Die neuen Herausforderungen des Brexit für Schule und Gesellschaft

Das vor Monaten verharmlosend-salopp „Brexit“ getaufte Ausscheiden der Briten aus der Europäischen Union entwickelte sich unerwartet zur sich langsam verstetigenden Katastrophe. Zehntausende offener politischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Fragestellungen, die in vielen Fällen interdependent verwoben sind, bilden einen ganzen Sack voller hochkomplexer harter Nüsse. Es dürfte einige Zeit dauern, sie nach und nach zu knacken, und selbst, wenn im Herbst auch noch Donald Trump zum US-amerikanischen Präsidenten gewählt werden sollte, dürfte die (In-) Stabilität Europas die kontinentaleuropäische Berichterstattung der Zukunft vorrangig bestimmen.

Bildung ohne Europa – ebenso unvorstellbar wie Europa ohne Bildung

Im toten Winkel der ersten Bericht- und Kommentarwelle liegen derzeit unsere Schulen und Universitäten. Hier wurde in den letzten Jahrzehnten nicht nur über Europa informiert. Hier wurde aktiv und erfolgreich für die europäische Idee geworben. Hier begegneten und begegnen sich junge Menschen aus allen europäischen Ländern im Rahmen von Austauschprogrammen und gemeinsamen Projekten. Hier bemühen sich engagierte Lehrerinnen und Lehrer sowie Professorinnen und Professoren seit Jahrzehnten erfolgreich, jungen Hoffnungsträgern eine europäische Identität zu vermitteln und sie – unbesehen völlig normaler patriotischer Gefühle – zu Trägern und Botschaftern einer weltweit geachteten Wertegemeinschaft zu erziehen.

Was können wir für die Zukunft lernen und lehren?

Das bevorstehende Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union stellt einerseits fundamental die europäische Idee in Frage und frustriert viele überzeugte Europäerinnen und Europäer – auch auf den britischen Inseln.

Gerade jetzt aber gilt es, nicht kleinmütig zu resignieren. Unsere Bildungseinrichtungen müssen das aktuelle politische Desaster auf beiden Seiten des Ärmelkanals nutzen, um das politische Bewusstsein ihrer Schüler und Studierenden nachhaltig zu schärfen! An welchem Beispiel etwa könnte man die unkalkulierbaren Risiken von Plebisziten, die zuletzt ja gerade auch in Deutschland verstärkt gefordert wurden, besser verdeutlichen als am Brexit? Und an welchem Szenario ließen sich die Vorzüge eines geeinten Europa besser illustrieren, als an den hilflosen Versuchen britischer Politiker, die gerade skrupellos erwirkte „Freiheit“ Großbritanniens von der Europäischen Union durch die Forderung nach einer Art privilegierten Partnerschaft mit der Europäischen Union umgehend ad absurdum zu führen?

Jetzt erst recht!

Die Europäische Union steht zum ersten Mal und wahrscheinlich gerade noch rechtzeitig vor einer existentiellen Zerreißprobe:

Die Regierungen der verbleibenden 27 Mitgliedsstaaten der EU dürfen nicht in kurzsichtiges nationalstaatliches Denken und Handeln zurückfallen, sondern müssen sich auf ihre gemeinsamen Interessen rückbesinnen und die Staatengemeinschaft bürgernah neu fokussieren. Es gilt, uns Bürgerinnen und Bürgern so schnell wie möglich neu aufzeigen, für welche Ziele und Werte die Europäische Union künftig stehen soll und – zum Beispiel angesichts der Flüchtlingsströme der Gegenwart und Zukunft – gemeinsam verlässlich einzutreten gedenkt.

Parallel müssen unsere Schulen den nachvollziehbarer Weise verunsicherten Kindern und Jugendlichen auf dem europäischen Kontinent engagierter denn je zuvor verdeutlichen, was wir Europäer der nach dem Zweiten Weltkrieg fruchtbar gemachten Idee eines starken europäischen Staatenbundes zu verdanken haben: 70 Jahre Frieden in Freiheit (!) und präzedenzlose Prosperität. Und auch wir Erwachsene können Verantwortung übernehmen. Vor allem, indem wir uns negativer Stimmungsmache von links und rechts zum Trotz im Alltag wieder positiv und mit berechtigtem Stolz zur Europäischen Union und der ihr zu Grunde liegenden Vision bekennen.

Eines nämlich ist klar: Am Ende bekommt ein jeder von uns das Europa, das er (sich) verdient!

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