Mit „Der alte Mann und das Meer“ (1952) hatte Ernest Hemingway sein Publikum begeistert. Auf den Pulitzer- folgte der Literatur-Nobelpreis. Der Kosmopolit, der den Erdball vermessen hatte, glaubte zwar nicht an Gott, aber an die ewige Natur. Seine Romane sind Landschaftsdichtungen, die den Worten den bildhaften Rahmen verleihen. Verzweifelt nahm er sich 1961 das Leben.Von Stefan Groß-Lobkowicz.
Ernest Hemingway, der um die Kraft des Einzelnen und seines permanent möglichen Scheiterns wusste, war nicht nur der große Dandy des Literaturbetriebes, sondern ebenso auch ein feinsinniger Chronist der Zeitenwenden. Nach dem Erstem Weltkrieg und der Weltwirtschaftskrise wurde er zum Pionier des amerikanischen Antihelden. Immer wieder etablierte er diesen neuen Typus, der nicht mehr den Way of Life, den Traum der grenzenlosen Möglichkeiten verkörperte, der weder Cowboy noch Detektiv war, sondern als Einsamer entwurzelt und illusionslos, aber aufrichtig und leidensfähig durch die Irrungen und Wirrungen des Daseins reist. Über seinen Roman „Fiesta“ (1926) schrieb er in einem Brief an Francis Scott Fitzgerald: Es sei „eine verdammt traurige Geschichte, in der aufgezeigt wird, wie Menschen zugrunde gehen“. Der „Lost Generation“, der verlorenen Generation, ein Begriff, der von seiner einstmals engen Schriftstellerkollegin Gertrude Stein geprägt wurde, hatte er in einem seinem Roman das Predigerwort Salomons „Ein Geschlecht vergehet, das andere kommt, die Erde aber bleibt ewiglich“ mit vorangestellt. Damit wollte Hemingway die Gegensätze zwischen der schwül-stickigen Atmosphäre der Pariser Nachtwelt gegenüber einer naturverbundenen Lebensweise veranschaulichen. Die Intention dahinter: Mit Blick auf die Natur bleibt die Menschheit ein bloßes Anhängsel.
Die Natur umschreibt das Unsagbare
Leben und Tod, die Vergänglichkeit des Menschen einerseits, die Ewigkeit der Erde andererseits, diese beiden Pole sind der Spannungsbogen in Hemingways Oeuvre, insbesondere in seinem Roman „In einem anderen Land“. Immer wieder wird es der Kampf zwischen der Überwindung des Todes und die Suche nach der Selbstverwirklichung sein, immer, so die bittere Diktion, greift nach dem Selbstverlust der Tod mit seinen bitteren Klauen aus. Doch Hemingway fasst das Tragische nicht in Worte. Das, was nicht gesagt werden kann, was sich der sprachlichen Diktion entzieht, das Unfassbare und Unbeschreibliche, wird er in Landschaftsbilder kleiden. Die Naturbilder werden so zu Brücken, wo sich das Im-Wort-Versagende in Landschaftsbildern à la Cézanne zum Ausdruck bringt. Es wird die Natur, die dem Menschen zusehend Zuflucht gewährt, wo er Schutz und Bergung findet. Und diese erweist sich als die eigentlich-unauslösliche Kraft, die aus ihren Kraftquellen heraus, den Bäumen, Bergen und Tälern und in der Unendlichkeit des Meeres, zum existentiellen Ort des entkleideten Selbst wird. Vermag die Zivilisation den entfremdeten Menschen in der Unbehaustheit des Seins keinen Schutz zu bieten, erweist sie sich als das einzigste Raum, worauf sich der Mensch verlassen kann. Für Hemingway, selbst ein kraftvolles Gespann aus den Elementen, eine brachiale Naturgewalt in persona, wird die Natur zum Rettungsanker, fast religiös zum Gottesersatz. Allein in Beziehung zu ihr, eröffnet sich oft die einzige Kommunikation für den Menschen, allein sie vermag die Konflikte des Daseins zu lösen, wenn durch sie eine höhere, eine transzendente Ebene, eröffnet wird. Jeder, so die tiefe Überzeugung, findet seinen Frieden in der Natur so lange er mit ihr allein ist; sie wird ihm zur Lehrmeisterin, lehrt ihn, sich und seine Schwächen zu erkennen und zu spiegeln.
Natur als der Ort der Harmonie
Diese Nähe, diese Vertrautheit gegenüber der ewig-währenden Natur, hatte der Landschaftsdichter Hemingway seit seiner Kindheit verinnerlicht, früh war er fasziniert vom Kreislauf der Jahreszeiten, von der Schöpfung, die wie aus unsichtbarer Hand geleitet Wahrhaftiges schafft. Immer wieder suchen seine Protagonisten wie er selbst, die innere Unruhe, das Umher-Geworfensein-Sein, verursacht durch Krieg, Depression und Alkohol abzustreifen und den Frieden in und mit der Natur zu finden, in der alles Disharmonische weicht. In der Natur fand Hemingway, der Mann, der von Narben vom Kopf bis zur Spitze seines rechten Fußes gezeichnet war und von dem der argentinische Schriftsteller und Psychologe José María Gatti sagte, dass er die „Geschichte seines Lebens auf seinem Körper aufgemalt“ hatte, jene Momente von Einkehr, jene Harmonie, die der vom Leben, von der Sucht und dem Abenteuer Angetriebene selten selbst fand. So verwundert es kaum, dass Hemingway die Naturbilder immer wieder aufgreift. In seiner Kurzgeschichte „Schnee auf dem Kilimandscharo“ aus dem Jahr 1936 schreibt er: „Großartig, gewaltig und unvorstellbar weiß in der Sonne war der flache Gipfel des Kilimandscharo“.
Kritiker des Krieges
In seinem Roman „Wem die Stunde schlägt“ (1940) wird der ehemalige Frontkämpfer das Thema der Kameradschaft in den Fokus rücken. Gegenüber der einstmaligen Kriegsbegeisterung und abenteuerlichen Raserei wird nunmehr die Gemeinschaft der Verlorenen beschworen, die im Angesicht des alltäglichen Todes sich zu „Schicksalsgefährten“ zusammenschmieden. Anstelle des übergroßen Ich, das allein kämpft, ist es nun der selbstlose Einsatz der Einzelnen für das Gesamtwohl, das Hemingway zum Ideal erklärt. Neben die Schicksalsgemeinschaft, dem Brüderbund, der Umarmung und dem Schulterklopfen ist es wiederum die Natur, die eine tiefe Verbundenheit mit dem spanischen Waldboden und seinen Kiefernadeln zeichnet und zu einer Kraftquelle werden lässt.
Hemingway, der sachliche Chronist der kargen Worte und nüchternen Sprache, war nicht nur jener Landschaftsdichter, der seine Romane in Naturbildern inszenierte, sondern wird in „Wem die Stunde schlägt“ auch zum gnadenlosen Kritiker eines Krieges, dem jegliches „Humanum“ abhandengekommen ist. Die moderne Kriegsführung ist nicht mehr der klassische Kampf zwischen zwei Menschen, der Kampf auf Augenhöhe mit dem persönlichen Blick in das sterbende Gegenüber, sondern wird durch die technischen Innovationen der Militärindustrie zu einer neuen Tötungsmaschinerie, die sowohl qualitativ wie quantitativ noch widerwärtige Maßstäbe des Unmenschlichen setzt. So stellen diese neuen militärischen Vernichtungsmaschinerien die einstigen kriegerischen „Heldentaten“ Einzelner in noch dunklere Schatten und münden in unwürdigen „Abschlachtszenen“, die an Grausamkeit kaum mehr zu überbieten sind.
Selbstmord am 2. Juli 1961
Hemingway, der Lebensbejaher, der erst später dem Alkohol restlos verfallen und zum körperlichen Wrack wird, hat bereits einundzwanzig Jahre vor seinem eigenen Suizid am 2. Juli 1961 in Ketchum, Idaho, in „Wem die Stunde schlägt“ den Selbstmord rechtfertigt. 1940 plädiert er für den Suizid aus „edlen Motiven“. Lieber Hand an sich legen, lieber sich selbst töten oder von den Kameraden getötet werden, als in Gefangenschaft zu gehen, so die Maxime.
Gegenüber der Natur besitzt der Mensch die Freiheit, sich selbst zu töten. Der 61-jährige Nobelpreisträger hatte sich diese Freiheit genommen und mit einem zweiläufigen Jagdgewehr im Vestibül am Eingangsbereich seines Hauses erschossen. Der große Kämpfer, leidenschaftliche Lebemann, vermochte selbst nicht die Kraft aufzubringen, dem Nichts, der Angst, der Krankheit zu trotzen – der Suizid der vermeintlich einzige Ausweg. Sein Freund Orson Welles war davon überzeugt, dass sich Hemingway allein zu diesem Schritt entschied, weil er in einer sehr schlechten körperlichen Verfassung war.
Darf ein Mensch sich selber töten?
Der Philosoph Jean Améry schrieb in seinem 1976 veröffentlichen Buch „Hand an sich legen: Diskurs über den Freitod“. „Wer abspringt, ist nicht notwendigerweise dem Wahnsinn verfallen, ist nicht einmal unter allen Umständen ‚gestört‘ oder ‚verstört‘. Der Hang zum Freitod ist keine Krankheit, von der man geheilt werden muß wie von den Masern. […] Der Freitod ist ein Privileg des Humanen.“ Ganz anders hatte der berühmte Aufklärer Immanuel Kant, der in diesem Jahr seinen 300. Geburtstag feiert, über den Selbstmord reflektiert. Im Tod aus Lebensüberdruss, mit dem „Ziel der Unlust ein Ende zu bereiten“, so seine Argumentation, nimmt der Mensch den Standpunkt eines „Phänomen[s] der Sinnenwelt“ ein. Der kategorische Imperativ, so der Königsberger, gebietet dem Menschen hingegen, sein Handeln an objektiven Prinzipien rein vernünftiger Wesen auszurichten. Bei Kant ist der Selbstmord nicht Ausdruck der Autonomie des Menschen, seiner menschlichen Freiheit, sondern mit diesem Akt vernichtet er diese. Lehnte Kant den Suizid ablehnte, weil er sich als – allgemeine Maxime –ad adsurdum führe, war es später der Existentialist Albert Camus, der diesen ebenso verwirft. „Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord.“ Mit diesem Satz beginnt Albert Camus Buch „Der Mythos des Sisyphos.“
Auch nach christlicher Auffassung hat der Mensch kein Recht, sich selbst zu töten, weil er sich das Leben nicht gegeben hat, sondern dieses von Gott schenkt bekam. Dietrich Bonhoeffer, der 1945 in Flossenbürg erhängte Theologe, dessen 80. Todestags im nächsten Jahr gefeiert wird, beschrieb das Selbstmordverbot so: „Es gibt keinen anderen zwingenden Grund, der den Selbstmord verwerflich macht als die Tatsache, daß es über den Menschen einen Gott gibt. Diese Tatsache wird durch den Selbstmord geleugnet.“
Hemingway hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihm Gott fern, dass er selbst gottlos sei. Letztendlich hat er sich für das „Privileg des Humanen entschieden“. Es war sein unbändiger Wille als freier Geist, der ihn zu dieser Entscheidung trieb, ein Wille so gewaltig wie die Naturkraft Hemingway selber war.
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