Acht Diplomaten, die Widerstandskämpfer gegen Hitler waren

1.) Ulrich v. Hassell

„Ulrich v. Hassell war eine der markantesten Persön­lichkeiten des deut­schen diplomatischen Dienstes in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Nach 1933 geriet er zunehmend in Wi­der­spruch zur Politik des nationalsozialistischen Regi­mes. 1938 wurde er von seinem Posten als Botschafter in Rom abgelöst und zunächst in den Wartestand ver­setzt.“ Das schreibt Wilhelm Girardet in dem unten annotierten Band „Corpsstudenten im Widerstand gegen Hitler“, erschienen 2014 bei Duncker & Humblot, Berlin. Girardet führt weiter aus, dass v. Hassell zusammen mit Friedrich-Carl Goerdeler und dem ehemaligen Generalstabschef des Heeres, Ludwig Beck, dann einen Gesprächskreis gebildet habe, der als frühes Rückgrat des Widerstands gegen Hitler angesehen werden kann, die „Goerdeler-Beck-v.-Hassell-Gruppe“. Hassell konferierte 1941 ausführlich mit den wichtigsten Vertretern des „Kreisauer Kreises“, bei denen man sich vor allem einig war in dem Wunsch, den Staatsstreich möglichst bald herbeizuführen. Nach dem misslungenen Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde Hassell verhaftet und in einem zweitägigen Prozeß vor dem Volksgerichtshof am 8. September 1944 zum Tode verurteilt und noch am sel­ben Tag hingerichtet. Der Ausspruch, er sei „ein großer Gescheiterter der Geschichte“, stammt von ihm selbst.
Doch ganz so möchten wir Heutigen hier nicht zustimmen – unser Urteil ist positiver. Girardet berichtet: Der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt, der durch „Abkommandie­rung“ als Soldat im Rahmen seines Dienstes Zeuge des nicht öffentlichen Prozesses geworden war, schrieb im Juni 1946 an die Witwe Ilse v. Hassells von einer „schlechthin vorbildli­chen Haltung“ ihres Mannes in einem Prozeß, der „ausschließlich auf menschliche Entwürdigung und seelische Vernichtung“ ausgerichtet gewesen sei. – Ulrich v. Hassel hat sein Urteil voller Würde entgegengenommen. Äußerlich wie seelisch ungebrochen ist er zum Galgen gegangen. In jenem kleinen Raum in Plötzensee.

2.) Georg Ferdinand Duckwitz

Hans Kirchhof, emeritierter Professor für neuere und neueste Geschichte in Kopenhagen, ist der der Biograph von Georg Ferdinand Duckwitz. Er schreibt in dem unten bibliographisch erfassten Band, dassDuckwitz „eine zentrale Figur in eben jener Rettungsaktion (war), die als greatest hour der Dänen während des Zweiten Weltkriegs gilt, (…) besonders in Israel und den USA, wo der dänische Einsatz als Licht im Dunkel des Holocaust gerühmt wird“. Am 8. September 1943 hatte der Reichbevollmächtigte für das besetzte Dänemark per Telgramm die Deportation der bis zu 8.000 Dänen jüdischen Glaubens befohlen. „Ich weiß, was ich zu tun habe“, notierte Duckwitz in sein Tagebuch.
Spätestens am 17. September begann Duckwitz, die Betroffenen, denen die Verschlepppung nach Auschwitz unmittelbar drohte, zu warnen. „Sein Verhalten in den September- und Oktobertagen 1943 ist durch seinen Bericht aus der Nachkriegszeit bekannt. Jetzt kann dieser mit dem Tagebuch verglichen werden, das hier zum ersten Mal systematisch ausgewertet worden ist“, schreibt im Jahre 2014 Professor Kirchhof.
In die Attentatspläne, die in den Bombenanschlag des 20. Juli münden sollten, war Duckwitz von Anfang an eingeweiht. Er sollte, so sahen es die Staatsstreichpläne vor, die Statthalterrolle von einem SS-General in Kopenhagen übernehmen. Abschließend sei nochmals Hans Kirchhof zitiert: „Duckwitz glaubte daran, daß Geschichte einen Sinn hat und daß er in Dänemark eine Rolle spielen sollte. Heute können wir sehen, daß diese Rolle nicht zufällig war: Duckwitz besaß die politischen und diplomatischen Begabungen, die ihn nach dem Krieg als Botschafter nach Kopenhagen zurückbrachten und ihn später auf die höchsten Positionen des Auswärtigen Dienstes der Bundesrepublik führten, zuletzt als Staatssekretär und Vertrauter Willy Brandts.“

3.) Eduard Brücklmeier

Im Oktober 1936 traf ein neuer deutscher Botschaf­ter in London ein: Joachim v. Ribbentrop. Ein junger Diplomat fiel ihm bald auf, und er beorderte ihn in seinen Stab: Eduard Brücklmeier. Dem gefiel das gar nicht, denn er war schon seit 1933 erbitterter Gegner des NS-Regimes gewesen.
Eduard Brücklmeier war 1938, also in dem Jahr, in dem der erste Bombenanschlag gegen Hitler geplant wurde, wiederum unmittelbar im Ribbentrop’schen Ministerbüro. Von hier aus stand er mit weiteren Verschwörern gegen den Kopf des NS-Regimes, gegen Hitler, in Kontakt. Im Falle einer wirklichen Durchführung des Attentates gegen Hitler, das anlässlich der Sudentenkrise ausgeführt werden sollte, aber schon monatelang vorher geplant wurde, wäre Brücklmeiers Rolle unmittelbar im Zentrum des Geschehens gewesen. Zunächst als eine Art Nachrichtenoffizier, und später als Perspnalchef des Auswärtigen Amtes. In dieser Funktion hätte er alle Anhänger des Nationalsozialismus aus dem Amt entfernt. Diese Zielsetzung ergibt sich aus seiner bilang unveröffentlichten Privatkorrespondenz.
Am 6. Oktober 1939 wurde Brücklmeier erstmals von der Gestapo verhaftet. Er hatte in den Tagen des Kriegsbeginns prognostiziert, dass der Krieg zu einem noch nie erlebten, totalen desaster für Deutschland führen werde und dass das Deutsche Reich kaum drei Jahre gegen die zweifelsohne bestehende Allianz der Alliierten bestehen könne. Später gehörte Brücklmeier zum engeren zivilen Umfeld um die militärisch gesteuerte Verschwörung, die in das Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 mündete. Er tat alles, was in seiner Macht stand, um den Diktator zu beseitigen. Die Zeit, die ihm bis zu seiner Verhaftung am 27. Juli 1944 blieb, hat er größtenteils diesem Ziel gewidmet. Am 30. September 1944 wurde Brücklmier durch Roland Freisler dem Galgen überantwortet, am 20. Oktober, drei Wochen später, wurde er gehenkt.

4.) Herbert Mumm v. Schwarzenstein

Schon 1933 geriet der im Auswärtigen Dienst tätige Herbert Mumm v. Schwarzenstein in das Fedenkreuz der neu eingerichteten Gestapo, die Ermittlungen betrafen „regimekritische Gesinnung“. Zwar schätzte man seine Fähigkeiten als Diplomat, jedoch mißtraute ihm die Behörde bezüglich seiner politischen Haltung. Offenbar zurecht. 1935 wurde Herbert Mumm v. Schwarzenstein gleichzeitig mit anderen hochrangigen Ministerialbürokraten wie dem Juristen Helmut Nicolai und dem Rassenbiologen Achim Gercke von der Gestapo verhaftet und gemäß § 6 des Gesetzes zur Widerherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April beziehungsweise 23. Juni 1933 in den Ruhestand versetzt. Ab 1940 war er in ständigem Kontakt zu verschiedenen Kreisen, die den Sturz Hitlers vorbereiteten, darunter ist vor allem der Solf-Kreis zu nennen.
Mumm wurde am 23. Februar 1942, während seiner Haft wurde er gefoltert und misshandelt; zum Tode wegen Hoch- und Landesverrats sowie wegen „Wehrkraftzersetzung durch Begünstigung der Kriegsfeinde“ wurde er schließlich im Frühjahr 1944 verurteilt. Als Begründung wurde angeführt, Mumm und Halem hätten zusammen mit Römer ein Attentat auf Hitler vorbereitet. Am 20. April 1945 wurde Herbert Mumm von Schwarzenstein im Zuchthaus Brandenburg an der Havel gehenkt.

5.) Hasso v. Etzdorf

Rainer Blasius, der bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Ressort Politisches Buch verantwortet sowie im Rheinland als Hochschullehrer wirkt, ist einer der besten Kenner der Lebensgeschichte von Hasso v. Etzdorf, einem unauffälligen, aber umso entschiedeneren Gegner Hitlers. Blasius kannte Etzdorf persönlich, er interviewte ihn immer wieder zu seinen Denkschriften gegen den Nationalsozialismus; von ihm stammt das einzige ausführliche – und zugleich gültige – Lebensbild.
Blasius stellt die Denkschrift „Das drohende Unheil“, das Etzdorf zusammen mit dem Abwehroffizier Groscurth ab Spätherbst 1939 in arkanen Widerstandskreisen zirkulierten, in den Mittelpunkt seiner Schilderung. Demnach stellten die beiden Autoren „nachdrücklich den Erfolg einer Invasion Frankreichs in Frage, sie prognostizierten den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten von Amerika korrekt. Weiter war Etzdorf, so Blasius, von der Unzuverlässigkeit des zeitweiligen Bundesgenossen UdSSR überzeugt. Er sagte ein „Zerbrechen der mili­tärischen und inneren Front, Zerfall, Bolschewismus oder bestenfalls Partikularismus und Loslösung“ voraus. Den Sturz der nationalsoziali­stischen Herrschaft bezeichneten Etzdorf und Groscurth als einzige Möglichkeit, um eine Ausweitung des Zweiten Weltkriegs zu verhindern. Sie ließen – und das 1939! – eine prophetische Prognose für die Ergebnisse der Hitlerschen Kriegspolitik folgen: „Noch nie war Deutschland dem Chaos und dem Bolsche­wismus näher als jetzt, nach sechs Jahren des Hitler-Regimes, das es in den letzten Wochen fertigbrachte, 20 Millionen Men­schen dem Bolschewismus zu überantworten.“
Etzdorf resignierte ab 1940 angesichts der Erfolge des NS-Regimes. Er sah, so Blasius weiter, „nun seine Hauptaufgabe darin, die sich aus seiner Dienststellung als Verbindungsmann ergebenden Informations- und Reisemöglichkeiten zu nutzen und für eine ungeschminkte Unterrichtung über die außenpolitische und militärische Lage zu sorgen (…). Davon profitierte insbesondere Ulrich von Hassell, der mittlerweile mit Beck und dem ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister Carl-Friedrich Goerdeler zu den führenden Persönlichkeiten des (…) Widerstandes zählte.“ Etzdorf sah auch die Bemühungen der Widerstandskämpfer um Stauffenberg skeptisch. Die Zeit des Nationalsozialismus hat er überlebt.

6.) Rudolf v. Scheliha

Der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann hat 2014 in dem unten bibliographisch annotierten Band über Rudolf v. Scheliha, den lange verkannten Widerstandkämpfer, folgendes geschrieben: „Rudolf von Scheliha wurde am 14. Dezember 1942 vom Reichskriegsgericht wegen Landesverrats zum Tode verurteilt und acht Tage später, am 22. Dezember 1942, im Strafgefängnis Berlin hingerichtet. Das gegen ihn verhängte Todesurteil war falsch und seine Hinrichtung war Mord. Rudolf von Scheliha war kein Landesverräter, sondern ein Widerstandskämpfer. Einer, der gegen Hitler und für Polen gekämpft hat. Außerdem war Rudolf von Scheliha Corpsstudent. Hat das eine etwas mit dem anderen zu tun? Hat er auch deshalb Widerstand geleistet, weil er Corpsstudent war und das corpsstudentische Netzwerk im konservativen Widerstand genützt hat? Das sind Fragen, die bisher zu selten gestellt und nur stückweise beantwortet worden sind.“
Was maßgeblich zur Irritation über Scheliha beigetragen hat, ist seine Nähe zur „Roten Kapelle“, einem höchst aktiven Widerstandskreis, der nach 1945 über Jahrzehnte hinweg im Geruch des Landesverrats zugunsten der UdSSR stand; die „Oragnisation Gehlen“ und ihr Wirken sind in diesem Zusammenhang von Interesse. Wippermann über Scheliha: „Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Rudolf von Scheliha war kein Landesverräter, sondern ein Widerstandskämpfer. Dies im doppelten Sinne. Rudolf von Scheliha war einmal ein Widerstandskämpfer für Polen. Dies als Mitglied des Moltke-Scheliha-Wühlisch-Kreises und wegen seiner sonstigen persönlichen Aktivitäten für verfolgte Polen und Juden. Darüber hinaus war Rudolf von Scheliha auch ein Widerstandskämpfer gegen Hitler. Er hat gegen das nationalsozialistische Regime gekämpft.“

7.) Adam v. Trott zu Solz

Eine der führenden Persönlichkeiten des deutschen Widerstands gegen den Nationalsozialismus – so darf Adam v. Trott zu Solz bezeichnet werden. Seine vielfältigen Kontakte zu britischen und amerikanischen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens waren Grundlage für seine zahlreichen, aber letztlich vergeblichen Bemühungen, für die deutsche Widerstands­bewegung Brücken zu den Regierungen Großbritanniens und der USA zu schlagen. Nach dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 verurteilte ihn der NS-Volksgerichtshof zum Tode; am 26. August 1944 wurde er in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Das Leben v. Trotts und sein Einsatz für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus wurde jüngst von Benigna v. Krusenstjern mit einer umfassenden Biographie gewürdigt: „daß es Sinn hat zu sterben – gelebt zu haben“ – einem Standardwerk, erschienen bei Wallstein in Göttingen. Schon deswegen bedarf es an dieser Stelle nur weniger Zeilen über v. Trott; umso mehr des Hinweis auf die lohnende Lektüre. Auch Wolfgang v. der Groeben hat sich in „Corpsstudenten im Widerstand gegen Hitler“ mit Spezialaspekten im Leben Trotts beschäftigt, unter anderem mit den Werten, auf denen seine Erziehung und seine Mitgliedschaft im Göttinger Corps Saxonia beruhten.

8.) Friedrich-Wilhelm v. Prittwitz und Gaffron

Bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 hatte Friedrich-Wilhelm v. Prittwitz und Gaffron die Ansicht vertreten, dass der Nationalsozialismus „unsagbares Leid über Deutschland hereinbrechen lassen musste.“ Verschiedentlich warnte er in Briefen und Stellungnahmen vor der Reaktion der amerikanischen Bevölkerung auf einen Rechtsruck der deutschen Politik, sowie vor einer Beteiligung von Nationalsozialisten an der Regierung. Aber auf diese einsamen Rufe bekam er keine greifbaren Reaktionen.
Am 6. März 1933 dann, sieben Wochen nach Hitlers Machtübernahme, knapp eine Woche nach dem Reichtagsbrand und der Aufhebung von Grundrechten durch die Notverordnung „Zum Schutz von Volk und Staat“, sandte der deutsche Botschafter in den Vereinigten Staaten von Amerika, Prittwitz und Gaffron ein kurzes Telegramm nach Berlin. Mit dem Text: „Angesichts der innenpolitischen Entscheidung in Deutschland halte ich es für meine Pflicht, Sie zu bitten, dem Herrn Reichspräsidenten mein bisheriges Amt zur Verfügung zu stellen.“ An den Reichsaußenminister Konstantin von Neurath schrieb Prittwitz, „er habe nie einen Hehl aus seiner politischen Einstellung gemacht, die in einer freiheitlichen Staatsauffassung und republikahnischen Grundsätzen wurzele. Deswegen könne er „aus Gründen des persönlichen Anstandes“ nicht weiter seinen Dienst ausüben, ohne sich „selbst zu verleugnen“. Prittwitz hatte inständig gehofft, andere Diplomaten würden seinem Beispiel folgen, zumal das eigentlich so verabredet war. Doch als es soweit war, blieb er der einzige deutsche Botschafter, der derart konsequent handelte.
Für seinen mutigen Schritt hat sich v. Prittwitz nicht vor einem Nazi-Gericht verantworten müssen. Er lebte bis 1945 zurückgezogen in Oberbayern; nach der Befreiung wurde er Mitbegründer der CSU.

Zu den Widerstandskämpfern gehören auch zwei besondere Persönlichkeiten, deren Wirken bisher nur in unvollständigen Zusammenhängen bekannt war und die aus dem Bereich der Wirtschaft kamen: Nikolaus v. Halem und Wilhelm Frhr. v. Flügge. Diese beiden werden in den nächsten Wochen in Kolumnen zu diesem Thema hier bei Tabula Rasa behandelt.

Diese Texte sind Auszüge aus „Corpsstudenten im Widerstand gegen Hitler“:http://www.amazon.de/Corpsstudenten-im-Widerstand-gegen-Hitler/dp/3428143191, herausgegeben von Sebastian Sigler bei Duncker & Humblot, Berlin 2014.

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Der Journalist Dr. Sebastian Sigler studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bielefeld, München und Köln. Seit seiner Zeit als Student arbeitet er journalistisch; einige wichtige Stationen sind das ZDF, „Report aus München“ (ARD) sowie Sat.1, ARD aktuell und „Die Welt“. Für „Cicero“, „Focus“ und „Focus Money“ war er als Autor tätig. Er hat mehrere Bücher zu historischen Themen vorgelegt, zuletzt eine Reihe von Studien zum Widerstand im Dritten Reich.

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