an der Bar um die Ecke, von Münchnern und Fremden, Touristen und Zugroasten – in München, London und Jerusalem.“ Kaum zu glauben, was da steht. Aber warum sollte der Installateur, der in München groß gewordene Designer, Sprecher und freie Künstler Michael Pendry die Unwahrheit sagen?

Multimedia-Installationen sind sein Spezialgebiet. Er hat Menschen für seine neueste Arbeit zum Papiertauben-Falten gewonnen, die – „egal ob gläubig oder nicht, katholisch oder evangelisch, muslimisch, jüdisch, buddhistisch, arm oder reich“ – die Tauben gefaltet haben. Und sagt: „Im Schwarm ist jede einzelne, individuell gefaltete Taube nur eine von vielen“.

Schade, dass gerade die Orgel zu einem mehrere Minuten dauernden Mittags-Konzert ansetzt. So feierlich und erhaben alles – zusammen mit dem Prasselregen draußen vor dem weit geöffneten Tor – klingt: auf den in der Beschreibung versprochenen „Klangteppich“, eigens von der Formation „Digital Haze“ komponiert, muss man verzichten. Auf leises Windrauschen, Taubengurren und „einen Atem des Geistes“. Auch das Erlebnis der Farbe Blau als die Farbe des Geistes und der Fantasie, der Entspannung und des Zu-sich-Kommens stellt sich nicht ein. Zu viel Betriebsamkeit. Der Regen lässt nach. Die Menschen, die sich in die Kirche gerettet haben, stehen, wie auf Kommando, von ihren Sitzplätzen im Kirchenschiff auf und streben dem Ausgang zu, vorbei am Solo-Bänkchen. Ein Reisegruppenführer greift sich das in Blau und Weiß gehaltene Blatt vom Gebetsstuhl. „Darf ich?“ fragen seine Augen. Und kriegen ein zustimmendes Nicken vom Gefragten. Der nimmt sich so ein Blatt mit dem Titel der Installation „Les Colombes“ (Die weißen Tauben) beim Verlassen seines Königslogen-Platzes mit heim. Wo er einen schönen Text von Michael Pendry nachlesen kann: „Gefaltet von unterschiedlichen Menschen stehen die Tauben doch in ihrer Einheit für so fundamentales Menschenrecht. Es scheint an der Zeit zu ermahnen und dafür einzustehen – für das Recht auf Frieden und Freiheit! Auf dass der Schwarm der Tauben wächst, von Ort zu Ort, von Land zu Land, über alle Grenzen hinweg …“

Die Multimedia-Installation „Les Colombes“ – die weißen Tauben –  ist bis 31. Oktober zu den Öffnungszeiten der Heilig-Geist-Kirche zu erleben.

Über Hans Gärtner 499 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.