Dr. Matthäus Wehowski, Historiker, Schwerpunkt Osteuropa und Wirtschaftsgeschichte im 20. Jhd., Geschichte des Nationalsozialismus: Der zweite Teil des monumentalen Werks über Walter #Ulbricht von Ilko Kowalczuk ist nicht nur die Biographie einer Person sondern auch die eines Staates (der #DDR) und eines politischen Systems (des #Kommunismus). Das Buch ist hochaktuell und notwendig. Eine Rezension.
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg liegt Europa in Trümmern, Deutschland ist in Besatzungszonen aufgeteilt – doch noch nicht „geteilt“. Wie soll die künftige politische Ordnung aussehen? In der Sowjetischen Zone (SBZ) steht #Stalin vor einem Dilemma: Pragmatische Machtpolitik oder Übertragung des sowjetischen Modells? Die aus der Sowjetunion eingeflogene „Gruppe Ulbricht“ – moskautreue Exilkommunisten – nehmen ihre Arbeit auf. Obwohl für sie ein repräsentativer Parlamentarismus nicht zur Debatte steht, versucht sie, ihre Legitimation durch Wahlen zu gewinnen. Wohlgemerkt noch mit dem Anspruch das gesamte Deutschland zu vertreten. Ulbricht absolviert sogar Wahlkampfauftritte in den Westzonen (Bayern/Hessen). Doch schnell wird klar: Das Wahlvolk akzeptiert den angebotenen Weg zum „#Sozialismus“ nicht, in freien Wahlen sind die Kommunisten chancenlos.
Aus der Zwangsvereinigung von #KPD und #SPD wird die #SED-Kaderpartei. In der „Volksdemokratie“ sollen die „bürgerlichen“ Begriffe der #Demokratie und #Freiheit fundamental umgedeutet werden: Parlamentarismus, Wettbewerb der Parteien, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung werden als „überholt“ abgelehnt. Der Weg zu „Fortschritt“ führe einzig über die „Kaderpartei“, die den einheitlichen Willen der „Werktätigen“, vor allem aber den „objektiven Verlauf der Geschichte“, unmittelbar umsetzt. Dabei fiel Ulbricht argumentativ in die Zeit der Weimarer Zeit zurück. Alle Gegner des Machtmonopols der SED galten als „#Faschisten„. Adenauer aber auch der SPD Vorsitzende Schumacher (der die Lagerhaft im „Dritten Reich“ schwer gezeichnet überlebte) galten grundsätzlich als Widergänger des „Hitler-Faschismus“. Einzig die Sowjetunion sei Garant „antifaschistischer Politik“.
Doch der „große Bruder“ bediente sich recht hemmungslos in seiner Zone, was Ulbricht u. Co. enorme Startschwierigkeiten bescherte. Der Mangel sollte eine Konstante der DDR-Wirtschaft bleiben. Interessant ist, dass Ulbricht die Defizite sehr wohl erkannte. Doch die #Ideologie erlaubte ihm keine Bekämpfung der Ursachen: Kollektivierung, Verstaatlichung, Planwirtschaft – das war der „Fortschritt“, der „objektive und notwendige“ Verlauf der Geschichte. Wenn etwas nicht funktionierte, waren „Saboteure“, „Agenten“ und natürlich die „Faschisten“ im Westen verantwortlich. Bonn würde einen „Wirtschaftskrieg“ gegen die „Volksdemokratie“ führen.
Ironischerweise rettete ausgerechnet der Volksaufstand 1953 (dazu schreibe ich ein anderes Mal ausführlicher) Ulbrichts System. Die Sowjetunion half den „faschistischen Putschversuch“ niederzuschlagen und gewährte der DDR ihre „innere Staatsbildung“. Ausgerechnet die „Säuberungen“ der SED nach dem Aufstand von 1953 erhöhten den Anteil ehemaliger #NSDAP Mitglieder signifikant (auf 9,9%), die sich auch gegenüber dem neuen System als „treue Genossen“ erwiesen.
Die Krisen hielten für Ulbricht an, vor allem die Flucht nach Westen bedrohte den „Frieden“ des Systems. Anlass für den #Mauerbau sei eine angeblich geplanter „Überfall“ der „Militaristen“ in Bonn, die das „Großdeutsche Reich“ militärisch wiederaufbauen wollen würden (eine Lüge die nicht einmal die Sowjetführung glaubte). Die Mauer – Ulbrichts berühmtestes Vermächtnis – läutete so etwas wie eine „Normalisierung“ ein, die endgültige Herausbildung eines Staatswesens, das zumindest die meisten seiner Bürger hinnahmen. Es blieb jedoch eine #Diktatur, wobei Ulbricht immer mehr Macht in seinen Händen sammelte. Eine aus unserer Sicht absurde Figur, die stundenlange monotone Reden mit (krankheitsbedingter) Fistelstimme im sächsischen Singsang hielt.
Dabei war Ulbricht einer der mächtigsten Politiker der deutschen Geschichte. Der – trotz ideologischer Brille – sehr wohl die ökonomischen Defizite der DDR verstand. Ein „deutscher Politiker“ seiner Zeit, der Goethe verehrte und die Beatles verachtete. Kultur-/Gesellschafspolitisch konservativ. Die Wirkung Ulbrichts ist bis heute spürbar. Zwar erlebte die DDR, wie der übrige „Ostblock, nach 1956 eine Abkehr vom Stalinismus, die aber nie mit einer Aufarbeitung verbunden war. Wie schon 1939 – als Stalin den Pakt mit Hitler einging – vollzog Ulbricht erneut die Kehrtwende um 180 Grad. Stalin – der noch Tags zuvor als großer „Lehrmeister“ und Anführer des „Weltkonmunismus“ galt – verschwand ohne Diskussion von der Bildfläche. Die Macht der SED war auch immer die über die Geschichte. So ist es auch nicht verwunderlich, dass der Holocaust stets im Kontext des „Klassenkampfs“ gedeutet wurde, der Antisemitismus und völkische Nationalismus im „Dritten Reich“ kaum ein Thema war. Stattdessen wurden Adenauer und seine Nachfolger mit Hitler gleichgesetzt.
Fast schon eine Tragödie waren dadurch die letzten Lebensjahre Ulbrichts. Seine ökonomische Reformpolitik (Stichwort „Kybernetik“) – die durchaus ambitioniert, aber im Rahmen des Systems nicht realisierbar war – scheiterte. Der sowjetische Parteichef
Breschnew, dem Ulbricht in bester deutscher Manier als „Schulmeister“ entgegentrat, akzeptierte seine Entmachtung (keine größere politische Entscheidung war ohne Zustimmung Moskaus möglich). Plötzlich verschwand er selbst aus der Geschichte, musste sich Vorwürfe des „Sozialdemokratismus“ gefallen lassen etc. Am Ende Opfer des eigenen Systems!
Das Buch ist erschreckend aktuell, da Argumente und Vokabular der zweiten deutschen Diktatur so präsent sind wie kaum zuvor: „Der faschistische Putsch“ (diesmal Kyjiw statt Berlin), der „Wirtschaftskrieg“ (gegen #Russland statt die DDR), der westliche „Imperialismus“ und vieles mehr. Wer #Wagenknecht und ihre Getreuen verstehen möchte, kommt an diesem Buch nicht vorbei!
Negativ anmerken würde ich aber den manchmal unpräzisen Umgang mit Begriffen. Dass im Buch stellenweise etwa von „den Russen“ statt der Sowjetunion gesprochen wird, mag den Quellen geschuldet sein, die darf sich der Autor aber nicht zu eigen machen! Dennoch ist das Fazit durchweg positiv: Eine spannende Lektüre, die absolut zur rechten Zeit kommt!
P.S.: Frau Wagenknecht hat auch eine apologetische Schrift über Ulbricht verfasst.