Heilbronn, 50 Kilometer nördlich von Stuttgart, in der Region Heilbronn-Franken gelegen, ist eine jener eher unbekannten kleinen Großstädte, deren Entdeckung umso mehr Freude macht, weil man sich sicher sein kann, zu jeder Jahreszeit jenseits der Touristenströme unterwegs zu sein. Von der Autobahn kommend fahren wir gleich hinauf auf den Wartberg und lassen von oben den Blick über die Weinstadt am Neckar schweifen. 30 Weingüter liegen im Stadtgebiet. Seit mehr als 1250 Jahren wird hier Wein angebaut. Hier oben, auf dem Wartberg mit seinem Aussichtsturm, gibt es ein Ausflugsrestaurant und an vielen Wochenenden auch den Weinausschank am „Martin-Heinrich-Wengerthäusle“, wo die verschiedenen Winzer der Region abwechselnd ihre Tropfen kredenzen. Oben Wein-Idylle, unten das moderne Leben. Fast 130.000 Einwohner leben in der Stadt im Norden Baden-Württembergs.
1371 wurde Heilbronn Reichstadt und als Ort des Handels bedeutend. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Stadt zu einem Zentrum der Industrie, was man noch heute spürt. Wir sind in der Region der Weltmarktführer. Die Altstadt wurde nach dem Krieg wieder aufgebaut – doch vieles war unwiederbringlich verloren.
Heilbronns Lage ist heute noch herrlich: Rebflächen umgeben die Stadt, der Heinrich von Kleist in seinem 1810 uraufgeführten Schauspiel „Das Käthchen von Heilbronn“ ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Heute ist eine Universität auf einem Bildungscampus ansässig – junges Leben pulsiert. Der Fluss, der Neckar mit seinen Parks, Promenaden und Sandstränden, das überaus ansprechende Gelände der BUGA 2019: Diese urbane Fluss- und Hafenlandschaft hat Flair – und die Stadt ist wie gemacht für einen Wochenendtrip.
Wir beginnen unseren Spaziergang durch die Innenstadt am Marktplatz: Hier stehen das alte Rathaus mit seiner astronomischen „Kunstuhr“ aus dem 16. Jahrhundert und die Kilianskirche mit ihrem meisterlichen Altar von Hans Seyfer aus dem Jahr 1498 und dem kunsthistorisch herausragenden Renaissanceturm, den man auch besteigen kann. Zum historischen Deutschhof mit den städtischen Museen und dem Haus der Stadtgeschichte ist es von hier ganz nah.
Und dann geht es hinein in die Neuzeit – in die überregional bedeutende, auch architektonisch reizvolle, 2010 eröffnete Kunsthalle Vogelmann. Hier hat die moderne und zeitgenössische Kunst ihr Zuhause. Soeben ist die großartige Fotoausstellung „Mary Ellen Mark: The Lives of Women“ zu Ende gegangen. Im Anschluss kann man bis 5. Januar 2025 die Schau „Surrealismus – Welten im Dialog“ erleben – eine große Überblicksschau, welche die Avantgardebewegung nicht nur historisch darstellt, sondern auch ihren Einfluss auf die Gegenwartskunst zum Thema macht. Surrealistinnen und Surrealisten der ersten Stunde treffen auf zeitgenössische Positionen.
Und auch der bereits im Jahr 1879 gegründete Kunstverein Heilbronn – räumlich in die Kunsthalle Vogelmann integriert – setzt auf ein zeitgenössisches Programm. Bis zum 8. Septemberist eine Schau der in Berlin lebenden Künstlerin Solweig de Barry zu sehen. Sie nutzt private Fotos als Ausgangspunkt für ihre Arbeiten, die sie zunächst auf Papier und dann auf der stets weiß grundierten Leinwand ausformuliert.
Auch die nahe gelegene Galerie des Künstlerbundes „K55“ lohnt einen Besuch. Hier haben sich Künstler und Künstlerinnen der Großregion Heilbronn zwischen Stuttgart und Künzelsau zusammengeschlossen. Es werden Gruppen- und Einzelausstellungen präsentiert.
Das Stadttheater Heilbronn mit seiner prägnanten Architektur von 1982 sei ebenfalls erwähnt – es hat vier Spielstätten und ist ein kultureller Höhepunkt der ganzen Region. Großes Haus, Komödienhaus, BOXX Junges Theater und Salon3 sind die Orte der Theaterkultur in Heilbronn – auch verschiedene Theaterfestivals finden hier statt. Liebhabern klassischer Musik ist das Württembergische Kammerorchester ein Begriff – ein international renommiertes Orchester unter dem amerikanischen Chefdirigenten Case Scaglione.
Und nun geht es an die Neckarpromenade. Ein echter Hingucker ist dort das knallrote, 2019 eingeweihte „One Man House“ von Thomas Schütte mit seinem riesigen Bullauge. Der Düsseldorfer Bildhauer hat hier ein echtes Wahrzeichen geschaffen. Es liegt inmitten des Flusses auf der Inselspitze. Im Gebäude unmittelbar daneben finden im Sommer regelmäßig Ausstellungen statt, die bis November zu sehen sind.
An diesem Sommertag locken viele Gastronomie-Betriebe mit Außenbestuhlung. Besonders einladend ist die große Terrasse des Wein-Villa-Pavillons. Von hier erblickt man schon das nächste Glanzlicht: Die Wissenschaft hat hier, auf der Neckarmeile, im Science Center „experimenta“ ihren Sitz. In dem futuristisch anmutenden Gebäudekomplex warten 275 interaktive Exponate, Kreativstudios, Labore, eine Sternwarte und der „Science Dome“ auf Gäste. Der „Science Dome“ ist eine Mischung aus Planetarium, Kino und Theater mit 360-Grad-Leinwand und drehendem Zuschauerraum. Eine ganz neue Ausstellung, die in Kooperation mit dem Heilbronner „Innovationspark Künstliche Intelligenz“ entstanden ist, befasst sich mit KI. Eine weitere Schau nimmt bis zum 1. September die „Mission Energiewende“ in den Blick.
Von hier aus spazieren wir nordwärts weiter am Neckar-Seitenarm durch das BUGA-Gelände, das 2019 geschaffen wurde: Die Uferlandschaft wurde maritim neu gestaltet, mit Grünflächen und Seen, Wassertreppen, Gradierwerk, Sportstätten, Spielplätzen, Anlegern und Holzstegen, alles nur wenige Minuten von der Innenstadt entfernt. Am Neckarbogen gibt es heute eine großartige Mischung aus neuer Wohnarchitektur, Orten der Entspannung und zum Teil historischen Fabriken. Vor dem Backsteingebäude der „Alten Reederei“ kann man, direkt am Fluss, mit Flair speisen und einen hiesigen Lemberger oder Trollinger Wein genießen.
Das Umland, die Urlaubsregion Heilbronner Land, lockt mit weiteren Zielen: das Weinsberger Tal, die historische Stauferstadt Bad Wimpfen, das Wasserschloss Bad Rappenau, verborgene Winkel an Neckar, Kocher und Jagst – und beinahe überall, rundherum, wächst der Wein. Jetzt, im Hochsommer, da wollen wir natürlich auch ins Wasser. Der sehr gepflegte Breitenauer See inmitten einer wunderschönen Weinbergkulisse nah der Ortschaften Löwenstein und Obersulm ist die richtige Wahl für Badespaß mit bester Wasserqualität.
Wir besuchen Weinsberg, ein weiteres Zentrum des Weinbaus. Die Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau des Landes Baden-Württemberg hat hier ihren Sitz. Die Oberstadt rund um die Johanneskirche hat pittoresken Charme. Man befindet sich nun direkt unterhalb der Burgruine Weibertreu auf ihrem kegelförmigen Berg, die wir zuvor schon vom Wartberg aus herübergrüßen sahen. Unbedingt sollte man den etwa vier Kilometer langen Wein- und Rosenrundweg rund um den Burgberg laufen – mit herrlichen Blicken ins ganze Umland. Auch das Justinus Kerner Haus lohnt einen Besuch – das ehemalige, original ausgestattete Wohnhaus des Arztes und Dichters war ein Treffpunkt der Schwäbischen Romantiker.
Der nächste besuchenswerte, exponiert gelegene Ort ist das Bergstädtchen Löwenstein mit seiner Burg. Der staatlich anerkannte Erholungsort ist ein guter Ausgangspunkt für Wanderungen durch die Weinberge. Wir übernachten inmitten der Reben, im Landhaus Hohly, von wo man eine wunderbare Aussicht auf die ganze Gegend hat und hervorragend schwäbisch-süddeutsch speist – oder auch mit internationalem Twist. Die Maultaschen mit Fleisch-Spinat-Füllung werden hier selbst gemacht – der Chef ist gelernter Metzger –, wir dürfen sie direkt aus dem Kessel probieren. Und einen guten, im Eichenfass gereiften Lemberger machen die Hohlys auch.
Im Landhaus wird mit vielen Bildern und Glasreliefs an den 1902 in Löwenstein geborenen und 1995 in Bietigheim-Bissingen verstorbenen Maler Richard Hohly erinnert. Der zur Familie gehörende Spätexpressionist war Mitglied der Berliner Sezession. Sein Werk galt im NS-Regime als „entartet“. Von 1924 bis 1929 studierte Hohly an der Kunstakademie in Stuttgart und später in Kassel. 1930 prägte ihn eine Begegnung mit Edvard Munch in Oslo nachhaltig. Zum Abschied gibt es ein letztes Glas Lemberger auf der schönen Terrasse – wir kommen bestimmt wieder, nach Heilbronn und ins Heilbronner Land.
Fotos: (c) Marc Peschke
www.kuenstlerbund-heilbronn.de