Inshallah, Glaubensfragen – Gespräche in Marokko über Koran, Islam und Israel

Bildquelle: Michael Gallmeister

 

Wieder mal bin ich in Sidi Ifni (im Süden Marokkos) und treffe alte und neue Freunde. Für eine Woche habe ich mich an den kleinen Fischerhafen Rkount zurückgezogen, wo ich eine Garage nutzen kann. Zufälligerweise hielt sich dort auch Ibrahim, ein kleiner, dunkler, sehniger Mann in meinem Alter aus Gülmin auf. Wir teilten uns die Garage, er ging tagsüber fischen, ich las, ging schwimmen und machte diverse Notizen. Abends, wenn er Erfolg beim Fischen hatte, bereiteten wir eine Tangine. Er war ein gläubiger Islamist, ich Atheist, und wenn er gegen Dämmerung seinen Gebetsteppich ausbreitete und seine rituelle Gymnastik vollführte, öffnete ich mir eine Flasche Wein , sass neben ihm auf der Treppe und schaute in die untergehende Sonne. Später rauchten wir, er trank bitteren schwarzen Saharatee und ich weiter den Rotwein.

 

Interpretation des Islams und Vergleich mit dem Christentum

Über den Wein sprachen wir anfangs, über die alten persischen Dichter wie Omar Kahyam und Al Maari. Er meinte, nirgendwo im Koran würde explizit gesagt, es wäre verboten Alkohol zu trinken, er selber trinkt nicht, aber hält es für jeden seine Sache ob er Alkohol gebraucht oder nicht. Erst die späteren Interpreten, Kommissionen hätten diese Verbot konstruiert, wie so vieles später aus dem Originalkoran umgedeutet wurde.

Aufgrund seiner liberalen Einstellung mir gegenüber begann ich etwas tiefer philosophisch die Frage nach einem Gott mit ihm zu diskutieren.

Ausgehend von der auch christlichen Definition und des Verständnisses eines Gottes, sei dieser allmächtig und allwissend, warum dann Kriege und Leid auf der Erde?

Er meinte, die Menschen hätten ja das Paradies gehabt, hätten sie nicht vom verbotenen Baum gegessen, so hätten sie für immer dort bleiben können.

Ich fragte, wer hat denn den Baum im Paradies angepflanzt, das war ja wohl laut Bibel und auch Koran, Gott. Und da dieser ja anscheinend auch allwissend ist, musste er gewusst haben wie das Experiment mit den verbotenen Früchten im Paradies ausgehen würde.

Satan wäre das Problem meinte Ibrahim, er hätte die Menschen , insbesondere Eva zu Beginn dazu verführt von den Früchten zu naschen, trotz Warnung.

Ich meinte, Satan sei nun aber auch ein Teil der göttlichen Schöpfung, da die gesamte Schöpfung ja ein reines Werk Gottes sei.

Er erklärte mir die Geschichte vom gefallenen Engel, die Details Satans Werdens, ich entgegnete, schön und gut, das ändert aber nichts an der Tatsache das Gott alles geschaffen hat, und da er auch alles wusste, wusste er auch das aus seiner Kreation ein Teufel entspringen würde, das dieser erfolgreich die Menschen verführen würde …

Also fragte ich weiter, was bedeutet dann so eine Schöpfung Gottes?

Aus welcher Motivation Gottes konnte sie entstehen, war er ein Sadist, gelangweilt, oder hat er die Welt erschaffen um nicht einsam und allein zu sein? Über die Einsamkeit Gottes wurde Ibrahim ein wenig nachdenklich, zumal ich noch hinzufügte, das Gott in seiner perfekten All-einheit überhaupt keinen Grund gehabt haben könnte diese zugunsten einer Schöpfung von Gut und Böse aufzugeben, ausser eben aus oben angegebenen Gründen.

Dann kamen wir auf die Unterschiede zwischen Islam und Christentum zu sprechen.

Der Islam glaubt nur an einen Gott, Allah, die Christen an die heilige Dreifaltigkeit, von Gottvater, Gottsohn und den heiligen Geist. Im Islam gibt es das Buch in welchem jedes Schicksal vollständig bis ins Detail festgeschrieben ist.

Daraus resultiert der dauernd gebrauchte Begriff Inshallah , „wie es Gott will“ oder „wie es Gott gefällt“, in zweiterer Deutung liegt ein Mehrfachsinn, ein Baum wird gefällt und der Anblick gefällt einem, ein Urteil wird gefällt. Im Islam neigt man bei diesem Spruch zum absoluten Determininismus. So fragte ich einige meiner arabisch muselmanischen Freunde wie es denn wäre, ich sage ihnen jetzt, ich geh auf Toilette und komme gleich wieder, würde man da auch die Phrase inshallah gebrauchen? Nein, das wäre was anderes kurz überschaubar, Alltägliches. Wenn ich sage, wir treffen uns morgen, dann aber heisst es als Antwort schon wieder Inshallah. Wo beginnt der göttliche Determinismus und wo habe ich noch Einfluss auf die Dinge. Dem Aspekt der Willensfreiheit wird im christlichen Glauben ein höherer Stellenwert eingeräumt als im Islam.

 

Geld, Moderne und Glaube

Wir sprachen über Reichtum und Kinder, das Auseinanderbrechen der Menschheit in immer wenige immer reichere Menschen und immer mehr ärmere Menschen.

Kritisch merkte Ibrahim eine Stelle im Koran 18:46 an:

Besitztum und Kinder sind Schmuck des irdischen Lebens.“

In der Reihenfolge, erst Besitztum, dann Familie mit Kindern, sei dieser Spruch zu verstehen, rein pragamtisch, man solle ohne Vermögen keine Familie gründen.

Das Problem aber ist, das mit diesem Spruch die gierigen arroganten „Aristokraten“ ihr gesamtes, schändlich räuberisches Tun rechtfertigen können.

Im Bezug auf seine Familie bekannte er ein ziemlich armer aber zufriedener Mensch zu sein.

Sein jetzt schon erwachsener Sohn wird von ihm im Rahmen seiner geringen Möglichkeiten unterstützt, hat begonnen in Agadir zu studieren, ist aber der islamischen Tradition ziemlich entfremdet, betet nicht etc.

Aber das sei seine Sache, es wäre nicht Aufgabe von ihm als Vater ihn zu versuchen zu bekehren. Ebenso steht es auch im Koran, das alle Menschen auf der Erde unabhängig ihrer Religion und Sitten Brüder seien, die spätere Auslegung von gewaltsamer Bekehrung und Missionierung sei falsch.

Er gab zu, wie auch viele andere dortige Bekannte und Freunde von mir, das die Religionsausübung stark rückläufig sei, im Widerspruch dazu, oder als symbolischer Affront werden zur Zeit Unmengen von Moscheen in Marokko gebaut, selbt in den halbverlassenen Bergdörfern werden sie gebaut ohne je in ihrem ganzen beabsichtigten Ausmass genutzt zu werden. Bei der Fussball WM im letzten Jahr wurde ein Spiel unglücklicherweise zur Zeit des Gebets in Marokko ausgestrahlt, ich als alter Fussballhasser entfernte mich von den Cafes um zum Hotel zu gehen, auf dem Weg lag die Moschee, einsam und verlassen, davor alleine der Iman, ich grüsste ihn freundlich auf der verwaisten Strasse und dachte mir dabei: 1 zu 0 gegen Allah.

Mit dem Geld, wo all die neuen Moscheen ohne wirklichen Bedarf in Marokko gebaut werden, könnte man besser etwas für die arme Bevölkerung investieren, der marrokanische König meint er kann beides zusammen mit einem riesigen geldverschlingenden Polizeiapparat erreichen.

Bildquelle: Michael Glattester

Israel

Wir kamen auf den Israelkrieg zu sprechen, darüber habe ich auch mit verschiedenen anderen Marrokanern gesprochen.

Die Geschichte Israels ist seit Anfang des britischen Mandats eine nicht abreissende Folge von Terrorranschlägen beider Seiten, da der israelische Staat nicht auf einer leeren Fläche gegründet wurde, sondern nach über 1000 Jahren, ohne nennenswerte Besiedlung durch Juden, 1948 künstlich über die dort ansässige Bevölkerung gestülpt wurde.

 

Moralische Verwerfungen

Wirft man einen Blick auf die strittige Person Menachim Begin, Anführer der Irgun einer israelischen paramilitärische Untergrundorganisation im britischen Mandatsgebiet Palästina, so muss man mit dem Kopf schütteln, er tötete bei einem Sprengstoffattentat auf das King David Hotel in Jerusalem 91 Menschen, 1978 als israelischer Ministerpräsident erhält er den Friedensnobelpreis!

Na ja, der Herr Nobel hat auch das Dynamit erfunden …

Ebenso kann man einen Blick auf die abstruse Hamas Organisation werfen, welche stark scharialastig einen extremen Islamismus predigt unter der Prämisse letztlich alle Juden vertreiben und vernichten zu wollen.

Aber auch die Zionisten sind da keinen Deut besser, sie predigen faktisch die Tötung Andersgläubiger, der Gojim, so kann man einem 2009 erschienenen Buch „Torat Hamelech“ entnehmen, welches von Rabbinern der radikalen jüdischen Siedlung Jitzhar verfasst wurde und zahlreiche Anhänger auch unter anderen Rabbinern und Regierungsmitgliedern gefunden hat.

Nun entzündet der Massenmord von Israelis durch Hamas Aktivisten, sowie die kollaterale Massenvernichtung von palästinensischen Zivilisten durch die israelischen Angriffe und die teilweise Besetzung von Gaza, die Gemüter hüben wie drüben.

 

Marrokanische Sichtweise des Konflikts

In Marokko einem grossteils islamischen allerdings teils auch liberalem Staat, sind die Meinungen unterschiedlich, die Einen, es sind viele Berber, unterstützen vorsichtig Israels Recht auf Verteidigung (wobei dasselbe Recht auch den Palästinensern zusteht worüber bisher kaum jemand nachgedacht hat) unter dem Bewusstsein das auch in Marokko viele Juden gelebt und gelitten haben wie auch die Berber sich immer noch ein wenig wie unter arabisch islamischer Besatzung fühlen. Zudem sollen angeblich ein Sechstel der Einwohner Israels marokkanischer Herkunft sein.

Auf Seite der Beduinen sieht die Sache etwas anders aus, als letztlich Araber und somit auch stärker dem muslemischen Glauben verfallen als die Berber stehen sie eindeutig hinter Palästina, eindeutiger vielleicht als die vielen islamisch arabischen Staaten, welche aufgrund ihrer erbitterten Zweiteilung von Schiiten und Sunniten sich nicht auf eine klare gemeinsame Stellung zum Israelkrieg einigen können. Zudem gibt es in Marokko eine weit verbreitete Verschwörungstheorie, nach der die vielen ausgewanderten Juden von Marokko nach Israel jetzt von dort die marokkanische Politik durch ihren Reichtum beeinflussen würden, zudem einige von Ihnen wieder wohlhabend nach Marokko zurückgekehrt sind, wie sie auch die Politik und Kriege auf der Erde steuern würden.

 

Das Ende von Religion und Nationalismus

Mit den Unsummen von Geld, die jetzt auch wieder in Rüstung und Armee in allen Teilen der Erde zusätzlich gesteckt werden, könnte man die wesentlichen sozialen Probleme auf der Erde für eine Zeitlang lösen oder zumindest stark lindern.

Die Religion und der Nationalismus, und beide sind sich meist sehr nahe sowohl im Fanatismus als auch in ihren Handlungen, haben mehr Kriege verursacht und Leid über die Menschen gebracht, als das sie ein friedliches Leben der Menschen miteinander gefördert hätten, da immer die Macht und Organisation im Vordergrund stehen und nicht die vielen altruistischen Stellen in Bibel, Koran, Thora oder in den jeweiligen Grundgesetzen der einzelnen Länder.

Eine zentrale minimalisierte Organisation, welche mit den Möglichkeiten der modernen Kommunikationsmittel eine Direktdemokratie schaffen könnte, das wäre ein Zukunftsgedanke welcher in der Geschichte schon oft erwähnt, aber nie vollzogen wurde, die Unbilden unserer Zeit stellen vielleicht genau diesen Kampf um eine solche neue Ordnung auf der Erde dar, wo alle Beteiligten zur Zeit versuchen mit aller Gewalt den grösstmöglichen Anteil für sich herauszuschinden.

Bildquelle: Michael Glattester

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