Annalena Baerbock: „In diesen Tagen erscheinen die Krisen um uns herum manchmal einfach zu viel“

Annalena Baerbock spricht im Bundestag

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Es ist eigentlich mehr als ernst: Ein Krieg tobt mitten in Europa. Seit 21 Monaten überzieht Russland die Menschen in der Ukraine mit Gewalt und Leid. Im Nahen Osten gibt es brutalste Szenen des Terrors. Die Videos dessen, was die Hamas Israel und seinen Menschen angetan hat, wird hier vermutlich niemand vergessen. Und im Gazastreifen leben die Menschen, die Familien, die Kinder in schrecklichster Not, Angst und Gewalt.

In diesen Tagen erscheinen die Krisen um uns herum manchmal einfach zu viel. Eine Krise gerät dadurch ein bisschen in den Hintergrund. Verglichen mit den akuten Krisen, die zu Recht unsere volle Aufmerksamkeit erfordern, erscheint sie dieser
Tage manchmal weniger raumgreifend, stiller. Doch dann schlägt sie immer wieder umso erbarmungsloser zu.

Schauen wir auf die letzten Monate: In Libyen wurden im September ganze Stadtteile ins Meer gespült. Auf Rhodos
mussten die Menschen, darunter auch deutsche Urlauber, mit Booten vor den Flammen gerettet werden. Im Amazonasgebiet, der grünen Lunge unserer Erde, tobt aktuell eine Rekordzahl an Waldbränden. Das ist eine 1,1-Grad-, 1,2-Grad-Welt.

Seit der UN-Klimakonferenz in Paris vor acht Jahren haben wir einiges erreicht. Damals waren wir noch auf einem 4-Grad-Pfad. Jetzt sind wir auf einem 2,5- bis 2,9-Grad-Pfad. Das Gute ist, dass heute eigentlich auch der Letzte auf dieser Welt – wie ich höre, einige hier leider nicht –, so gut wie der Letzte erkannt hat, dass es so nicht weitergehen kann.

Doch von diesem Bewusstseinswandel müssen wir nun zu einem Dringlichkeitswandel in unserem Handeln kommen. Deswegen sind für uns drei ganz konkrete Ziele auf dieser COP in Dubai so wichtig. Wir arbeiten hart daran, dass wir erstens zu einer Verdreifachung der erneuerbaren Energien bis 2030 kommen und dass wir zweitens eine Verdopplung der Energieeffizienz erreichen. Drittens – das ist das Allerwichtigste, weil eben noch nicht alle dazu bereit sind – brauchen wir die Festschreibung des gemeinsamen Ausstiegs aus den fossilen Energien, insbesondere zuerst im Energiesektor.

Das wird alles andere als einfach, weil es bei diesen Verhandlungen – das haben wir insbesondere letztes Jahr gesehen – eben nicht nur um Klimapolitik geht, sondern für etliche Länder auch darum, ihre wirtschaftliche Vormachtstellung auszunutzen oder Abhängigkeiten durch gezielte Kreditvergabe geostrategisch zu nutzen.

Wenn wir also in diesem Umfeld, das dieses Jahr noch stärker geopolitisch geprägt sein wird, andere überzeugen wollen, dass wir es ernst meinen, dann müssen sie sich auf uns verlassen können. Vertrauen – das gilt nicht nur für die Klimakrise – ist dieser Tage in den internationalen Beziehungen wichtiger denn je.

Deswegen ist es so wichtig, dass wir unserer internationalen Verantwortung gerecht werden. Deswegen haben wir im letzten Jahr so deutlich gemacht, auch gegen die Stimmen mancher unserer Freunde, dass wir diesen Fonds für Schäden und Verluste endlich brauchen.

Das ist auch eine geopolitische Entscheidung von mir, von meinem Haus, von der Bundesregierung gewesen.
Dass wir den jetzt auf den Weg bringen, ist in diesen Zeiten alles andere als ein Selbstläufer. Deswegen möchte ich allen dafür herzlich danken, gerade auch dem BMZ und international den Partnern, mit denen wir hier vorangehen können.

Es ist eine wichtige Nachricht, dass wir gleich am allerersten Tag deutlich gemacht haben, dass es hier um alle Länder geht – das war für mich der Casus knacksus –und eben nicht nur um die Industrieländer.

Wir haben deswegen gestern – das ist die erste gute Nachricht von dieser Klimakonferenz – gemeinsam 100 Millionen Dollar für den Fonds „Loss and Damage“ zugesagt, und zwar nicht nur wir als Bundesrepublik Deutschland, sondern gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auch das bedeutet Geopolitik in diesen Zeiten.

Und wir werden unserer Verantwortung weiter gerecht, indem wir 2022 erstmals die geplanten 6 Milliarden Euro für Klimafinanzierung bereitgestellt haben, und ja, das gilt weiterhin, auch in unserer schwierigen Haushaltslage. Das Gleiche gilt für die 2 Milliarden Euro für den Grünen Klimafonds; denn Verantwortung bedeutet Verlässlichkeit.

Gerade in diesen Zeiten geht es eben nicht nur um Klimapolitik, sondern – wenn man Klimaschutz nicht so ernst nimmt – auch um Wirtschaftspolitik und um Geopolitik. Deswegen ist es auch so wichtig, dass auf der Klimakonferenz in Dubai – übrigens nicht in Doha, falls das manche hier denken – nicht nur die Außenministerin als Verhandlungsführerin vor Ort ist, nicht nur die Entwicklungsministerin, nicht nur die Umweltministerin, nicht nur der Landwirtschaftsminister, sondern gerade auch der Bundeskanzler und der Wirtschaftsminister – falls noch jemand Fragen zur Größe der Delegation hat.

Denn natürlich müssen wir zwei Wochen präsent sein, wenn es um Klimaschutz, um Landwirtschaft, um Artenschutz, um Geopolitik, um wirtschaftliche Interessengeht. Die anderen würden doch auch da sein, wenn wir nicht dort wären.

Daher bedanke ich mich beim Team Deutschland, dass wir auf dieser COP deutlich machen: Es braucht nicht nur
alle Anstrengungen, einen Dringlichkeitswandel beim Klimaschutz, sondern Klimaschutz ist mittlerweile auch
Standortsicherung, gerade in diesen so stürmischen Zeiten.

Quelle: Bundestag

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