Mehr als hundert Jahre nach seiner Entstehung erweist sich das Poem in seinen so düsteren wie bitter-ironischen Passagen im Blick auf die gründeutschen Lande, auf EU-Europa und die Außenwelt als zeitlos aktuell.
Als erstes fällt uns, die schon länger hier leben, das Erscheinungsbild deutscher Großstädte ins Auge: Vermüllte Bürgersteige und Bushaltestellen, „Grafitti“, sprich Schmierereien, allerorten, an frisch getünchten Fassaden, an den Rollläden noch bestehender oder leer stehender Geschäfte, an U-Bahn-Waggons, an Straßenschildern, Briefkästen usw., dazu monokulturell verhüllte Frauengestalten inmittten des multikulturellen Gewoges auf Straßen und Plätzen und eine wachsende Zahl von Obdachlosen in schmuddeligen Schlafsäcken unter Brücken und Unterführungen.
Ungewissheit überlagert die Große Politik. Wie es im Gaza-Krieg – und danach – weitergehen soll, weiß Israels Ministerpräsident Netanjahu vermutlich selbst nicht. Ein Ende des Krieges in der Ukraine ist nicht abzusehen. Besorgnis bereitet die schwindende Widerstandskraft der Ukraine, während Putin eine Sommeroffensive vorbereitet. Damit schwinden von Tag zu Tag Aussichten auf einen Waffenstillstand, der von realen oder vermeintlichen „Putinverstehern“ beschworen wird.
Mehr noch: Wir („Wir“ – der peinlich kollektivistisch , „rechts“ klingende – Titel des Buches unseres Bundespräsidenten), wir, die friedensgewohnten Deutschen, werden von dem – laut Umfragen – populären Verteidigungsminister Pistorius ermahnt, wieder „kriegstüchtig“ zu werden. Ob „wir“ – gemeint ist die Bundesregierung unter Kanzler Scholz – bereit sind, die von Selenskyj geforderten „Taurus“-Raketen zu liefern, um Putins Sieg zu verhindern, hängt nicht von „uns“, sondern vom politisch-strategischen Kalkül der westlichen Führungsmacht USA und unserer Nato—Verbündeten ab. Immerhin gibt es auch in und außerhalb der Ampelregierung hinreichend Befürworter einer – naturgemäß als defensiv deklarierten – Eskalation der Kriegstechniken zum Schutz der Ukraine. Wie reagiert der Westen, wenn sich der militärische Zusammenbruch der – in Teilen kriegsmüden – Ukraine abzeichnen sollte?
Kurz: Zu Frohsinn besteht in diesen schönen Frühlingstagen wenig Anlass. Was den Missmut befördert, sind die wie stets auf Kritiklosigkeit des Wahlvolks zielenden Plakate der Parteien zur Europa-Wahl im Juni. Die Banalität der Slogans (SPD: „Mitte, Maß und Frieden“; „In Stadt und Land – und Wir-Gefühl“ (sic!) Grüne: „Klima schützen, Wirtschaft stärken“; CDU: „Europa braucht dich“, FDP mit Konterfei von Strack-Zimmermann: „Europas Rückgrat“ usw.) soll über die Fehlentscheidungen, Unterlassungen und Anmaßungen deutscher Politik seit der Ära Merkel – Nährstoff der „in Teilen rechtsextremen“ AfD – hinwegtäuschen. In zentralen Fragen – obenan Migration, Energiegewinnung, innere und äußere Sicherheit – hat die etablierte Politik seit langem an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft verloren.
Last but not least geht es um den Kern der immer deutlicher werdenden Misere. Ungeachtet des historischen Glücksfalls der Wiedervereinigung fehlt es der deutschen res publica – entgegen aller Betonuung „unserer Werte“ – an innerer Substanz. Sinnfällig wurde die geistige Leere der Bundesrepublik beim jüngsten Staatsbesuch des Bundespräsidenten, als er dem türkischen Präsidenten Erdogan als Gastgeschenk einen gefrorenen Dönerspieß überreichte. Dass sich hierzulande niemand über diese peinliche Geste mokierte, bestätigt nur das Bild – das beschädigte Selbstbild – eines waste land.
So führt jegliche Betrachtung der deutschen Gegenwart auf den von Deutschen inszenierten „Zivilisationsbruch“ (Dan Diner) im Zweiten Weltkrieg zurück, der wiederum – von seinen tiefliegenden ideologischen Wurzeln abgesehen – aus der europäischen Urkatastophe des Ersten Weltkriegs hervorging. Im Zeichen der jüngsten ideologischen Mode der decolonization, die – bittere Ironie – de facto in der radikalen Kriminalisierung der neuzeitlichen Geschichte Europas die geschichtliche Einzigartigkeit der Nazi-Verbrechen relativiert, ist nicht zu hoffen, dass es noch zu einer Regeneration des „öden Landes“ in der Mitte Europas kommen könnte. In den Bologna-Universitäten Westeuropas und in den deutschen Feuilletons vertrocknet alles, was nicht lila-grün-wokem Saatgut entsprungen ist.
Quelle: https://www.achgut.com/artikel/am_ende_des_deutschen_april
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