Die christliche Seele fährt Schifferl

„Traumschiffe der Renaissance“ verspricht das Bayerische Nationalmuseum – bringt aber eher Trink-, Fortuna- und Narrenschiffe zum Vorschein

1534 schuf der Nürnberger Bildschnitzer Peter Dell dieses Ahornholz-Relief: Die menschliche Seele rudert trotz aller Anfeindungen dem Himmel entgegen. Foto: Hans Gärtner

430 Jahre sind`s her, dass der 16-jährige Erzherzog Ferdinand von Österreich der Universität Ingolstadt ein besonderes Schiff schenkte. Keins, mit dem die Studenten hätten aufs Meer hinausfahren können. Vielmehr einen silbervergoldeten schiffsförmigen Pokal, mit dem der edle Jüngling, später Kaiser Ferdinand II., sich für seine Ingolstädter Studienzeit bei den Jesuiten bedankte. Hoch den Becher! So hieß es. Denn aus dem Schiff konnte ja getrunken werden. Das sollte noch lange so bleiben. Auch als die Uni Ingolstadt längst nach München verlegt worden war. Bei jährlichen Stiftungs-Festivitäten der Ludwig-Maximilians-Universität kam das schifferl-förmige Trinkgefäß, seit 1830 bis in die 1960er Jahre, immer wieder mal zum Einsatz. Siebzig Jahre sind`s her, da musste das so genannte Goldene Schiff der LMU kriegsbedingt restauriert werden. Es gehört jetzt dem Bayerischen Nationalmuseum (BNM) und gab den Anstoß für die neue, weiträumig angelegte Sonderausstellung „Traumschiffe der Renaissance“. Sollen damit ZDF-Serien-Gucker angelockt werden? Sie würden nicht keinesfalls auf ihre Kosten kommen.

Man will im BNM „ein breites Panorama europäischer Seefahrt im 16. Jahrhundert“ abdecken, „vom Seehandel der portugiesischen und spanischen Königreiche und von deren Versuchen, Kolonien in Übersee zu gründen, über die importierten Kostbarkeiten bis hin zur Kriegsführung auf See“. Warum man bei Fürsten und Patriziern gerade aus Schiffen trank – dazu kriegt man einige Kuriositäten zu sehen.

Besonders den Augsburger und Nürnberger Goldschmieden ging es damals gut. Sie fabrizierten auftragsgemäß phantastische Miniaturschiffe: „Ikonen europäischer Technik“ waren das. Sie „repräsentierten den Wagemut von Seeleuten auf der Suche nach den Reichtümern offener Welten“.

Das Thema „Schiff als Metapher und Symbol“ ließen sich die kräftig in die Depots und glückvoll auf so manche wichtige Leihgeber (zurück)greifenden Ausstellungsmacher nicht entgehen. So stellen sie etwa eine Nürnberger Buchillustration von 1587 mit einer von Narren besetzten Karavelle in eine Vitrine zur Freude des Betrachters aus, um zu belegen: So sieht der Staat aus: ein führungsloses Gemeinwesen, in dem Spaßmacher das Sagen haben, unter denen man dem Untergang entgegen rudert. Aus der Werkstatt des Hamburgers Jakob Moves d. Ä. stammt die gut vier Jahrhunderte alte Federzeichnung eines Schiffspokals mit den Figuren von Fortuna (Glück) und der Spes (Hoffnung). Der Würzburger Schnitzer Peter Dell schuf 1534 ein beeindruckendes Relief aus Ahornholz. Darauf steht links der Apostel Paulus, rechts der Auferstandene und dazwischen jede Menge „Teufelszeug“ und Höllenpersonal. In den eingravierten kurzen Aufschriften geht es um die protestantische Gnadenlehre. Die christliche Seele fährt Schifferl. Sie trotzt ihrer mannigfachen Gefährdung und strebt dem Himmel entgegen: „Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg!“

Aus dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts stammt ein feines vergoldetes  Bronzetäfelchen mit der textilfrei segelnden Fortuna. Wer ein solches Taferl besaß, wollte damit bekunden: Mein Sinn steht mir nach irdischen und himmlischen Gütern. Es gibt noch mehr solcher kleiner Wunderkammer-Objekte: ein silbernes Tafelschiffchen auf Rädern aus Nürnberg um 1630, eine um 1500 in Italien erstellte Navicula aus Messing als tragbare Sonnenuhr oder eine Muskatnuss als Amulett, das man schon vor 400 Jahren kinderlosen Frauen als Glücksbringer um den Hals hängte.

Die Sonderausstellung dauert bis 1. September und ist täglich außer Montag von 10 bis 17 (donnerstags bis 20) Uhr zu besuchen.

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.