Seit der Gnadenlehre Martin Luthers, der kantischen Aufklärung, die die Religion nur in den Grenzen der Vernunft tolerierte und jede Offenbarung torpedierte und zum Aberglauben erklärte, bis hin zur dialektisch-protestantischen Theologie eines Karl Barth, haben sich Wissen und Glauben immer weiter entfremdet – der Pluralismus der modernen Gesellschaft hat die Gräben noch vertieft. Aus Glauben und Vernunft sind Widerparte, ein Entweder-Oder geworden, das sich unversöhnlich gegenübersteht – und aus der Wahrheit entwickelte sich ein Potpourri aus Meinungen, die in größter Beliebigkeit variieren. Nicht zuletzt vernachlässigte die moderne Philosophie das Fragen nach dem Sein und damit die Wahrheitsfrage.
Entstanden sind aus diesem Vakuum verschiedene Formen von Agnostizismus und Relativismus, die sich als „Fließsand“, wie Johannes Paul II. bemerkte, im allgemeinen Skeptizismus verloren. Stehen sich Vernunft und Glaube derzeit gegenüber, zeichnet ein Blick in die Geschichte des Abendlandes aber ein anderes Bild. Ausgehend von Platons Idee des Guten und seiner Ideenlehrre, vom Neuplatonismus eines Plotin und Proklos, suchten die christlichen Apologeten, Kirchenväter und nicht zuletzt Augustinus diese Philosopheme mit dem Offenbarungsglauben zu verbinden.
Keine Vernachlässigung der Endlichkeit
Im 13. Jahrhundert war es dann der Dominikanermönch, Intellektuelle und Kirchenlehrer Thomas von Aquin, dem es um eine Neuverortung zwischen Glauben und Wissen, Fides und Ratio, ging. Der „Doctor Angelicus“, 1274 im Kloster Fossanova verstorben, wollte die auf das Jenseits gerichtete griechische Philosophie des Platon mit dem auf die Diesseitigkeit ausgerichteten Denken des Aristoteles verbinden. Das Endliche sollte nicht vernachlässigt, nicht transzendiert werden, sondern in seinem So-Sein auf Gott verweisen, denn der vernünftig-denkende Menschen ist ein Abbild der göttlichen Schöpfung und daher in der Lage, vernünftig und wahrhaftig zu handeln.
Mit der Antike ins Mittelalter
Wie Gott der erste Urheber und Beweger des Alls ist, so muss der letzte Zielsinn des Alls das Gute des Geistes sein, ein tugendhaftes Leben mit Blick auf Gott. Dies gelingt dem tätigen Verstand, so Thomas, der durch Abstraktion letztendlich zur ersten Ursache des Seins dringt und Gott erkennt, in dessen Geist die ewigen Ideen die Vorbilder für die Formen der Dinge sind. Die Abbildtheorie Platons bei Augustinus, der das Prinzip des menschlichen Glaubens betonte und die induktive Erkenntnistheorie von Aristoteles, der von der Erfahrungswelt und der darauf aufbauenden Erkenntnis ausgeht, begreift der Aquinate als Denksysteme, die sich nicht widersprechen, sondern ergänzen.
Zur Aktualität des Thomas von Aquin
Natürlich können die Geheimnisse göttlicher Offenbarung – Gottes Dreieinigkeit, seine Menschwerdung in Jesus Christus und die Auferstehung der Toten – nur geglaubt werden, denn die christliche Wahrheit ist übervernünftig, aber sie ist doch keineswegs widervernünftig. Mittels der Vernunft lässt sich zeigen, wo ihre Grenze ist, aber dies ist immerhin eine Leistung derselben. Scheitert die Vernunft an Gott selbst, so zeichnet Thomas in seiner „Summa theologica“ mittels der „Fünf Wege“ rationale Gründe für Gottes Existenz auf. Mit dem Versuch, Wissen und Glauben wieder miteinander zu verbinden, erweist sich Thomas keineswegs aus der Zeit gefallen: Denn eine rein technische Vernunft ist, wie Papst em. Benedikt XVI. betonte, „ohne den Glauben dazu verurteilt, sich in der Illusion der eigenen Allmacht zu verlieren“. „Der Glaube“ hingegen „ist ohne die Vernunft der Gefahr der Entfremdung vom konkreten Leben der Menschen ausgesetzt.“