Der August wird ein aufregender Monat für den Klarinettisten David Orlowsky. Am 23.08.2024 erscheint sein neues Album Petrichor beim Label Warner Classics. Es ist dort schon das zweite Album nach der Auflösung seines berühmten Trios, aber schon wieder hat er sich neu erfunden. Der Begriff „Petrichor“ steht für den Geruch von Regen, der auf trockenen Boden fällt. Ein typischer Sommerduft und David Orlowsky hat ihn vertont. Mehr noch, auf dem ganzen Album Petrichor hat er insgesamt 11 Düfte und Gerüche vertont. Wie duftet Lissabon? Oder Marrakesch? Wie riecht es im Zirkus, oder an der Tankstelle? Noch bessere Frage: Wie hört sich das an? Begleitet wird er dabei von Tommy Baldu am Schlagzeug und Daniel Stelter an der Gitarre.
Nur vier Tage später wird es schon wieder aufregend. Das Schleswig-Holstein Musikfestival hat David Orlowsky mit der Komposition eines Klarinettenkonzertes beauftragt. Dafür hat er sich wochenlang auf die Insel Lanzarote zurückgezogen, ging surfen, komponierte am Strand, ging wieder surfen und ließ sich treiben. Herausgekommen ist das Werk „Shadow Dancer“, das er zusammen mit dem Ensemble Reflektor am 27.08.24 im Großen Saal der Elbphilharmonie Hamburg uraufführen wird. Hier gehts zum Konzert.
REGEN, DER AUF TROCKENEN BODEN FÄLLT
Es gibt Düfte und Gerüche, die vergisst man nach Jahrzehnten nicht. Das weiß auch Klarinettist David Orlowsky: „Gerüche haben einen unglaublich großen Einfluss auf unser Leben. Sie bestimmen, ob wir jemanden mögen, oder ob wir uns wohlfühlen.“ Bei ihm können Gerüche noch etwas anderes auslösen: Es entsteht Musik. David Orlowsky gehört zu den wenigen Menschen, die ein sehr ausgeprägtes synästhetisches Empfinden haben. „Klänge und Düfte nehme ich auf eine verwandte Weise wahr – sie haben meist auch eine visuelle Komponente für mich. Es gibt Melodien und Klänge, in die ich mich jedes Mal wieder verliebe, wenn ich sie höre, und manchmal fühle ich mich auch fast wie verliebt, wenn ein besonders schöner Duft mich überrascht.“ So zum Beispiel der Duft von einsetzendem Regen, der auf trockenen Boden fällt. Diesen Geruch mochte er schon immer und war nicht wenig erfreut, dass es sogar einen Namen dafür gibt: Petrichor.
Nun hat der Klarinettist unter diesem Namen ein ganzes Album aufgenommen. Darauf vertont er, zusammen mit Daniel Stelter an der Gitarre und Tommy Baldu am Schlagzeug, 11 verschiedene und ganz spezielle Düfte und Gerüche, „die in uns etwas Positives auslösen“.
„Es ist sicher kein Zufall, dass wir von Duftnoten, Klangfarben und Farbtönen sprechen“ sinniert David Orlowsky, „Farben, Klänge und Düfte gehen also weit über das hinaus, was man mit Worten beschreiben kann. Und die wirklich spannenden Dinge im Leben fangen für mich da an, wo die Worte aufhören.“ Schon auf dem Vorgänger-Album „Alter Ego“, auf dem er zusammen mit dem Wiener Lautenisten David Bergmüller wunderschöne Klangmalereien und fantastische Harmonien erschaffen hat, ging beim Zuhören sofort das Kopfkino an. Auf „Petrichor“ verstärkt sich dieses Phänomen noch, denn schon die Namen der Stücke zeigen an, in welche Richtung es geht. Da gibt es Titel wie z.B. „Lisboa“, „Magnolia“, „Sunscreen“ oder „Marrakesh“. Fast schon könnte man meinen, man befinde sich in einer sehr exquisiten musikalischen Parfümerie.
„Bei „Lisboa“ denke ich an einen bestimmten Platz in Lissabon, an dem ich oft saß. Es gab eine Bäckerei und ein Fischrestaurant und je nach Windrichtung änderte sich das Aroma“ erinnert sich David Orlowsky, „Bei „Gasoline“ geht es um diesen typischen Tankstellengeruch. Er verheißt für mich Freiheit mit einer Prise Gefahr. Man ist im Aufbruch. Ich liebe diesen Zustand“ gibt er zu und präsentiert eine rastlose, lauernde und ganz intensive Melodie in dem Stück. „In „Circus“ denke ich an Zirkusbesuche mit meinem Vater in meiner Kindheit. Damals gab es Elefanten und Tiger, dazu der Geruch der Manege und der Zuckerwatte – das alles hat mich in seinen Bann gezogen und ich habe davon geträumt, mit einem Zirkus auf Reisen zu gehen.“ Beim Hören der Musik hat man fast selbst das Gefühl, mitten in der staubigen Manege zu stehen.
Mit jedem einzelnen Titel nimmt uns David Orlowsky mit auf eine Reise. Wie in einem Film zoomt er an Details heran, beleuchtet kleine, aber wichtige Situationen und entführt uns in großartige Fantasiewelten. Dabei ist es erstaunlich, wie meisterhaft er es versteht, seine Empfindungen und Erinnerungen in Musik zu verwandeln. Eines der geheimnisvollsten Lieder auf diesem Album ist das Stück „Marrakesh“. David Orlowsky erinnert sich: „Ich war nur einmal kurz in Marrakesch, auf der Durchreise zum Surfen. Es war mein erstes Mal in Marokko. Unser Taxi blieb liegen und wir standen mitten in der Nacht an der Straße. Plötzlich war ich überwältigt. Ich konnte körperlich spüren, dass ich an diesem Ort noch nie gewesen war. Erst auf der Weiterfahrt ist mir klar geworden, dass es an den mir neuen Gerüchen lag. Es war irgendwie aufregend.“ Genau so klingt die Musik dazu.
Die Klangwelt des Albums ist häufig ruhig, mancher würde sie vielleicht sogar melancholisch nennen, andere werden sicher etwas Tröstendes beim Hören finden. All das ist genau die Absicht der Komponisten, denn es beschreibt die Gefühle, die auch bei besonderen und positiven Gerüchen ausgelöst werden. Sogar Erinnerungen an seine Kindheit auf dem Dorf in Süddeutschland hat David Orlowsky auf „Petrichor“ verarbeitet. In einer völlig neuen Version von „Hejo – Spann den Wagen an“ erzählt er von heraufziehendem Regen und dem Duft von frisch gemähten Feldern. In jedem Stück, aber auch besonders in diesem, wird klar, was für ein großartiger Klarinettist David Orlowsky ist. Er spielt mit komplizierten Techniken, lässt die Klappengeräusche mit in die Musik einfließen und entlockt seinem Instrument mal ganz sanfte, mal harte, rhythmische und perkussive Töne. Nach mehr als 20 Jahren in seinem auf Klezmer spezialisiertem Trio, hat er sich zuerst mit dem Album „Alter Ego“ losgerissen und mit „Petrichor“ völlig freigeschwommen. Dabei hat er neue Freunde kennengelernt. Der Gitarrist Daniel Stelter und der Schlagzeuger Tommy Baldu sind ebensolche Tausendsassas an ihren Instrumenten wie David Orlowsky. Auch Lillo Scrimali, der bei vier Stücken auf verschiedenen Tasteninstrumenten mitspielt, ist in der Musikwelt kein unbeschriebenes Blatt. „Wir haben uns hinter der Bühne auf einem Jazzfestival kennengelernt und sind direkt ins Gespräch gekommen“, erzählt David Orlowsky. Alle Musiker hatten natürlich voneinander gehört und wussten, welche Projekte gerade aktuell waren. „Wir waren uns sofort sympathisch und haben dann ganz spontan eine kleine gemeinsame Tour durch deutsche Jazzclubs unternommen. Die Konzerte hatten etwas sehr Spielerisches und bei jedem Soundcheck sind neue Songideen entstanden. Davon konnten wir nicht genug bekommen.“
Gut so, denn wie bei Gerüchen, vergisst man bedeutungsvolle Musik auch nach Jahrzehnten nicht.