Politik von heute lässt sich sinnvoll nicht mit Parolen von gestern machen

Nachbarschaftshilfe "gegen rechts"

bundestagswahl wahl wahllokal türschild hinweis, Quelle: geralt, Pixabay License Freie kommerzielle Nutzung Kein Bildnachweis nötig

Seit einigen Wochen erleben wir in deutschen Städten sich ständig wiederholende „Demos gegen rechts“. Es geht darum, durch Mobilisierung von „Massen“ den – derzeit durch BSW leicht gebremsten – Aufstieg der AfD abzuwehren, ohne sich mit dessen Ursachen politisch glaubhaft auseinanderzusetzen. Zum Kampf gegen die „völkische“ AfD wird der „Verfassungspatriotismus“ ins Feld geführt. Herbert Ammon weist in seinem Kommentar auf die Widersprüche des Begriffs und dessen Praxis hin: „Die Zustände in den „Problembezirken“ und den „Brennpunktschulen“ verweisen – von den exorbitanten  Kosten abgesehen – jegliche Rede von „Integration“ in den Bereich des Absurden. Nicht zufällig ist der Begriff „Leitkultur“ in der unendlichen Integrationdebatte verpönt. Er beinhaltet die Akzeptanz der  historischen Last der NS-Vergangenheit für „die Deutschen“ – ein Kollektivbegriff, der in derlei historisch-politischem Kontext einen ethnisch-kulturellen Bezug hat. Der  gegen die „völkische“ AfD zielenden postnationalen Definition des Staatsvolkes als einer gleichsam geschichtsfreien,  ethnisch-kulturell heterogenen („diversen“) Gesellschaft liegt ein eklatanter Widerspruch zugrunde. Dem „Verfassungspatriotismus“ der Bundesrepublik – id est dem von „progressiven“ Apologeten der Migration als ideell hinreichend propagierten Bekenntnis zur res publica – liegt eine spezifisch deutsche Geschichte zugrunde, die der Mehrheit der (Im-)Migranten schnurzegal ist. Wie wenig sich – nicht nur –  arabisch-islamische Einwanderer um die „deutsche“ Gedenkkultur scheren, beweisen die Demonstrationen gegen Israel auf deutschen Straßen oder die Hassszenen an deutschen Universitäten.

Der Appell zur Abwehr der Gefahr von „rechts“, zur liebevollen  Umarmung – „Hand und Hand“ – des Reichstags am ersten Samstag im Februar, erreichte mich per zweimaliger Rundmail aus der Nachbarschaft. Ein besonders aktiver Aktivbürger ermunterte die Anwohner des Wohnviertels, sich trotz oder wegen des angekündigten Regens zur gemeinsamen Busfahrt zur Verteidigung der Demokratie am geschichtsträchtigen Ort zu versammeln. Die nachbarliche Animation zur Einübung demokratischer  Reflexe samt Versprechen eines Gemeinschaftserlebnisses erweckte  historische Assoziationen.

Zu DDR-Zeiten wurden die „Werktätigen“, inklusive der an Schreibtischen Tätigen, zu den hohen Festtagen des Arbeiter- und Bauernstaates aufgerufen, sich „massenhaft“ an den diversen Demonstrationen unter den stets gleichen Parolen – für den Weltfrieden, gegen den Imperialismus, für den Aufbau des Sozialismus, gegen den Faschismus usw. – zu beteiligen. Dies geschah regelmäßig zum Gedenktag für Rosa und Karl am 15. Januar, zum Kampftag der Arbeiterklasse am 1. Mai,  sodann zum Tag der Befreiung am 8. Mai, zuletzt am 7. Oktober 1989 zum 40. Jahrestag  der DDR, abgesehen von der allerletzten Kampfdemonstration gegen den Faschismus zur Rettung der DDR am 3. Januar 1990 vor dem sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park.

Über die Details dieser Mobilisierung der Kampfbereitschaft wissen ältere Ex-DDRler besser Bescheid als ein jeglichem Massenauftrieb abholder Westbürger. An den Arbeitsplätzen waren Gewerkschafts- und Parteifunktionäre für die Bereitstellung der Massen zuständig. Außerdem gab es in den Wohngebieten bzw. in den Miethäusern gewählte (!?) „Vertrauensmänner“ oder „-frauen“, die sich um Gemeinschaftsaufgaben wie Spielplätze, Sauberkeit und Ordnung, um staatsbürgerliche Gesinnung zu  den Wahlen – bekannt als „Zettelfalten“  – sowie um das sozialistische Bewusstsein an den erwähnten Terminen zu kümmern hatten.

In der rechtstaatlich verfassten Demokratie lebt der Passivbürger – im Unterschied zu dem von der Zivilgesellschaft von selbstauferlegten Aufgaben täglich beanspruchten citoyen – ungestört von politischen Pflichtveranstaltungen. Zumindest war dies meine Vorstellung bis zu den „Demos“ der Kids, als die von ihren Lehrerinnen und Lehrern (m/w/d) an den Schulen angehalten wurden, an den „Fridays for Future“, unter Führerinnen wie  Greta Thunberg und Lisa Neubauer, gegen das nahende Weltende zu protestieren. Sofern das Wetter mitspielte, waren die Schüler und -innen gerne bereit, in ihrer peer group gegen die Apokalypse fröhlich über die Straßen zu ziehen – und anschließend zu McDonald´s -, statt sich in den Klassenräumen mit Mathe, Latein, Bio und Powi (= Politik und Wirtschaft) zu langweilen.

Seit dem erst im Januar aufgedeckten „Geheimtreffen“ im November in Potsdam, wo Mitglieder der Werteunion (und bis dato auch noch der CDU) zusammen mit Protagonisten der AfD über einen Masterplan zum Umsturz unserer freiheitlichen Demokratie, zumindest zur Massendeportation von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund beraten haben sollen, gehen die Massen in Deutschland wieder auf die Straße. Es gilt die Wiederkehr der Nazizeit zu verhindern. Klar, „nie wieder“ soll es ein zweites 1933 geben! Wer wollte derlei Warnungen in den Wind schlagen, wer wünschte sich schon eine Wiederkehr der braunen Pest? Vermutlich noch nicht einmal der AfD-Flügelmann Höcke.

Nie wieder? Das einzige, was sich in Deutschland von Zeit zu Zeit wiederholt, ist die Erregbarkeit von Deutschen, von „Massen“, besser von Bevölkerungsteilen, die vermeinen, die Komplexität des Politischen – der von Machtgebilden, Machtinteressen, Ideologien und Kontingenzen durchwirkten Wirklichkeit – mit der Reinheit ihres Herzens zu durchdringen und zu bezwingen. Emotionalität statt Rationalität.Was die vermeintliche Gefahr einer faschistischen Machtergreifung anno 2024 betrifft, so hilft gegen die endemische Anfälligkeit für nicht rationale Denk- und Verhaltensweisen  keineswegs die schlichte historische Einsicht, dass sich Geschichte nicht wiederholt. Wir können – ex post – allenfalls gewisse Analogien unter anderen historisch-politischen Konstellationen  – feststellen.

Politik von heute lässt sich sinnvoll nicht mit Parolen von gestern machen. Mit gestanzten Begriffen kommt man – in Genese und Zeitumständen – historisch von Grund auf verschiedenartigen Phänomenen nicht auf den Grund. Höcke ist kein Hitler (so wenig wie ein Saddam Hussein – oder ein Milosevic – einer war), Putin ist kein Stalin (auch wenn er ihn geschichtsideologisch aus der Versenkung holt und seine Herrschaftspraxis diktatorisch und brutal ist), Trump ist kein lateinamerikanischer Diktator (auch wenn er Macho-Gebaren zur Schau trägt.)

Eine NS-Machtergreifung steht in Deutschland  nicht bevor. Was wir stattdessen erleben,  ist der Aufstieg der AfD zu einer Partei mit plus/minus 20 Prozent Sympathiewerten in den Umfragen.  In ihnen artikuliert sich der Unmut des „Volkes“, genauer: eines wachsenden Teils der Bevölkerung, über die – als alternativlos propagierten – Fehlentscheidungen der Regierung Merkel und deren Folgen sowie deren Fortsetzung unter der „Ampel“. Was wir erleben, ist, dass das „Volk“ bedrängende Fakten von der politisch-medialen Klasse ignoriert werden.

Noch einmal, auch wenn es die um unser deutsches Seelenheil Besorgten nicht hören, nicht wissen, nicht hören wollen: Der Ausstieg aus der Kernenergie, der Ausbau der sog. „erneuerbaren Energien“, trieb die Stromkosten für Privathaushalte in unzumutbare Höhe, gefährdet die Existenz von Betrieben. Zahllose Menschen müssen mit unzureichenden Renten auskommen und sind von Altersarmut bedroht. Die massenhafte – nicht erst seit der  Merkelschen Grenzöffnung 2015  einsetzende, entgegen allen Deklamationen ungesteuerte Einwanderung („Zuwanderung“) hält unvermindert an. Im Jahr 2023 erreichte die Zahl der Asylanträge mit 351 795 – ohne die vom Asylverfahren freigestellten Ukrainer –  erneut einen  Höchststand. (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/76095/umfrage/asylantraege-insgesamt-in-deutschland-seit-1995/).

Die Zustände in den „Problembezirken“ und den „Brennpunktschulen“ verweisen – von den exorbitanten  Kosten abgesehen – jegliche Rede von „Integration“ in den Bereich des Absurden. Nicht zufällig ist der Begriff „Leitkultur“ in der unendlichen Integrationdebatte verpönt. Er beinhaltet die Akzeptanz der  historischen Last der NS-Vergangenheit für „die Deutschen“ – ein Kollektivbegriff, der in derlei historisch-politischem Kontext einen ethnisch-kulturellen Bezug hat. Der  gegen die „völkische“ AfD zielenden – von Verfassungsschützern wiederholt proklamierten und in mehreren Gerichtsurteilen bestätigten –  postnationalen Definition des Staatsvolkes als einer gleichsam geschichtsfreien,  ethnisch-kulturell heterogenen („diversen“) Gesellschaft liegt ein eklatanter Widerspruch zugrunde. Dem „Verfassungspatriotismus“ der Bundesrepublik – id est dem von „progressiven“ Apologeten der Migration als ideell hinreichend propagierten Bekenntnis zur res publica – liegt eine spezifisch deutsche Geschichte zugrunde, die der Mehrheit der (Im-)Migranten schnurzegal ist. Wie wenig sich – nicht nur –  arabisch-islamische Einwanderer um die „deutsche“ Gedenkkultur scheren, beweisen die Demonstrationen gegen Israel auf deutschen Straßen oder die Hassszenen an deutschen Universitäten. Als zusätzlich erhellende Episode: Bei der jüngsten „Demo gegen rechts“ wurde den Organisatoren empfohlen, den Demonstrationszug bessser um das „Problemviertel“ Marxloh herum zu lenken.

Die Ursachen für die – derzeit dank BSW in den letzten Umfragen leicht abfallenden AfD-Sympathien – liegen offen zu Tage, auch wenn sie selten offen benannt werden. „Integration“ wird neuerdings als Aufgabe der „Aufnahmegesellschaft“, nicht als Anforderung an die „Hinzukommenden“ definiert. Die in den Parallelgesellschaften, in den „Brennpunktschulen“, auf Straßen und Plätzen allenthalben sichtbare  Desintegration der Gesellschaft  wird heruntergespielt oder als „rechte“ Panikmache geleugnet. Statt Fehlentwicklungen zu korrigieren, wird die deutsche Staatsbürgerschaft als politische Billigware gehandelt. Während Migration („Zuwanderung“) als ökonomische Notwendigkeit proklamiert wird, macht man sich wenig Gedanken, warum alljährlich Hunderttausende jüngerer Deutscher  – mit entsprechenden beruflichen Qualifikationen – auswandern, davon 10 000 in die USA. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/06/PD23_249_12411.html. Im Jahr der Wiedervereinigung 1990 zählte Deutschland 79 Millionen Einwohner. Ende 2023 waren es nach soeben veröffentlichter Statistik über 84,7 Millionen. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Wanderungen/_inhalt.html Ein ökonomisch-sozialer Gewinn für das Land? Warum fehlen dann immer noch Hunderttausende von „Fachkräften“?

Seit dem Abgang Merkels ist das Volk den aus Naivität und Ideologie erwachsenen Anmaßungen der „Ampel“ unter grüner Führung – Bundeskanzler Scholz fällt als Führungsfigur faktisch aus – ausgesetzt. Zum „populistischen“ Empfinden der Bürger, von einer abgehobenen Elite dirigiert zu werden, trägt die Konstruktion der EU bei. Vielfach „grün“ eingefärbte Konzepte werden von einem bürokratischen Apparat in Brüssel ausgearbeitet und als „Richtlinien“ in die Mitgliedstaaten lanciert. Die meisten davon werden sodann vom Bundestag gewöhnlich ohne Widerspruch gebilligt und erlangen dadurch Gesetzeskraft. Der jüngste Einspruch der FDP gegen das „Lieferkettengesetz“ bestätigt als Ausnahme nur die Regel.

Gegen diese Art von „demokratischer“  Machtausübung, die – unter immer höheren materiellen Belastungen – in  alle Lebensbereiche – Familie, Geschlecht, Sprache, Erziehung, Bildung, Beruf, Erholung („Kein Bier für Nazis!“), Natur und Landschaftsbild – hineinwirkt, opponierte  – vor dem Auftritt Sahra Wagenknechts und der „Werteunion“ –  als einzige politische Kraft im  Land  die AfD. Sie sammelt die Stimmen derer, die sich von den bis dato dominierenden Parteien nicht – oder nicht mehr – vertreten sehen. Man vergleiche die hohen Stimmenzahlen für die CDU in den östlichen Bundesländern von 1990 bis ca. 2010 mit den heutigen Umfragen und mit den wahrscheinlichen Wahlergebnissen im Wahljahr 2024.

Die Abwendung von den – in ihrer politischen Praxis, selbst in ihrer Programmatik kaum noch unterscheidbaren – Parteien ist nicht auf die AfD beschränkt, findet in deren spektakulärem Aufstieg seit der Bundestagswahl 2021 nur ihre politische Zuspitzung. Der Aufstieg der AFD  bedeutet den Abstieg der anderen, zuvörderst der SPD, aber auch der CDU, FDP und der „Linken“.  Er stellt vor allem die „grüne“ Hegemonie in Frage.

Zur Abwehr der unliebsamen Konkurrenz – und somit der Gefahr des Machtverlusts – bediente  sich die classe politica über Jahre hin des Negativbegriffs „Populismus“. Da diese Formel zur Zurückdrängung der anwachsenden Mißstimmung im Volk offenbar nicht mehr genügt, steigerte man – parallel zu den Umfragen – die Kampfrhetorik gegen die AfD von „Rechtspopulismus“ zu „Rechtsextremismus“. Und: Zeitgleich mit  den  – gegen alle Evidenz – als „rechts“ klassifizierten israelfeindlichen Demonstrationen von Migranten begann die Mobilisierung des –  als moralisch-demokratische Mehrheit („Wir sind mehr!“) umworbenen – Volkes.

Es bleibt abzuwarten, wie lange die Bereitschaft zur Mobilmachung gegen „rechts“ im Volk noch anhält. Da die Regierung keine Anstalten macht, den – vornehmlich aus ungesteuerter  Einwanderung erwachsenen – Probleme  durch verantwortungsvolle, glaubwürdige Politik zu begegnen, wird der Unmut des Volkes – „der Menschen draußen im Lande“ – zunehmen. Die ungelösten – womöglich bereits unlösbaren – kulturell-sozialen und ökonomisch-materiellen Probleme können zu – Konflikten führen, für die keine Lösung bereitliegt.  In derlei Krisenlage droht die wirkliche Gefahr für die Demokratie von Seiten eines autoritär werdenden Staates.

Der Aufforderung zur Abwehr der Gefahr von „rechts“ kam, wie eingangs beschrieben, aus der Nachbarschaft.  Über ähnliche Nachbarschaftshilfe berichtete mir ein guter Bekannter aus Münster Was geschieht, wenn man sich der Einladung verweigert? Mutatis mutandis kann sich Geschichte eben doch wiederholen.

https://herbert-ammon.blogspot.com/2024/02/nachbarschaftshilfe.html

Über Herbert Ammon 101 Artikel
Herbert Ammon (Studienrat a.D.) ist Historiker und Publizist. Bis 2003 lehrte er Geschichte und Soziologie am Studienkolleg für ausländische Studierende der FU Berlin. Seine Publikationen erscheinen hauptsächlich auf GlobKult (dort auch sein Blog https://herbert-ammon.blogspot.com/), auf Die Achse des Guten sowie Tichys Einblick.