Im US-Bundestaat Alabama soll erstmals ein Delinquent durch das Einatmen von Stickstoff „auf sanfte Art“ exekutiert werden

Hinrichtungen in den USA: Stickstoff statt Giftspritze

spritze nadel einwegspritze injektionsspritze, Quelle: Myriams-Fotos, Pixabay License Freie kommerzielle Nutzung Kein Bildnachweis nötig

Gibt es eine »humane« Hinrichtungsmethode? Gegner der Todesstrafe halten die Formulierung für paradox. Jetzt soll im US-Bundestaat Alabama erstmals ein Delinquent durch das Einatmen von Stickstoff „auf sanfte Art“ exekutiert werden. Von Helmut Ortner.

Der Oberste Gerichtshof in Alabama hatte entschieden, dass der Bundesstaat einen verurteilten Mörder durch Stickstoff töten darf. Hingerichtet werden soll der wegen drei­fachen Mordes zum Tode verurteilte Alan Eugene Miller. Im August 1999 hatte er drei frühere Kollegen wegen angeblichen Mobbings erschossen und war ein Jahr später zum Tode verurteilt worden. Miller selbst hatte sich für die Hinrichtung mit Stickstoff entschieden, weil er Angst vor Spritzen habe.

Stickstoff – das chemische Element mit dem Symbol N – ­ ist bisher nicht zur Vollstreckung eines Todesurteils verwendet worden. Die Methode sieht vor, dass der Kandidat puren Stickstoff einatmet, was zunächst zur Bewusstlosigkeit führt. Der Tod tritt schließlich durch eine Unterversorgung mit Sauerstoff ein. Befürwortern zufolge ist diese „Stickstoffhypoxie“ genannte Variante schmerzfrei. Kritiker verweisen dagegen auf fehlende wissenschaftliche Tests und sprechen bei der bevorstehenden Gas-Exekution von einem »Menschenversuch«.

Die Entscheidung hat in den USA zu einer heftigen „ethische Debatte“ geführt – nicht nur über die Stickstoff-Hinrichtung, sondern über die Todesstrafe insgesamt. Hinrichtungs-Methoden wie dem elektrischen Stuhl (2020 in Tennessee), die Gaskammer (zuletzt 1999 in Arizona), das Erhängen (1996 in Delaware) oder das Erschießen (2010 in Utah) führten in der Vergangenheit immer wieder zu juristischen Auseinandersetzungen und hatten die Exekutionen anfechtbar gemacht. Zuletzt wurde aufgrund der zahlreichen Gerichtsprozesse in den USA de facto nur noch via Todesspritze getötet.

In den USA gilt der Tod durch eine Giftspritze als „humane“, weil „sanfte“ Hinrichtungsart. Als Akt der Humanität. Auch die Notwendigkeit der Todesstrafe wird von vielen US-Bürgern kaum angezweifelt. Mit der Abschaffung der Todesstrafe tun sich einige Bundesstaaten in den USA noch immer schwer. Vor allem Republikaner halten daran fest.

Doch viele Pharmakonzerne wollen nicht mehr, dass der Staat mit ihren Medikamente Menschen tötet. Die EU hatte bereits 2011 ein Exportverbot verhängt. Nach der Weigerung vieler europäischer und amerikanischer Pharmaunternehmen, Medikamente wie die Barbiturate Pentobarbital und Thiopental für Hinrichtungen herzustellen, suchen deshalb viele Bundesstaaten seit Jahren nach Alternativen zur bislang üblichen Giftspritze. Der Südstaat Tennessee richtete einige Mörder auf dem elektrischen Stuhl hin. In South Carolina stimmten die Abgeordneten im vergangenen Jahr nach dem Vorbild Utahs für die Wiedereinführung von Erschießungskommandos. „Der Tod durch Erschießen tritt nicht nur umgehend ein, sondern soll auch vergleichsweise schmerzlos sein“, hatte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten entschieden. Todesstrafen-Gegner indes verwiesen damals auf den achten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung, der „grausame und ungewöhnliche Bestrafung“ verbietet.

Der Bundesstaat Alabama hatte wie Mississippi und Oklahoma bereits im Jahr 2018 entschieden, Stickstoff als Gas für Todeszellen zuzulassen. Doch nun hat der Oberste Gerichtshof in Alabama dies endgültig bestätigt, auch mit dem Hinweis, dass die Hinrichtung durch Stickstoff nicht gegen den Verfassungsgrundsatz verstößt. Nun also die erste Hinrichtung durch Stickstoff in den USA. Der Hinrichtungstermin wird in den kommenden Wochen von Alabamas Gouverneurin Kay Ivey festgelegt.

Kein guter Tag für die amerikanische Justiz, kein guter Tag für die Menschenrechte.

Vom Autor erschienen:

OHNE GNADE – Eine Geschichte der Todesstrafe

Nomen Verlag Frankfurt,

230 Seiten, 22 Euro

 

 

Über Helmut Ortner 96 Artikel
Geboren 1950 in Gendorf/Oberbayern und aufgewachsen in Frankfurt am Main. Schriftsetzerlehre, anschließend Studium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main, Schwerpunkt Grafik-Design. Es folgt Wehrdienstverweigerung – und Zivildienst. Danach journalistische Lehrjahre: Redakteur, Chefredakteur (u.a. Journal Frankfurt, Prinz). Ab 1998 selbständiger Printmedien-Entwickler mit Büro in Frankfurt. Konzepte und Relaunchs für mehr als 100 nationale und internationale Zeitschriften und Zeitungen, darunter Magazine wie Focus, chrismon, The European und Cicero, sowie Tages- und Wochenzeitungen, u.a. Das Parlament, Jüdische Allgemeine, Frankfurter Rundschau, Allgemeine Zeitung, Wiesbadener Kurier, Darmstädter Echo, De Lloyd Antwerpen, NT Rotterdam sowie Relaunchs in London, Wien, Sofia, Warschau und Dubai. Zahlreiche Auszeichnungen (u.a. European Newspaper Award, Hall of Fame, CP Award Gold). Daneben journalistische Beiträge zu politischen und gesellschaftlichen Themen, veröffentlicht in div. Tageszeitungen und Magazinen. Erste Buchveröffentlichung 1975, seither mehr als vierzig Veröffentlichungen. Übersetzungen in bislang 14 Sprachen (2018). Zahlreiche Preise und Einladungen: Stadtschreiberpreis der Stadt Kelsterbach, Lesereise Goethe-Institut Südamerika, Teilnahme an Buchmessen in Havanna, Istanbul und Buenos Aires sowie Lit.Col. Köln 2017. Zuletzt Lesereisen nach Lissabon, Turin, Tokyo. Helmut Ortner lebt und arbeitet in Frankfurt am Main und in Darmstadt. Er ist passionierter Radrennfahrer, Eintracht Frankfurt-Fan und Pat Metheny-Liebhaber.