Geistige Vorbereiter des Holocaust. Antisemitismus im deutschen Bildungsbürgertum vor 1933

Die klare Trennung von Christen und Juden teilte den Juden einen in jeder Beziehung anderen Status zu.[1] Das IV. Laterankonzil 1215 macht den Juden deutlich Kleidervorschriften, aus denen dann der obligatorische Gelbe Fleck entwickelt wird. Die Juden werden nun auch auf eine soziale Rolle fixiert: auf die des Agenten im Waren- und Geldverkehr, auf letzteren in seiner gefährlichsten Form, den Geldverleih genannten Wucher. In der traditionalen Gesellschaft versucht die herrschaftliche Gewalt den freien Geldverkehr zu begrenzen: Den Christen hatte das III. Lateranische Konzil 1179 verboten, Zinsen zu nehmen. Den Juden hatte man damit ein zweifelhaftes Monopol zugeschanzt: die Geldwirtschaft innerhalb einer agrarischen Traditionsgesellschaft. Als Geldbesitzer, bei denen die christliche Umwelt verschuldet war, waren sie vorzügliche Objekte gewalttätiger Begierde: der Herren wie der christlichen Untertanen. Da es überhaupt keine Vergleichsmaßstäbe gab und das Risiko für den Verleiher ungeheuer war, setzte sich das Wort Wucher für jede Zinsnahme fest. Das ökonomische Vorurteil im modernen Antisemitismus hat seine materielle Basis in der verschleierten vorkapitalistischen Ökonomie. Der Konzilsbeschluss über den jüdischen Wucher schränkte gerade den jüdischen Zins ein und machte ihn kalkulierbar; der stille Profiteur des Zinsverbotes war die Kurie, besonders zur Zeit der Kreuzzüge. Das gefährliche Zinsgeschäft hatte noch eine andere Seite: Die Juden, denen agrarische Tätigkeit unmöglich gemacht wurde, mußten ihr Gewerbe ausüben als servi camerales – als Kammerknechte. Die Knechtschaft war total, denn die Juden wurden zu waffenlosen Schutzbedürftigen: „Wer das Waffenrecht verloren hat, ist in seiner rechtlichen und sozialen Umstellung herabgedrückt und nach germanischer und mittelalterlich- deutscher Auffassung Unfreier, Knecht und in vollständige Abhängigkeit von seinem Herrn gebracht.“[2] Die jüdische Existenz im agrarischen Europa ist seitdem abhängig vom Geldgeschäft. Nur aus dessen Profiten können die Schutzgelder an die Herren bezahlt werden. Unter den Gezeichneten bildet sich eine ganz besondere Moral aus, die auf die Verfolgung und Verbannung in die Zirkulationssphäre reagiert: „Es ist die Religiösität der 'Frommen Deutschlands', wesentlich formuliert von dem 1207 gestorbenen Juda ben Samuel im 'Buch der Frommen'. Die 1096 aufgezwungene Alternative 'Tod oder Taufe' wird darin mit der Aktivierung der Theologie des Kidusch ha-schem, der 'Heiligung seines Namens', beantwortet, die die Selbsttötung in der Verfolgung zur unbedingten Forderung erhebt, Selbstverteidigung (wie sie 1097 geübt wurde) ablehnt und Selbsttötung als Askese, Weltabkehr, Fatalismus und rigorose Lebensverneinung verinnerlicht.“ Schon dieses Zitat macht deutlich, wie sehr die radikale Abkehr von Gewalt die traditionellen Denkschemata sprengt. Die aschkenasischen Juden haben sich dem Gleich für Gleich traditioneller Gewalt entzogen und alle Verfolgungen bis in die Moderne überlebt: Die Verfolger empfinden diese Tatsache als unheimlich. Der moderne Antisemitismus wird die Juden als feige beschimpfen; die Auseinandersetzungen um die Kriegsteilnahme von Juden reichen von den sogenannten Befreiungskriegen bis in den ersten Weltkrieg.[3]
Wie sehr die Stellung zur Gewalt von der gesellschaftlichen Lage abhängt, zeigt die Geschichte der sephardischen Juden. „Die Juden der frühen Neuzeit waren keine einheitliche Gruppe. Sie waren durch ihre Jahrhunderte währende Akkulturation an das arabische und christliche Spanien und an den deutschsprachigen Raum Mitteleuropas in zwei große Kulturen geschieden, die Sephardim und die Aschkenasim (von hebräisch spharad = Spanien, bzw. aschkenaz = Deutschland), also in eine spanisch- und eine deutschsprachige Gruppe. Die Sephardim erlebten als Teil der islamischen Kultur des mittelalterlichen Spanien eine kulturelle und wirtschaftliche Blüte, die sich nur mit der hellenistischen und der deutsch-jüdischen Periode der Emanzipationszeit vergleichen läßt.
Das IV. Laterankonzil beschäftigte sich schon damit, die Juden aus hohen Ämtern fernzuhalten.[4] Das galt nicht für Deutschland, sondern für das christlich werdende Spanien. In der Reconquista, der christlichen Eroberung des islamischen Spanien, die vor den Kreuzzügen des 11. Jahrhunderts schon das Modell des Heidenkrieges abgab, geht es um die Durchsetzung christlicher Herrschaft in Spanien. In dem Kampf gegen den Islam sind aber die kastilischen Könige zu schwach, ihr gewonnenes Land allein mit christlichen Herren zu verwalten. Die Juden, die im islamischen Spanien schon eine kulturelle und wirtschaftliche Blüte erlebten, waren sogar weit besser geeignet als die christlichen Krieger und Abenteurer, ein geordnetes gesellschaftliches Leben zu organisieren. Die Kurie versuchte auch hier, mit den Beschlüssen des IV. Laterankonzils die christliche Herrschaft exklusiv durchzusetzen.
Zunehmend verstärkt sich im 13. und 14. Jahrhundert, was man Subreconquista genannt hat. Spanien sollte durch den Druck des Heiligen Stuhls an das übrige Europa angeglichen werden: „Solange die eigentliche Reconquista im vollen Gange war und die militärische Streitmacht der Christen sich auf eine im Wesentlichen von Juden wahrgenommene Verwaltung stützte, dachte jedoch in dem Spanien der drei Religionen niemand daran, an die traditionellen Strukturen zu rühren. Wie wir schon gesagt haben, verwandten die Kirchenfürsten und die Führer der militärischen Orden, ganz wie die Könige, die Juden als Verwaltungsbeamte und Finanzfachleute. „[5] Man lebte so eng zusammen, daß die Kirche sich nicht scheute, den Zehnten auch von den Juden zu nehmen – sie also als Mitglieder der Kirchengemeinden betrachtete. Der Neid gegen die Juden wurde jedoch geschürt; als sichtbare Zeichen ihrer Blüte unter dem Islam existierten noch die Aljamas, die nicht mit den europäischen Gettogemeinden zu vergleichen waren. Der Druck nahm zu, obwohl oder gerade weil sich im Laufe der Jahrhunderte viele gemeinsame Rituale und Praktiken zwischen den drei unterschiedlichen Religionen entwickelt hatten.[6]
Im 13. und 14. Jahrhundert kam es zu zahlreichen schweren Judenpogromen und Vertreibungen der Juden. 1221 wurde die jüdische Gemeinde in Erfurt ausgelöscht, 1235 folgte die in Fulda, 1285 die in München. 1264 wurden englische Juden Opfer eines Pogroms in London. In sämtlichen Fällen ging dem Pogrom der Vorwurf eines angeblichen Ritualmords voraus.
1290 vertrieb König Eduard I. von England alle Juden aus seinem Reich. 1306 tat Philipp IV. es ihm in Frankreich nach. Ludwig X. erlaubte 1315 die Rückkehr der französischen Juden. 1394 wurden sie unter Karl VI. endgültig vertrieben. Die meisten aus England und Frankreich Vertriebenen flohen zunächst in das Heilige Römische Reich, in deutsche oder italienische Gebiete. Dort waren sie keineswegs überall vor Verfolgung sicher. Sie wurden in den europäischen Königreichen und Fürstentümern nur geduldet, solange sie den Herrschern wirtschaftlichen Nutzen brachten.
Im deutschsprachigen Raum kam es während des „Rintfleisch-Pogroms“ (1298) und der „Armledererhebung“ (1336–1338) zur Judenverfolgungen, die die gesamte Region Franken erfassten, sich darüber hinaus ausbreiteten und durch zahlreiche Pogrome gekennzeichnet waren.
1348 brach die Pest in weiten Teilen Mitteleuropas aus. Sofort kam das Gerücht auf, die Juden hätten „Brunnen vergiftet“ und dadurch die Seuche ausgelöst. Daraufhin erreichten die Judenverfolgungen einen grausamen Höhepunkt.[7] Angesichts des um sich greifenden Zerfalls der Autoritäten, die hilflos gegenüber dem „Schwarzen Tod“ waren, fand die Bevölkerung in den Juden den geeigneten „Sündenbock“. Die Massenmorde an den Juden wurden aber nicht nur durch religiösen Hass, Aberglauben und politische Unfähigkeit verursacht. Hinzu kamen Interessen verschuldeter Adeliger und Bürger, die eine willkommene Gelegenheit sahen, ihre Gläubiger loszuwerden. Kaiser und Papst versuchten ihre Pflichten als Schutzherren der Juden wahrzunehmen und diese zu schützen. Clemens VI. argumentierte erstmals rational: „Die Pest wüte auch dort, wo keine Juden lebten, und raffe auch sie dahin, wo sie lebten“.[8] Er verbot das Hinrichten von Juden ohne Gerichtsverfahren. Das half ihnen jedoch nur in Avignon. 1349 kam es in vielen Städten noch vor Ausbruch der Pest zu Massakern an Juden, oft angeheizt durch die Flagellanten. Zeitgenössische Quellen berichten auch von häufigen Selbstmorden ganzer Judengemeinden vor der ihnen angedrohten Verbrennung. Ein Jahr darauf lebten nur noch wenige Juden in Mitteleuropa. Nur in Spanien, Österreich und Polen erreichten die Herrscher ein vorzeitiges Ende der Pogrome.
Mit der großen Pest im 14. Jahrhundert, der über ein Drittel der europäischen Bevölkerung zum Opfer fiel, war „die Zeit der Plagen“ angebrochen und für viele war der Glaube an das „Ende aller Tage“ eine unmittelbar bevorstehende Tatsache.[9] Mit Kapuzen verhüllte Geißler zogen durch das Land und forderten die Menschen auf zu bereuen, bevor es zu spät sei und die Juden sich endlich zum Christentum zu bekennen, wenn sie nicht sterben wollten. Immer mehr skurrile Geschichten schrieben den Juden zu, die Christen vernichten zu wollen, indem sie als Teufelsdiener des Bösen mächtig seien und Krankheiten sowie Hungersnöte über das Land verbreiten würden.
Ihren Höhepunkt erreichte die Judenhetze allerdings mit Martin Luther.[10] Auf ihn geht nicht nur die Ausdehnung der Glaubensfreiheit zurück, sondern auch das Wiedererwecken des früheren Hasses der Urchristen.
Anfangs getrieben von falscher Hoffnung alle Juden rasch bekehren zu können, wurde er „ein ungleich grausamerer und gehässigerer Feind der Juden“.[11] Seine Beschreibungen der Juden übertrafen alle je existierenden Mythen. Die katholischen Kirchenführer gestatteten „den Juden, in Frieden unter den Christen zu leben, schrieb Luther, und diese revanchierten sich durch Wucher, Brunnenvergiftung und indem sie bei ihren satanischen Ritualen christliche Kinder ermordeten“. Seiner Meinung nach könnten die Juden ebenso wenig bekehrt werden, wie der Teufel selbst und nur ihr Tod sei die endgültige Lösung der „Judenfrage. Mit seiner vielzitierten Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ veröffentlichte Luther 1543 ein „übles Traktat, in dem er die Juden beschuldigte, die Weltherrschaft erringen zu wollen“ und nahm „die Argumentation der Rassisten des 19. Jahrhunderts vorweg, die (…) ebenfalls die Ansicht vertraten, daß die Juden aufgrund ihres Blutes weder assimilierbar noch bekehrbar seien“.[12] Luther brachte somit einen tief empfundenen Volksglauben zum Ausdruck, wie nirgends ein anderer in Europa und sprach somit für „Millionen von Bauern und ländlichen Handwerkern, die in der ganzen neuzeitlichen Geschichte Deutschlands (…) Bewegungen bilden sollten, (…), die schließlich den Nationalsozialismus unterstützen sollten“.[13]
Unter der Gegenreformation seitens der Katholiken, mit ihren verheerenden Religionskriegen, hatten auch die wenig übrig gebliebenen Juden zu leiden. Ihr Dasein war zum Vagabundieren herabgesunken, die überall Schutz suchten, wo sie nur konnten und letztendlich in Ghettos zusammengetrieben leben mussten. Innerhalb dieser Ghettos wurden ihnen sämtliche Sondersteuern auferlegt und außerhalb durften sie sich nur mit Sondergenehmigungen aufhalten. Mit einer geringen Zahl an Genehmigungen für Ehen sollte zudem ihre „Vermehrung“ eingeschränkt werden. Diese Ghettoisierung der Juden im 16. Jahrhundert hielt sich in Mitteleuropa bis zum 18. Jahrhundert.
Luthers „Judenschriften“ bildeten zwar nur einen geringen Bruchteil seines Werks, gehörten aber im 16. Jahrhundert wegen seiner Popularität zu den meistgelesenen Texten zum Thema Juden. Ab 1523 prägten sie das Judenbild des Luthertums. Daß Jesus Christus ein geborener Jude sei wurde damals mit zehn deutschen und drei lateinischen Ausgaben, Vom Schem Hamphoras in sieben, die übrigen Schriften über Juden in jeweils zwei deutschen und einer lateinischen Ausgabe gedruckt. Buchdruck und Druckgrafiken verbreiteten Luthers Aussagen weit, so dass sie Judenhass in der Bevölkerung fördern und literarisch weiterwirken konnten.
Zunächst folgten begrenzte Versuche einer Judenmission. Luthers Freund und Übersetzer Justus Jonas vertrat 1538 die Meinung: Die Päpste hätten das Studium der hebräischen Bibel vernachlässigt und damit die Juden verachtet. Die Reformation habe mit ihrer Bibel auch den Wert des Volkes Israel wiederentdeckt. Die Juden könnten Jesus Christus aus dem Eigensinn des Alten Testaments erkennen. Darum müsse sich die Kirche unablässig für deren Rettung einsetzen.
Mit dieser Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ begann Luthers Serie judenfeindlicher Schriften von 1543, die denselben Zweck verfolgten: das Judentum theologisch vollständig zu entkräften und zu verteufeln, um die Vertreibung der Juden aus allen evangelischen Gebieten durchzusetzen.[14] In einer Tischrede von 1542 wandte er sich hier auch gegen das „Judaisieren“ christlicher Hebraisten. In der Erstausgabe gab er an, ein (ungenannter) Rabbiner habe seine Sabbatherschrift zu widerlegen versucht und ihn dabei auf ein Buch hingewiesen, das ein Gespräch eines Juden mit einem Christen enthalte, in dem der Christ „abwesend“ sei. Damit kann er Sebastian Münsters Schrift Messias Christianorum et Judaeorum Hebriace & Latine von 1539 gemeint haben: Diese gab dem jüdischen Gesprächspartner Raum zur Entfaltung seiner rabbinischen Messiasvorstellungen, talmudischen und kabbalistischen Exegese. Der Christ stellt dem nur christlich gedeutete Altes-Testament-Stellen gegenüber, ohne den Juden zu überzeugen.[58]
Luther erklärte zu Beginn, er wolle die Juden nicht mehr bekehren, weil dies so wenig möglich sei wie beim Teufel. Er lehnte Disputationen mit Juden und das Erlernen ihrer Bibelexegese ab, weil dies sie erfahrungsgemäß nur in ihrem Glauben bestärke und ermutige, Christen „an sich zu locken“.[15] Er wolle nur noch „unseren Glauben stärken und die schwachen Christen vor den Juden warnen“, also nur ihnen selber die „unsinnige Narrheit“ des jüdischen Messiasglaubens beweisen. Dazu genüge das Neue Testament, so dass man das „verdammte Glossieren“ (fälschende Auslegen) der Juden von vornherein zurückweisen solle. Eine rein philologische Bibelexegese verfehle die eigentliche Aufgabe, das Christuszeugnis des AT herauszustellen. Diese christologische AT-Exegese führte Luther im ersten Teil im Kontrast zu Münsters Dialogschrift vor.
Er beschrieb zunächst den „Hochmut“ der gegenwärtigen Juden, ihren Erwählungsanspruch: Sie hielten sich aufgrund Abstammung, Beschneidung, Tora, Land- und Tempelbesitz für Gottes Volk, obwohl sie doch wie alle Menschen als Sünder unter Gottes Zorn stünden. Anhand von fünf AT-Stellen versuchte er dann, die Messianität Jesu Christi zu beweisen. Im dritten Teil beschrieb er jüdische Polemik gegen ihn und die Christen. Im letzten Teil zog er praktische Folgerungen daraus. Schon in die theologischen Anfangsteile ließ er laufend viele damalige Stereotype einfließen:
Juden seien blutdürstig, rachsüchtig, das geldgierigste Volk, leibhaftige Teufel, verstockt. Ihre „verdammten Rabbiner“ verführten die christliche Jugend wider besseres Wissen, sich vom wahren Glauben abzuwenden. Man beschuldige sie, Brunnen zu vergiften, Kinder wie Simon von Trient zu rauben und zu ermorden; falls dies nicht zutreffe, seien sie aber bereit dazu. Denn wenn sie etwas Gutes täten, dann nicht aus Liebe, sondern aus Eigennutz, weil sie bei den Christen wohnen müssten. Sie hielten nicht einmal die Zehn Gebote, machten sich zu Herren der Christen, beuteten sie aus und verhöhnten sie, obwohl es ihnen jetzt besser gehe als im Königreich Israel.[16]
Ab 1543 gab man meist dem „Schutz“ der Christen vor angeblicher Gefährdung durch Juden Vorrang.[17] Die meisten evangelischen Fürsten wollten sie jedoch als Wirtschaftsfaktor und Einnahmequelle behalten und ignorierten darum Luthers Forderungen. Das Kurfürstentum Sachsen erneuerte und verschärfte 1543 das Durchreise- und Aufenthaltsverbot für Juden von 1536. Einige Monate nach Luthers Tod wurden die Juden aus Braunschweig und weiteren Städten vertrieben. Sein Klischee jüdischer Ärzte führte zur Verbannung von jüdischen Medizinern von einigen evangelischen Universitäten.1547 vertrieb der Graf von Mansfeld die Eislebener Juden wie verlangt aus der Stadt. Landgraf Philipp von Hessen ordnete eine Talmudverbrennung an, verbot Juden das Zinsnehmen und setzte einen Inquisitor ein; die Vorschriften wurden dennoch nicht umgesetzt. Das Stereotyp des jüdischen „Gebetsfrevels“ statt des Hostienfrevels gab im evangelischen Raum oft den Ausschlag, Juden zu vertreiben.[18]
Auch die meisten Reformatoren folgten Luthers Forderungen nicht, obwohl sie das Judentum theologisch wie er als überholte, feindliche Gesetzesreligion einordneten.[19] Philipp Melanchthon verbreitete Luthers Schriften von 1543 als „nützliche Lehre“. Wolfgang Capito unterstützte Josel von Rosheims Vorstoß zur Aufhebung des Durchzugsverbots in Sachsen. Heinrich Bullinger nannte Luthers Schriften von 1543 „sehr schmutzig geschrieben“. Sie enthielten zwar manches „zur Verteidigung des Christentums nicht unnütze, aber er hat diesen schönen und dankbaren Stoff entstellt und geschändet durch seine schmutzigen Ausfälle und durch die Scurrilität, die Niemanden, am wenigsten einem bejahrten Theologen, ansteht.“ Das „schweinische, kotige Schemhamphoras“ hätte auch dann, wenn es ein Schweinehirt und kein berühmter Seelenhirt verfasst hätte, „wenig Entschuldigung“. Er lehnte auch Luthers Vorwurf des „Judaisierens“ darin ab und befürwortete eine wortgetreue Exegese des Alten Testamentes, da sonst auch das Neue Testament unglaubwürdig werde. Antonius Corvinus und Caspar Güttel hielten die Solidarität der gemeinsamen Schuld von Juden und Christen vor Gott fest. Urbanus Rhegius bemühte sich in seiner Region um eine gewaltlose Judenmission. Martin Bucer und Ambrosius Blarer forderten strenge Knechtschaft, nicht aber Vertreibung der Juden. Huldrich Zwingli sah sie als direkte Urheber katholischer Riten und Kriege und lastete ihnen wie Luther absichtliche Schriftverderbnis an. Das blieb politisch folgenlos, da in seiner Region kaum Juden lebten.[20]
Andreas Osiander hatte den Ritualmordvorwurf 1529 in einer anonymen Schrift anhand der Toragebote, die den Blutgenuss verbieten, widerlegt, mit Hinweis auf die tägliche Toralesung und vorbildliche Torabefolgung der Juden für unglaubwürdig erklärt und die finanzielle Verschuldung von Christen als Ursache vieler Judenpogrome benannt Er blieb damit im evangelischen Raum ein Außenseiter. Weil Luther jüdische Ritualmorde 1543 anders als 1523 wieder für möglich oder wahrscheinlich erklärt hatte, erinnerte man sich im Protestantismus noch lange an derartige Vorwürfe.
Mit der Hetzschrift „Judenfeind“ (1570) knüpfte der Gießener Pastor Georg Nigrinus an Luthers aggressive Polemik von 1543 an.[21] Zudem erhob er den Vorwurf des Hostienfrevels, auf den nach der Peinlichen Halsgerichtsordnung von 1532 die Todesstrafe stand. Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel empfahl seinem Bruder Ludwig IV. von Hessen-Marburg brieflich, das „schlechte Werk“, das nur von anderen abgeschrieben sei, einzuziehen. 1577 gab der Leipziger Superintendent Nikolaus Selnecker, Mitautor der Konkordienformel, Luthers „Judenschriften“ von 1538 und 1543, seinen Brief an Josel von Rosheim und eine anonym verfasste Liste „schrecklicher Gotteslästerungen“ der Juden als Buch für evangelische Hausväter heraus. Er kommentierte: Weil das Wirtschaftsverhalten von getauften wie ungetauften Juden derart verdorben sei, seien sie ebenso wenig wie „der Teufel und seine Mutter selbst“ zu dulden. Sie seien besonders gefährliche Feinde der Lutheraner, da sie überall gesellschaftlich aufgestiegen seien, während die wahre Lehre „greulichen Schiffbruch gelitten“ habe.[22]
Das kirchliche Mittelalter hatte Juden prinzipiell eine jenseitige Erlösung offengehalten, die sie durch die Taufe schon in diesem Leben erreichen konnten. Deshalb wurden jüdische Gemeinden zeitweise geduldet und von manchen Päpsten und Kaisern ausdrücklich geschützt. Freiwillig getaufte Juden waren vor weiterer Verfolgung meist relativ sicher. Nur bei Zwangstaufen behielten andere Christen Vorbehalte gegen sie, besonders in Spanien: Nach der Massenvertreibung der spanischen Juden durch das Alhambra-Edikt von 1492 verfolgte die spanische Inquisition die im Land gebliebenen „Conversos“ als „Schweine“ (marranos) und begründete dies mit dem rassistischen Ideal der „Reinheit des Blutes“ (limpieza de sangre).
Dieses Muster wiederholte sich im 19. Jahrhundert gegen die Judenemanzipation. Schon 1790 entwickelte der Göttinger Popularphilosoph Christoph Meiners (1747–1810) ein Rangsystem der Rassen, das Juden zwar über „Orang-Utans“, „Negern“, „Finnen“ (Lappen) und „Mongolen“ einstufte, aber unter Weißen und Christen.[23] Deshalb stünden ihnen weniger Rechte als diesen zu. Seit Ernest Renan wurde es zunehmend üblich, Juden als „Semiten“ einen Mangel an Zivilisiertheit nachzusagen. Frühe Antisemiten wie Grattenauer und Hartwig von Hundt-Radowsky beschrieben Juden direkt als Affen, um ihnen die Menschenrechte abzusprechen und ihren Emanzipationsprozess, ihr Streben nach Bildung und Aufklärung als von vornherein lächerlich und illusorisch abzuwerten.
1853 unterschied Arthur de Gobineau mit dem Aufsatz Die Ungleichheit der Rassen „Arier“ von angeblich minderwertigen „semitischen und negriden Rassen“.[24] 1858 begründete Charles Darwins Aufsatz Über die Entstehung der Arten die Evolutionstheorie und moderne Genetik mit den Prinzipien Variation, Vererbung und Selektion: Der „Kampf ums Dasein“ führe zu einer Auslese der dem Überleben angepasstesten Arten. Dies übertrugen Rassisten auf die Völkergeschichte: Sie sei als ewiger Kampf zwischen höheren und niedrigeren Rassen zu deuten. Das ermöglichte Antisemiten, die „Judenfrage“ mit pseudobiologischen Argumenten als Rassenproblem zu propagieren.[25]
So schrieb der österreichische Kulturhistoriker Friedrich von Hellwald (1842–1892) 1872 in einem Zeitungsartikel, Juden seien aus Asien eingewanderte Fremdrassige; dies würden Europäer „instinktiv“ spüren. Das sogenannte Vorurteil gegen Juden sei also durch zivilisatorischen Fortschritt nie zu überwinden. Als Kosmopolit sei der Jude dem „ehrlichen Arier“ an Schläue überlegen. Von Osteuropa aus grabe er sich als Krebsgeschwür in die übrigen europäischen Völker ein. Ausbeutung des Volkes sei sein einziges Ziel. Egoismus und Feigheit seien seine Haupteigenschaften; Selbstaufopferung und Patriotismus seien ihm völlig fremd.[26]
Nach der rechtlichen Gleichstellung der Juden überhöhten Antisemiten den rassischen zum welthistorischen Gegensatz: „Arier“ galten als zur Weltherrschaft berufen, „Semiten“ als ihre zur Unterlegenheit bestimmten Konkurrenten, die gleichwohl zur Zeit noch über die Arier herrschten. Der Nationalökonom Eugen Dühring (1833–1921) begründete dies mit seinem populären Buch Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage (1881), das eine Art Bibel für Antisemiten wurde.[27] Er erklärte die „Selbstsucht“ und „Machtgier“ der Juden als unveränderbare Erbanlage und verband damit antichristliche und antikapitalistische Motive: Die Bibel sei eine vom „Asiatismus“ durchtränkte Religionsurkunde. Juden seien „Drahtzieher“ der Krisenphänomene und sozialen Missstände der Industrialisierung. Als einer der Ersten sprach er von einer „Endlösung“. Da diese vorläufig nicht möglich sei, solle man die Juden wieder in Ghettos zwingen und dort überwachen. Ziel aber bleibe: „Der unter dem kühlen nordischen Himmel gereifte nordische Mensch hat die Pflicht, die parasitären Rassen auszurotten, wie man eben Giftschlangen und wilde Raubtiere ausrotten muss!“[28]
Diese seit dem Mittelalter bekannten Sprachbilder der Entmenschlichung passten die Antisemiten der wissenschaftlichen Sprache der Bakteriologie, Mimikry-Theorie und Rassenlehre an. Juden wurden immer mehr nicht nur mit Blutsaugern, Krebsgeschwüren, Schmarotzern, Seuchen, Ungeziefer, Volksschädlingen, wuchernden Schlingpflanzen usw. verglichen, sondern identifiziert. Stand im mittelalterlichen Aberglauben hinter ihnen der Teufel, also eine letztlich unbesiegbare dämonische Macht, so wurde es mit dem medizinisch-technischen Fortschritt denkbar, sich dieser „menschlichen Viren“ radikal zu entledigen.[29]
Das verschloss Juden jede Möglichkeit, sich sozial anzupassen. Denn auch getaufte Juden blieben nun Juden, die von Vorfahren mit jüdischer Religion abstammten, egal ob und wie lange ihre Vorfahren schon Christen waren. Damit war die Religionszugehörigkeit für Antisemiten nur noch als pseudobiologisches Merkmal wichtig, das Judesein zum unentrinnbaren Schicksal machte. Die Juden zugeordneten negativen Erbanlagen erschienen durch keinerlei Erziehung, Bildung, Integration und Emanzipation veränderbar. So wurde ihre völlige Vertreibung oder Vernichtung in ganz Europa als einzig realistische „Lösung der Judenfrage“ nahegelegt.
Der Rassismus untermauerte auch sonst die Ablehnung fremder Völker nach außen und ethnischer oder anderer Minderheiten nach innen. So wuchs parallel zum Antisemitismus in ganz Europa der Hass auf Minderheiten. In Deutschland richtete sich diese z.B. gegen „Zigeuner“ oder Sorben.[30]
Darwin distanzierte sich 1880 von diesem politischen Missbrauch seiner Theorien. Nach seinem Tod 1882 wurden diese jedoch immer stärker rassistisch umgedeutet. Man redete nun von der „Zersetzungskraft jüdischen Blutes“ und zählte auch „Halb“- oder „Viertel“-Juden zum Judentum, während die „arische Rasse“ immer stärker zur einheitsstiftenden Idee wurde. Deren „Notwehr“ gegen die Juden wurde als Naturgesetz dargestellt. Damit wurde das Recht des Stärkeren gegenüber Natur- und Menschenrecht deterministisch legitimiert. So forderte z.B. Paul de Lagarde (1827–1891) in Juden und Indogermanen 1887 die Einheit von „Rasse und Volk“ unter Ausschluss des Judentums. Er beklagte, dass in Berlin mehr Juden lebten als in Palästina, und forderte, „dies wuchernde Ungeziefer zu zertreten“: „Mit Trichinen und Bacillen wird nicht verhandelt, Trichinen und Bacillen werden auch nicht erzogen, sie werden so rasch und so gründlich wie möglich vernichtet.“[31]
Auch Wilhelm Marr verwendete 1879 das Bild von den Jesusmördern und sprach kulturpessimistisch von einem Sieg des Judenthums über das Germanenthum, wobei er die Juden als „eigene Rasse“ darstellte.[32]
1899 forderte Houston Stewart Chamberlain (1855–1927) in seinem Buch Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts als Erster die „Reinheit der arischen Rasse“ gegen „Vermischung“.Das Buch las Kaiser Wilhelm II. persönlich seinen Kindern vor und empfahl es als Lehrstoff für die Kadettenschulen.
In den 1920er Jahren erreichte die Massenproduktion rassistischer und antisemitischer Traktate, Bücher und Neuauflagen neue Höhepunkte.[33] In Deutschland wurden z.B. die Schriften von Hans F. K. Günther populär: Rassenkunde des deutschen Volkes, Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes und Rassenkunde des jüdischen Volkes. Die „Vergleiche“, die Günther anstellte, liefen darauf hinaus, dass die „nordische Rasse“ die höchstentwickelte, aber auch die in ihrem Bestand gefährdetste sei. Seine Theorien wurden zeitweise zur maßgeblichen ideologischen Grundlage der nationalsozialistischen Rassenpolitik, die nicht nur zum Holocaust an den Juden und den Völkermord an den als „Zigeuner“ Verfolgten, sondern auch zur Ermordung zahlloser Angehöriger der als minderwertig diskriminierten slawischen Völker führte. Allerdings hielt Günther selbst das Thema Judentum für untergeordnet und meinte bereits in den zwanziger Jahren, der Begriff des „Ariers“ sei veraltet. Das hinderte ihn allerdings nicht, sich in seiner Rassenkunde ausgiebig antisemitischer Klischees zu bedienen. Sein Wunsch war, dass die Juden nach „Palästina oder ein anderes, ihren Erbanlagen angemessenes Gebiet“ auswandern.[34]
Das deutsche Volk sollte „aufgenordet“ werden. Das Wort „Aufnordung“ hatte er von Ludwig Ferdinand Clauß übernommen, der damit allerdings keine Züchtungsgedanken, sondern eine gesellschaftliche Förderung bestimmter, von ihm als „nordisch“ (nord-west-europäisch) aufgefasster Kulturelemente verband.[35] Bei Günther wurde dieser ursprünglich rein kulturell gedachte Prozess biologisch umgedeutet und in diesem Zusammenhang so prominent, dass die ursprüngliche Bedeutung nahezu in Vergessenheit geriet. Die Leitsätze der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene stellten dabei für Günther in seinem Buch Der nordische Gedanke unter den Deutschen, 2. Auflage 1927, nur die Mindestforderung dar. Dort war langfristig die Zwangssterilisation „minderwertiger“ Menschen sowie deren schnellstmögliche Isolation in Arbeitslagern vorgesehen. Günther befürwortete nicht nur in weitem Umfang Zwangssterilisationen von Menschen mit „minderwertigen Erbanlagen“, sondern auch Zwangsabtreibungen oder die zwangsweise Expatriierung beispielsweise der damals so genannten „Rheinlandbastarde“, Kindern von schwarzafrikanischen französischen Besatzungssoldaten und deutschen Müttern. Er war somit einer der Vordenker der nationalsozialistischen Rassenhygiene.
Die Bedeutung des rassistischen Antisemitismus wird verschieden beurteilt. Manche Historiker sehen in den Rassenlehren jene Steigerung des überkommenen Judenhasses, die den Nationalsozialismus vorbereiteten. Andere, etwa Mark Weitzmann vom Simon Wiesenthal Center, betonen, sie hätten dem bestehenden Antijudaismus nur einen „rassistischen und wissenschaftlichen Glanz“ hinzugefügt.[36]
Ein religiös motivierter Antijudaismus war bereits in der Antike verbreitet, machte sich vor allem im Mittelalter bemerkbar und fand seinen Ausdruck in der Errichtung von Ghettos, Kennzeichnungen („Judenfleck“), Zwangstaufen und Verfolgungen.[37] Nie erloschen ist der seit Beginn der frühen Neuzeit erhobene Vorwurf, der Jude sei von Natur aus ein Geldmensch, ein „Wucherer“ und „Blutsauger“. Dabei ist es nicht schwer zu erklären, dass Juden seit dem Mittelalter aus der wirtschaftlichen Gesellschaft des „christlichen“ Kaufmannsstandes systematisch herausgedrängt und ihnen „unehrliche“ Berufe zugewiesen wurden. Wirtschaftliche Judenfeindschaft ist eine Folgeerscheinung der gesellschaftlichen Ausgrenzung und fordert die Beschneidung jüdischen Einflusses in der Wirtschaft. Der kulturelle Antisemitismus wendet sich gegen die Beschäftigung von Juden mit nichtjüdischem Kultur- und Gedankengut und ihre Beteiligung an kulturtragenden Institutionen. Der neuzeitliche Judenhass nahm alte Begriffe wieder auf wie: „Christuskreuziger“, „Ungläubige“, „Volksschädlinge“, „Kulturzersetzer“, „Untermenschen“, „Weltverschwörer“.[38]
Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799) schrieb, „der Jude“ sei „ein unersättlicher, habgieriger Betrüger, besessen von einem skrupellosen Handels- und Schachergeist“, amoralisch, gerissen, hinterhältig und schmarotzerhaft.[39] Er halte sich für viel zu intelligent, sei aber „ausgesprochen anpassungsfähig, nutzlos und schädlich für die Umwelt“, ein Beispiel des Bösen und Minderwertigen. Er verglich Juden in seinen Sudelbüchern öfter mit Sperlingen, die damals als schlimme Flurschädlinge galten und massenhaft bekämpft wurden. Andererseits trat er für befreundete Juden ein.
Immanuel Kant (1724–1804) nannte in Tischgesprächen Juden „Vampyre der Gesellschaft“. Sie seien „durch ihren Wuchergeist seit ihrem Exil in den nicht unbegründeten Ruf des Betruges (…) gekommen“ seien.[40] Obwohl er biblische Grundgedanken der Tora in seinem Sittengesetz vernunftgemäß entfaltete und die rabbinischen Traditionen kaum kannte, hielt er das Christentum für sittlich überlegen, grenzte es scharf gegen das Judentum ab, verlangte von Juden die Abkehr von biblischen Ritualgesetzen und ein öffentliches Bekenntnis zur ethischen Vernunftreligion. Erst dann könnten sie Anteil an allen Bürgerrechten erhalten.
Johann Gottfried Herder (1744–1803) hielt die Juden für „verdorben“, „ehrlos“ und „amoralisch“, aber durch Erziehung zu bessern. Er deutete ihre Diaspora-Situation als Unfähigkeit zu einem eigenen Staatsleben und prägte den oft zitierten Satz, Juden seien seit Jahrtausenden „eine parasitische Pflanze auf den Stämmen anderer Nationen“. Er forderte die Abkehr von ihrer Religion als Voraussetzung für ihre nationale und kulturelle Integration.[41]
Der Philosoph Johann Fries wollte das „Judentum ausrotten“ und kann somit als Vordenker des Holocausts bezeichnet werden.[42] Seine wichtigste Abhandlung, die Neue oder anthropologische Kritik der Vernunft von 1807, war ein Versuch, der kritischen Theorie von Immanuel Kant in der Selbstreflexion und dem „Selbstvertrauen der Vernunft“ eine neue Grundlage zu geben; sie hat Fries den Vorwurf des Psychologismus eingetragen, wie mehrfach nachzuweisen versucht wurde, allerdings zu Unrecht. 1811 erschien sein System der Logik und 1814 Julius und Evagoras, ein philosophischer Roman. Nach seiner Berufung nach Jena auf den Lehrstuhl der theoretischen Philosophie (einschließlich Mathematik und Physik und neuerer Philosophie) unternahm er einen Kreuzzug gegen den vorherrschenden Romantizismus.
Politisch war Fries ein erklärter Liberaler, Nationalist und Unionist, der auf vielfältige Weise die Burschenschaften unterstützte. Seine Ansichten legte er in der Schrift Von deutschem Bund und deutscher Staatsverfassung (1816) dar, die er „der Jugend von Deutschland“ widmete; 1817 trat er auf dem Wartburgfest als Redner auf. 1819 beendeten die durch die Repräsentanten der deutschen Regierungen verabschiedeten Karlsbader Beschlüsse sein universitäres Wirken.
In seiner Polemik Über die Gefährdung des Wohlstandes und Charakters der Deutschen durch die Juden (1816) äußert er sich antijüdisch; während er zunächst zwischen Judentum („Judenschaft“) und Juden unterscheidet, bezieht er seine negativen Beschreibungen im Folgenden auch auf Individuen. Er befürwortet, dass ein Zeichen an ihrer Kleidung sie von der restlichen Bevölkerung unterscheide. Zudem macht er die deutschen Juden für den wachsenden gesellschaftlichen Einfluss von Geld verantwortlich und ermuntert zu ihrer Auswanderung aus Deutschland; er fordert, dass man das Judentum „ausrotten“ muss.[43]
Karl Ludwig Sand, der Mörder Kotzebues, zählte zu Fries’ Schülern. Einen Brief von ihm, der bei einem anderen Studenten gefunden wurde und in dem Sand vor der Teilnahme an Geheimgesellschaften gewarnt wurde, sahen die argwöhnischen Behörden als Schuldbeweis an. Ein Mainzer Gericht verurteilte Jakob Friedrich Fries, so dass der Großherzog von Weimar ihm deswegen und wegen der Teilnahme am Wartburgfest 1817 die Lehrbefugnis von 1818 bis 1824entziehen musste. Der Großherzog zahlte jedoch das Gehalt weiter.
Fries gilt als der Begründer des Prinzips der „Ahndung“, womit er sich dem Dilemma von Glaube und Wissen zu entziehen suchte. Er führte so die Rolle des Gefühls und der Ästhetik als Handlungsprinzip ein. „Andacht“ und „Hingabe“ gestaltet er zu mithin außerreligiösen Kategorien politischen Handelns. Nach Fries sind Überzeugung und Gesinnung hinreichende Motive aktiver Beteiligung am politischen Geschehen. Von seiner Brisanz für die Begründung ideologisch abgezielter Handlungen bis zum Attentat hat Fries’ Ansatz bis heute nichts eingebüßt.
John Toland (1670–1722), englischer Freidenker, sprach sich als Erster ausdrücklich für eine rechtlich-kulturelle jüdische Emanzipation aus. In Deutschland kämpfte vor allem Moses Mendelssohn (1729–1786) für die Anerkennung seiner Religion, die er zugleich von innen liberalisieren und über sich selbst aufklären wollte (Haskala). Sein Freund Gotthold Ephraim Lessing (1729–1782) rief 1749 in seinem Lustspiel Die Juden dazu auf, die anachronistischen Vorurteile gegen sie aufzugeben. In seinem Drama Nathan der Weise (1779) forderte er die gegenseitige Toleranz der drei monotheistischen Religionen, deren subjektive „Wahrheit“ objektiv unbeweisbar sei. Die Hauptfigur trägt Mendelssohns Züge und setzte ihm ein Denkmal. Lessing glaubte an die Aufhebung jedes religiösen Aberglaubens durch humanen Fortschritt und die pädagogische Erziehung des Menschengeschlechts (1781); auch den „jüdischen Kinderglauben“ an Tora und Talmud wollte er damit „überwinden“.[44]
Gegenüber der europäischen Aufklärung setzte die Haskala, die jüdische Aufklärungsbewegung zeitverzögert ein.[45] Intellektuell, politisch, kulturell, sozial und religiös galt es, denn Vorsprung der europäischen Aufklärung zu kompensieren. Staatliche Maßnahmen, wie die Auflösung der Ghettosituation z. B. in Preußen und Österreich erhöhten den sozialen und zeitlichen Druck auf die jüdische Bevölkerung um ein Zusätzliches. Die teilweise Öffnung der Ghettos und die damit verbundene Forderung der Anpassung an die christliche Majoritätsgesellschaft zum allgemeinen Wohl des Staates, ließen die sozialen und kulturellen Gegensätze vollends zur Geltung kommen. Der Blick nach Amerika und Frankreich verdeutlichte, dass der Traum von der Emanzipation der Juden hin zu gleichberechtigten Staatsbürgern nunmehr nicht allein dem Traum und einem entfernten Bedürfnis verhaftet bleiben sollte, sondern zur realen Möglichkeit avancierte. Wollte die jüdische Bevölkerung den Anschluss an die allgemeine kulturelle Entwicklung nicht verpassen, so musste die Möglichkeit der Aufklärung und der gesellschaftlichen Emanzipation der Juden die unmittelbare Notwendigkeit selbiger nach sich ziehen.[46]
Berlin galt im Selbstverständnis der Maskilim als historischer Ausgangspunkt der jüdischen Aufklärung. Hier entstand sie zunächst als Selbstaufklärung, durch die autodidaktische Aneignung von säkularem Wissen und säkularer Wissenschaft Einzelner.
Nach dem Siebenjährigen Krieg 1756- 1763 setzte sich die aufklärerischen Tendenzen vor allem bei wohlhabenden Juden durch und entwickelte sich zu einer eigenständigen Bewegung. Um Mendelssohn und die Mitglieder der berühmten Berliner Mittwochgesellschaft (z. B. Spalding, Gedicke, Teller, Suarez u.a.) entstand ein beachtlicher Kreis jüdischer Aufklärer. Das Neue bestand in der Tatsache, dass die jüdischen Gelehrten sich keineswegs, wie zu früheren Zeiten, damit begnügten, Selbstaufklärung zu betreiben, sondern das jüdische Volk im Ganzen als Gegenstand der Aufklärung betrachteten. Einzelne aufgeklärte Juden gab es bereits vor der Haskala. Exemplarisch verweise ich auf Uriel da Costa, Baruch Spinoza und Moses Chajim Luzzatto, die im 17. und frühen 18. Jahrhundert in den Niederlanden und Italien gewirkt hatten. Auch in Deutschland gab es in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vereinzelte Juden, die aufklärerische Ideen transportierten. Namentlich waren das u.a. der Hebräisch- Grammatiker Salomo Hanau, der Kaufmann Isaak Wetzlar, der Mathematiker Raphael Levi oder der Arzt Aron Gumpertz.[47]
Während des 18. Jahrhunderts war die jüdische Gesellschaft in einer kulturellen Krise. Sie fiel auseinander, was mit dem Autoritätsverlust der Rabbiner einherging. Um die Probleme zu lösen, entstanden unterschiedliche Bewegungen, insbesondere die Haskala. Ihren Ursprung hatte die Bewegung im jüdischen Berliner Bürgertum, das von den Schriften vor allem der französischen Aufklärung inspiriert war und angesichts der – durch die historischen und ökonomischen Entwicklungen vorangetriebenen – Veränderung der Sozialstrukturen eine weitere Isolierung des Judentums befürchtete. Eine erste gesetzliche Anerkennung ihres Anliegens der rechtlichen Gleichstellung der Juden erfuhr die Haskala zuerst in Frankreich durch die „Assemblée constituante“, die am 27. September 1791 den Juden die volle Staatsbürgerschaft zusprach.
Die Hauptziele richteten sich auf Säkularisierung, also Trennung von Religion und Staat, und Öffnung in die christliche Mehrheitsgesellschaft durch Herstellung persönlicher wie institutioneller Kontakte und Heranführung an jüdische Glaubenslehren.[48] Dabei entwickelte sich eine Spannung zwischen der erstrebten Erneuerung des Judentums und der Konfrontation mit der jüdischen Orthodoxie.[49]
Das mittelalterliche elitäre Vernunftmodell erfuhr mit der Haskala einen radikalen Bruch.[50] Vernunft, als menschliches Spezifikum, wurde nun allen Menschen zugewiesen und nicht einer Elite überlassen. Auch für die Juden bedeutete dies, dass ihre mangelnde Aufklärung keineswegs auf den Mangel an Vernunft zurückzuführen sei, sondern an den schlechten äußeren Bedingungen, der Diskriminierung, der fehlenden profanen Bildung und Erziehung sowie an der starren religiösen Tradition festgemacht werden muss. Dementsprechend galt die jüdische Aufklärung allen Juden.[51]
Die Epoche der Aufklärung wird im Allgemeinen auf 1700 datiert und hatte ihren Ausgangspunkt in Amsterdam. Der Beginn einer Aufklärungsbewegung dagegen wird auf 1770 mit den Aktivitäten von Moses Mendelssohn und seinem Zirkel gelegt, wenn auch zwischen einer „frühen“ Haskala, also der Aufklärungsbewegung innerhalb des jüdischen Establishments und einer „preußischen“ Bewegung (Ausdehnung auch auf nichtjüdische Kreise) unter Moses Mendelssohn unterschieden werden muss. Der jüdische Aufklärer (Bezeichnung: Maskil ab 1783) zeichnete sich durch seine Aktivitäten (Publizität, öffentliche Meinungsäußerungen, Teilnahme an den Diskussionsrunden, materielle und finanzielle Förderung), aber auch durch sein Bildungsniveau (zumeist Universitätsabschluss) aus.[52]
Mit der bürgerlichen Revolution in Westeuropa verband sich einerseits die erhoffte Emanzipation der jüdischen Bevölkerung, gleichzeitig entstand eine moderne Judenfeindlichkeit.
Seit dem 19. Jh. stützt sich die Judenfeindschaft vorwiegend auf Rassegedanken durch Betonung der Fremdartigkeit des jüdischen „Stammes“.[53]
In Opposition gegen den Reformkurs Karl August Fürst von Hardenbergs, in Überbetonung nationaldeutscher Werte und in Abneigung gegen die Juden schlossen sich adelige und bürgerliche Romantiker 1811 zu einer Berliner „Christlich-deutschen Tischgesellschaft“ zusammen. Unter den Teilnehmern dieses literarischen Zirkels befanden sich auch Heinrich von Kleist, Clemens Brentano, Carl von Clausewitz, Johann Gottlieb Fichte.[54] Das Vereinsstatut setzte einen „Arierparagraphen“ fest, der die Mitgliedschaft von Juden ausschloss. Bei einer Sitzung der Tischgesellschaft im März 1811 trug Clemans Brentano eine „scherzhafte Abhandlung“ vor, in der er traditionell christlichen Judenhass mit Animositäten gegen die aufziehende kapitalistische Markt- und Geldwirtschaft vermengte. Die antijüdischen Auslassungen Brentanos wurden von der Tischgesellschaft – von der einige Mitglieder ständig in den jüdischen Salons von Henriette Herz und Rahel Levin verkehrten – mit solcher Zustimmung aufgenommen, dass sich Brentano veranlasst sah, sein Vortragsmanuskript drucken zu lassen.[55]
Dieses Beispiel aus der Voremanzipationsphase zeigt, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts neben religiösen und wirtschaftlichen Motiven erstmals rassistisch-biologische Vorurteile in das antijüdische Denken der Zeit eingeflossen waren.
In seiner Schrift mit dem programmatischen Titel „Germanomanie“ verurteilte der Berliner jüdische Schriftsteller Saul Ascher Nationalismus und Deutschtümelei und zog sich damit den Zorn der deutschen Burschenschaften zu, die Aschers Broschüre auf dem Wartburgfest 1817 verbrannten. Diese symbolische Ermordung Aschers war der Anstoss zu Heinrich Heines drei Jahre später geäußerter Prophezeiung: „Dies war ein Vorspiel nur; dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“[56]
Im Zeitalter eines „hoch aufschäumende(n) deutsche(n) Nationalismus“[57] gaben rassistische Volkstumslehren romantischer Agitatoren wie Ernst Moritz Arndt und „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn den Ton an. Die nationale Idee der deutschen Einheitsbewegung verband sich mit Doktrinen, die an die Stelle der traditionellen religiösen Judenfeindschaft eine biologisch begründete setzten. In einer wertmässig abgestuften Hierarchie von Menschenrassen wurden einzelnen Völkern kollektive, unveränderliche Eigenschaften zugeschrieben. Jahn war überzeugt, dass es – so wie es „taube Nüsse“ gibt – auch „taube Staaten und ohne Volkstum taube Völker“ gebe, zu denen er unzweifelhaft die Juden rechnete.[58] Und Arndt wollte die Juden von Deutschland fernhalten, damit sich der „germanische Stamm so sehr als möglich von fremdartigen Bestandteilen rein“[59] erhalte.
Arndt warnte vor zu engem Kontakt mit dem Judentum: Zwar sei durch den Übertritt zum Christentum in der zweiten Generation der „Same Abrahams“ kaum noch zu erkennen, schädlich aber seien die „Tausende, welche die russische Tyrannei uns nun noch wimmelnder jährlich aus Polen auf den Hals jagen wird“, „die unreine Flut von Osten her“. Er warnte vor einer angeblichen jüdisch-intellektuellen Verschwörung, „Juden oder getaufte und (…) eingesalbte Judengenossen“ hätten sich der Literatur „wohl zur guten Hälfte bemächtigt“ und verbreiteten „ihr freches und wüstes Gelärm, wodurch sie (…)jede heilige und menschliche Staatsordnung als Lüge und Albernheit in die Luft blasen möchten.“ Das lange „unstäte Daseyn“ hätte aus ihnen „das Gemeine, Kleinliche, Feige und Geitzige hervorgelockt“, sie seien „jeder schweren Mühe und jeder harten Arbeit ungeduldig“ und würden daher nach jedem „leichten und flüchtigen Gewinn“ streben. Forderungen nach Dialog, Humanität und Toleranz gegenüber Juden bezeichnete Arndt als „Allerweltsphilosophie und Allerweltliebe“, die Zeichen von „Schwächlichkeit und Jämmerlichkeit“ seien. Noch im Alter wandte sich Arndt gegen die „unruhigen, neugierigen und alles betastenden und umwühlenden Hebräer“.
Mit der Taufe konnten sich die Juden in gewissem Sinne das „Entree-billett“ in die europäische Kultur erwerben, doch in einer Zeit, in der man begann, sie ethnisch zu definieren, war der Glaubenswechsel allenfalls eine Scheinlösung. Heinrich Heine nahm zwar die Taufe, ohne allerdings das Judentum zu verlassen. „Ich bin getauft“, räumte er ein, „aber ich bin nicht bekehrt.“[60] In ihrer Gegnerschaft zu den Juden waren sich konservative Nationaldeutsche und Fortschrittliche, die von den Ideen der Französischen Revolution durchdrungen waren, einig – die Judenfeindschaft unterschiedlicher sozialer Klassen war sozusagen eine ideologische Klammer. In der Voremanzipationsphase begannen antijüdische Autoren, die eine radikale Reform hinsichtlich des Status der Juden befürchteten, eine heftige „literarische“ Kampagne gegen diese. Die antijüdischen Ideologen warnten – ganz im Fichteschen Sinne – vor einer bürgerlichen Gleichstellung: „Die wesentlichen Punkte des Judentums untergraben die Geselligkeit, sie bewirken einen Staat im Staate, und zwecken dahin ab, den Juden die Herrschaft zu verschaffen und die übrigen Bürger zu ihren Sklaven zu machen.“[61]
Das deutsche Nationalbewusstsein, das die Befreiungskriege getragen und das die deutschen Juden ebenso wie die deutschen Christen beseelt hatte, besaß einen gefährlichen judenfeindlichen Akzent. In seiner Schrift „über die Gefährdung des Wohlstandes und des Charakters der deutschen durch die Juden“ kam der Heidelberger Philosophieprofessor Jakob Friedrich Fries zu dem Schluss, die Juden seien auszutreiben oder mit Stumpf und Stiel auszurotten. Ein Berliner Universitätskollege, der Historiker Friedrich Rühs, schlug vor, den Juden alle Rechte abzusprechen und die Judensteuer sowie die alten Judenkennzeichen – Spitzhut, gelben Ring („Judenfleck“) – wieder einzuführen.
Am weitesten jedoch ging der Publizist Hartwig von Hundt-Radowsky. In seinem 1819 in Würzburg erschienenen „Judenspiegel“ regte er an, alle Jüdinnen ins Bordell zu stecken, alle Juden zu kastrieren, sie nur noch in Bergwerken unter Tage arbeiten zu lassen oder sie an die Engländer zu verkaufen, die sie in ihren überseeischen Kolonien als Sklaven einsetzen sollten. Die Tötung eines Juden hielt er weder für eine Sünde noch für ein Verbrechen.
Hundts demagogische Forderungen, die Juden auszurotten oder sie mindest zu vertreiben und Deutschland ganz von dem „Ungeziefer“ zu reinigen, wurden in der Hepp-Hepp-Bewegung im Jahre 1819 blutige Wirklichkeit. In vielen deutschen Städten kam es zu Pogromen mit Einbrüchen, Plünderungen, Misshandlungen und Morden. Zentrum der judenfeindlichen Ausschreitungen war Würzburg, wo es zur Austreibung von 400 Juden kam. An den Tumulten beteiligten sich v.a. Studenten, Kleinbürger und verschuldete Bauern, die mit „Hepp-Hepp-Jud-verreck!“-Rufen[62] als diabolische Volksbelustigung Juden verhöhnten und misshandelten.
Die akademischen Hetzschriften machten eine antijüdische Haltung im Bildungsbürgertum salonfähig. Flugblätter und antijüdische Parolen erreichten die unteren Schichten und lösten die Gewalttätigkeiten aus.[63] Enttäuschung, Hoffnungslosigkeit und Erbitterung waren die Kennzeichen dieser Jahre nach dem Aufschwung der Befreiungskriege: das dürftige Ergebnis des Wiener Kongresses, eine Wirtschaftskrise nach Aufhebung der Kontinentalsperre, Polizeischikanen, „Demagogen“-Verfolgung und die Karlsbader Beschlüsse nach dem Attentat auf den Diplomaten August von Kotzebue, steigende Brotpreise nach den Missernten von 1816/17. Es genügte schon, wenn ein jüdischer Händler seine Waren billiger verkaufte als sein nichtjüdischer Konkurrent, um Krawalle auszulösen. Eine scharfe Konkurrenzerfahrung löste bei manchen „christlichen“ Kaufleuten den antisemitischen Komplex aus: Es sei nur deshalb so schlimm um die Wirtschaft bestellt, weil auch „die Juden“ ihre Hände im Spiel hätten. Die kleinen Händler fühlten sich an die Wand gedrängt und reagierten bitter. Mit der Formel „Flucht in den Hass“ hat Eva Reichmann die psychische Reaktion auf jene ökonomischen Umstände treffend bezeichnet.[64]
Die Hepp-Hepp-Unruhen – durchaus keine marginalen und lokal begrenzten Erscheinungen – zeigen besonders eindringlich die Verflechtung von lokalen Anlässen und politisch-sozialen Bedingungen mit historischen Traditionen. Sie wiederholen sich in den nachfolgenden Jahrzehnten immer wieder: In den revolutionären Jahren 1830 und 1848 erfolgten unter diesem Schlachtruf weitere Gewalttätigkeiten gegen Juden, häufig auch im Zusammenhang mit der Anschuldigung des Ritualmordes, dessen man die Juden dann bis ins 20. Jh. hinein zieh.
Tendenziöse Presseberichte machten die Würzburger Unruhen in ganz Deutschland bekannt und wirkten wie ein Aufruf zur Nachahmung.[65] Zwischen dem 9. und 15. August folgten Tumulte und Angriffe auf die Juden in Bamberg, Bayreuth (12. August), Regensburg, Pottenstein, Hollfeld, Ebermannstadt und vielen weiteren oberfränkischen Ortschaften. Deren Polizei griff oft erst spät ein und schützte die Betroffenen nicht ausreichend, so dass diese sich mit Petitionen direkt an die Staatsregierung wandten. Diese machte die Gemeinden kollektiv für etwaige Schäden und Kosten für notwendige Soldatenquartiere haftbar, um so deren Schutz für die Juden zu erzwingen. In Franken ließ sie dies in allen Orten öffentlich bekannt machen.
Dennoch griff die Welle der antijüdischen Empörung ab dem 15. August auf Hessen, die Oberpfalz, Baden und das Rheinland über.[66] In Karlsruhe (16./17. August), Mannheim, Heidelberg und ihrer Umgebung waren die Ausschreitungen besonders heftig und konnten dort ebenfalls nur durch Militäreinsatz beendet werden. Auch im überwiegend protestantischen Preußen folgten in den Folgewochen Krawalle, u.a. in Danzig, Breslau, Grünberg, Königsberg, Lissa, Koblenz, Hamm, Kleve, Dormagen (12. Oktober, hier ausgelöst durch ein Ritualmord-Gerücht.
In Großstädten mit größeren Judengemeinden nahmen die Tumulte teilweise die Form von Revierkämpfen an.[67] In Frankfurt am Main, damals Hauptstadt des Deutschen Bundes, wurden Juden ab dem 10. August angegriffen. Nach einer morgendlichen Prügelei zwischen christlichen und jüdischen Briefabholern am Postamt wurden jüdische Passanten von der öffentlichen Promenade gedrängt. Abends durchzogen Straßenbanden mit Hepp, Hepp-Rufen pöbelnd die Frankfurter Judengasse und warfen Fensterscheiben mit Steinen ein. Obwohl einige Abgeordnete der Bundesversammlung den Stadtrat sofort zum Eingreifen drängten, wurden die Polizeiwachen erst am Folgetag verstärkt. Die Stadtverwaltung erwog vorübergehend, die Zahl der jüdischen Bürger auf 500 zu begrenzen und ihnen ein Ghetto zuzuweisen.
Viele jüdische Familien verließen die Stadt zu ihrem Schutz und siedelten in Nachbarstädte um, wo die Unruhen sie jedoch wenige Tage darauf ebenfalls ereilten. In Darmstadt kam es am 12. und 13. August zu Massenaufläufen, Prügeleien und Sachbeschädigungen; die Bedrohung der örtlichen Juden dauerte wochenlang, so dass die Regierung noch am 4. September Schutzmaßnahmen für sie öffentlich bekannt machte.[68]
Auch in Hamburg (20. August) war eine Prügelei zwischen jüdischen und christlichen Händlergehilfen Auslöser der Ausschreitungen: Diese begannen mit dem Hinauswurf von Juden aus einem Pavillon am Jungfernstieg, am Folgetag aus sämtlichen Kaffeehäusern und Vergnügungsstätten der Stadt. Die Betroffenen wehrten sich; eine Massenschlägerei wurde durch massiven Polizeieinsatz beendet. Auf Flugblättern stand Hepp, hepp, der Jude muß inn Dreck oder … Juden verreck.
Dabei begründeten die Aufrufe die Hetze der Krawallanten mal mehr wirtschaftlich, mal mehr religiös, meist aber beides kombiniert. Sie zielten stets auf die Vertreibung aller örtlichen Juden und drohten ihnen darüber hinaus häufig massiv mit „Tod und Verderben“. In Düsseldorf (22. August) z.B. wurden an jüdischen Wohnhäusern Plakate angeschlagen, auf denen es hieß: „Schon zu lange hat die Herrschaft der Juden über den Betrieb des Handels gedauert. Mit ruhigen Augen haben die Christen diesem unerlaubten Unwesen zugesehen, die Zeiten haben sich geändert. Sind bis 26ten dieses Monats dem Handel und Moral verderbenden Volke, was kein gesetzmäßiges Oberhaupt anerkennen kann, nicht Schranken gesetzt, so soll ein Blutbad entstehen, das anstatt Bartholomäus-Nacht, Salomoni-Nacht heißen soll.“[69]
In Kreuznach verkündete ein in der Nacht vom 27. auf den 28. September an Straßenlaternen und Häuserecken angeschlagenes Flugblatt: „Kreuznacher, das Vehmgericht hat beschlossen, daß auf den langen Tag alle Juden aus Teutschland gejagt werden sollen. Es erwartet, daß die Stadt Kreuzenach dabey nicht zurückbleibt.“[70]
Der Landrat hielt die Gendarmerie bereit, doch der Folgetag verlief ohne Unruhen. Daraus zogen die Behörden den Schluss, es handele sich nur um „Bangemachen“ ohne konkrete Verwirklichungsabsicht. Dies führte in manchen Städten und Regionen zum vorzeitigen Abzug der Militärtruppen. Meist aber wurde das Militär sofort eingesetzt, besonders dann, wenn die Aufrufe gegen die Juden mit allgemeineren politischen Forderungen verbunden waren. Dies deuteten die Behörden als revolutionäre Gärung, so dass sie – im eigenen Interesse, nicht nur dem der betroffenen Juden – jeden Massenprotest so rasch wie möglich erstickten.
In Marburg wurden im Oktober Zettel verteilt, auf denen stand: „den 18ten October wird hep, hep! gegeben, der Schauplatz ist auf allen Strassen. Gewisse Umstände zwingen uns, den HUNDSTATEN der Juden eine Galgenfriste zu gestatten. FURCHTBAR und alles vertilgend wird alsdann der Würgeengel ueber Euch schweben wie an jenem Tage in Jerusalem.“[71]
Hier wurde auf den Ersten Kreuzzug angespielt, der am 15. Juli 1099 mit einem der grausamsten Massaker des Mittelalters in Jerusalem geendet hatte. Der „Würgeengel“ wird hier zum Racheengel an den Juden umgedeutet. Antijüdisch gedeutete Bibelmotive spielten auch sonst auf vielen Flugblättern eine Rolle. Sie dienten dazu, den eigenen Handlungen eine religiöse Rechtfertigung und einen höheren Sinn zu geben. Sie zeigten die Wirkung der jahrhundertelangen kirchlichen Gottesmord-Propaganda und „jahrzehntelang angestaute Hassgefühle“ bei Christen, die bei geringfügigen Anlässen durchbrachen.[72]
Die Aggressionen richteten sich gegen sozialen Aufstieg, wirtschaftliche Konkurrenz und politische Gleichberechtigung jüdischer Bürger, die anders als in Jahrhunderten zuvor nun vermehrt am öffentlichen Kulturleben teilnahmen und etwa auf den Märkten nicht mehr wie selbstverständlich nachrangig von den Christen behandelt werden konnten.
Damalige Zeitungsberichte beurteilten die Motive der Krawallanten unterschiedlich. Gebildete Beobachter sahen religiöse Begründungen für die Unruhen jedoch als vorgeschoben an. Sie machten „Handelsgeist“ und „Krämerneid“ dafür verantwortlich oder teilten das verbreitete Vorurteil, eine angeblich zu rasche rechtliche Gleichstellung habe das „schnelle Emporkommen“ der Juden bewirkt.[73] Deren gestiegene Konkurrenzfähigkeit wurde also als an sich illegitime Bereicherung auf Kosten der Allgemeinheit beurteilt.
Eine apologetische Schrift des Dramatikers Julius von Voß führte jüdische Gewinne darauf zurück, jüdische Händler seien meist sparsamer und fleißiger und böten höherwertige Waren preisgünstiger an als Christen, was diese wiederum anreize, das Qualitätsniveau ihrer Waren zu steigern, und so allen zugute komme. Doch auf dem Hintergrund eines verbreiteten Krisengefühls erschienen die Juden den christlichen Kleingewerbetreibenden der Städte als geeignetes Aggressionsobjekt. Sie wollten zur mittelalterlichen Ständeordnung zurückkehren und versprachen sich von der brutalen Ausschaltung einer gut 1000 Jahre lang sozialökonomisch diskriminierten Minderheit aus dem Wirtschaftsleben eine rasche Verbesserung der eigenen Lage.[74]
Trotz des Eingreifens der Behörden wurden die Unruhen als praktisches Argument gegen die Judenemanzipation vorgebracht, die die Gefahr gesellschaftlicher Auseinandersetzungen mit sich bringe. Damit wurde die volle Gleichberechtigung der Juden jahrzehntelang verzögert und erst 1871 mit der Gründung des Deutschen Reiches allgemeines Gesetz. Doch auch danach setzte sich die Tradition der antisemitischen Hetze und Bedrohungen fort. Sie erreichte um 1848, 1879–1882 und 1890–1900 reichsweit neue Höhepunkte.[75]
Unter den Juden selbst lösten die Ereignisse ebenfalls ambivalente Reaktionen aus. Während einige für eine rasche und völlige Assimilation an die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft eintraten, sprachen sich andere für ein noch engeres Zusammenrücken jüdischer Milieus aus.
Verbreitet ist die Ansicht, dass die Krawalle von Studenten initiiert und hauptsächlich getragen wurden. Demgegenüber vertritt der Historiker Jacob Katz die Position, Haupturheber seien die durch die Judenemanzipation einem neuen Konkurrenzdruck ausgesetzten kleinbürgerlichen Schichten gewesen, die zudem in jener Zeit häufig bei jüdischen Kreditgebern verschuldet waren.[76]
Zwar gelangten in der preussischen Reformzeit unter der Kanzlerschaft Hardenbergs einige (getaufte) Juden in Staatsämter,[77] doch erst die gescheiterte, aber für die demokratische Entwicklung in Deutschland nicht vergebliche Revolution von 1848 bot ihnen die Möglichkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden. Zu diesem Zeitpunkt glaubten die Juden endlich ihr Ziel erreicht zu haben. Mit dem Scheitern der Revolution von 1848/49 und der beginnenden Reaktionsphase mussten sie jedoch erkennen, dass die Emanzipationsgesetze und die ihnen verfassungsmässig zustehenden Rechte mehr auf dem Papier als in der Wirklichkeit bestanden. Die von den Hochkonservativen entwickelte christliche Staatsidee zielte auf die Rücknahme des Gleichberechtigungsprinzips für die Juden. Sprachrohr der Vertreter dieser Richtung war die „Neue Preussische Zeitung“ („Kreuzzeitung“), die keine Gelegenheit ausließ, gegen die Juden zu polemisieren. Besonders der Chefredakteur dieser Zeitung, Hermann Wagener, ein Vertrauter Bismarcks, betrieb in seinen Leitartikeln antijüdische Agitation: Die Presse würde zu zwei Dritteln von Juden beherrscht, und diese führten einen „boshaften und erbitterten Vernichtungskampf“ gegen alles, „was Christ oder Christentum“[78] heiße.
Zum antijüdischen Repertoire gehörte auch das Bild des Wucherers, des Preisträgers und Ausbeuters, der sich an den Christen bereichere und an ihrem Schweiß vollsauge. Es sei unbedingt notwendig, hieß es in dem Blatt, sich gegen die Juden zur Wehr zur setzen. Provozierend prophezeite das Organ Hass und Rache des Proletariats, die sich unter bestimmen Umständen leicht Luft machen könnten. Und ganz im Jargon der Vernichtungsantisemiten wurde von einer Judenverfolgung orakelt, wie sie die Welt noch nicht erlebt habe.[79]
Und immer wieder ist die Rede von der „Fremdartigkeit“ der Juden, womit der rassistisch-biologistische Antisemitismus der mörderischen Form antizipiert wurde.[80] Die antisemitischen Gedankengänge, die in den Konservatismus eindrangen, sind im Wesentlichen auf den Einfluss des Hegelianers Bruno Bauer zurückzuführen. In der Auseinandersetzung mit Bauer hat sich übrigens auch Marx – der mit Bauers Schilderungen der Juden, nicht aber mit dessen Schlussfolgerungen, übereinstimmt – mit der „Judenfrage“ befasst. Bauer bediente sich seit den 1850er Jahren, wenn er über Juden spricht, einer Rassenterminologie: „(…) man nehme den Juden aus Portugal, Deutschland, Polen, England oder sonst wo her, er ist überall derselbe, weder Portugiese noch Deutscher, weder Pole noch Engländer. Er ist der echte und unverfälschte Jude geblieben, den nichts beherrscht als der Racetypus. Der Jude gibt den Kern seiner nationalen Eigentümlichkeit ebenso schwer auf, als es ihm vermöge seiner geistigen Elastizität leicht wird, sich in das Kleid jeder beliebigen Nationalität zu hüllen und bis zu einem gewissen Grade sich die fremde Nationalität formell anzueignen. Aber seine Denkweise bleibt in jedem Kleide und unter jedem Himmelsstrich dieselbe; jüdischer Sinn und jüdisches Blut sind unzertrennlich geworden, weshalb das Judentum nicht allein als Religion und Kirche, sondern ganz vorzüglich als der Ausdruck einer Raceneigentümlichkeit die eingehendste Betrachtung verlangt: die Taufe macht den Juden nicht zum Germanen.“[81]
Parallel zur Emanzipationsbewegung bildet sich in der Belletristik ein negativ verzerrtes Bild vom Juden heraus, das zwar stereotype Urteile aus der christlichen Tradition übernimmt, jedoch neue Überzeichnungen popularisiert. Juden verkörpern in Romanen häufig das dunkle Gegenstück zu den lichteren christlich-germanischen Gestalten (z.B. in Gustav Freytags „Soll und Haben“, in Felix Rabes „Hungerpastor“ oder in Felix Dahns „Ein Kampf um Rom“): den jüdischen Wucherer, den Streber, den herzlosen Ausbeuter und den fremden, „Jargon“ sprechenden, also „mauschelnden“ Juden.[82] Hinzu kommt der jüdische Revolutionär, der alles Bestehende verneint und eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Annette von Droste-Hülshoffs „Judenbuche“ oder Adalbert Stifters „Abdias“, wo menschlich-sympathische Judengestalten gezeichnet werden, sind literarische Ausnahmen.
Im Herbst 1879 hatte der protestantische Hofprediger Adolf Stöcker mit seiner judenfeindlichen Rede „Unsere Forderungen an das moderne Judentum“ die „Berliner Bewegung“ ins Leben gerufen und mit der Gründung der „Christlich-sozialen (Arbeiter-)Partei“ den politischen Antisemitismus zu einer Massenbewegung in Deutschland gemacht. Proagandistisch unterstützt wurde Stöcker von dem Berliner Historiker Heinrich von Treitschke, der eigentlichen treibenden Kraft des modernen Antisemitismus.
Von Treitschke stammt der Satz „Die Juden sind unser Unglück“, der später zur Parole des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer wurde. Treitschke formulierte diesen Satz in seiner Denkschrift Unsere Aussichten (1879), die durch judenkritische Aussagen für Aufsehen sorgte. Dabei stellte er dar, diese Überzeugung entspreche dem breiten, parteiübergreifenden Konsens und werde von allen Zeitgenossen „wie aus einem Munde“ geteilt, aber aufgrund des „weichlichen“ und „philanthropischen“ Zeitgeistes und liberaler „Tabuisierung“ in der Presse nicht offen ausgesprochen.
Der Aufsatz, in dem Treitschke die Forderung nach Zurückdrängung des gesellschaftlichen Einflusses der Juden erhebt, löste den Berliner Antisemitismusstreit aus, eine bis 1881 anhaltende Debatte, die auf große Anteilnahme in der bürgerlichen Öffentlichkeit Deutschlands stieß und im Ergebnis trotz eines vordergründig negativen Ausgangs für Treitschke den Antisemitismus gesellschaftsfähig machte.[83] Der Kern der Polemik Treitschkes richtet sich gegen den unterstellten Willen der Juden, ihre kulturelle Eigenart offensiv gegen das Deutschtum zu behaupten, was Treitschke als undankbar und frech charakterisierte, da sie der ihnen gewährten Emanzipation doch die Teilhabe am Leben der Nation verdankten.
Die Lösung der „Judenfrage“ sei der Weg der Assimilation, der aber nur von wenigen Einzelnen wie Gabriel Rießer oder Felix Mendelssohn beschritten worden sei, während sich das Gros der Juden dagegen sperre. Nach seiner politischen Theorie ging er davon aus, dass ein Jude, der den Willen zur vollen Bejahung seiner Umwelt habe, die Fähigkeit besitze, das deutsche Wesen in sich aufzunehmen und das jüdische Wesen abzustreifen.[84] Eine solche Bekehrung zum Deutschtum mit all seinen spirituellen Werten sei grundsätzlich möglich, müsse aber entschiedener eingefordert werden. Alles Gute an den Juden verdankten sie der Anpassung an die deutsche Welt, dem Judentum selbst wohne hingegen keine positive Kraft inne. Als Religion sei es vielmehr ein überlebtes Relikt, das über eine für den Nationalstaat gefährliche Eigenschaft verfüge, nämlich Solidaritätsbindungen über nationale Schranken hinweg zu schaffen und die Bildung eines übernationalen jüdisch-säkularen Netzwerks zu begünstigen. Die gesunde Hauptrichtung der Geschichte sei dagegen im modernen Nationalstaat mit christlicher Tradition verwirklicht. Das Judentum dürfe niemals als gleichberechtigte Konfession akzeptiert werden, da auf dieser Basis keine nationale Einheit möglich sei und letztlich als Alternative nur die Vertreibung der Juden bliebe.
Nichts hat die öffentliche Meinung zu Beginn der 1880er Jahre mehr aufgewühlt und beschäftigt als die „Judenfrage“. Eduard Bernstein, ein sensibler Beobachter der Szene, hat die Berliner Pogromluft dieser Jahre als eine „Sturzwelle judenfeindlicher Reaktion“ beschrieben.[85] Kein Zweifel – die Antisemiten waren auf dem Vormarsch. Sie brachten eine Viertelmillion Unterschriften unter eine Petition zusammen, in der die Errungenschaften der Judenemanzipation von 1812 quasi rückgängig gemacht werden sollten. U.a. wurde darin die Einschränkung bzw. Verhinderung der (ost-)jüdischen Einwanderung sowie die Ausschließung der Juden aus allen obrigkeitsstaatlichen Stellungen gefordert. Im November 1880 debattierte das Preußische Abgeordnetenhaus an zwei Sitzungstagen über diese Petition, und die Abgeordneten der „Fortschrittspartei“, die die Debatte beantragt hatten, kämpften allein gegen eine Parlamentsmehrheit, die kein Vorurteil unausgesprochen liess.[86]
1878 gründete sich wesentlich auf Stoeckers Initiative die „Christlich-Soziale Arbeiterpartei“. 1881 wurde sie in „Christlich-Soziale Partei“ umbenannt.[87] Im Gründungsjahr verabschiedete der Reichstag die so genannten Sozialistengesetze (1878 bis 1890). Sie verschärften die Repression gegen die zur Massenpartei aufsteigende Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) und gegen andere sozialistische Zusammenschlüsse. Ziel der CSAP war es, auf die Arbeiterschaft, soziale Basis der sozialistischen Bewegung („Sozialdemokratie“), einzuwirken, um sie ihren originären, nun von Illegalisierung bedrohten politischen Repräsentanten zu entfremden.
Nach dem Scheitern ihrer Strategie bei der Reichstagswahl 1878 wandten die Christlich-Sozialen sich als nur mehr Christlich-Soziale Partei von der Arbeiterschaft ab und orientierten sich mit antisemitischer Propaganda auf die Mittelschichten.[88] Sie gaben ihre parteipolitische Selbständigkeit auf und gliederten sich in die Deutschkonservative Partei (DKP) ein. Wahlpolitisch blieben sie eine Splittergröße. Stoecker blieb bis nach der Jahrhundertwende ihr einziger Reichstagsabgeordneter. Von 1879 bis 1898 war er Abgeordneter für Minden-Ravensberg im Preußischen Abgeordnetenhaus. Von 1881 bis 1893 und von 1898 bis 1908 repräsentierte er den Wahlkreis Siegen-Wittgenstein-Biedenkopf im Reichstag, bis 1896 als Vertreter der Deutschkonservativen Partei. Hier wurde er entgegen den wahlpolitischen Misserfolgen seiner Bewegung wie seiner Person im übrigen Reich regelmäßig mit ungewöhnlich großen Mehrheiten gewählt (1887 in den Hauptwahlen, also vor der Stichwahl: 77,9%). Im politischen Spektrum der Kaiserzeit bildeten die Christlich-Sozialen während ihrer Zugehörigkeit zur Deutschkonservativen Partei als Teil der extremistischen Kreuzzeitungsströmung – benannt nach der einflussreichen Kreuzzeitung – deren „äußersten rechten Flügel“.[89] Stoecker arbeitete eng mit dem konservativen Politiker und Chefredakteur der Kreuzzeitung, Wilhelm Joachim von Hammerstein, zusammen, dem er in persönlicher Freundschaft eng verbunden war.
Die politische Bewegung von Adolf Stöckerbrachte drei neue Momente in das rechte politische Lager ein.[90] Zum einen als neue Politikform die populistische „Bewegung“, mit der sie auf das allgemeine Verlangen nach demokratischer Teilhabe reagierten und ihre parlamentarischen Aktivitäten außerparlamentarisch unterstützten. Zum zweiten eine antikapitalistische Phraseologie. Das verbindende Element war der Antisemitismus: ob „Großkapital“ oder sozialistische Linke, die Gegner waren „verjudet“.[91] Im christlich-sozialen Weltbild standen Juden und „Judenfreunde“ für alle Spielarten des Sozialismus, für den Linksliberalismus, den Kapitalismus, den Materialismus, den Atheismus. Sie alle seien Ausdrucksformen und Hervorbringungen des „internationalen Judentums“, das verschwörerisch die Unterwanderung und Vernichtung des „deutschen Volks“ – zu dem sie deutsche Juden nicht rechneten – plane.
In diesem Sinn betrachtete Stoecker sich als „Begründer“ und „Vater der antisemitischen Bewegung“.[92] Er erhob „als erster den Antisemitismus zum zentralen Credo einer modernen politischen Partei“. Der Antisemitismus war und blieb sein „fundamental-zentrales“ Leitthema. Er war „ein integraler Bestandteil seines gesamten Denkens und seines öffentlichen Redens … Der Antisemitismus strukturierte und vitalisierte alles, was er sagte, schrieb und tat.“[93]
Stoeckers antisemitische Aussagen schillerten zwischen einem traditionellen christlichen Antijudaismus und modernen ökonomisch, völkisch und rassisch begründeten Varianten, was ihre Anschlussfähigkeit erhöhte. Er trug maßgeblich zur Verbreitung des Antisemitismus in Politik, Kirche und Gesellschaft, vornehmlich aber im Protestantismus und in den konservativen Parteien bei. Er brüstete sich damit, „die Judenfrage aus dem literarischen Gebiet in die Volksversammlungen und damit in die politische Praxis eingeführt“ zu haben.[94]
Stoecker war einer der Erstunterzeichner der „Antisemitenpetition“ prominenter Judengegner. Sie denunzierte die Angehörigen der Minderheit als kollektive „Gefahr für unser Volksthum“. Sie verlangte unter anderem die Erfassung des jüdischen Bevölkerungsteils, den Ausschluss der jüdischen Deutschen aus allen obrigkeitlichen Funktionen und dem Lehramt der Volksschulen, ihre nur eingeschränkte Verwendung in den weiterführenden Schulen und der Justiz sowie ein Verbot der jüdischen Zuwanderung.[95]In diesem Sinne vertrat Stoecker die Christlich-Sozialen 1882 auf dem Internationalen Antisemitenkongress in Dresden.
Die völkische Rechte im Kaiserreich sowie in der Weimarer Republik und mit ihr die Nationalsozialisten rezipierten Adolf Stoecker als ihren Vorläufer und Wegbereiter. Durchweg positiv aufgenommen wurde er auch innerhalb des Weimarer Protestantismus.[96]
Ein „Internationaler antijüdischer Kongress“ fand erstmals 1882 in Dresden, ein weiterer 1883 in Chemnitz statt.[97] Die Kongresse waren Teil des deutschen Antisemitismus, der sich seit 1879 im Berliner Antisemitismusstreit und der Antisemitenpetition von 1880/81 politisch zu organisieren begann. Nachhaltige Auswirkungen auf dessen Entwicklung hatten sie nicht.
Organisiert wurde der „Internationale Antijüdische Kongress“ vom in Dresden beheimateten Deutschen Reformverein, der 1879 gegründet worden war. Dessen Zeitschrift hieß Deutsche Reform. Die Anhänger dieser „kleinbürgerliche[n] Reformpartei“ unter Alexander Pinkert kamen weniger wegen der „Judenfrage“, sondern wegen ihrer bedrängten sozialen Lage zur Partei. Von 14 Programmpunkten verwies nur einer auf das Judentum (nur „christlich-religiöse Männer“ sollten in öffentliche Ämter gewählt werden können), die Judenfeindschaft der Partei habe sich vielmehr in der Agitation gezeigt.
Außerdem kam eine Reihe von Berlinern zum Kongress, darunter Anhänger der Berliner Bewegung von Adolf Stoecker sowie der „gemäßigte“ Max Liebermann von Sonnenberg, aber auch „Rasseantisemiten“ um Ernst Henrici. Aus Berlin sollen mindestens dreißig Teilnehmer in Dresden gewesen sein.
Aus Ungarn wurden dreißig Teilnehmer gemeldet, die prominentesten von ihnen waren die drei Parlamentsabgeordneten Gyözö Istóczy, Iván Simonyi und Géza Ónody. Vor allem Istoczy hatte sich als Radikaler hervorgetan; das ehemalige Mitglied der regierenden liberalen Fraktion in der ungarischen Kammer hatte Maßnahmen gegen die jüdische Einwanderung und auch Gewalt gegen die Juden vorgeschlagen. Insgesamt hatte der Kongress ungefähr 300 bis 400 Teilnehmer.[98]
Der Kongress begann am Samstag, dem 9. September 1882 im Helbigschen Etablissement in Dresden, dessen Großer Saal mit den Büsten des deutschen Kaisers, des österreichisch-ungarischen Kaisers und des sächsischen Königs geschmückt war. Außerdem wurde ein Bild von Esther Solymosi präsentiert, die am 1. April 1882 im besagten ostungarischen Ort angeblich einem „Ritualmord“ zum Opfer gefallen war, woraus sich die Affäre von Tiszaeszlár entwickelte. Die Polizei überwachte den Kongress.
Auf dem Kongress selbst wurden am Montag acht Thesen des Berliner Hofpredigers Stöcker diskutiert und dabei rassenantisemitisch verschärft, schließlich hieß es in den einstimmig angenommenen Thesen unter anderem, die Juden seien durch Abstammung, Sprache und Kultur eine Nationalität und könnten keine Bestandteile eines christlichen Volkes sein. Juden dürften keine Ämter haben, die Gesetzgebung solle die jüdische Kapitalmacht einschränken. Damit setzten sich die „Reformer“ durch, zwischen den gemäßigteren Christlich-Sozialen und den radikaleren Rassenantisemiten.[99]
Am Dienstag sprach von Simonyi über die Affäre von Tiszaeszlár und wiederholte nicht nur die Ritualmordlegende, sondern behauptete auch, dass sich das gesamte Judentum mit den Mordgesellen identifiziere. Außerdem kam an diesem Tag eine Anzahl von Telegrammen aus Europa und Amerika zur Verlesung.
Neben den Resolutionen war das wichtigste Ergebnis der Tagung ein Beschluss über ein „ständiges Comité des Internationalen antijüdischen Kongresses“.[100] Es solle die Kongressbeschlüsse veröffentlichen, eine Presse ohne jüdischen Einfluss schaffen und eine zweite Tagung einberufen.
Zwar war in Dresden ein Bevollmächtigter des Komitees gewählt worden, der Vorsitzende des Chemnitzer Reformvereins Ernst Schmeitzner, doch hat sich das Komitee nie konstituiert. Schmeitzner wollte mit einer scharf antijüdischen Gruppe aus der Dresdner Reformpartei und mit Zustimmung der Berliner Extremisten aus dem Komitee eine Alliance antijuive universelle machen, in Anspielung auf die jüdische Alliance Israélite Universelle.
Infolgedessen trafen sich in Chemnitz am 5. Februar 1883 einige deutsche und österreichisch-ungarische Antisemiten, um diese Allianz zu gründen, die die Bevölkerung über das Judentum „aufklären“, eine nichtjüdische Presse schaffen und die „Judenfrage“ auf gesetzlichem Wege regeln sollte. Dies müsse international geregelt werden, da die Juden sonst von einem Land zum anderen zögen. Die nicht parteipolitische Allianz solle nur Eingeladene als Mitglieder zulassen, Organ sei Schmeitzners internationale Monatsschrift.
Der Kongress selbst kam am 27. April zusammen, nachdem es am 26. bereits eine nichtöffentliche Sitzung der Allianz-Mitglieder gegeben hatte. Der Journalist Otto Glagau aus Berlin und Iván von Simonyi waren die Kongressvorsitzenden; Glagau begrüßte vierzig Anwesende, darunter angeblich Herren aus Deutschland, Russland, Rumänien, Serbien und Frankreich. Die einzige Wortmeldung aus dem Ausland machte, außer von Simnoyi, ein Deutschrusse aus der Weichselgegend. Max Liebermann von Sonnenberg behauptete, mehrere der Anwesenden aus Russland hätten sich gerne an der Debatte beteiligt, wenn sie besser Deutsch gesprochen hätten.[101]
Es gehe nicht darum, die Juden zu „massacriren“, aber sie in „gebührende Schranken“ zu weisen und damit vor der Volkswut zu bewahren, meinte Glagau.[102] Außerdem betonte er das völkerversöhnende Element der antisemitischen Strömung. Abermals bemühte sich der Antisemitenkongress – ohne weitere Erläuterung – um eine „Einschränkung“ des jüdischen Einflusses, diesmal in einer Petition an Bismarck, während die Forderungen der Rassenantisemiten zurückgewiesen wurden. Amman aus Berlin hatte in ihrem Sinne „Rassejuden“ von Zeitungen und öffentlichen Anstellungen fernhalten wollen und eine Enteignung gefordert.
Die beiden antijüdischen Kongresse in Sachsen bilden nur eine kurze Episode der deutschen antisemitischen Bewegung. Sie zeigen aber eindrücklich deren Probleme: Die Internationalität dieser Begegnungen muss stark relativiert werden. Alle Redner waren Deutsche oder Ungarn, wobei letztere ihre Germanophilie betonten. Es verwundert das Fehlen einer starken russischen Beteiligung, trotz der damaligen Pogrome in Südrussland und Russisch-Polen. Auch die Themenwahl zeigt den internationalen Anspruch als zu hoch gegriffen. Ein Treffen in Kassel 1886 und der Bochumer Antisemitentag von 1889 wurden realistischerweise nicht mehr international genannt. Bei den Teilnehmern handelte es sich nicht um Delegierte einer Dachorganisation; die Delegierten der Reformvereine in Dresden 1882 hatten eigene Sitzungen.
Der Kongress führte nur zur Gründung eines Komitees, das einen weiteren Kongress vorbereiten sollte.[103] Die Kongresse von Dresden und Chemnitz hatten keine Breitenwirkung und bestimmten auch nicht die weitere Entwicklung des deutschen Antisemitismus.[104] Viele der Antisemiten hatten politisch eine liberale Herkunft, und wirtschaftliche Fragen dominierten. Dadurch entstand Streit mit den eher christlichen „Moderaten“ um Stöcker, auch Pinkert, aber auch andererseits mit den (noch radikaleren) Rasseantisemiten wie Henrici oder Amman. Liebermann von Sonnenberg richtete an letzteren 1883 die Worte, er möge „nach 50 Jahren mit solchen Anträgen wiederkommen, dann werden sie vielleicht Annahme finden können, und wohl auch da nicht ganz“.[105]
In Abgrenzung zu Stoeckers christlich motiviertem Antisemitismus gründete der Publizist Wilhelm Marr im Oktober 1879 die „Antisemitenliga“, die schnell zahlreiche, mehrheitlich nicht kirchlich gebundene Mitglieder gewinnen konnte.[106] In ihrer vorwiegend publizistischen Tätigkeit postulierte die Liga den rassistisch begründeten Kampf gegen eine angebliche jüdische Bedrohung und forderte die Vertreibung aller Juden aus Deutschland. Die „Antisemitenliga“ unterstütze die „Antisemiten-Petition“ gegen die soziale und rechtliche Gleichstellung der Juden. Deren Initiator Max Liebermann von Sonnenberg, ein hochdekorierter Veteran des Deutsch-Französischen Kriegs, gründete 1881 zusammen mit dem Publizisten Bernhard Förster (1843-1889) den Deutschen Volksverein. Deren überwiegend national-konservativen antisemitischen Mitglieder agierten vor allem gegen die „verjudete“ Deutsche Fortschrittspartei.
Die frühe antisemitische Bewegung in Berlin war von Beginn an zerstritten hinsichtlich ihrer ideologischen und pragmatischen Ausrichtung.[107] Während auf der einen Seite sozialpolitische Forderungen mit antisemitischen Argumenten untermauert wurden, verlangten die radikalen Antisemiten weitreichende gesetzliche Beschränkungen des jüdischen Lebens in Deutschland. Mehrere Initiativen eines Zusammenschlusses der verschiedenen antisemitischen Gruppierungen, wie die von Adolf Stoecker initiierte konservative „Berliner Bewegung“ oder der unter der Führung von Ernst Henrici (1854-1915) ins Leben gerufene Soziale Reichsverein, scheiterten. Gerade wegen dieser Zerrissenheit beachteten die etablierten Parteien die sich politisch formierende antisemitische Bewegung nur beiläufig.[108]
Neben Berlin war Sachsen ein weiteres Zentrum antisemitischer Parteien. Der Kleinunternehmer und Lokalpolitiker Alexander Pinkert gründete 1879 in Dresden den antisemitischen Deutschen Reformverein. Im Gegensatz zu den anderen Gruppierungen überwand der Reformverein, der sich 1881 in Deutsche Reformpartei umbenannte, seinen lokalen Charakter und etablierte selbständige regionale Ortsgruppen in Hessen und Westfalen. 1882 wurde ein erster internationaler antijüdischer Kongress nach Dresden einberufen, der die Beziehungen verschiedener nationaler und internationaler Gruppierungen neu koordinieren sollte. Doch auch ein zweiter Kongress, der ein Jahr später in Chemnitz stattfand, konnte die starken Gegensätze zwischen radikalen und gemäßigten Antisemiten nicht beseitigen.
Mit der wirtschaftlichen Erholung ab 1882 begann der politische Antisemitismus zeitweise abzuflauen. Stöckers Partei schloss sich bereits 1881 der Deutschkonservativen Partei an. Weitere Versuche einer Einigung der antisemitischen Splitterparteien blieben erfolglos. Der Schwerpunkt der antisemitischen Agitation verlagerte sich stattdessen in kleinere Städte und ländliche Gebiete: Unter der Führung von Theodor Fritsch etablierte sich die 1884 gegründete „Deutsche Antisemitische Vereinigung“ in den sächsischen Kleinstädten. Der Marburger Bibliothekar und antisemitische Agitator Otto Boeckel fand auf dem hessischen Land starken Zuspruch. Bei der Reichstagswahl 1887 wurde er im Wahlkreis Kassel als erster bekennender Antisemit in den Reichstag gewählt.
Auf dem Antisemitentag in Bochum am 10. und 11. Juni 1889 wurde unter Führung Stoeckers und Boeckels erneut die Einigung der verschiedenen antisemitischen Gruppierungen versucht.[109] Die Meinungen gingen aber besonders hinsichtlich der grundsätzlichen Ausrichtung der neuen Partei auseinander: Während Boeckel und seine Anhänger den eindeutig antisemitischen Charakter der Vereinigung bereits im Namen zum Ausdruck bringen wollten und sich für eine Unabhängigkeit von der Deutschkonservativen Partei aussprachen, wollte die Gruppe um Max Liebermann von Sonnenberg die neue Partei als deutschsozial bezeichnen. Den Kompromissvorschlag „Antisemitische Deutschsoziale Partei“ lehnte Boeckel ab und verließ mit seinen hessischen und Dresdner Anhängern die Tagung, eine Einigung kam nicht zustande.
Ein Beispiel für die Verdrängung der Juden aus der Öffentlichkeit war der im Kaiserreich weit verbreitete Bäder-Antisemitismus. Dieser Begriff die weit verbreitete Ausgrenzung und Diskriminierung von jüdischen Gästen in deutschen Kur- und Badeorten, vor allem für die Zeit vor dem Nationalsozialismus. Der Begriff entstand bereits im 19. Jahrhundert.[110]
Erst ab etwa 1870 wurde der Aufenthalt in Erholungsorten auch für das weniger begüterte Bürgertum erschwinglich, und der Badeurlaub kam in Mode. Die weniger renommierten Bäder waren auf die Kleinbürger als zahlende Gäste dringend angewiesen, und da gerade unter ihnen antisemitische Ressentiments weit verbreitet waren, versuchten die jeweiligen Orte, sich bei ihnen mit antijüdischer Reklame zu empfehlen. Der gesellschaftliche Antisemitismus wurde von den Bäderverwaltungen gezielt eingesetzt, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. In vielen Fällen ging die Agitation auch direkt von Kurgästen aus. Dafür gibt es bereits vor 1900 zahlreiche Beispiele. Das wichtigste Motiv war Sozialneid, denn ein Badeurlaub bedeutete soziales Prestige. Gerade das untere Bürgertum fühlte seinen gesellschaftlichen Aufstieg durch so genannte jüdische „Parvenüs“ bedroht.[111]
Die Verbandszeitung des „Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ veröffentlichte regelmäßig Warnlisten mit den Namen antisemitischer Urlaubsorte, Hotels und Pensionen, die mit der Zeit immer länger wurden. 1899 wurde bereits vor rund 30 Ferienzielen gewarnt. Nach der nationalsozialistischen „Machtübernahme“ 1933 waren die Listen dann überflüssig, denn jetzt waren prinzipiell alle Kurorte judenfeindlich. In diesen Listen waren Badeorte und ganze Inseln an Nord- und Ostsee mit Abstand am stärksten vertreten. Immer wieder genannt wurden Borkum, Juist, Wangerooge, Langeoog, Spiekeroog, Scharbeutz, Müritz, Zinnowitz, Sellin auf Rügen, Bansin und auch Heiligenhafen. Eine vergleichbare Massierung antisemitischer Erholungsorte habe es vor 1933 in keiner anderen deutschen Ferienregion gegeben.
Als „judenfreundlich“ galten nur die Traditionsbäder Norderney, Helgoland, Westerland, Wyk auf Föhr und Heringsdorf, die antisemitische Reklame nicht nötig hatten. Es gab auch – zumindest inoffiziell – das Prädikat „Judenkurort“, als solcher galt beispielsweise Königstein im Taunus, wo sich auch Sommersitze namhafter jüdischer Bürger befanden.[112]Ende des 19. Jahrhunderts warben zahlreiche Bäder damit, „judenfrei“ zu sein, nachzulesen z.B. in einem Inselführer für Borkum aus dem Jahr 1897. Man ersann das „Borkumlied“, das täglich von der Kurkapelle gespielt und von den Gästen gesungen wurde, und in dem es heißt:„An Borkums Strand nur Deutschtum gilt, nur deutsch ist das Panier. Wir halten rein den Ehrenschild Germania für und für! Doch wer dir naht mit platten Füßen, mit Nasen krumm und Haaren kraus, der soll nicht deinen Strand genießen, der muß hinaus, der muß hinaus!“[113]
Borkum war bereits zur Jahrhundertwende eine Hochburg der Antisemiten. An Hotels hingen Schilder mit der Aufschrift „Juden und Hunde dürfen hier nicht herein!“, innen gab es einen „Fahrplan zwischen Borkum und Jerusalem (Retourkarten werden nicht ausgegeben)“. Ein 1910 erschienener Reiseführer über die Nordseebäder riet „Israeliten“ vor allem vom Besuch Borkums ab, „da sie sonst gewärtig sein müssen, von den zum Teil sehr antisemitischen Besuchern in rücksichtslosester Weise belästigt zu werden.“[114]
In der Zeit der Weimarer Republik wurde die antisemitische Agitation zunehmend radikaler. Nun wurden die Juden nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg als „Kriegs- und Inflationsgewinnler“ denunziert. Immer häufiger kam es auch zu gewalttätigen Übergriffen gegen jüdische Gäste. Zinnowitz eiferte dem Beispiel Borkums mit einem „Zinnowitzlied“ nach mit den Schlusszeilen:„Und wer da naht vom Stamm Manasse ist nicht begehrt, dem sei’s verwehrt. Wir mögen keine fremde Rasse! Fern bleibt der Itz von Zinnowitz.“[115]
Die Sozialdemokraten – als außerparlamentarische Opposition – blieben in der Debatte stumm und überließen den Linksliberalen das Feld. Kein führender Sozialdemokrat erhob seine Stimme zur Verteidigung der Juden.[116] Erst 13 Jahre später rang sich die Partei zu einer grundsätzlichen Stellungnahme durch. Dennoch: Auf pogromähnliche antisemitische Ausschreitungen am Silvesterabend 1880 in Berlin hin, beriefen die Sozialdemokraten eine Massenversammlung ein, um die Stellung der Arbeiter zur „Judenfrage“ klarzulegen. Auch in der Folgezeit demonstrierten sozialdemokratische Arbeiter in antisemitischen Versammlungen.[117]
Doch auch innerhalb der Sozialdemokratie gab es einen volkstümlichen, „taktischen“ Antisemitismus – als Reflex auf eine in der Arbeiterschaft verbreitete intellektuellenfeindliche Stimmung. Mit dieser Haltung konnten antisemitische Angriffe gegen die Sozialdemokratie neutralisiert und auf ihre Urheber zurückprojiziert werden. Sicherlich war die deutsche Sozialdemokratie – nach ihrer Selbsteinschätzung – nicht antisemitisch, einzelne Parteigenossen haben ihre Unsicherheit in der „Judenfrage“ jedoch nicht abzulegen vermocht, und es gab in der Arbeiterpartei erklärte Antisemiten. Das funktionale Argument der Sozialisten gegen den Antisemitismus war die Behauptung, dass dieser das Klassenbewusstsein der Arbeiter verschleiere und den Klassenkampf in die falsche Richtung lenke. Dieses Argument bemühte sich nicht um das Problem des Antisemitismus als solchen, schon gar nicht um dessen Opfer, sondern bildete sozusagen die funktionale und politische Grundlage in der tagtäglichen Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Wer das Judentum nicht mehr religiös, sondern als Synonym mit Geld und „Schacher“ definiert, oder – wie Marx – mit dem weltbeherrschenden bösen Prinzip „Kapital“, der muss irgendwann seine eigenen Ressentiments in eine gute Ideologie umpolen. Durch den Antisemitismus hindurch zum Klassenbewusstsein – das war ein wichtiges Element im Selbstverständnis der Arbeiterbewegung. Marxens Haltung zur „Judenfrage“ hat dazu beigetragen judenfeindliche Vorurteile innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung zu bewahren und den Juden mit dem kapitalistischen Ausbeuter gleichzusetzen. Erst als die Sozialdemokratie begriffen hatte, dass sich Antisemiten und Konservative zu einer Allianz gegen die Arbeiterbewegung zusammengeschlossen hatten und der Antisemitismus eine Domäne und integraler Bestandteil der Rechten geworden war, trat die Partei deutlich und programmatisch dagegen auf. Allgemein lässt sich feststellen, dass die deutsche Sozialdemokratie insgesamt in Theorie und Praxis den Antisemitismus ablehnte, wenngleich sie ebenso grundsätzlich allen Bestrebungen der Juden, ihre religiösen, kulturellen oder nationalen Traditionen zu bewahren oder mit neuem Leben zu erfüllen, gleichgültig bis feindlich gegenüberstand.[118]
Während der stürmischen Industrialisierung und Modernisierung Deutschlands gelang den Juden zwar eine weitgehende Akkulturation, aber von einer „Symbiose“ der jüdischen und nichtjüdischen Bevölkerung kann nicht die Rede sein. Viele Juden schafften den sozialen Aufstieg in Bereiche des Handelns, einiger Industriebranchen und der Geldwirtschaft. Allgemein strebten sie ins Besitz- und Bildungsbürgertum, da ihnen auch trotz der rechtlichen Emanzipation nach der Reichsgründung de facto Stellungen im öffentlichen Dienst und eine Militärlaufbahn vorenthalten blieben. Obwohl die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 die rechtliche und politische Gleichstellung der Juden gesetzlich verankerte und mithin die Emanzipation äußerlich zu einem Ende gelangt war, bestand eine Kluft zwischen dem geschriebenen und dem in Wirklichkeit geltenden Gesetz, „zwischen Sollen und Sein, zwischen Sittlichkeit und Sitte“.[119] So drängten viele in die freien Berufe und den ihnen offenstehenden Kulturbereich – hier ließ sich eine gute Bildung mit der Möglichkeit, Besitz zu erwerben, verbinden. Die Berufe, in denen Juden stärker repräsentiert waren – Verleger, Regisseure, Schauspieler, Journalisten und Kritiker -, waren zugleich diejenigen, denen ein hoher öffentlicher Bekanntheitsgrad zukam. Folglich waren die Antisemiten religiöser, wirtschaftlicher und rassistischer Prägung ohne große Schwierigkeiten imstande, auf die „Überfremdung“ des deutschen Volkes durch die Juden hinzuweisen und, indem sie deren weithin bekannte Namen nannten, diese als Träger der Moderne und damit als die Zerstörer der althergebrachten Ordnung zu brandmarken.
Auch in Krisenzeiten konnten die wirklichen Urheber des Massenelends auf die jüdischen „Sündenböcke“ verweisen, um die breite Masse zu verdummen und abzulenken. Derartige Krisen erlebte das emanzipierte deutsche Judentum v.a. nach dem „Gründerkrach“ ab 1873, als nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 und der nachfolgenden Hochkonjunktur die deutsche Wirtschaft zusammenbrach. Für die „große Depression“ wurden in der deutschen Öffentlichkeit „Spekulierende“ jüdische Kapitalisten verantwortlich gemacht, aber es waren ebenso einzelne jüdische Namen, die als Symbole für den unvorstellbaren wirtschaftlichen Aufstieg galten. Der wirtschaftliche Antisemitismus hatte ein ganzes Arsenal verleumderischer Vorwürfe gegen die Juden parat: unfaire Konkurrenten, volkswirtschaftliche Parasiten, kapitalistische Ausbeuter, ungehemmte Profitstreber, Zerstörer einheimischer und altdeutscher Produktionsweisen, „artfremde“ Werbungspraktiker.
Der wirtschaftliche Antisemitismus wuchs sich nach der deutschen Reichsgründung zu einer feststehenden Größe aus: Herkommend aus dem Konkurrenzmotiv, aufgeladen mit Fremdenhass, stabilisiert durch die Ungunst wirtschaftlicher Umstände, entstand besonders in der mittelständischen Bevölkerung ab dem frühen 19. Jh. eine erhebliche Existenzangst, deren Urgrund wiederum den Juden zugeschrieben wurde.[120] Sie galten als internationale Finanzverschwörer, die Inflation, Wirtschaftskrisen und Kriege manipulierten, um sich zu Börsenherren aufzuschwingen, mit dem Ziel, die Weltherrschaft an sich zu reißen.
Mit der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 war den Juden in Deutschland zwar die volle gesetzliche Gleichberechtigung gewährt worden, doch zugleich markieren die nachfolgenden Krisenjahre den Beginn des modernen Antisemitismus. Nicht mehr religiös, sondern rassisch definiert, sahen sich die Juden nunmehr Vorurteilen ausgesetzt, denen sie nichts entgegenzusetzen vermochten. Innerhalb eines Menschenalters wurde Auschwitz möglich. Antisemitismus als konzertierte Aktion mit dem Ziel, antijüdische Denkweise in politische Aktion umzumünzen, erlangte hauptsächlich in Deutschland Bedeutung. Hauptingredenzien des neuen giftigen Gebräus: als Antikapitalismus verkleideter Antisemitismus mit einem Schuss deutschem Sozialismus. Protagonisten des deutschen Antisemitismus waren u.a. Stöcker, Treitschke, Eugen Dühring, die vorwegnahmen, was die nationalsozialistischen Vernichtungsantisemiten Jahre später in die Tat umsetzten.
Der moderne Antisemitismus formierte sich im politisch-gesellschaftlichen Bereich und fand als integraler Bestandteil in den 1880er Jahren Eingang in Parteiprogramme. Hier manifestierte sich eine fortschritts- und demokratiefeindliche Ideologie, die bewusstseinsstiftend auf die nachfolgenden Jahrzehnte wirkte. Als neues, alles überlagerndes Moment antisemitischer Theorien bildete sich der Begriff der „Rasse“ heraus.[121]
In der Zeitspanne von der Reichsgründung bis zum Ende der Weimarer Republik war die Geschichte der Juden in Deutschland einerseits durch eine fortschreitende Assimilation, andererseits jedoch durch wachsende Widerstände gegen diesen Integrationsprozess gekennzeichnet. Die wirtschaftliche Krise, die sich nach der deutschen Reichsgründung 1871 im „Gründerkrach“ von 1873 niederschlug, war der Ausgangspunkt einer organisierten antijüdischen Bewegung. Judenhass war nichts Neues in Deutschland. Aber im Unterschied zu früheren Zeiten war der Hass jetzt nicht gegen die Anhänger des jüdischen Glaubens gerichtet, sondern gegen die Angehörigen der „jüdischen Rasse“. Nach dieser Definition galten als Juden auch diejenigen, die sich selbst nicht mehr zum jüdischen Glauben bekannten, durch Taufe aus dem Judentum ausgetreten oder Nachkommen von Juden waren, die eine Generation vorher das Judentum verlassen hatten.
Die moderne Judenfeindschaft in Deutschland bedurfte einer nomenklatorischen Sprachregelung, und diese erhielt sie durch das von Wilhelm Marr 1879 geprägte Wort „Antisemitismus“.[122] Dies war der Begriff, mit dem sämtliche antijüdischen Motive und Argumente der vorangegangenen Jahrzehnte gebündelt, etikettiert und zudem alle Vorurteile „verwissenschaftlicht“ werden konnten. Seinen kirchlichen und universitären Segen erhielt der moderne Antisemitismus durch den Hofprediger Adolf Stöcker und den Historiker Heinrich v. Treitschke. Kirche und Katheder waren eine unheilige Allianz eingegangen und gaben die Parole aus: „Die Juden sind unser Unglück!“[123]
Marr grenzte sich in seinen Schriften von der traditionellen religiösen Judenfeindschaft ab und behauptete, dass die Juden eine fremde Rasse von „Parasiten“ seien, die erfolgreich die Ausbeutung Deutschlands betreibe.[124] Diesen Paradigmenwechsel von Religion zu Rasse verdeutlichte er durch die Einführung des Begriffs „Antisemitismus“ in den zeitgenössischen politisch-gesellschaftlichen Diskurs. Es ist allerdings nicht sicher, dass die Begriffsschöpfung tatsächlich auf ihn zurückgeht, da das Adjektiv „antisemitisch“ schon 1873 belegt ist.
Agitatorisch erreichte Marr große Resonanz, parteipolitisch hatte er einen Misserfolg nach dem anderen einzustecken. 1890 zog er sich, gesundheitlich angeschlagen und politisch verbittert, ins Privatleben zurück und geriet zuletzt noch in Streit mit seinem Schüler Theodor Fritsch, den er des „Geschäftsantisemitismus“ bezichtigte.[125]
Politisch war Marr mit seiner Liga ab 1880 isoliert, da andere Antisemiten neue Parteien gründeten und eine allzu offene rassistische Propaganda ablehnten. Als Linksliberaler und Atheist blieb er innerhalb der antisemitischen Szene ein Außenseiter. Umgekehrt war er bei der politischen Linken wegen seines Antisemitismus diskreditiert.
Jedoch prägte Marr wesentliche Klischees und Schlagworte, die weit über seinen persönlichen Erfolg hinaus weiterwirkten und die Diskussion um die „Judenfrage“ bestimmten. So legte er 1880 mit seiner Schrift Goldene Ratten und rothe Mäuse die Basis für die verschwörungstheoretische Gleichsetzung von Judentum, Kapitalismus und Kommunismus, wie sie später Adolf Hitler in Mein Kampf vertrat:„Von zwei Seiten wird also die Zerstörung der Gesellschaft betrieben; von Seiten der goldenen und rothen Internationale. Dort vom Standpunkt des krassesten Individualismus aus, hier vom mehr oder weniger bewussten kommunistischen Standpunkt. Das Judenthum hat die Führerschaft der goldenen Internationale übernommen… Die, liberale‘ Gesetzgebung hat uns dem Kapitalismus gegenüber nahezu wehrlos gemacht… Ein Volk von geborenen Kaufleuten unter uns, die Juden, hat eine Aristokratie, die des Geldes, geschaffen, welche alles zermalmt von Oben her, aber zugleich auch eine kaufmännische Pöbelherrschaft, welche durch Schacher und Wucher von Unten herauf die Gesellschaft zerfrisst und zersetzt.“[126]
Gobineau ging von einem gemeinsamen Ursprung aller „Menschenrassen“ in der Schöpfung aus.[127] Doch ihre Verbreitung über die gesamte Erde und die Anpassung an unterschiedliche Lebensräume habe zu einer Ungleichheit der „Rassen“ geführt. Zivilisatorisch hochstehende Fähigkeiten besitze allein die „weiße Rasse“, insbesondere die „Arier“. Ihre Neigung zu Eroberung und Bevölkerungsvermehrung führe aber zu einer zunehmenden Mischung mit den als kulturunfähig titulierten „schwarzen und gelben Rassen“, was eine Nivellierung und Kulturlosigkeit zur Folge hätte.
Gobinistisches Gedankengut lässt sich an vielen Stellen bei Richard Wagner nachweisen. In den Bayreuther Blättern erschien schon 1882/1883 auf Veranlassung Wagners eine umfangreiche Zusammenfassung des „Essai sur l’inégalité des races humaines“ von Hans von Wolzogen. Weiterhin publizierten die Bayreuther Blätter regelmäßig die Berichte der im Jahre 1894 gegründeten Gobineau-Gesellschaft.[128]
Der Rassismus bei Gobineau war noch nicht mit dem Antisemitismus verbunden; diese Verbindung wurde erst durch die Gobineau-Rezeption im Umfeld Richard Wagners hergestellt.[129] Das Werk Gobineaus wurde von Karl Ludwig Schemann, einem Mitglied des Bayreuther Kreises um Cosima Wagner, ins Deutsche übersetzt und nahm Einfluss auf Cosima Wagners Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain, der Gobineaus Grundgedanken um einen verstärkten Antisemitismus ergänzte. Schemann interpretiert in Gobineaus Werk einen „Rassenkampf“ zwischen „Ariern“ und „Semiten“ hinein, obwohl Gobineau die Juden zur „weißen Rasse“ gezählt hatte.[130]
Wagner bewunderte die Schrift Gobineaus; ihn faszinierte vor allem dessen Vision der Arierdämmung.[131] Er distanzierte sich jedoch in zwei entscheidenden Punkten von Gobineaus Thesen. Erstens lehnte er die standes- bzw. stammesmäßig geschlossenen Ehen als Mittel zur Bewahrung und Weitergabe der „Rassennatur“ ab. Außerdem sah er mit der Rassenmischung das kulturelle Potential der Menschheit als nicht erschöpft an, stattdessen sprach er von einer Befähigung der Gattung zur Mutation. Angesichts der Vernichtungsgefahr, mit der die Menschheit aufgrund der Degeneration konfrontiert sei, sei damit zu rechnen, dass sich die Lebenskraft der Gattung noch einmal verdichte und einen qualitativen Sprung bewirke. Es sollte nicht nur ein höher organisiertes Individuum, sondern eine neue Spezies geschaffen werden: den „Erlöser bzw. den Gottmenschen, in dem sich die Gattung selbst sublimiere“.[132] Wagner hat in der „Rassenmischung“ den „Gewinn einer allgemeinen moralischen Übereinstimmung“ gesehen, auf deren Basis das Kunstwerk der Zukunft gedeihen könne.[133]
Richard Wagners Weltbild war geprägt von einer unbestimmten Sehnsucht nach Aufbruch, Umsturz und Revolution, nach einer meist nicht näher definierten neuen Form der Kunst und Gesellschaft durch Untergang des Bestehenden.[134] Seine Gedanken waren durchdrungen von romantischen Aspekten wie der Rückkehr zur Natur und der Ablehnung der Industrialisier­ung, sowie nationalistischer Phantasien von der totalen Homogenität einer „Rasse“ oder eines Volkes.
Wenn seine persönliche Eitelkeit angegriffen wurde oder sich der erhoffte finanzielle Erfolg nicht einstellte, machte er dafür häufig eine angebliche jüdische Verschwörung verantwortlich. Die missgünstige Diffamierung von jüdischen Komponisten wie Giacomo Meyerbeer und Felix Mendelssohn Bartholdy versuchte er mit Schriften wie „Das Judentum in der Musik“ und dem darauf aufbauenden „Brief an Gräfin Muchanow“ zu belegen; um diese persönliche Motivation zu überdecken.[135]

In seinem Werk „Das Judenthum in der Musik“ aus dem Jahre 1869 sprach Wagner ohne notwendigen Bezug auf die musiktheoretische Polemik vom „natürlichen Widerwillen gegen jüdisches Wesen.” Die angebliche Weltherrschaft der Juden wird außerdem angesprochen:[136] „Der Jude ist nach dem gegenwärtigen Stande der Dinge dieser Welt wirklich bereits mehr als emanzipiert: er herrscht, und wird solange herrschen, als das Geld die Macht bleibt, vor welcher alles unser Thun und Treiben seine Kraft verliert”. Seine Schrift schließt mit folgenden Worten an die Juden:[137] „Aber bedenkt, dass nur Eines eure Erlösung von dem auf euch lastenden Fluche sein kann: die Erlösung Ahasvers, – der Untergang!”
Durch praktisch alle Opern Wagners zieht sich wie ein roter Faden der Hass auf das Jüdische, wenn auch in den frühen weniger offensichtlich und bestimmend.
Seine Opern waren „treue mythologische Widerspiegelungen dessen zu sein, was er in seinen Aufsätzen als eine durch das Jüdische verdorbene deutsche Welt beklagt, von welchem sie durch ‚Vernichtung’ oder ‚Untergang’ erlöst werden müsse.“[138]
Seit 1850 hat er die „Vernichtung“ oder den „Untergang“ des Judentums gefordert. Es stellt sich aber die Frage, ob Wagner von „Vernichtung des Judentums“ im übertragenen oder wörtlichen Sinne meinte. Wagners Weltbild in seinem letzten Lebensjahrzehnt ist von der Überzeugung durchdrungen, dass die revolutionäre deutsche Lösung der Judenfrage die Vertreibung sein müsse, da eine Assimilation unmöglich sei. In Cosimas Tagebuch ist zu lesen:[139] „Die Zeitung bringt wieder Nachrichten von Hetzen gegen die Juden in Rußland, und R. meint, es gäbe nur das, Äußerung der Volkskraft, und sagt: Gobineau hat recht, sie fühlen – die Russen -sich noch als Christer.“
Houston Stewart Chamberlain entwickelte sich zu einem großen Anhänger Richard Wagners, engagierte sich in den Wagner- Vereinen von Paris und Wien, schrieb ein Buch über Wagners Musikdramen und lieferte Beiträge für die Bayreuther Blätter. Spätestens als er 1908 Richard Wagners Tochter Eva heiratete und nach Bayreuth übersiedelte, rückte er in den engeren Kreis der Wagnerianer auf.[140] In seinem Werk „Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts“ aus dem Jahre 1899 übernahm Chamberlain von Gobineau die Deutung der Weltgeschichte mit Hilfe des „Rassenprinzips“, das er jedoch allein auf den Antagonismus von Ariern und Juden zuspitzte.[141] Die „arisch- germanischen Völker“ wären die einzige kulturschöpferische „Rasse“, während die Juden als „Gegenrasse“ das Prinzip der Zersetzung verkörperten. Laut Chamberlain löse Rassenmischung kulturellen Verfall und politischen Machtverlust aus. Chamberlain listete historiographische und ethnologische „Belege“ auf, die den Niedergang großer Reiche von der Völkerwanderung bis in die Gegenwart aus einer Steigerung des semitischen Blutanteils erklären.[142]
Er spricht nicht von der unaufhaltsamen Degeneration einer reinen „Urrasse“, vielmehr sei „Rassenzucht“ ein historisch offener Prozess. Mit der Identifikation des Schicksals der „arischen Rasse“ und der Weltmission des Deutschtums schmeichelte er dem imperialistischen Sendungsbewusstsein der Ära Wilhelms II. Sein Monumentalwerk wurde zu einer der wichtigsten Schriften seiner Zeit; Chamberlain fand ein breites Echo in Teilen des Bildungsbürgertums auch außerhalb völkischer Kreise.[143]
Der Antisemitismus war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein zentrales Medium der Selbstverständigung in einer sich verändernden Zeit. Das Modell des souveränen Nationalstaates geriet durch Imperialismus und Globalisierung und durch eine zunehmende Dynamik innergesellschaftlicher Klassenkonflikte unter Druck geriet und schien nicht mehr die gegenwärtigen Probleme lösen zu können. Der souveräne Nationalstaat wurde als tragfähiges Ordnungsmodell immer mehr in Frage gestellt.[144]
Immer mehr setzte sich dieser angenommene und rassentheoretisch hergeleitete Gegensatz zum Judentum als eine Art neue Weltdeutung in weiten Teilen des deutschen Bürgertums fest. Mit Recht hat man ihn rückblickend als einen übergreifend gültigen „kulturellen Code“ vor allem bürgerlicher Selbstverständigung im Kaiserreich bezeichnet.[145]
Die Vorstellungen Gobineaus stießen auch bei Friedrich Nietzsche auf Resonanz. In der Schrift „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“, stellte er eine Beziehung zwischen dem Prometeus-Mythos und dem arischen Wesen her. Danach äußerte Nietzsche in der „Genealogie der Moral“, „daß die Eroberer- und Herren-Rasse, die der Arier, auch physiologisch im Unterliegen ist.“.[146]
Er sah „Rasse“ sowohl als etwas Geschichtliches wie etwas Natürliches an.[147] Sie konnte ein Produkt der Natur sein, wie es die blonden Arier der europäischen und indischen Frühzeit waren. Aber sie konnte auch das Resultat von künstlich-gewollten Veredelungsvorgängen sei, die an „unrein“ gewordenen, d.h. gemischten oder gekreuzten Populationen ansetzten. Diese künstlich-gewollte Rassenbildung schien ihn die bedeutendere zu sein:[148]
„ Es gibt wahrscheinlich keine reinen, sondern nur reingewordene Rassen, und diese in großer Seltenheit (…) Die Reinheit ist das letzte Resultat von zahllosen Anpassungen, Einsaugungen und Ausscheidungen, und der Fortschritt zur Reinheit zeigt sich darin, daß die in einer Rasse vorhandene Kraft sich immer mehr auf einzelne ausgewählte Funktionen beschränkt, während die vordem zu viel und oft Widersprechendes zu besorgen hatte: (…) weshalb reingewordene Rassen immer auch stärker und schöner geworden sind.“

Für ihn sind „die Griechen (…) das Muster einer reingewordenen Rasse und Kultur“; diesem Beispiel gilt es nachzuahmen und „eine reine europäische Rasse und Kultur“ zu schaffen.
Nietzsche verlangte die Züchtung eines neuen Adels, einer Herrenrasse:[149]
„Es wird von nun an günstige Vorbedingungen für umfänglichere Herrschaftsgebilde geben, deren Gleichen es noch nicht gegeben hat. Und dies ist noch nicht das Wichtigste: es ist die Entstehung von internationalen Geschlechts-Verbänden möglich gemacht, welche sich die Aufgabe setzten, eine Herren-Rasse heraufzuzüchten, die zukünftigen ‚Herren der Erde’; – eine neue ungeheure, auf der härtesten Selbst-Gesetzgebung aufgebaute Aristokratie, in der dem Willen philosophischer Gewaltmenschen und Künstler-Tyrannen Dauer über Jahr­hunderte gegeben wird: eine höhere Art Menschen, (…)“

Diese künstlich-gewollte Rassenbildung selbst stellte sich Nietzsche nach den Erkenntnissen der aufkommenden wissenschaftlichen Eugenik vor. Die neue Elite sollte in Anlehnung an Platon fernab von den anderen Ständen planvoll herangezüchtet werden.
An Nietzsches Idee, Rassen eher als Ergebnisse einer bewussten Züchtung denn als Naturprodukte aufzufassen, knüpften vor allem die rechten Intellektuellen der „Konservativen Revolution“ an.[150] (…) Moeller van den Bruck bezog sich darauf in seiner Zurückweisung rein biologischer Rassentheorien.[151] Die Verhältnisse innerhalb der Gesellschaft und zwischen den Völkern sollten auf der Grundlage des „Überlebenskampfes“ nach sozialdarwinistischen Prinzipien ausgetragen werden.[152] Edgar Julius Jung unterschied zwischen höher- und minderwertigen Rassen und wollte eine neue Aristokratie nur aus den ersteren schaffen.[153] Hans Blüher sprach von einer „Primärrasse“, die seit Anbeginn der Schöpfung existierte und ihre herausragenden Qualitäten auf dem Wege der Vererbung weitergab. Die „germanischen Rassenart“ nehme hier einen hegemonialen Platz, speziell die Deutsche.[154]
Zunächst hatte Nietzsche Wagner in seiner frühen Schrift „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“ noch als Erneuerer deutscher Kultur gefeiert und ihm in seinen „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ einen eigenen Essay „Richard Wagner in Bayreuth“ gewidmet. Diese Verehrung schlug spätestens 1879 nach Wagners vermeintlicher Hinwendung zum Christentum in „Parsifal“ in Feindschaft um. Seitdem warf er Wagner Dekadenz und ein „undeutsches” Wesen vor machte sich über das geistige Niveau der Wagnerianer in Bayreuth lustig. In seiner Spätschriften „Nietzsche contra Wagner“ wiederholte er seine Angriffe und Vorwürfe der „décadence“:[155] „Denn der Parsifal ist ein Werk der Tücke, der Rachsucht, der heimlichen Giftmischerei gegen die Voraussetzungen des Lebens, ein schlechtes Werk. – Die Predigt der Keuschheit bleibt eine Aufreizung zur Widernatur: Ich verachte jedermann, der den Parsifal nicht als Attentat auf die Sinnlichkeit empfindet.“

Mit der Gründung der „Christlich-sozialen (Arbeiter-)Partei“ suchte Stöcker eine parteipolitische Alternative zur weitgehend religionskritischen und kirchenfeindlichen Arbeiterbewegung zu schaffen. Schon zu Beginn seiner politischen Tätigkeit hatte es von ihm sporadisch judenfeindliche Äußerungen gegeben, doch zum Protagonisten des Antisemitismus avancierte er erst Ende der 1870er Jahre. Im September 1879 hielt er mit dem Vortrag „Unsere Forderungen an das moderne Judentum“ seine erste programmatische judenfeindliche Rede. Durch das große Echo wurde er mit diesem Thema zum Erfolgsredner, zum Demagogen und Agitator, der große Säle füllte und die Massen mitzureißen verstand.
Der Antisemitismus als Weltbild bot den zu kurz gekommenen Kleinbürgern – und nicht nur diesen – eine praktikable Ideologie an, sämtliche politischen, sozialen und ökonomischen Schwierigkeiten auf die Juden abzulenken: der Jude als Objekt rhetorischer und realer Aggressionen und Brutalitäten. Die jüdische Minderheit wurde zum gesellschaftlichen „Abladeplatz“, auf dem Ressentiments und Minderwertigkeitsgefühle kompensiert werden konnten, ohne das das soziale Gefüge des Volkes dadurch besonders in Mitleidenschaft gezogen wurde. Im Dunkel wirrer Mythen wurde ein neues Fundament gelegt, auf dessen feste weltanschauliche Pfeiler sich später der rassistische nationalsozialistische Vernichtungsantisemitismus stützen konnte. „Was der Jude glaubt ist einerlei, in der Rasse liegt die Schweinerei!“[156] war der stereotyp vorgetragene Slogan deutscher Gossenantisemiten. Zwar versuchten sich die Salonantisemiten und intellektuellen Drahtzieher von dem national(sozial)istischen Radauantiemitismus zu distanzieren, der für ihr ästhetisches Gefühl zu blutig war, doch wurden sie die Geister, die sie gerufen hatten, nicht mehr los. Der moderne Antisemitismus zog sich durch alle gesellschaftlichen Schichten, er war die nationale Klammer – bewusstseinsstiftend und konstitutiv für die politische Kultur in Deutschland und Österreich.
Unmittelbar nach der Reichsgründung, in den wirtschaftlichen Rückschlägen der Gründerjahre, artikulierten sich antijüdische Gruppen und Parteien immer deutlicher. Die Zeitschrift, die Judenfeindlichkeit gesellschaftsfähig machte, war die „Gartenlaube“. Diese illustrierte Familienzeitschrift mit einer Auflagenhöhe von etwa 400.000 Exemplaren im Jahre 1875 nahm sehr wesentlich Einfluss auf die Bildung des neuen Mittelstandes und verhalf mit einer Artikelserie aus der Feder Otto Glagaus dem Antisemitismus zu einer ungewöhnlichen Popularität bei breiten Bevölkerungsschichten. Die „Gartenlaube“ war für „warme Herzen“, doch ging es um die Juden, brach eine neue Eiszeit an: „Die ganze Weltgeschichte kennt kein zweites Beispiel, dass ein heimatloses Volk, eine physisch wie psychisch entschieden degenerierte Rasse bloss durch List und Schlauheit, durch Wucher und Schacher über den Erdkreis gebietet.“[157]
In parteipolitischer Hinsicht wurde der Antisemitismus in der Gesellschaft im Kaiserreich durch die Deutsche Reformpartei (DRP) vertreten.[158] Die Deutsche Reformpartei (DRP) war eine antisemitischePartei im Deutschen Kaiserreich. Sie wurde zunächst unter dem Namen Antisemitische Volkspartei (AVP) am 20. März 1890 von Otto Böckel gegründet. Die Partei war, ebenso wie die Deutschsoziale Partei aus der 1886 in Kassel gegründeten Deutschen Antisemitischen Vereinigung hervorgegangen. 1893 wurde sie in Deutsche Reformpartei umbenannt und wählte Oswald Zimmermann zum Vorsitzenden.
Im Gegensatz zu den eher konservativen deutschsozialen Antisemiten um Max Liebermann von Sonnenberg verfolgten die „Reformer“ einen antikonservativen Kurs und traten unter der Wahlparole „gegen Junker und Juden“ für soziale Reformen zugunsten der unteren Bevölkerungsschichten ein. Die Spannungen zwischen diesen Gruppen beschrieb der Publizist Hellmut von Gerlach: „Der eine war Mittelständler, der andere Arbeiterfreund, der eine Aristokrat, der andere Demokrat. Der eine rief zum Kampf gegen Juden und Junker auf, der andere ging mit den Großagrariern durch dick und dünn. Bei jeder Abstimmung fiel die Fraktion auseinander.“[159]
Die Partei hatte ihre Schwerpunkte in Hessen unter Otto Böckel und in Sachsen unter Oswald Zimmermann.[160] Gewählt wurde sie vor allem in ländlichen Regionen von Bauern und Handwerkern. Bereits 1887 war Böckel als erster unabhängiger Antisemit in den Reichstag gewählt worden. 1890 gewann die AVP vier Mandate (Böckel, Zimmermann, Pickenbach und Werner).
1893 gewannen die Antisemitenparteien insgesamt 16 Sitze, von denen 11 auf die DRP entfielen. 1894 schloss sich die DRP mit den Deutschsozialen zur Deutschsozialen Reformpartei (DSRP) zusammen. Der Niedergang der Böckel-Bewegung in Hessen schwächte die DRP und stärkte den deutschsozialen Flügel. 1895 wurden die besonders radikalen Antisemiten Otto Böckel und Hermann Ahlwardt aufgrund ihrer antikonservativen Haltung aus der Partei ausgeschlossen, woraufhin sie die Antisemitische Volkspartei neu gründeten.[161] Diese blieb allerdings bedeutungslos. Die „Reformer“ unter Oswald Zimmermann verblieben zunächst in der DSRP, bis sich die Partei 1900 wieder in Deutschsoziale und „Reformer“ aufspaltete. Beide Flügel schlossen sich 1914 in der Deutschvölkischen Partei zusammen, deren Mitglieder den Kern des 1922 verbotenen Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes stellten.[162]
Auch Wilhelm Busch, den Pessimismus und Humanismus verbindenden geistreichen, witzigen Dichter und Zeichner, der die Schwächen des Philistertums erkannte und schonungslos karikierte, verließ die Menschenliebe, wenn die Sprache auf die Juden kam: „Und der Jud' mit krummer Ferse, krummer Nas' und krummer Hos' schlängelt sich zur hohen Börse tiefverderbt und seelenlos.“[163]
Bei Busch durchdringen sich wirtschaftliche und rassistische Ressentiments zu einem antisemitischen Gemisch, das den Juden immer negative Eigenschaften zuschreibt. „Schmulchen Schievelbeiner“ ist für ihn der typische Vertreter des deutschen Juden, dessen charakteristischer Steckbrief sich so liest: „Kurz die Hose, lang der Rock, Krumm die Nase und der Stock, Augen schwarz und Seele grau, Hut nach hinten, Miene schlau – So ist Schmulchen Schievelbeiner. (Schöner ist doch unsereiner!)“
Mit seinen satirischen Zeichnungen und Dichtungen erzielte Busch große Wirkung, seine komisch-grotesken Typen wurden Allgemeinbesitz. Das „Fremde“, das „Unheimliche“ des Juden, das Busch so wirkungsvoll darstellen konnte, fand in der Romanliteratur wie in der Karikatur zahlreiche Nachahmer. So konnte sich das Bild des krummbeinigen, höckernasigen, schwulstlippigen, hässlichen Juden, der mit unredlichen Mitteln nach dem Geld jagt und unschuldigen blonden Mädchen auflauert, stereotyp verfestigen. Buschs „gutmütige“ Karikatur des „Schmulchen Schievelbeiner“ war eine rassistische Verzerrung, wie sie dem populären Humoristen bei keiner seiner „deutschstämmigen“ Typen in den Sinn gekommen wäre. Durch ihre weite Verbreitung beeinflusste sie das Judenbild und wurde selbst von vielen jüdischen Lesern als eine Karikatur anderer Juden amüsiert zur Kenntnis genommen.
In vulgärer, hämischer und manchmal pornographischer Weise wurden Juden seit 1896 im „Simplicissimus“ überzeichnet dargestellt. Diese satirische Wochenschrift stand auf künstlerisch hohem Niveau, und auch die literarischen Beiträge konnten sich sehen lassen – Thomas Mann, Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse zählten zu den Autoren. Abstoßende Darstellungen sexueller und geschäftlicher Verdächtigungen von Juden versprachen dem Blatt eine höhere Auflage. In einer Karikatur droht der jüdische Unternehmer seinen jungen weiblichen Angestellten in jiddisch: „Man is nich sufrieden mit eiern Leistungen“, um dann, nachdem der Zweck des Begehrens erfüllt ist, in bestem Deutsch eine Lösung anzubieten: „Ihr werdet wahrscheinlich am Ersten entlassen. Die endgültige Entscheidung könnt ihr euch heut' Abend bei mir zu Hause in meiner Wohnung abholen.“[164] Der Jude als Typus, ausgestattet mit einem fremden Jargon und einem ekelhaften Aussehen nutzt hier, so will der Text glauben machen, ein ökonomisches Abhängigkeitsverhältnis aus, um mit seinen geilen Wünschen „arische“ Mädchen zu schänden. Sexuelle Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen behandelte der „Simplicissimus“ regelmäßig, manchmal satirisch kritisch, manchmal voyeuristisch genießend.
Der „hochgelehrte“ Houston Stewart Chamberlain, Engländer von Geburt und als Schwiegersohn Richard Wagners in Bayreuth lebend, seit 1914 naturalisiert, sah in den Juden eine durch ein „blutschänderisches Verbrechen“ gegen die Natur hervorgegangene „Bastardrasse“ mit unreinem Blut: „(…) ein Bastardhund ist nicht selten sehr klug, jedoch niemals zuverlässig, sittlich ist er stets ein Lump“.[165] Die wirklich große Rasse aber ist nach Chamberlain die germanische und ihr Hauptvertreter das Deutschtum, die eigentliche „Gegenrasse“ die der semitischen Juden.
Paul Bötticher, der sich Paul de Lagarde nannte, hatte sich als Orientalist einen Ruf erworben und galt als ein christlicher Vorkämpfer für eine evangelische Nationalkirche. In seinen „Deutschen Schriften“ kommen seine verdrängten atavistischen Hassgefühle in Form eines besonders bösartigen Antisemitismus zum Ausdruck: „Die Juden sind als Juden in jedem europäischen Staate Fremde, und als Fremde nichts anderes als Träger der Verwesung.“ Viele Deutsche seien zu feige, das jüdische Ungeziefer zu zertreten. Er selbst empfahl im Jahre 1888 folgende „Endlösung“: „Mit Trichinen und Bazillen wird nicht verhandelt, Trichinen und Bazillen werden auch nicht 'erzogen', sie werden so rasch und gründlich wie möglich unschädlich gemacht.“[166] Lagarde ist ein „Klassiker“ des Antisemitismus. In seinem Denken verschmelzen alle Gegensätze und Widersprüche zu einer völkischen Einheitsidee – Einheit von Rasse und Religion, von Blut und Geist. Dabei sind Blut und Rasse nach dem Verständnis der völkischen Ideologie nicht so kompromisslos und starr in rein biologischen Kategorien zu verstehen – weshalb auch christlich-kirchliche Kreise sich haben darauf einlassen können.
All diese Zitate, die beliebig ergänzt werden könnten, sind Gedankengänge des deutschen Kulturbürgertums, in dem der rassisch motivierte Antisemitismus seit den 1880er Jahren ideologisch und emotional fest verankert war. Der moderne Antisemitismus konnte sich auch und gerade etablieren, weil er von „intellektuellen“ Agitatoren organisiert wurde, deren Parolen bei den Gebildeten, Halbgebildeten und „dummen Kerls“ ankamen – ganz gleich, ob diese dem Kaiserhaus, dem Adel, der Geistlichkeit, der Beamten-, Professoren- und Lehrerschaft, den Angestellten, dem Handwerkertum oder der Kaufmannschaft angehörten. Gegen den antisemitischen Bazillus zeigte sich allein die Arbeiterschaft weitgehend immun.
Die große Verbreitung und politische Wirksamkeit des Antisemitismus – im Jahre 1893 gab es z.B. 16 Abgeordnete antisemitischer Parteien im Reichstag – führten den Juden vor Augen, dass die Integration in die Gesellschaft des wilhelminischen Kaiserreiches nicht so problemlos verlaufen würde, wie es nach der in der Reichsverfassung verbrieften Rechtsgleichheit schien.[167] Sowohl die Argumentation während der Emanzipationszeit, die Juden hätten ihre „Eigenart“ aufzugeben und sich in die deutsche Gesellschaft einzufügen, wie auch die Vorwürfe der Antisemiten, die den Juden generell „undeutsche“ Eigenschaften und Fremdheit vorwarfen und damit grundsätzlich die Möglichkeit ihrer gesellschaftlichen Anpassung negierten, hatten die jüdischen Staatsbürger veranlasst, ihre deutsche Seite stets sehr deutlich zu betonen. Trotzt der Erfahrungen des Antisemitismus hat die Mehrheit der deutschen Juden den Weg der Assimilation niemals in Frage gestellt. Nur ein kleiner Teil zog aus der Realität des Antisemitismus die Konsequenz, sich der um die Jahrhundertwende entwickelnden zionistischen Bewegung anzuschließen.
Wie keine andere nationalistische Organisation im Deutschland des Kaiserreichs wirkte der im Jahre 1891 gegründete „Alldeutsche Verband“ an der Herausbildung und Verbreitung des Rassenantisemitismus mit. Als Sammelbecken der Antisemiten übernahm er die Führung der völkischen Bewegung. In dem großes Aufsehen erregenden (1912 pseudonym erschienenen) Buch seines Vorsitzenden Heinrich Class „Wenn ich Kaiser wär“ sind Forderungen zur „Behandlung“ der Juden enthalten, die zehn Jahre später im Programm der NSDAP wiederkehren sollten. In dieser Propagandaschrift entwickelte Class seine Pläne, die darauf abzielten, jede weitere Demokratisierung Deutschlands zu verhindern und bereits eingeleitete Entwicklungen rückgängig zu machen. Class forderte u.a. die Aufhebung der Judenemanzipation, Verhinderung jeder jüdischen Einwanderung, Ausweisung aller nichteingebürgerten Juden und ein Fremdenrecht für alle deutschen Juden. [168]
Die grundlegenden Elemente der Ideologie der Alldeutschen fanden sich auch in deren Idee des völkischen Staats wieder. Die beiden Alldeutschen Heinrich Class und Leopold von Vietinghoff-Scheel entwarfen mehrere, komplexe Konzepte für dieses Hochziel des Verbandes. Im Wesentlichen basierten diese Pläne auf rassistischen und antisemitischen Ansichten und sahen deshalb eine Aussonderung nicht-deutscher Bürger vor. Danach könnte sich „das deutsche Volk … seelisch, geistig und körperlich von Stufe zu Stufe“ fortentwickeln. Dabei zeigt sich erneut das Ziel einer Rassenreinheit. Vietinghoff-Scheel forderte darüber hinaus eine Differenzierung der Bevölkerung in rassistischen Kategorien (wie etwa ‚Brauchbare‘ oder ‚Minderwertige‘). Von besonderer Bedeutung waren dabei die Themen Bildung und Jugend. Bereits bei der Schulbildung sollten alldeutsche, völkische Ansichten und Werte vermittelt werden, um die folgenden Generationen mit diesen Vorstellungen und Ideen zu prägen. Darüber hinaus sollte eine neue Reichs- und Wirtschaftsordnung geschaffen und eine verstärkte Politik in Bezug auf Bevölkerung und Raumplanung betrieben werden. Die Ablehnung von Parlamentarismus und Liberalismus führten zu der alldeutschen Forderung nach einer völkischen Diktatur.
Das Bewusstsein ihrer gesellschaftlichen Randstellung beeinflusste die Haltung der deutschen Juden im 1. Weltkrieg. Mit dem grössten Teil der nichtjüdischen Bevölkerung ließ sich die Mehrheit der Juden von der allgemeinen Kriegsbegeisterung mitreißen. In den Synagogen wurde für den „Sieg der deutschen Waffen“ gebetet und in den jüdischen Zeitungen erschienen Kriegsgedichte, die in ihrem patriotischen Überschwang die Stimmung jener Tage widerspiegelten. In allen öffentlichen Aufrufen kam jedoch noch ein weiteres Motiv zum Ausdruck: Die große Mehrheit der Juden hoffte, durch die Betonung ihrer patriotischen Gesinnung die letzten Hindernisse auf dem Wege der Eingliederung in die deutsche Gesellschaft zu überwinden. Auch die jüdischen Freiwilligen wollten als „stammesstolze Juden“ zu den „besten Söhnen des Vaterlandes“ gehören.[169]
Selbst im Lager der offenen Antisemiten schien es zunächst, als ob man denn jüdisch-nichtjüdischen „Burgfrieden“ akzeptieren wollte. Jedenfalls schrieb Houston St. Chamberlain 1915: „Deutschland zählt (…) zehnmal soviele Juden (als England), und wo sind sie jetzt! Wie weggeputzt von der gewaltigen Erhebung: als 'Juden' nicht mehr auffindbar, denn sie tun ihre Pflicht als Deutsche vor dem Feinde oder daheim.“[170]
Doch die Verbrüderung war trügerisch. War der Antisemitismus in Deutschland bei Kriegsbeginn „staatlicherseits“ obsolet geworden, so wurde er nach der Besetzung Russisch-Polens durch deutsche Truppen 1915 sehr bald vehement wiederbelebt. Als billige Arbeitskräfte teils freiwillig angeworben, teils gewaltsam ins Deutsche Reich deportiert, wurden die ostjüdischen Arbeiter bald Anlass zu wilder Agitation. Und weil die Regierung Bethmann-Hollweg nach Ansicht der Völkischen nicht genug gegen den „Zustrom“ der Ostjuden tat, wurde sie als „verjudet“ beschimpft. Die extremen Nationalisten und Antisemiten gaben jede Form der Zurückhaltung, auch dem Kaiser gegenüber, auf.
„Überall grinst das Judengesicht, nur im Schützengraben nicht!“ war ein für diese Zeit typischer, die Juden verunglimpfender und diffamierender Spottvers, der nicht nur an deutschen Stammtischen die Runde machte.[171] So ist es nicht verwunderlich, dass es im Herbst 1916 auf antisemitischen Druck zu einer sog. „Judenzählung“ kam, mit deren Hilfe das Kriegsministerium die aktive Beteiligung der jüdischen Soldaten am Weltkrieg nachprüfen ließ. Dass dieser statistischen Erhebung antisemitische Motive zugrunde lagen, geht nicht nur aus der Tatsache hervor, dass ausschließlich jüdische Soldaten erfasst wurden, sondern auch daraus, dass ihr Ergebnis nicht veröffentlicht wurde, so dass antisemitische Agitatoren weiterhin das Märchen von der „jüdischen Drückebergerei“ verbreiten konnten. Bekannt gemacht, hätten die Daten das Gegenteil des von den Initiatoren der Erhebung Beabsichtigten belegt. Die „Judenzählung“, mit der der antisemitischen Agitation erstmals ein Durchbruch größten Ausmaßes glückte, hatte für die Betroffenen nur die Wirkung, stigmatisiert und degradiert worden zu sein.
Das Militär war vollends zur Kaderschmiede der Judenfeindschaft geworden. Spott und Witze über die angebliche Untauglichkeit der Juden als Soldaten hatten geradezu sprichwörtlichen Charakter und machten in Offizierskasinos und in breiten Gesellschaftskreisen des wilhelminischen Deutschlands die Runde.[172] Dabei hatten die Juden in Deutschland seit den Befreiungskriegen ihre Pflicht als Soldaten tapfer erfüllt und sich damit gewissermaßen ihre Gleichberechtigung als loyale Staatsbürger „erkämpft“. Doch das Militär blieb der gesellschaftliche Bereich, in dem die Juden auch nach der rechtlichen Emanzipation keine Aufstiegsmöglichkeiten besaßen. Bei aller weitverbreiteten, aus der jüdischen Tradition abzuleitenden pazifistischen Grundhaltung dokumentierten Juden ihren Patriotismus auch dadurch, dass sie in fünf Kriegen in aller Regel freiwillig zu den Fahnen eilten.
In seiner autobiographischen Schrift „Mein Weg als Deutscher und Jude“ hat Jakob Wassermann die Atmosphäre im Vorkriegsheer in eindrucksvoll-erschreckender Weise festgehalten. Schon die distanziert-verächtliche Haltung der Vorgesetzten sei schwer erträglich gewesen: „Obwohl ich meine Ehre und ganze Kraft darein setzte, als Soldat meine Pflicht zu tun und das geforderte Maß der Leistung zu erfüllen, (…) gelang es mir nicht, die Anerkennung meiner Vorgesetzten zu erringen, und ich merkte bald, dass es mir auch bei exemplarischer Führung nicht gelungen wäre, dass es nicht gelingen konnte, weil die Absicht dawider war.“ Und weiter: „Von gesellschaftlicher Anerkennung konnte nicht die Rede sein, (…) Beförderung über eine zugestandene Grenze hinaus kam nicht in Frage, alles, weil die bürgerliche Legitimation unter der Rubrik Glaubensbekenntnis die Bezeichnung Jude trug.“ Bei den niederen militärischen Rängen, den Mannschaften, spürte Wassermann eine besondere Judenfeindschaft, die er als noch „quälender“ empfand als das Verhalten der Vorgesetzten: „Auffallender, weitaus quälender war mir (…) das Verhalten der Mannschaften. Zum ersten Mal begegnete ich jenem in den Volkskörper gedrungenen, dumpfen, starren, fast sprachlosen Hass, von dem der Name Antisemitismus fast nichts aussagt, weil er weder die Art, noch die Quelle, noch die Tiefe, noch das Ziel zu erkennen gibt. Dieser Hass hat Züge des Aberglaubens ebenso wie der freiwilligen Verblendung, (…) der Ranküne des Benachteiligten, Betrogenen ebenso wie der Unwissenheit, der Lüge und Gewissenlosigkeit (…) wie des religiösen Fanatismus. Gier und Neugier sind in ihm, Blutdurst, Angst, verführt, verlockt zu werden, Lust am Geheimnis und Niedrigkeit der Selbsteinschätzung.“ Und den Antisemitismus deutscher Prägung sieht Wassermann so: „Er ist in solcher Verquickung und Hintergründigkeit ein besonderes deutsches Phänomen. Es ist ein deutscher Hass.“[173]
Die Dreyfus Affäre in Frankreich blieb auch in Deutschland nicht unbeachtet und wurde kontrovers zwischen Antisemiten und toleranten Menschen diskutiert. Als Dreyfus-Affäre bezeichnet man die Verurteilung des französischen Artillerie-Hauptmanns Alfred Dreyfus 1894 durch ein Kriegsgericht in Paris wegen angeblichen Landesverrats zugunsten des Deutschen Kaiserreichs und die dadurch ausgelösten, sich über Jahre hinziehenden öffentlichen Auseinandersetzungen und weiteren Gerichtsverfahren.[174] Die Verurteilung des aus dem Elsass stammenden jüdischen Offiziers basierte auf rechtswidrigen Beweisen und zweifelhaften Handschriftengutachten. Für die Wiederaufnahme des Verfahrens und den Freispruch Dreyfus’ setzten sich zunächst nur Familienmitglieder und einige wenige Personen ein, denen im Verlauf des Prozesses Zweifel an der Schuld des Angeklagten gekommen waren.
Der Justizirrtum weitete sich zum ganz Frankreich erschütternden Skandal aus. Höchste Kreise im Militär wollten die Rehabilitierung Dreyfus’ und die Verurteilung des tatsächlichen Verräters Major Ferdinand Walsin-Esterházy verhindern.[175] Antisemitische, klerikale und monarchistische Zeitungen und Politiker hetzten Teile der Bevölkerung auf, während Menschen, die Dreyfus zu Hilfe kommen wollten, ihrerseits bedroht, verurteilt oder aus der Armee entlassen wurden. Der bedeutende naturalistische Schriftsteller und Journalist Émile Zola musste beispielsweise aus dem Land fliehen, um einer Haftstrafe zu entgehen. Er hatte 1898 mit seinem berühmt gewordenen Artikel J’accuse…! (Ich klage an …!) angeprangert, dass der eigentlich Schuldige freigesprochen wurde.[176]
Die im Juni 1899 neu gebildete Regierung unter Pierre Waldeck-Rousseau setzte auf einen Kompromiss, nicht auf eine grundsätzliche Korrektur des Fehlurteils, um die Auseinandersetzungen in der Affäre Dreyfus zu beenden. Wenige Wochen nach seiner zweiten Verurteilung wurde Dreyfus begnadigt. Ein Amnestiegesetz garantierte gleichzeitig Straffreiheit für alle mit der Dreyfus-Affäre im Zusammenhang stehenden Rechtsbrüche. Lediglich Alfred Dreyfus war von dieser Amnestie ausgenommen, was es ihm ermöglichte, sich weiter um eine Revision des Urteils gegen sich zu bemühen. Am 12. Juli 1906 hob schließlich das zivile Oberste Berufungsgericht das Urteil gegen Dreyfus auf und rehabilitierte ihn vollständig. Dreyfus wurde wieder in die Armee aufgenommen, zum Major befördert und darüber hinaus zum Ritter der französischen Ehrenlegion ernannt. Der strafversetzte Major Marie-Georges Picquart, ehemals Leiter des französischen Auslandsnachrichtendienstes (Deuxième Bureau) und eine Schlüsselfigur bei der Rehabilitierung von Alfred Dreyfus, kehrte mit dem Rang eines Brigadegenerals in die Armee zurück.[177]
Die Dreyfus-Affäre war nach dem Panamaskandal und parallel zur Faschodakrise der dritte große Skandal in dieser Phase der Dritten Republik. Mit Intrigen, Fälschungen, Ministerrücktritten und -stürzen, Gerichtsprozessen, Krawallen, Attentaten, dem Versuch eines Staatsstreiches (23. Februar 1899) und einem zunehmend offenen Antisemitismus in Teilen der Gesellschaft stürzte die Affäre das Land in eine schwere politische und moralische Krise. Insbesondere während des Kampfes um die Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens war die französische Gesellschaft bis in die Familien hinein tief gespalten.[178]
Die Friedensresolution des Reichstags im Juli 1917 und die Ankündigung der Einführung des gleichen und direkten Wahlrechts in Preussen im selben Monat waren Anlass zu einer immer vulgärer werdenden antisemitischen Phraseologie in der Öffentlichkeit. Demokratische Ideen waren in den Augen der Führer der alldeutschen Verbandsleitung „Gift“, und dies war „jüdischer Herkunft“.[179] Sie konstatierten die unumstössliche „Schuld des Judentums“ an sämtlichen politischen Veränderungen in Deutschland und an allen damaligen Erscheinungen des wirtschaftlichen, geistigen und kulturellen Lebens, die von ihnen aufs schärfste missbilligt wurden.
Bedingt durch Opfer und Entbehrungen, die der Weltkrieg den Menschen auferlegte, nahm der Antisemitismus an Bedeutung zu. Teile der wilhelminischen Machtelite passten sich der veränderten Stimmungslage an und schufen so auf ihre Weise die Grundlage für den administrativen Antisemitismus, der sich durch die nachfolgenden Jahre der Weimarer Republik zog. Noch während des Weltkriegs bildete sich eine reaktionär-demagogisch-nationalistische Bewegung mit antisemitischer Stossrichtung heraus, die in der deutschen Politik einen ebenso gefährlichen wie spürbaren Einfluss ausübte.
Anders als in Russland wurden im nationalen Überschwang bei Ausbruch des Krieges die Juden im Deutschen Reich zusammen mit den Sozialdemokraten zunächst in den sog. „Burgfrieden“ einbezogen.[180] Es schien, als sei der gegenseitige Argwohn, mit dem sich die Reichsregierung und die jüdische Gemeinschaft vor dem Krieg gegenübergestanden hatten, überwunden. Die Juden erhofften sich vom Nachweis ihrer patriotischen Gesinnung im Kriegsdienst die völlige Gleichbehandlung in der deutschen Gesellschaft. Dieser patriotische Konsens bestand vom liberalen C.V. über die Orthodoxie bis zu den Zionisten. Tatsächlich wurden Juden wie Walther Rathenau oder Albert Ballin in führende Positionen der Kriegswirtschaft berufen, und die antisemitische Agitation unterlag strenger Zensur. Der „Burgfrieden“ erwies sich jedoch als eine „Schönwetter-Konstruktion“, die vielleicht bei einem deutschen Sieg bleibende Effekte auf das deutsch-jüdische Verhältnis gehabt hätte. Je mehr sich das Kriegsglück gegen Deutschland wendete, desto mehr Raum gewann die Rechte für ihre antijüdische Agitation. Im Militär machte sich auf allen Ebenen bereits 1915 Antisemitismus wieder offen bemerkbar. Dahinter stand eine Kampagne der Rechten, die Eingaben an die Regierung und das Kriegsministerium organisierte, in denen Juden „Drückebergerei“ vorgeworfen wurde. SPD und Fortschrittliche protestierten dagegen im Reichstag, und eine Weile widerstand die Regierung dem Druck von rechts, bis sie schließlich im Oktober 1916 eine „Judenstatistik“ anordnete, die den Einsatz von Juden im Heer erfassen sollte. Gegen diese infame Maßnahme erhob sich vor allem von jüdischer Seite Protest, so dass die Ergebnisse nicht veröffentlicht wurden, was antisemitischen Unterstellungen Tür und Tor öffnete. Für die Juden bedeutete die „Judenzählung“ eine tiefe Enttäuschung, sie fühlten sich von dem Land verraten, für das sie ihr Leben einsetzten.
Die antijüdische Stimmung der Front und die von der Rechten in die Welt gesetzte Legende von der jüdisch beherrschten Kriegswirtschaft beeinflussten die Bevölkerung, die die Juden als „Schieber“ und „Kriegsgewinnler“ für die sich im „Kohlrübenwinter“ 1916/17 drastisch verschlechternde Versorgungslage verantwortlich machte.
Der Kriegsverlauf spaltete die Deutschen in zwei ideologische Lager: Die Kriegsziele der „Falken“ liefen auf einen imperialistischen „Siegfrieden“ hinaus, der Deutschland Weltgeltung sichern sollte. Innenpolitisch strebten sie die „Entfernung des Giftes aus dem deutschen Volkskörper“ an, womit vor allem das „internationale Judentum“ gemeint war.[181] In diesem Lager befanden sich die Spitzenverbände von Industrie und Landwirtschaft, die Konservative Partei, der Alldeutsche Verband und Teile der Nationalliberalen. Ihr Kampf richtete sich gegen die „Flaumacher“, die einen Frieden ohne Annexion anstrebten und für Demokratie und soziale Rechte stritten. In diesem Lager fanden sich Liberale, Linke, Juden und Katholiken. Die Polarisierung zwischen beiden Lagern wuchs. Im Reichstag wurde 1917 mit den Stimmen von SPD, Nationalliberalen und Deutschkonservativen eine Friedensresolution verabschiedet. Gegen diese von der Heeresleitung ignorierte Resolution gab es eine heftige Kampagne des AV, der BdL, der Veteranenverbände und antisemitischen Gruppen. Der AV warnte, „der Reichstag der Juden wird einen Judenfrieden machen!“[182] Im September 1917 wurde vom späteren Putschisten Wolfgang Kapp und Admiral v. Tirpitz die „Deutsche Vaterlandspartei“ gegründet, die als Sammelbecken völkisch-nationaler und annexionistischer Kreise zur mitgliederstärksten Partei des Kaiserreichs wurde.
Ein weiterer Streitpunkt war die schon vor dem Krieg debattierte „Ostjudenfrage“, also die Einwanderung russischer Juden nach Deutschland (bis 1915 ca. 90.000), die sich schon bald nach dem Kriegsausbruch intensivierte, da man nun mit der Ausdehnung Deutschlands nach Osten die Gefahr einer Masseneinwanderung heraufkommen sah.[183] In der Broschüre „Die Ostjudenfrage, Zionismus und Grenzschluß“ warnte Geheimrat Georg Fritz schon 1915 vor der Flut von „Millionen nicht nur armer, leiblich und sittlich verkümmerter Menschen, sondern rassefremder, verjudeter Mongolen“. Für eine Grenzsperre für Ostjuden gab es durchaus auch Sympathie bei deutschen Juden, die eine Verschärfung des Antisemitismus befürchteten, warnten doch rechtsstehende Verbände, die verstärkte Zuwanderung würde zum Wiederaufleben der „Judenfrage“ führen, die dann nur durch Aufhebung der Gleichberechtigung zu lösen wäre.[184] Im April 1918 kam es dann zur medizinalpolitisch mit Fleckfieber begründeten Grenzschließung, obwohl man allenthalben in Osteuropa Fremdarbeiter für die deutsche Wirtschaft anwarb. Trotz der Proteste deutsch-jüdischer Organisationen und des Auswärtigen Amtes blieb die Grenzsperre bis Kriegsende bestehen.
Die Alldeutschen und andere völkische und antisemitische Gruppen mussten nicht den Waffenstillstand, die Abdankung des Kaisers und die Ausrufung der Republik im November 1918 abwarten, um den Juden die Schuld an der Niederlage zu geben, hatten sie doch bereits 1917 den Krieg in einen Kampf ums Dasein zwischen Deutschtum und Judentum umgedeutet.[185] Noch im September 1918 gründeten sie zur Koordination der antisemitischen Aktivitäten einen „Ausschuss für die Bekämpfung des Judentums“, der die Bereitschaft signalisierte, Antisemitismus bedenkenlos als politische Waffe bis hin zum Mord einzusetzen. Mit der „Dolchstoßlegende“ besaß man ein wirksames Propagandainstrument, um die Wende des Krieges aus der Verantwortung des Militärs auf andere Gruppen wie Juden und Sozialdemokraten abzuschieben. Auf jüdischer Seite sah man diese Aktivitäten mit Sorge und fürchtete, dass man sich würde „auf einen Judenkrieg nach dem Kriege gefasst machen müssen“.[186]
Der Antisemitismus der Vor- und Nachkriegszeit besitzt starke organisatorische, personelle und inhaltliche Kontinuitäten, dennoch spricht vieles dafür, im Zusammenbruch der europäischen Ordnung von 1914 und im Erleben des ersten Massenkrieges und -todes eine Zäsur zu sehen.[187] Die Erfahrung der „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts – die Wirkung des Gaskrieges auf Adolf Hitler ist bekannt – hat gemeinsam mit der von Niederlage und Revolution vor allem, aber nicht nur in den Verliererstaaten zur Ausbreitung eines revolutionären Hypernationalismus (Faschismus) geführt und die Bereitschaft der Bevölkerung verstärkt, den „alten“ Behauptungen der Antisemiten zu glauben, die „Lösung der Judenfrage“ wäre die Lösung der sozialen und nationalen Probleme. Auch wenn die Wurzeln des deutschen und österreichischen Antisemitismus vor 1914 zu suchen sind, so erklären sich seine ungeheure Dynamik und Radikalität nach 1918 aus Krieg, Niederlage, Revolution und Gewalterfahrung. Auch das Beispiel Ungarn zeigt, wie ein scharfer politischer Antisemitismus relativ unvermittelt nach der Niederlage und den Gebietsverlusten von 1918 hervortrat. Offenbar sind durch den Ersten Weltkrieg und seine Folgen die Resonanzbedingungen für antisemitische Politik in vielen europäischen Staaten grundlegend verändert worden.[188]
Gegen den wachsenden Antisemitismus setzten die Juden sich zur Wehr. In einem Aufruf erklärte der „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“: „Keine Macht der Erde wird das Band zerreißen, das sich um die Volksgenossen schlingt. Mit ihnen kämpfen wir, wenn Deutschland weiterkämpfen muss (…) Wir wollen einig sein, vergessen, was Zwietracht geschaffen hat, zurückstellen, was Zwietracht schaffen kann (…).“[189]
Doch dieser patriotische Appell blieb ungehört. Im Gegenteil: Ohne alle Umschweife forderte Class die alldeutschen Aktivisten im Oktober 1918 auf, die krisenhaften Zeitumstände zu „Fanfaren gegen das Judentum“ und die Juden „als Blitzableiter für alles Unrecht“ zu benutzen.[190] Unumwunden versicherte Class, dass er sich von keinem Mittel zurückschrecken ließe, und forderte seine Zuhörer – sich an ein Zitat Heinrich von Kleists[191] anlehnend -, zur blutigen Rache an den Juden auf: „Schlagt sie tot, das Weltgericht fragt euch nach den Gründen nicht!“[192]
Eine Hochburg antisemitischer Feindseligkeit blieb weiterhin das Militär, einschließlich der Freikorps und Freiwilligenverbände. Der Kapp-Putsch in Berlin 1920 machte dies hinreichend augenfällig: Hakenkreuze an Helmen und Fahrzeugen und Handzettel des „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes“ verteilend, zog die Brigade Ehrhardt in die deutsche Hauptstadt ein. Welches Ausmaß an Verhetzung in diesen Kreisen herrschen konnte, lässt die Eingabe eines bayerischen Freiwilligen erkennen, dessen radikale Haltung vielleicht nicht exemplarisch war, für das Militär wohl aber in ähnlicher Weise die Spitze eines Eisbergs markierte wie für die radikalen völkischen Gruppen und die gesamte, zumindest rechtsgerichtete Bevölkerung Deutschlands.
Die dem bayerischen Ministerpräsidenten 1920 eingereichte und sich ausdrücklich frei von „humanitären Erwägungen“ erklärende Denkschrift zur „radikale(n) aber gerechte(n) Lösung der Judenfrage antizipierte die Ergebnisse der Berliner „Wannsee-Konferenz“ 21 Jahre später: Innerhalb 24, längstens 48 Stunden, hätten sich 1. „der grösste Teil der Juden“ mit den „notwendigsten Bekleidungsstücken“ versehen an „bestimmten Sammelstellen“ einzufinden. Von diesen Plätzen habe dann der „Abtransport in die Konzentrationslager“ zu erfolgen. 2. Juden, die sich „durch Flucht oder durch Bestechung“ dieser Internierung zu entziehen suchten, sollten zum Tode verurteilt werden. Ihr Vermögen sei einzuziehen. 3. Deutsche, die den Juden zur Flucht verhelfen würden, sollten „das gleiche Schicksal zu gewärtigen“ haben. 4. Eröffne die Entente die Feindseligkeiten gegen Deutschland, so müsse „unverzüglich mit Repressalien an den Juden“ geantwortet werden. Bei Verhängung der Blockade „müssen die Juden dem Hungertode ausgeliefert“ werden. Erfolge der Einmarsch der Feinde, so müsse „die Niedermetzelung der Juden“ stattfinden, bis der Vormarsch eingestellt sei. 5. Die Internierung solle so lange aufrechterhalten werden, wie Deutschland „von inneren und äusseren Feinden bedroht“ bleibe. Für den Fall, dass Juden noch überlebten, sollte nach der Beseitigung der „inneren und äusseren Gefahren“ deren „restlose Abschiebung“ nach Palästina erfolgen, selbstverständlich unter Zurücklassung ihres Besitzes und Vermögens. Eine Rückkehr nach Deutschland habe als „todeswürdiges Verbrechen“ zu gelten.[193]
Freikorpssoldaten und Studenten griffen 1919 bei der (vielerorts blutigen) Niederschlagung der kommunalen Räterepubliken zusätzlich Juden an; Rosa Luxemburg wurde kurz vor ihrer Ermordung (15. Januar 1919 in Berlin) als „Judenhure“ beschimpft und schwer misshandelt. Am 21. Februar 1919 fiel der durch die Novemberrevolution in Bayern an die politische Macht gelangte erste Ministerpräsident der bayerischen Republik Kurt Eisner kurz vor seinem geplanten Rücktritt einem auch antisemitisch motivierten Mordanschlag zum Opfer. Etwa zwei Monate später, kurz nach der Niederschlagung der auf Eisners Tod folgenden Münchner Räterepublik, wurde der anarchistische jüdische Intellektuelle und Pazifist Gustav Landauer, einer der Protagonisten der ersten Phase dieser Räterepublik, am 1. Mai 1919 verhaftet, von wachhabenden Freikorpssoldaten im Zuchthaus Stadelheim misshandelt und am 2. Mai 1919 ermordet.[194]
Seit der Republikgründung 1919 konnten Juden erstmals in höchste Staatsämter aufsteigen. Obwohl auch konservative Juden skeptisch gegen die Linksparteien waren, galten sie weithin als Profiteure von Umsturz und Kriegsniederlage. Antisemiten, die bislang auf staatliche Umsetzung ihrer Ziele gehofft hatten, lehnten daher fast immer Revolution und Demokratie zugleich ab, ihre Gegner verteidigten meist beides. Während des Krieges war allzu offene antisemitische Propaganda staatlich zensiert worden, um den „Burgfrieden“ nicht zu gefährden; seit Kriegsende konnten sich die Antisemiten ungehindert neu organisieren und agitieren. Zeitungen wie das Deutsche Wochenblatt und Flugblätter hetzten gegen die Juden. Bei deren Verteilung kam es bis zum Frühjahr 1920 öfter zu Prügeleien auf offener Straße; eingreifende Polizei nahm nicht selten Juden zu ihrem Schutz oder als Anstifter fest.
Neu gegründete rechtsradikale Gruppen wie die Thulegesellschaft propagierten die Dolchstoßlegende. In ihr verbanden sich antisemitische, antisozialistische und antidemokratische Motive so miteinander, dass die gesamte nationale Demütigung – eigene Kriegsschuld, Niederlage, Revolution und Elend der Nachkriegszeit – erneut auf die jüdische Minderheit als deren angebliche Drahtzieher projiziert wurden. Juden und Sozialdemokraten, die fast seit der Reichsgründung als „innere Reichsfeinde“ markiert worden waren, wurden nun auch mit den „Bolschewisten“ identifiziert: Sie seien angeblich dem „im Felde unbesiegten“ Heer heimtückisch in den Rücken gefallen, um Deutschland fremden Mächten auszuliefern und alle kulturellen Werte der Nation zu vernichten. Dabei verwies man auf jüdische Namen unter führenden russischen wie deutschen Revolutionären.[195]
Von 1919 an wurden immer neue völkisch-antisemitische Agitationsverbände gegründet, die in dem über das ganze Reich verbreiteten „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund“ mit über 200.000 Mitgliedern ihre grösste organisatorische Plattform besaßen.[196] Mit beträchtlichen finanziellen Unterstützungen durch die Industrie und alle möglichen Wirtschaftsunternehmen konnte diese Organisation mit ihrem antisemitischen Gift in Form von Handzetteln, Flugblättern und Pamphleten aller Art Deutschland millionenfach überschwemmen. In rascher Folge erschienen Pamphlete wie „Judas Schuldbuch“[197], Arthur Dinters Roman „Die Sünde wider das Blut“, der – vorsichtig geschätzt – anderthalb Millionen Leser fand, schließlich „Die Protokolle der Weisen von Zion“, die den Mythos einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung unter die Massen brachten. In zahlreiche Sprachen übersetzt, feiert diese perfide Fälschung bis in die heutige Zeit fröhliche Urstände.
Die „Protokolle der Weisen von Zion“ sind die weitverbreitetsten und hartnäckigsten Dokumente des modernen Antisemitismus.[198] Nicht nur in rechtsextremen Kreisen dienen sie als das Beweisdokument für das vermeintliche Streben der Juden nach der Weltherrschaft. Antisemiten sämtlicher politischer und religiöser Richtungen beziehen sich auf die Protokolle.
Der Text war und ist nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil er für Menschen reaktionärer Denkweise eine einfache und griffige Welterklärung bietet, die sämtliche unerwünschte Erscheinungen der Moderne auf einen Verursacher zurückführt.[199] Kern der Verschwörungslegende bildet eine geheime jüdische Verbindung, deren Ziel es sein soll, die traditionellen gesellschaftlichen Strukturen mit Hilfe von Demokratie, Liberalismus und Kapitalismus – im Zweifelsfall auch Sozialismus – zu zerstören und auf diese Weise die Weltherrschaft anzustreben.
Der Text, der erstmals am Anfang des 20. Jahrhunderts auftauchte – eine erste russischsprachige Ausgabe erschien 1903 im Zarenreich –, ist in 24 Abschnitte gegliedert, die jeweils das Protokoll einer Versammlung der „Weisen von Zion“ darstellen sollen. In den Reden der beteiligten jüdischen Führer geht es – inhaltlich eher unstrukturiert – um die angeblichen Pläne des Weltjudentums, die Weltherrschaft zu übernehmen.[200] Dabei sollen Liberalismus und Demokratie, aber auch Finanzpolitik, eine jüdisch kontrollierte Presse und erforderlichenfalls Terror dazu dienen, die bestehenden Nationalstaaten zu destabilisieren. Am Ende sollen sich die Völker freiwillig in die Hände einer jüdischen Diktatur begeben, die dann umgehend alle Freiheiten, für die sich die Juden zuvor eingesetzt hätten, wieder rückgängig machen würde.[201] Die Darstellung als angebliches Protokoll soll dabei die Glaubwürdigkeit erhöhen. Zudem wird an mehreren Stellen auf die aktuelle Politik in Russland am Ende des 19. Jahrhunderts angespielt.
Die Echtheit des Dokuments wurde dennoch von Beginn an angezweifelt. Bereits 1921 erschien in der Times eine Artikelserie, in der die „Protokolle“ als Fälschung entlarvt wurden. Von 1933 bis 1935 befasste sich ein Schweizer Gericht mit der Entstehungsgeschichte des Dokuments und stellte fest, dass der Text dem Genre der „Schundliteratur“ zuzurechnen sei und es sich um ein Plagiat handelte.[202] Zweifelsfrei wurden die Quellen und die Schöpfer der „Protokolle“ ermittelt. Bedient hatten sich die Schöpfer der „Protokolle“ zum Beispiel aus den historisch-politischen Romanen von Hermann Ottomar Friedrich Goedsche, einem Redakteur der konservativen preußischen Kreuzzeitung, der unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe Romane veröffentlichte.
Goedsche war bestrebt, seiner Leserschaft eine antiliberale Überzeugung in einem geschlossenen Weltbild zu vermitteln.[203] Seine Bücher wären längst in Vergessenheit geraten, wäre da nicht eine Szene in seinem Roman „Biarritz“ (1868). Sie spielt auf dem berühmten Prager Judenfriedhof. Alle hundert Jahre, so der Roman, treffen sich hier die Vertreter der zwölf jüdischen Stämme, um über den Stand der Welteroberung zu beraten. Der Autor führt an dieser Stelle die wesentlichen politischen und ökonomischen Entwicklungen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf die organisierten Aktivitäten der jüdischen Minderheit zurück. Damit leistete er einen bedeutenden Beitrag zur Popularität der Denkfigur einer jüdischen Weltverschwörung und lieferte eine literarische Schablone, auf die andere Autoren zurückgreifen konnten. Die besagte Szene wurde seit 1881 auch in eigener Form als „Rede eines Oberrabbiners in geheimer Versammlung“ veröffentlicht und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Die Entlarvung als Fälschung konnte die Verbreitung des Textes kaum aufhalten. Als die Feststellung, es handele sich um „Schundliteratur“, zwei Jahre später durch eine Berufungsinstanz in der Schweiz wieder aufgehoben wurde, feierten Antisemiten das Verfahren als Bestätigung für die Echtheit des Textes. Angesichts der propagandistischen Wirkung der „Protokolle der Weisen von Zion“ ist ihre Echtheit aber von zweitrangiger Bedeutung, auch, weil Beweise, dass es sich um eine Fälschung handelte, als Lügen der jüdischen Medienmacht abgetan und so selbst zum Bestandteil der Verbreitung wurden.
Mit ihren planmäßigen Kampagnen gelang es den völkischen Organisationen, den ersten demokratischen deutschen Staat als „Judenrepublik“ verächtlich zu machen, permanent zu attackiere und schließlich aus den Angeln zu heben.[204] Zur Zielscheibe antisemitischen Terrors wurde auch Walther Rathenau, Deutschlands erster nicht getaufter jüdischer (Außen-)Minister. Aber gerade an der Person Rathenaus zeigt sich die widersprüchliche Lage der Juden in der Weimarer Republik: Zwar genossen sie seit der Novemberrevolution 1918 formal die volle – soziale Aspekte einschließende – Gleichberechtigung und konnten auch Staatsämter bekleiden, andererseits aber war ihre Bedrohung durch den militanten Antisemitismus in hohem Masse gewachsen. Rathenau wurde 1923 von Rechtsradikalen ermordet, die ihn als „Erfüllungspolitiker“ denunziert hatten. Bei dem tödlichen Attentat auf ihn spielte aber v.a. die Tatsache eine Rolle, dass er Jude war. „Schlagt tot den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau!“ – so lautete die Parole der rechtsradikalen Stosstrupps.[205]
Antisemitisch eingestellte Studenten und Akademiker und ehemalige DVP-Mitglieder fanden ihre neue politische Heimat nun in einer der rechtsextremen und bürgerlich-konservativen Parteien, vor allem in der DNVP. Diese startete 1919 eine Kampagne gegen sogenannte Ostjuden: Etwa 34.000 meist polnische Juden waren im Krieg als Rüstungsarbeiter angeworben und interniert worden; danach flohen zudem etwa 107.000 in Osteuropa verfolgte und verarmte Juden nach Deutschland. Etwa ein Viertel davon lebte vorübergehend oder dauerhaft in Berlin Mitte. Bis 1921 waren ca. 40 Prozent weitergewandert. Die DNVP verlangte ein Ende des Zuzuges und die Ausweisung der Juden, um so die Meinungsführerschaft gegenüber den „Radauantisemiten“ wiederzugewinnen. In Bayern wurden osteuropäische Juden nach dem Kapp-Putsch 1920 von den Behörden gezielt schikaniert und zum Teil in Abschiebelagern interniert.
1921 schloss die DNVP Juden und Menschen mit einem jüdischen Elternteil aus der Partei aus.[206] Die Deutsche Burschenschaft beschloss 1921 den Ausschluss jüdischer Mitglieder. Mit der Propagierung der „nationalen Revolution“ begünstigten viele Studentenverbindungen den Aufstieg des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbunds (NSDStB). Mit diesem Schlagwort fanden Konservative, bürgerliche Monarchisten, Befürworter autoritärer Staatsmodelle und des Volkstums einen gemeinsamen ideologischen Nenner. Diese Ablehnung der oft als „Judenrepublik“ verachteten Demokratie im reaktionären Bürgertum gilt als ein wichtiger Faktor, der den Siegeszug des Nationalsozialismus mit ermöglichte.
Zugleich aber gab es Mitte der 1920er Jahre einen Höhepunkt bei Friedhofs- und Synagogenschändungen. Die Schändungen waren in der deutschen Öffentlichkeit weithin diskreditiert und daher besonders provokant, gerade in der politisch vermeintlich ruhigen Phase Mitte der 1920er Jahre. Die abseits der Wohnbebauung gelegenen Friedhöfe waren ein leichtes Angriffsziel. In einer regelrechten Schändungswelle wurden zwischen 1923 und 1932 fast 200 Fälle registriert, darunter auch eine nicht geringe Anzahl in Bayern: Juni 1924 Binswangen/Schwaben; August 1924 Regensburg; Mai 1926 Memmelsdorf i.Ufr. (Lkr. Haßberge); August 1928 Pretzfeld bei Bamberg; Frühjahr 1929 Gerolzhofen (Lkr. Schweinfurt). Auch Synagogen waren ein Ziel der Angriffe, so im April 1927 die Herzog-Max-Synagoge in München, im Oktober 1928 die Synagoge in Hof und im Dezember 1928 diejenige in Gunzenhausen.
Zwei Phänomene stechen dabei hervor: Zum einen handelte es sich bei den Tätern oft um strafunmündige Jugendliche. Zum zweiten galten Schändungen als die „undeutscheste, unchristlichste, roheste, gemeinste, feigste“ Form der Judenfeindschaft (so der Schriftsteller Walter von Molo in der CV-Zeitung 21. September 28). Dadurch fiel auch konservativen Zeitgenossen die Distanzierung von den Schändungen leicht, ohne dass sie ihre antisemitische Grundhaltung aufgeben mussten.
Wie die politischen Gewalttaten generell, häuften sich in der Weimarer Republik auch Misshandlungen jüdischer Bürger.[207] Eine Zählung der Taten existiert nicht, so dass man auf Aktenüberlieferung einzelner Straftaten angewiesen ist. Bayerische Fälle sind vor allem in der Frühphase der Weimarer Republik nachweisbar, später scheinen sich die Aktionszentren verlagert zu haben. Schon 1920 wurde in München der Rabbiner Leo Baerwald (1883-1970) bei einer NSDAP-Versammlung mit Adolf Hitler als Redner angepöbelt, seine Begleiter verprügelt. Die stark zunehmende Öffentlichkeit des Antisemitismus, unter anderem durch massenhaft kursierende Flugblätter und Plakate, führte zu Schlägereien, etwa im März 1920 auf dem Münchner Odeonsplatz, als vier jüdische Männer ein Plakat abreißen wollten, eine „Menschenmenge“ sie jedoch daran hinderte. Auch gab es regelrechte Boykottkampagnen gegen Firmen mit jüdischen Eigentümern, die persönlich bedroht wurden – zum Beispiel 1922 Simon Rosenberg, Besitzer der Münchner Romeo & Neptun Schuh AG. Im Oktober/November 1923 gab es in Nürnberg und in den fränkischen Gemeinden Untermerzbach (Lkr. Haßberge) und Autenhausen (Lkr. Coburg) brutale Überfälle auf jüdische Bürger. Mit Blick auf die Lage außerhalb Bayerns sind Angriffe mit teils lebensgefährlich Verletzten etwa in Herne und Alzey (1929), in Preußisch Holland und Berlin (Kurfürstendamm-Krawall 1931) zu erwähnen.
Die gewalttätige Offensive radikaler Antisemiten hatte eine starke Wirkungskraft und zog im Lager der Anhänger und Gegner unterschiedliche Reaktionen nach sich.
Im demokratischen Lager bemühte sich vor allem der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV), die größte jüdische Organisation in der Weimarer Republik, um eine gerichtliche Ahndung der Vorfälle. Ein Spezialthema der im CV arbeitenden versierten Juristen wie Wilhelm Levinger (1877-1958) in München oder Ludwig Foerder (1886-1954) in Breslau war der Kampf gegen antisemitische Gesinnung. Antisemitismus per se war in der Weimarer Republik nicht strafbar.[208] Ein Teil der Delikte wurde aber über die Strafgesetzbuch-Paragraphen 166 (Religionsbeschimpfung) und 130 (Aufreizung zum Klassenhaß) geahndet. Der CV bemühte sich nun, durch Präzedenzurteile den Bogen möglichst weit zu spannen und alle Äußerungen von Judenfeindschaft juristisch ahnden zu lassen, scheiterte jedoch letztlich an der zum Teil rechtskonservativen Justiz. So endete ein Prozess vor dem Nürnberger Schwurgericht im November 1929 kläglich: Der CV hatte gegen den Herausgeber des „Stürmers“, Julius Streicher (NSDAP, 1885-1946), und seinen Redakteur Karl Holz (1895-1945) geklagt – ein Verfahren mit symbolischer Wirkung, weil der „Stürmer“ ein reichsweit bedeutender Stichwortgeber für vehemente, regional agierende Antisemiten war. Doch Streicher und Holz wurden trotz großer Bemühungen des CV wegen Verunglimpfung des Talmuds nach §166 StGB nur zu geringen Strafen verurteilt, was die NSDAP als Triumph zu verkaufen wusste.
Zugleich ist in den 1920er Jahren ein gesellschaftlicher Trend zur Ausgrenzung der Juden unverkennbar, der aber sehr uneinheitlich blieb und nach dem momentanen Forschungsstand nicht quantifiziert werden kann. An den Universitäten etwa wurden einzelne „jüdischstämmige“ Gelehrte diskreditiert oder gar vertrieben – in München verfolgbar am Streit um den Chemiker und Nobelpreisträger Richard Willstätter (1872-1942) und den Staatsrechtler Hans Nawiasky (1880-1961). Große Organisationen wie etwa der Alpenverein führten schon Mitte der 1920er Jahren de facto einen „Judenparagraphen“ ein, dessen Umsetzung indes im Einzelfall bezweifelt werden kann. Einzelne Hotels in Oberbayern diskriminierten Juden, indem sie ihnen die Aufnahme verweigerten. Es gab auch Gegenbeispiele, etwa Bad Kissingen, wo die Kurverwaltung mit dem CV zusammenarbeitete. Doch der sog. Bäderantisemitismus – also die Diskriminierung von Juden an Kurorten – griff weiter um sich.
Die Geschichte der deutschen Juden seit der Aufklärung ist die Geschichte des allmählichen Hineinwachsens in eine nichtjüdische – christliche – Gesellschaft, die selbst einem langdauernden Wandlungs- und Modernisierungsprozess unterworfen war. Die Forderung aus der Emanzipationszeit, die Juden sollten für die Aufnahme in die deutsche Gesellschaft ihre jüdische Identität aufgeben, war am Ende der Weimarer Zeit weitgehend erfüllt worden. Die Mehrheit der jüdischen Staatsbürger betrachtete ihre Religion als Privatsache und lebte als deutsche Staatsbürger (jüdischen Glaubens) in Deutschland, das für sie Heimat war. Die Fremdheit zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen war weitgehend geschwunden. Juden und Nichtjuden waren ununterscheidbar geworden – und gerade diese Tatsache erfüllte die Antisemiten mit wachsendem Hass. Die Nationalsozialisten, die die Saat der völkischen Alldeutschen ernteten, stellten dann durch Sondergesetze für die deutschen Juden und ihre allmähliche gesellschaftliche Ausgrenzung erneut deren Fremdheit her und kennzeichneten die jüdischen Bürger mit dem gelben Stern.
Wie der Antisemitismus in der Ideologie von nationalistischen und antidemokratischen Organisationen und Parteien seit Beginn des 20. Jh. seinen festen Platz hatte, so nahm er in der Programmatik der Nationalsozialisten von Anfang an eine zentrale Stellung ein. Für sie war der Kampf gegen die Juden zugleich Ziel und Mittel ihrer Politik. Indem die Propaganda der NSDAP sowohl das Finanzkapital als auch den Kommunismus für „jüdisch“ erklärte, schuf sie sich eine Möglichkeit, gesellschaftliche und innenpolitische Probleme in den Kampf gegen einen gemeinsamen Feind, „die Juden“, umzuleiten.[209]
Dann kam der 30. Januar 1933. Der organisierte Fackelzug in die finstere Nacht, der Beginn von Hitlers Macht. Das Ende der Emanzipation. Ein gewichtiger Vertreter des emanzipierten deutschen Judentums, Jakob Wassermann, dessen millionenfach gedruckte Werke in vielen Bücherschränken standen und der sich als Deutscher und Jude zugleich verstand, hatte – ungeachtet dieser für ihn unlöslichen Verbindung – Jahre zuvor in tiefer Resignation festgestellt: „Es ist vergeblich (…) das Volk der Dichter und Denker zu beschwören. Jedes Vorurteil, das man abgetan glaubt, bringt, wie Aas die Würmer, tausend neue zutage. Es ist vergeblich, die rechte Wange hinzuhalten, wenn die linke geschlagen worden ist, (…) sie schlagen auch die rechte. Es ist vergeblich, in das tobsüchtige Geschrei Worte der Vernunft zu werfen. Sie sagen: was, er wagt es aufzumucken? Stopft ihm das Maul. (…) Es ist vergeblich, die Verborgenheit zu suchen. Sie sagen: der Feigling, er verkriecht sich, sein schlechtes Gewissen treibt ihn dazu. Es ist vergeblich, unter sie zu gehen und ihnen die Hand zu bieten. Sie sagen: was nimmt er sich heraus mit seiner jüdischen Aufdringlichkeit? (…) Es ist vergeblich, das Gift zu entgiften. Sie brauen frisches. Es ist vergeblich, für sie zu leben und zu sterben. Sie sagen: er ist ein Jude.“[210]
Während der Zeit des Nationalsozialismus steigerte sich in Deutschland der Rassenantisemitismus, der alle antisemitischen Strömungen vereinigte, zu einem staatstragenden Vernichtungsantisemitismus. Zwischen 1941 und 1945 wurden ca. 6 Millionen europäische Juden in Vernichtungslagern fabrikmässig ermordet. Dem millionenfachen Judenmord ging die ideologisch-geistige Agitation einer Reihe von Theoretikern seit dem frühen 19. Jahrhundert voraus. Die politische Romantik, deren geistiger Ahnherr der Philosoph Johann Gottlieb Fichte war, die deutschtümelnde Publizistik eines Ernst Moritz Arndt oder Friedrich Ludwig Jahn führten zur sozialdarwinistischen Vorstellung, dass das stärkere Volkstum das schwächere besiege. Der Siegeszug der Naturwissenschaften, der eng mit dem Namen Darwin verknüpft ist, fällt zusammen mit der großen Industrialisierung seit den 1860er Jahren. Die Entwicklung wurde als Ergebnis westlicher Kulturleistung angesehen, die dazu berechtige, andere Völker zu beherrschen.
Diese Volkstumsdoktrinen, die prinzipiell von einer Hierarchie der Menschenrassen und von einer konstanten Ungleichwertigkeit ausgingen und vorgaben, die Deutschen seien als Herrenvolk von der Vorsehung dazu bestimmt, über andere zu herrschen, waren tradiertes, allgemeines, pädagogisch abgestütztes Bildungsgut. Die Volkstumsideologen schrieben den Deutschen alle guten und den Juden alle schlechten Eigenschaften zu, wobei der jüdische Volkscharakter angeboren und verderbt sei und den Krankheitskeim der Zersetzung in sich trage. Aus dieser Überhöhung des nationalen Gefühls speiste sich der aggressive Charakter des manifesten Antisemitismus und wurde sozusagen musterbildend für die spätere völkische und nationalsozialistische Propaganda.[211]
Innerhalb der Völkergemeinschaft hielten sich die Volkstumsideologen für biologisch überlegen gegenüber weniger „zivilisierten“ Völkern anderer Hautfarbe und Rasse.[212] Oswald Spenglers Hauptwerk „Der Untergang des Abendlandes“, das nach dem 1. Weltkrieg mit großem Erfolg herauskam, unterscheidet zwischen „Kultur“ und „Zivilisation“. Bei ihm gelten nur die Deutschen als „kultiviert“; die westlichen Völker bloß als „zivilisiert“. Anders der Osten, der weder als „kultiviert“ noch als „zivilisiert“ angesehen wurde. Er wurde als rückständig, minderwertig und unkultiviert betrachtet.[213]
Die Zweite Marokkokrise 1911 nahm er als Demütigung des Deutschen Reichs war, dessen Außenpolitik ihm schwächlich erschien. Dies stellte er später als den Anlass dar, mit der Arbeit an seinem Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes („Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte“) zu beginnen. Im April 1917 schloss er den ersten Band ab, der im September 1918 erschien, wenige Wochen vor Ende des Ersten Weltkriegs, an dem Spengler wegen seiner Gesundheitsprobleme nicht hatte teilnehmen können. Die Koinzidenz zwischen dem unheilverkündenden Titel und der deutschen Niederlage trug zum fulminanten publizistischen Erfolg des Buches bei. Spengler wurde schlagartig berühmt und in literarischen, wissenschaftlichen und politischen Kreisen zum Gegenstand heftiger Debatten und Kontroversen. Der zweite Band erschien 1922. Während seiner rund zehnjährigen Arbeit an seinem Hauptwerk lebte er isoliert, litt unter psychischen Problemen und später unter materiellen Schwierigkeiten. Während seiner Münchner Zeit litt Spengler stark unter seiner sozialen und intellektuellen Isolierung. „Insgeheim vergleicht er sich mit Deutschland, das ebenfalls allein ist.“[214] Er war erschöpft und fühlte sich müde. Dennoch ging er davon aus, dass sein Werk „epochemachend“ sein würde
Zwischen 1914 und 1917 verfasste Spengler zwei undatierte Denkschriften, die nur in Fragmenten überliefert sind. Die eine richtete er an Kaiser Wilhelm II., die andere an den Adel. In seiner Denkschrift an den Kaiser fordert Spengler, dass die „Monarchie der republikanischen Herausforderungen mit der Bereitschaft der Selbsterneuerung begegnen“ müsse.[215] Vom Adel forderte er, dass er auf seine politischen Privilegien verzichtet. Mit seiner antiaufklärerischen Kritik forderte Spengler eine demokratische Elitenbildung, damit „mit großer Wahrscheinlichkeit so starke Begabungen tatsächlich an der geeigneten Stelle und unter hinreichender Schulung vorhanden sind, wie das System stillschweigend voraussetzt“. Spenglers Überzeugung war, dass ein leistungsfähiger Adel in einem monarchischen Staat, der Aufstiegsmöglichkeiten für Nichtadelige bietet, grundsätzlich besser sei als eine reine Demokratie.[216]
Rassistische Dünkel Russen oder Polen gegenüber waren traditionell keine seltene Erscheinung. In den Juden hingegen, zumal aus Osteuropa stammenden, bündelten sich sämtliche Vorurteile in einem die menschliche Existenz bedrohenden Rassenantisemitismus.[217]


[1] Aring, P. G.: Die Theologie der Reformationszeit und die Juden. Unbewältigte Tradition – Enttäuschte Erwartung – „Scharfe Barmherzigkeit“. In: Günther Bernd Ginzel (Hrsg.): Antisemitismus. Verlag Wissenschaft und Politik, 1991, S. 100–123, hier S. 103
[2] Wenzel, E. Martin Luther und der mittelalterliche Antisemitismus, in: Ebenbauer, A./ Zatloukal, K. (Hrsg.): Die Juden in ihrer mittelalterlichen Umwelt, Wien 1991, S. 301–319, hier S. 308
[3] Wenzel, E. Martin Luther und der mittelalterliche Antisemitismus, in: Ebenbauer, A./ Zatloukal, K. (Hrsg.): Die Juden in ihrer mittelalterlichen Umwelt, Wien 1991, S. 301–319, hier S. 316
[4] Oberman, H. A.: Wurzeln des Antisemitismus. Christenangst und Judenplage im Zeitalter von Humanismus und Reformation. 2., durchgesehene Auflage, Berlin 1981, S. 49
[5] Wenzel, E. Martin Luther und der mittelalterliche Antisemitismus, in: Ebenbauer, A./ Zatloukal, K. (Hrsg.): Die Juden in ihrer mittelalterlichen Umwelt, Wien 1991, S. 301–319, hier S. 312
[6] Kirn, H.-M.: Das Bild vom Juden im Deutschland des frühen 16. Jahrhunderts, Tübingen 1989, S. 23
[7] Aring, P. G.: Die Theologie der Reformationszeit und die Juden. Unbewältigte Tradition – Enttäuschte Erwartung – „Scharfe Barmherzigkeit“. In: Günther Bernd Ginzel (Hrsg.): Antisemitismus. Verlag Wissenschaft und Politik, 1991, S. 100–123, hier S. 108
[8] Oberman, H. A.: Wurzeln des Antisemitismus. Christenangst und Judenplage im Zeitalter von Humanismus und Reformation. 2., durchgesehene Auflage, Berlin 1981, S. 33
[9] Kirn, H.-M.: Das Bild vom Juden im Deutschland des frühen 16. Jahrhunderts, Tübingen 1989, S. 76
[10] Stolle, V.: Israel als Gegenüber Martin Luthers – im Horizont seiner biblischen Hermeneutik. In: Siegert, F. (Hrsg.): Israel als Gegenüber: Vom Alten Orient bis in die Gegenwart. Studien zur Geschichte eines wechselvollen Zusammenlebens, Göttingen 2000, S. 322–359, hier S. 324
[11] Helmar Junghans: Martin Luther und die Juden. In: Michael Beyer, Günther Wartenberg, Helmar Junghans (Hrsg.): Spätmittelalter, Luthers Reformation, Kirche in Sachsen: Ausgewählte Aufsätze, Leipzig 2001, S. 162–189, hier S. 166
[12] Andreas Späth: Luther und die Juden. Verlag für Kultur und Wissenschaft, Bonn 2001, S. 26
[13] von der Osten-Sacken, P.: Martin Luther und die Juden – neu untersucht anhand von Anton Margarithas „Der gantz Jüdisch glaub“ (1530/31), Stuttgart 2002, S. 64
[14] von der Osten-Sacken, P.: Martin Luther und die Juden – neu untersucht anhand von Anton Margarithas „Der gantz Jüdisch glaub“ (1530/31), Stuttgart 2002, S. 73
[15] Helmar Junghans: Martin Luther und die Juden. In: Michael Beyer, Günther Wartenberg, Helmar Junghans (Hrsg.): Spätmittelalter, Luthers Reformation, Kirche in Sachsen: Ausgewählte Aufsätze, Leipzig 2001, S. 162–189, hier S. 179
[16] von der Osten-Sacken, P.: Martin Luther und die Juden – neu untersucht anhand von Anton Margarithas „Der gantz Jüdisch glaub“ (1530/31), Stuttgart 2002, S. 78
[17] Helmar Junghans: Martin Luther und die Juden. In: Michael Beyer, Günther Wartenberg, Helmar Junghans (Hrsg.): Spätmittelalter, Luthers Reformation, Kirche in Sachsen: Ausgewählte Aufsätze, Leipzig 2001, S. 162–189, hier S. 172
[18] Kirn, H.-M.: Luther und die Juden. In: Albrecht Beutel (Hrsg.): Luther Handbuch, Tübingen 2005, S. 217–225, hier S. 220
[19] von der Osten-Sacken, P.: Martin Luther und die Juden – neu untersucht anhand von Anton Margarithas „Der gantz Jüdisch glaub“ (1530/31), Stuttgart 2002, S. 112
[20] Stolle, V.: Israel als Gegenüber Martin Luthers – im Horizont seiner biblischen Hermeneutik. In: Siegert, F. (Hrsg.): Israel als Gegenüber: Vom Alten Orient bis in die Gegenwart. Studien zur Geschichte eines wechselvollen Zusammenlebens, Göttingen 2000, S. 322–359, hier S. 345
[21] Kirn, H.-M.: Luther und die Juden. In: Albrecht Beutel (Hrsg.): Luther Handbuch, Tübingen 2005, S. 217–225, hier S. 224
[22] Andreas Späth: Luther und die Juden. Verlag für Kultur und Wissenschaft, Bonn 2001, S. 31
[23] Pulzer, P. G.: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867–1914, Göttingen 2004, S. 72
[24] Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 62
[25] Hans-Günther Zmarzlik: Der Antisemitismus im Zweiten Reich. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. GWU 14, 1963, S. 273–286, hier S. 281
[26] Pulzer, P. G.: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867–1914, Göttingen 2004, S. 233
[27] Seeber, G.: Zum Kampf der deutschen Sozialdemokratie gegen den Antisemitismus im Kaiserreich. (Texte zur politischen Bildung, 16). Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Leipzig 1999, S. 7–17, hier S. 12
[28] Hans-Günther Zmarzlik: Der Antisemitismus im Zweiten Reich. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. GWU 14, 1963, S. 273–286, hier S. 283
[29] Aly, G.: Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800 bis 1933, Frankfurt am Main 2011, S. 32
[30] Ferrari Zumbini, M.: Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus von der Bismarckzeit bis Hitler, Frankfurt am Main 2003, S. 72
[31] Seeber, G.: Zum Kampf der deutschen Sozialdemokratie gegen den Antisemitismus im Kaiserreich. (Texte zur politischen Bildung, 16). Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Leipzig 1999, S. 7–17, hier S. 10
[32] Hans-Günther Zmarzlik: Der Antisemitismus im Zweiten Reich. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. GWU 14, 1963, S. 273–286, hier S. 280
[33] Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002,S. 85
[34] Ferrari Zumbini, M.: Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus von der Bismarckzeit bis Hitler, Frankfurt am Main 2003, S. 90
[35] Aly, G.: Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800 bis 1933, Frankfurt am Main 2011, S. 127f
[36] Seeber, G.: Zum Kampf der deutschen Sozialdemokratie gegen den Antisemitismus im Kaiserreich. (Texte zur politischen Bildung, 16). Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Leipzig 1999, S. 7–17, hier S. 16f
[37] Hans-Günther Zmarzlik: Der Antisemitismus im Zweiten Reich. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. GWU 14, 1963, S. 273–286, hier S. 274
[38] Aly, G.: Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800 bis 1933, Frankfurt am Main 2011, S. 74
[39] Pulzer, P. G.: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867–1914, Göttingen 2004, S. 54
[40] Hans-Günther Zmarzlik: Der Antisemitismus im Zweiten Reich. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. GWU 14, 1963, S. 273–286, hier S. 279
[41] Ferrari Zumbini, M.: Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus von der Bismarckzeit bis Hitler, Frankfurt am Main 2003, S. 75
[42] Aly, G.: Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800 bis 1933, Frankfurt am Main 2011, S. 97ff
[43] Hans-Günther Zmarzlik: Der Antisemitismus im Zweiten Reich. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. GWU 14, 1963, S. 273–286, hier S. 283
[44] Aly, G.: Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800 bis 1933, Frankfurt am Main 2011, S. 80
[45] Graetz, M.: Jüdische Aufklärung,in: Breuer,M. Graetz, M.: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Band 1, Tradition und Aufklärung 1600–1780, München 2000, S. 251-351, hier S. 253
[46] Feiner, S.: Haskala – Jüdische Aufklärung. Geschichte einer kulturellen Revolution. Hildesheim / Zürich / New York 2007, S. 76
[47] Graetz, M.: Jüdische Aufklärung,in: Breuer,M. Graetz, M.: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Band 1, Tradition und Aufklärung 1600–1780, München 2000, S. 251-351, hier S. 269
[48] Lauer, G.: Die Rückseite der Haskala. Geschichte einer kleinen Aufklärung, Göttingen 2008, S. 47
[49] Feiner, S.: Haskala – Jüdische Aufklärung. Geschichte einer kulturellen Revolution. Hildesheim / Zürich / New York 2007, S. 28
[50] Graetz, M.: Jüdische Aufklärung,in: Breuer,M. Graetz, M.: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Band 1, Tradition und Aufklärung 1600–1780, München 2000, S. 251-351, hier S. 265
[51] Gründer, K./Rotenstreich, N.: Aufklärung und Haskala in jüdischer und nichtjüdischer Sicht, Tübingen 1990, S. 34
[52] Lauer, G.: Die Rückseite der Haskala. Geschichte einer kleinen Aufklärung, Göttingen 2008, S. 89
[53] Eva G. Reichmann: Die Flucht in den Hass. 7. Auflage.1969, S. 35
[54] Ferrari Zumbini, M.: Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus von der Bismarckzeit bis Hitler, Frankfurt am Main 2003, S. 39f
[55] Clemens Brentano, Der Philister vor, in und nach der Geschichte. scherzhafte Abhandlung, in: ders., Werke, 2 Bde, München 1973, S.959-1016
[56] Heinrich Heine, Almansor. Eine Tragödie, in: ders., Sämtliche Schriften Bd. 1, hg. v. Klaus Briegleb, Frankfurt/Main/Berlin/Wien 1981, S.284f
[57] Walter Grab, Der preussisch-deutsche Weg der Judenemanzipation 1789-1938, München 1991, S.15
[58] Friedrich Ludwig Jahn, Deutsches Volkstum (1806), zit. nach: Ludger Graf v. Westphalen, Geschichte des Antisemitismus in Deutschland im 19. und 20. Jh. (= Quellen- und Arbeitshefte zur Geschichte und Politik), Stuttgart 1971, S.15
[59] Ernst Moritz Arndt, Ein Blick aus der Zeit auf die Zeit (1814), zit. nach: Ebd., S.16
[60] Heinrich Heine, Bekenntnis, zit. nach: Julius Höxter, Quellenbuch zur jüdischen Geschichte und Literatur, 5. Teil. Neueste Zeit: 1789 bis zur Gegenwart, FfM 1930, S.98f
[61] Christian Ludwig Palzow, über das Bürgerrecht der Juden, übersetzt von einem Juden, Berlin 1803, S.98f
[62] Zum Wort und zur Bedeutung des „Hepp-Hepp“-Rufes vgl. die überzeugenden Erklärungen bei: Alex Bein, Die Judenfrage. Biographie eines Weltproblems, Bd.2, Anmerkungen, Exkurse, Register, Stuttgart 1980, S.160ff
[63] Gehring-Münzel, U. Vom Schutzjuden zum Staatsbürger: Die gesellschaftliche Integration der Würzburger Juden 1803-1871, Würzburg 1992, S. 121
[64] Eva Reichmann, Flucht in den Hass. Die Ursachen der deutschen Judenkatastrophe, Frankfurt/Main o.J. (1956)
[65] Gehring-Münzel, U. Vom Schutzjuden zum Staatsbürger: Die gesellschaftliche Integration der Würzburger Juden 1803-1871, Würzburg 1992, S. 124
[66] Katz, J.: Die Hep-Hep-Verfolgungen des Jahres 1819, Berlin 1994, S. 87ff
[67]Sterling, E.: Anti-Jewish Riots in Germany in 1819: A Displacement of Social Protest. Historia Judaica 12/1950, S. 105-142, hier S. 121
[68] Rohrbacher, S.: Deutsche Revolution und antijüdische Gewalt (1815-1848/49). In Alter, P./ Bärsch, E./Berghoff, P. (Hrsg.): Die Konstruktion der Nation gegen die Juden. München, 1999, S. 29-47, hier S. 30
[69] Sterling, E. Judenhaß. Die Anfänge des politischen Antisemitismus in Deutschland (1815-1850), 2. überarbeitete und erweiterte Ausgabe, Marburg1969, S. 75
[70] Rohrbacher, S.: Deutsche Revolution und antijüdische Gewalt (1815-1848/49). In Alter, P./ Bärsch, E./Berghoff, P. (Hrsg.): Die Konstruktion der Nation gegen die Juden. München, 1999, S. 29-47, hier S. 33
[71]Sterling, E.: Anti-Jewish Riots in Germany in 1819: A Displacement of Social Protest. Historia Judaica 12/1950, S. 105-142, hier S. 124
[72] Katz, J.: Die Hep-Hep-Verfolgungen des Jahres 1819, Berlin 1994, S. 65
[73] Rohrbacher, S.: Deutsche Revolution und antijüdische Gewalt (1815-1848/49). In Alter, P./ Bärsch, E./Berghoff, P. (Hrsg.): Die Konstruktion der Nation gegen die Juden. München, 1999, S. 29-47, hier S. 38
[74]Sterling, E.: Anti-Jewish Riots in Germany in 1819: A Displacement of Social Protest. Historia Judaica 12/1950, S. 105-142, hier S. 132
[75]Sterling, E. Judenhaß. Die Anfänge des politischen Antisemitismus in Deutschland (1815-1850), 2. überarbeitete und erweiterte Ausgabe, Marburg1969, S. 108
[76] Katz, J.: Die Hep-Hep-Verfolgungen des Jahres 1819, Berlin 1994, S. 52
[77] Ernest Hamburger, Juden im öffentlichen Leben Deutschlands, Tübingen 1968, S.70
[78] Neue Preussische Zeitung, Nr. 120/1850
[79] Ebd
[80] Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 102
[81] Bruno Bauer, in: Hermann Wagener, Staats- und Gesellschaftslexikon, 23 Bde, Berlin 1859-1867, hier: Bd.7, S.11f
[82] Ebd.
[83] Ferrari Zumbini, M.: Die Wurzeln des Bösen. Gründerjahre des Antisemitismus von der Bismarckzeit bis Hitler, Frankfurt am Main 2003, S. 87ff
[84] Ebd., S. 90
[85] Eduard Bernstein, Die Geschichte der Berliner Arbeiter-Bewegung, 2.Teil. Neudruck: Glashütten 1972, S.59
[86] Koch, G.: Adolf Stoecker 1835–1909. Ein Leben zwischen Politik und Kirche (= Erlanger Studien. Bd. 101),Erlangen/Jena 1993, S. 106
[87] Kampmann, W.: Adolf Stoecker und die Berliner Bewegung. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. 13 (1962), S. 558–579, hier S. 559
[88] Opfermann, U. F.: „Im Volksleib schlimmer als der Tuberkulosen-Bazillus“. Zu Verbreitung und Rezeption des christlich-sozialen Antisemitismus 1881–1914. In: Siegener Beiträge. Jahrbuch für regionale Geschichte, 11 (2006), S. 109–146; 12 (2007), S. 81–113, hier S. 97
[89] Kampmann, W.: Adolf Stoecker und die Berliner Bewegung. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. 13 (1962), S. 558–579, hier S. 564
[90] Pulzer, P. G. J.: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1876–1914. Göttingen 2004, S. 87
[91] Massing, P. W.: Vorgeschichte des politischen Antisemitismus. Frankfurt a. M. 1959, S. 75
[92] Koch, G.: Adolf Stoecker 1835–1909. Ein Leben zwischen Politik und Kirche (= Erlanger Studien. Bd. 101),Erlangen/Jena 1993, S.18
[93] Pulzer, P. G. J.: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1876–1914. Göttingen 2004, S. 74
[94] Opfermann, U. F.: „Im Volksleib schlimmer als der Tuberkulosen-Bazillus“. Zu Verbreitung und Rezeption des christlich-sozialen Antisemitismus 1881–1914. In: Siegener Beiträge. Jahrbuch für regionale Geschichte, 11 (2006), S. 109–146; 12 (2007), S. 81–113, hier S, 90
[95] Koch, G.: Adolf Stoecker 1835–1909. Ein Leben zwischen Politik und Kirche (= Erlanger Studien. Bd. 101),Erlangen/Jena 1993, S.92
[96] Erlangen/Jena 1993,
Massing, P. W.: Vorgeschichte des politischen Antisemitismus. Frankfurt a. M. 1959, S. 133
[97] Wawrzinek, K,: Die Entstehung der deutschen Antisemitenparteien 1873 – 1890, 2. Auflage Vaduz 1965, S. 15f
[98] Ebd., S. 17
[99] G. J. Pulzer: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 – 1914. Mit einem Forschungsbericht des Autors. Reihe: Erich Maria Remarque Jahrbuch-Yearbook, Göttingen 2004, S. 86
[100] Wawrzinek, K,: Die Entstehung der deutschen Antisemitenparteien 1873 – 1890, 2. Auflage Vaduz 1965, S. 79
[101] Wawrzinek, K,: Die Entstehung der deutschen Antisemitenparteien 1873 – 1890, 2. Auflage Vaduz 1965, S. 43
[102] Engelmann, H. Die Entwicklung des Antisemitismus im 19. Jahrhundert und Adolf Stoeckers 'Antijüdische Bewegung' ,. Erlangen, 1953, S. 62
[103] G. J. Pulzer: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 – 1914. Mit einem Forschungsbericht des Autors. Reihe: Erich Maria Remarque Jahrbuch-Yearbook, Göttingen 2004, S. 89
[104] Wawrzinek, K,: Die Entstehung der deutschen Antisemitenparteien 1873 – 1890, 2. Auflage Vaduz 1965, S. 110
[105] Engelmann, H. Die Entwicklung des Antisemitismus im 19. Jahrhundert und Adolf Stoeckers 'Antijüdische Bewegung' ,. Erlangen, 1953, S. 85
[106] Wawrzinek, K,: Die Entstehung der deutschen Antisemitenparteien 1873 – 1890, 2. Auflage Vaduz 1965, S. 112ff
[107] Engelmann, H. Die Entwicklung des Antisemitismus im 19. Jahrhundert und Adolf Stoeckers 'Antijüdische Bewegung' ,. Erlangen, 1953, S. 45ff
[108] Opfermann, U. F.: „Im Volksleib schlimmer als der Tuberkulosen-Bazillus“. Zu Verbreitung und Rezeption des christlich-sozialen Antisemitismus 1881–1914. In: Siegener Beiträge. Jahrbuch für regionale Geschichte, 11 (2006), S. 109–146; 12 (2007), S. 81–113, hier S. 110
[109] Wawrzinek, K,: Die Entstehung der deutschen Antisemitenparteien 1873 – 1890, 2. Auflage Vaduz 1965, S. 115
[110] Bajohr, F.: Unser Hotel ist judenfrei. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2003, S. 21
[111] Bajohr, F.: Judenfeindschaft – transatlantisch. Der Antisemitismus in Seebädern, Kurorten und „Summer Resorts“ in Deutschland und den USA im 19. und 20. Jahrhundert. In: Zeitgeschichte in Hamburg. Nachrichten aus der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) (2003), Hamburg 2003, S. 57–76, hier S. 62
[112] Gold, H./Heuberger, G.: Abgestempelt. Judenfeindliche Postkarte,Bonn 2001, S. 66
[113] Bajohr, F.: Unser Hotel ist judenfrei. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2003, S. 66
[114] Bajohr, F.: Judenfeindschaft – transatlantisch. Der Antisemitismus in Seebädern, Kurorten und „Summer Resorts“ in Deutschland und den USA im 19. und 20. Jahrhundert. In: Zeitgeschichte in Hamburg. Nachrichten aus der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) (2003), Hamburg 2003, S. 57–76, hier S. 70
[115] Bajohr, F.: Unser Hotel ist judenfrei. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2003, S. 52
[116] Von den führenden Sozialdemokraten hat Wilhelm Hasenclever – unter dem Pseudonym „Revel“ – eine sozialdemokratische Antwort auf die Stöcker-Bewegung verfasst, wobei er selbst einem latenten Antisemitismus das Wort redete. Siehe dazu: Wilhelm Revel, Der Wahrheit die Ehre. Ein Beitrag zur Judenfrage in Deutschland, in: Wilhelm Hasenclever. Reden und Schriften, hg. u. eingel. v. Ludger Heid / Klaus-Dieter Vinschen / Elisabeth Heid, Bonn 1989, S.181-206
[117] Zur sozialdemokratischen Gegenbewegung vgl. Bernstein, Berliner Arbeiter-Bewegung, 2. Teil, S. 58-80, u. Paul W. Massing, Vorgeschichte des politischen Antisemitismus, Frankfurt/Main 1959, S.180ff
[118] Eva G. Reichmann: Die Flucht in den Hass. 7. Auflage.1969, S. 53
[119] Walter Grab, Der preussisch-deutsche Weg der Judenemanzipation, a.a.O., S.29
[120] Eva G. Reichmann: Die Flucht in den Hass. 7. Auflage.1969, S. 66ff
[121] Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 108
[122] Wilhelm Marr, Der Sieg des Judentums über das Germanentum, Bern 1879
[123] Heinrich v. Treitschke, Unsere Aussichten, in: Preussische Jahrbücher, Nov. 1879, zit. nach: Der Berliner Antisemitismusstreit, hg. v. Walter Böhlich, FfM 1965, S.11
[124] Bergmann, W.: Ein „weltgeschichtliches ‚Fatum‘“. Wilhelm Marrs antisemitisches Geschichtsbild in seiner Schrift: „Der Sieg des Judentums über das Germanenthum“, in: Ders./Ulrich Sieg (Hrsg.): Antisemitische Geschichtsbilder (= Antisemitismus: Geschichte und Strukturen, Band 5); Essen2009, S. 61–82, hier S. 68
[125] Gerlach, A.: Deutsche Literatur im Schweizer Exil. Die politische Propaganda der Vereine deutscher Flüchtlinge und Handwerksgesellen in der Schweiz von 1833 bis 1845; Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts 26; Frankfurt am Main 1975, S. 64
[126] Bergmann, W.: Ein „weltgeschichtliches ‚Fatum‘“. Wilhelm Marrs antisemitisches Geschichtsbild in seiner Schrift: „Der Sieg des Judentums über das Germanenthum“, in: Ders./Ulrich Sieg (Hrsg.): Antisemitische Geschichtsbilder (= Antisemitismus: Geschichte und Strukturen, Band 5); Essen2009, S. 61–82, hier S. 76
[127] Young, E:J.: Gobineau und der Rassismus. Eine Kritik der anthropologischen Geschichtstheorie, Meisenheim am Glan 1968, S. 15.
[128] Large, D. C.: Ein Spiegelbild des Meisters? Die Rassenlehre von Houston Stewart Chamberlain, in: Borchmeyer, D. (Hrsg.): Richard Wagner und die Juden, Stuttgart 2000, S. 144-159, hier S. 149
[129] Biddiss, M.: Father of Racist Ideology. The Social and Political Thought of Count Gobineau, London 1970, S. 12.
[130] Breuer, Ordnungen der Ungleichheit- die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945, a.a.O., S. 49.
[131] Breuer, S.: Ordnungen der Ungleichheit- die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945, Darmstadt 2001, S. 89
[132] Gobineau, Versuch über die Ungleichheit der Menschenracen, a.a.O., Band 4, S. 319.
[133] Geulen, C.: Geschichte des Rassismus, München 2007, S. 72.
[134] Schemann, K.L.: Gobineaus Rassenwerk: Aktenstücke und Betrachtungen zur Geschichte und Kritik des „Essai sur l’inégalité des races humaines“, Stuttgart 1910, S. 23
[135] Breuer, Ordnungen der Ungleichheit- die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945, a.a.O., S. 51.
[136] Hartwich, W.-D.: Richard Wagners ästhetische Herrschaftsform. Zur Soziologie der „Bayreuther Idee“, in: Faber, R./Holste, C. (Hrsg.): Kreise-Gruppen-Bünde, Würzburg 2000, S. 307-328, hier S. 314ff.
[137] Weiner, M.A.: Antisemitische Fantasien. Die Musikdramen Richard Wagners, Berlin 2000, S. 45
[138] Vgl dazu die im Jahre 1849 erschienene Schrift „Die Kunst und die Revolution“ in Weiner, M.A.: Antisemitische Fantasien. Die Musikdramen Richard Wagners, Berlin 2000.
[139] Fischer, J.M.: Richard Wagners „Das Judentum in der Musik“, Eine kritische Dokumentation als Beitrag zur Geschichte des europäischen Antisemitismus, Frankfurt/Main 2000, S. 15.
[140] Zitiert aus Ebd., S. 68.
[141] Ebd., S. 73.
[142] Hartwich, W.-D.: Richard Wagners ästhetische Herrschaftsform. Zur Soziologie der „Bayreuther Idee“, in: Faber, R./Holste, C. (Hrsg.): Kreise-Gruppen-Bünde, Würzburg 2000, S. 307-328, hier S. 321
[143] Rose, P.L.: Wagner und der Antisemitismus, Zürich 1999, S. 267.
[144] Ebd., S. 274.
[145] Field, G. G.: Evangelist of Race. The Germanic Vision of Houston Stewart Chamberlain, New York 1981, S. 43ff.
[146] Large, D.C.: Ein Spiegelbild des Meisters? Die Rassenlehre von Houston Stewart Chamberlain, in: Borchmeyer, D. (Hrsg.): Richard Wagner und die Juden, Stuttgart 2000, S. 144-159, hier S. 146f
[147] Deschner, G.: Gobineau und Deutschland. Der Einfluss von Gobineaus „Essai sur l’inégalité des races humaines“ auf die deutsche Geistesgeschichte 1853-1917, Erlangen 1968, S. 154.
[148] Field, G. G.: Evangelist of Race. The Germanic Vision of Houston Stewart Chamberlain, New York 1981, S. 43ff.
[149] Geulen, Geschichte des Rassismus, a.a.O., S. 88.
[150] Schlechta, K. (Hrsg.): Friedrich Nietzsche. Sämtliche Werke in drei Bänden, München 1966, Band 2, S. 776f.
[151] von Klemperer, K.: Arthur Moeller van den Bruck, in: Neue Deutsche Biographie, Band 17, Berlin 2004, S. 650-652, hier S. 650
[152] Osterhammel, J.: Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, München 1995, S. 24
[153] Breuer, Ordnungen der Ungleichheit- die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945, a.a.O., S. 52.
[154] Schlechta, Friedrich Nietzsche, a.a.O., Band 1, S. 1182.
[155] Colli, G./Montinari, M. (Hrsg.): Friedrich Nietzsche. Sämtliche Werke, 15. Bände, München 1988, Band 9, S. 87f.
[156] Zit. nach: E.V.v. Rudolf, Georg Ritter v. Schönerer, der Vater des politischen Antisemitismus, o.O. 1936, S.61
[157] Otto Glagau, Der Börsen- und Gründungsschwindel, in: Die Gartenlaube 1876, zit. nach: Die Zerstörung der deutschen Politik. Dokumente 1871-1933, hg. v. Harry Pross, FfM 1983, S.259
[158] Bergmann, W.: Deutschland, in: Benz, W. (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 1: Länder und Regionen, München 2008,S. 91
[159] Fricke, D.: Antisemitische Parteien 1879–1894. In: ders. (Hrsg.): Die bürgerlichen Parteien in Deutschland. Handbuch der Geschichte der bürgerlichen Parteien und anderer bürgerlicher Interessenorganisationen vom Vormärz bis zum Jahre 1945. Band 1, Leipzig 1968, S. 36–40., hier S. 39
[160] Fricke, D.: Die Organisation der antisemitischen Deutsch-Sozialen Reformpartei 1894–1900. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 29 (1981), S. 427–442, hier S. 432
[161] Fricke, D.: Die Organisation der antisemitischen Deutsch-Sozialen Reformpartei 1894–1900. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 29 (1981), S. 427–442, hier S. 439
[162] Bergmann, W.: Deutschland, in: Benz, W. (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Band 1: Länder und Regionen, München 2008, S. 93
[163] Wilhelm Busch, Die fromme Helene (Lenchen kommt aufs Land). Zit. nach: ders., Und die Moral von der Geschicht, hg. v. Rolf Hochhuth, Gütersloh o.J. (1959), S.559
[164] Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 92
[165] Houston St. Chamberlain, Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts. Volksausgabe, München 1909, S.312
[166] Paul de Lagarde, Juden und Indogermanen, Göttingen 1888, S.339
[167] Eva G. Reichmann: Die Flucht in den Hass. 7. Auflage.1969, S. 97
[168] Daniel Frymann (i.e. Heinrich Class), Wenn ich Kaiser wär'. Politische Wahrheiten und Notwendigkeiten, Leipzig 1912
[169] Jüdische Rundschau Nr.32, 7.8.1914
[170] Houston Steward Chamberlain, Kriegsaufsätze, München 1915, S.46
[171] Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 129
[172] Schoeps, J.H./Simon, H. (Hrsg.): Dreyfus und die Folgen, Berlin 1995,S. 113
[173] Jakob Wassermann, Mein Weg als Deutscher und Jude, Berlin 1921, S.38f
[174]Johnson, M. P.: The Dreyfus Affair – Honour and Politics in the Belle Époque, Basingstoke 1999, S. 74
[175] Schoeps, J.H./Simon, H. (Hrsg.): Dreyfus und die Folgen, Berlin 1995, S. 81ff
[176] Kotowski, E—V./Schoeps, J. H. (Hrsg.): J’accuse…! …ich klage an! Zur Affäre Dreyfus. Eine Dokumentation. Begleitkatalog zur Wanderausstellung in Deutschland Mai bis November 2005. Hrsg. im Auftrag des Moses-Mendelssohn-Zentrum, Potsdam 2005, S. 6f
[177] Pagès, A. (Hrsg): Emile Zola – Die Dreyfus-Affäre; Artikel – Interviews – Briefe. Übersetzt und ergänzt von Karl Zieger, Innsbruck 1998, S. 19
[178] Schoeps, J.H./Simon, H. (Hrsg.): Dreyfus und die Folgen, Berlin 1995, S. 89ff
[179] Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 135
[180] Bergmann, W.: Geschichte des Antisemitismus, München 2002, S. 134
[181] Bergmann, W.: Geschichte des Antisemitismus, München 2002, S. 138
[182] Katz, J.: Vom Vorurteil bis zur Vernichtung. Der Antisemitismus 1700–1933, München 1989, S. 38
[183] Claussen, D.: Grenzen der Aufklärung: Zur gesellschaftlichen Geschichte des modernen Antisemitismus, Frankfurt am Main 1987,S. 64
[184] Goldenbogen, N. (Hrsg.): Antisemitismus und Massenmord. Beiträge zur Geschichte der Judenverfolgung. (Texte zur politischen Bildung, 16), Leipzig 1994, S. 64
[185] Claussen , D.(Hrsg.): Vom Judenhaß zum Antisemitismus. Materialien einer verleugneten Geschichte., Darmstadt 1988,S. 62
[186] Katz, J.: Vom Vorurteil bis zur Vernichtung. Der Antisemitismus 1700–1933, München 1989, S. 62
[187] Claussen, D.: Grenzen der Aufklärung: Zur gesellschaftlichen Geschichte des modernen Antisemitismus, Frankfurt am Main 1987,S. 75
[188] Goldenbogen, N. (Hrsg.): Antisemitismus und Massenmord. Beiträge zur Geschichte der Judenverfolgung. (Texte zur politischen Bildung, 16), Leipzig 1994, S. 72
[189] Zit. nach: Rhein- und Ruhrzeitung Nr.550, Duisburg, 27.10.1918
[190] 30 Protokoll der Sitzung der Hauptleitung und des geschäftsführenden Ausschusses am 19. und 20. Oktober 1918 in Berlin, zit. nach: Werner Jochmann, Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft in Deutschland 1870-1945, Hamburg 1988, S.120
[191] Heinrich v. Kleist, Germania an ihre Kinder. Dort heisst es: „Schlagt ihn tot! Das Weltgericht fragt euch nach den Gründen nicht!“
[192] 32 zit. nach: W. Jochmann, Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft, a.a.O., S.121
[193] Hans Knodn am 11. Mai 1920 an Ministerpräsident v. Kahr, Bayr. Hauptstaats-Archiv, Allg. StA, M Inn 66282, zt. nach: W. Jochmann, Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft, a.a.O., S.144
[194] Eva G. Reichmann: Die Flucht in den Hass. 7. Auflage.1969, S. 121
[195] Thöndl, M.: Die Jahre der Entscheidung im faschistischen Imperium. Die Rezeption von Oswald Spengler in Mussolinis Italien, in: Gasimov, Z./Lemke Duque, C. A. (Hrsg.), Oswald Spengler als europäisches Phänomen. Der Transfer der Kultur- und Geschichtsmorphologie im Europa der Zwischenkriegszeit 1919–1939, Göttingen 2013 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 99), S. 239–262, hier S. 254
[196] Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 131
[197][197] Judas Schuldbuch. Eine deutsche Abrechnung von Wilhelm Meister (i.e. Paul Bang), München 1919. – Wie viele Antisemiten stand Bang nicht mit seinem Namen für diese Propagandabroschüre ein. Sie erschien im März 1919 in 1. Auflage und erreichte bis August 1920 insgesamt 6 Auflagen mit über 30.000 Exemplaren.
[198] Uebelhart, M.: Eine endlos plagiierte Fälschung und ihre Hehler. Carl Albert Loosli und die „Protokolle der Weisen von Zion“. In: Jochen Bung, Malte-Christian Gruber, Sebastian Kühn (Hrsg.): Plagiate. Fälschungen, Imitate und andere Strategien aus zweiter Hand, Berlin 2011, S. 55–72, hier S. 56
[199] Sammons, J. L. (Hrsg.): Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Grundlage des modernen Antisemitismus. Eine Fälschung. Text und Kommentar. 6. Auflage, Göttingen 2011 , S. 37
[200] Tarach, T.: Der ewige Sündenbock. Heiliger Krieg, die „Protokolle der Weisen von Zion“ und die Verlogenheit der sogenannten Linken im Nahostkonflikt. Mit einem Geleitwort von Henryk M. Broder. 3. überarbeitete Auflage, Freiburg (Breisgau) 2010, S. 48
[201] Uebelhart, M.: Eine endlos plagiierte Fälschung und ihre Hehler. Carl Albert Loosli und die „Protokolle der Weisen von Zion“. In: Jochen Bung, Malte-Christian Gruber, Sebastian Kühn (Hrsg.): Plagiate. Fälschungen, Imitate und andere Strategien aus zweiter Hand, Berlin 2011, S. 55–72, hier S. 67
[202] Sammons, J. L. (Hrsg.): Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Grundlage des modernen Antisemitismus. Eine Fälschung. Text und Kommentar. 6. Auflage, Göttingen 2011 , S. 68
[203] Tarach, T.: Der ewige Sündenbock. Heiliger Krieg, die „Protokolle der Weisen von Zion“ und die Verlogenheit der sogenannten Linken im Nahostkonflikt. Mit einem Geleitwort von Henryk M. Broder. 3. überarbeitete Auflage, Freiburg (Breisgau) 2010, S. 110
[204] Tilly, M.: Die „Protokolle der Weisen von Zion“ und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung. In: Sachor. Beiträge zur jüdischen Geschichte. Bd. 19, Essen 2000, S. 67–75, hier S. 72
[205] Uebelhart, M.: Eine endlos plagiierte Fälschung und ihre Hehler. Carl Albert Loosli und die „Protokolle der Weisen von Zion“. In: Jochen Bung, Malte-Christian Gruber, Sebastian Kühn (Hrsg.): Plagiate. Fälschungen, Imitate und andere Strategien aus zweiter Hand, Berlin 2011, S. 55–72, hier S. 70
[206] Eva G. Reichmann: Die Flucht in den Hass. 7. Auflage.1969, S. 145
[207] W. Jochmann, Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft, a.a.O., S.143
[208] Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 156
[209] Eva G. Reichmann: Die Flucht in den Hass. 7. Auflage.1969, S. 132f
[210] J. Wassermann, Mein Weg als Deutscher und Jude, a.a.O., S.122f
[211] Zum Axiom konstanter, unveränderbarer und kollektiver nationaler Mentalitäten und zur Rassendoktrin der romantischen Volkstumsideologen vgl. Walter Grab, Aspekte der Judenemanzipation in Tagesliteratur und Publizistik 1848-1869, in: Ders., Der deutsche Weg der Judenemanzipation, a.a.O., S.108-133, bes. S.123
[212] Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 142
[213] Thöndl, M.: Die Jahre der Entscheidung im faschistischen Imperium. Die Rezeption von Oswald Spengler in Mussolinis Italien, in: Gasimov, Z./Lemke Duque, C. A. (Hrsg.), Oswald Spengler als europäisches Phänomen. Der Transfer der Kultur- und Geschichtsmorphologie im Europa der Zwischenkriegszeit 1919–1939, Göttingen 2013 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 99), S. 239–262, hier S. 243
[214] Vollnhals, C. Praeceptor Germaniae. Spenglers politische Publizistik. In: Völkische Bewegung – Konservative Revolution – Nationalsozialismus. Aspekte einer politischen Kultur. Hrsg. von Walter Schmitz und Clemens Vollnhals. Thelem, Dresden 2005, S. 117–137, hier S. 128
[215] Thöndl, M.: Die Jahre der Entscheidung im faschistischen Imperium. Die Rezeption von Oswald Spengler in Mussolinis Italien, in: Gasimov, Z./Lemke Duque, C. A. (Hrsg.), Oswald Spengler als europäisches Phänomen. Der Transfer der Kultur- und Geschichtsmorphologie im Europa der Zwischenkriegszeit 1919–1939, Göttingen 2013 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft 99), S. 239–262, hier S. 352
[216] Vollnhals, C. Praeceptor Germaniae. Spenglers politische Publizistik. In: Völkische Bewegung – Konservative Revolution – Nationalsozialismus. Aspekte einer politischen Kultur. Hrsg. von Walter Schmitz und Clemens Vollnhals. Thelem, Dresden 2005, S. 117–137, hier S. 130
[217] Pfahl-Traughber, A.: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Wiesbaden 2002, S. 70

Über Michael Lausberg 572 Artikel
Dr. phil. Michael Lausberg, studierte Philosophie, Mittlere und Neuere Geschichte an den Universitäten Köln, Aachen und Amsterdam. Derzeit promoviert er sich mit dem Thema „Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen 1946-1971“. Er schrieb u. a. Monographien zu Kurt Hahn, zu den Hugenotten, zu Bakunin und zu Kant. Zuletzt erschien „DDR 1946-1961“ im tecum-Verlag.

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