Kritik an den USA: Medwetchuk verkennt wahre Gefahr für die Ukraine

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Viktor Medwetchuk ist ein unbequemer Gesprächspartner. Er ist Ukrainer, lebt im russischen Exil, vertritt konsequent pro-russische Positionen. Ist er damit ein Verräter? Nicht unbedingt, denn wenn er dem Westen den Spiegel vorhält, tut er dies mit Argumenten, die nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen sind. Ist er mit seiner Kritik an den USA aber weitblickend genug? Mitnichten!

Angriffskrieg bleibt Angriffskrieg. Auch in der Ukraine. Darum kommt auch ein Viktor Medwetchuk nicht herum. Aber er hat unbequeme Fragen. Seine Vorfahren waren Russen, die aber auf dem Gebiet der Ukraine lebten. Diese schon familiär vorgegebene Nähe zu Russland – kein Einzelschicksal in der Ukraine! Keinesfalls darf das völkervermischende Chaos unterschätzt werden, dass durch das Wüten des Kommunismus ausgelöst wurde. Denn auch Viktor Medwetchuk ist sozusagen mittelbar Opfer der gewalttätigen Umstände des 20. Jahrhunderts. Sein Tonfall ist ruppig, seine Wortwahl weist ihn sicher nicht als lupenreinen Verfechter westlich-demokratischer Werte aus. Was macht seine derzeitigen Wortmeldungen dennoch interessant?

Die Unbequemheit ist es, die aufhorchen lässt. Es ist eine Tatsache, daß keineswegs nur Defensivwaffen, sondern die ganze Breite an militärischem Arsenal derzeit in die Ukraine geliefert wird. Und warum sollten die Brüdervölker im Südosten Europas denn überhaupt kämpfen, wenn es nicht um Macht und Einfluss ginge? Hier stellt Medwetchuk eine berechtigte Frage! Denn mit seinen ganz offenen Appellen an den Westen zeigt der ukrainische Präsident Selenskyi, dass er sich Unterstützung aus dem Westen erhofft. Mit jedem Tag, den ihm der westlichen Mächte – also die Nato und an ihrer Spitze die USA – helfen, wird aber deren Einfluss stärker. Das bemerkt Medwetchuk und hebt es heraus.

Wie consistent wird aber eine solche Hegemonie sein? „When the head of NATO Secretary General Stian Jenssen’s office said that Ukraine should cede territory to Russia to join the Alliance and then called these words a mistake, one should not think about an accidental reservation.” Dies Zitat kommt aus der jüngsten, englischsprachigen Erklärung Medwetchuks. Auffällig ist natürlich der konfrontative Ton, aber durch die diplomatische Brille betrachtet ist durchaus logisch, was er äußert. Demnach hätten die USA der Ukraine eine NATO-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, falls sie Gebietsverlusten im Osten ihres Landes zustimmt. Ein Blick in die Geschichte zeigt, daß – wenn auch unter völlig anderen Umständen – im 20. Jahrhundert durchaus Länder im mittleren Osteuropa aufgeteilt wurden. Die Aufteilung der Ukraine ist also keine unmögliche Vision, sondern erscheint als eine von mehreren logischen Möglichkeiten zur Beendigung des Ukraine-Krieges.

Hier allerdings ergibt sich eine Frage. Zwar gibt es Gründe dafür, dass Viktor Medwetchuk Anschuldigungen gegen die USA erhebt, aber er erwähnt nicht, dass immer Russland beteiligt war, wenn es in den letzten Jahrhunderten um Territorialkriege in Europa ging. Finnland, Polen, auch kleinere Gebiete der Tschechoslowakei, dazu sehr bedeutende Gebiete im Osten Rumäniens, drei komplette baltische Staaten, von den ungarischen Gebietsverlusten ganz zu schweigen – immer war es russischer Druck, der westlich gelegenen Ländern Gebietsverluste zufügte. Das benennt Viktor Medwetchuk nicht. Dass er Wort „Königsberg“ auslässt, muss gar nicht erst hinzugefügt werden.

Doch so einseitig und einäugig sich Medwetchuk, dieser Russe mit ukrainischem Pass, auch gebährdet, so relevant bleiben einige seiner Fragen. „The collapse of the USSR, CMEA and Warsaw Pact gave the West three decades of lasting peace and prosperity”, schreibt Medwetchuk in seinem neuesten Arbeitspapier. Er weist, hier ganz korrekt, darauf hin, dass die Friedensdividende nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Moskau, und auf diese „Dividende“ zielt er hier ab, extrem schlecht genutzt wurde. Sie war durchaus nicht in allen Weltgegenden überhaupt wahrnehmbar. Aus dem russischen Exil nennt der Donbass-Politiker Jugoslawien, Syrien, Libyen und den Irak – und in der Tat, in diesen vier Ländern gingen die Versuche der USA und ihrer Verbündeten, westliche Demokratien zu installieren, mehr oder weniger gründlich daneben.

Medwetchuk formt aus den misslungenen Kapiteln westlicher Außen- und Sicherheitspolitik der drei vergangenen Jahrzehnte die Vermutung, die USA sähen sich selbst als Weltpolizist strebten eine generelle westliche Hegemonie an, die nun auch möglichst große Teile der Ukraine umfassen soll. Er verkennt dabei, dass nicht etwa die westlichen Staaten Russland einkreisen, sondern dass es die Zerstörungen des Kommunismus sind, die beiden Kriegsparteien auf ukrainischem Gebiet bis heute schwer zu schaffen machen. Die Spätfolge des Kommunismus könnte sein, dass Russlands bedeutende Rolle in der Weltpolitik endet – einfach, weil dieses Land implodiert. Und das wäre auch für einen Viktor Medwetchuk die größte Katastrophe. Denn wo säßen die größten Gewinner? Mitnichten in den USA, sondern in den Moscheen des Kaukasus.

Bergkarabach, wo die Christen Armeniens in diesen Tagen eine Katastrophe biblischen Ausmaßes erleben, ist eine erste große Schlacht, die der politische Islam, der in Wirklichkeit handfeste Schwertmission betreibt, im Schatten des Ukraine-Krieges gewonnen hat. Falls Russlands Arm durch diesen Krieg erlahmt, werden die Kirchen in Syrien brennen, werden in Zentralasien Kalifate entstehen, deren Namen wir noch nicht einmal ahnen, wird wohl zuerst Kasachstan radikal islamisiert. Hierhin sollte auch ein Viktor Medwetchuk seinen Blick richten. Die USA und Russland sind zukünftige Verbündete für einen gemeinsamen Kampf gegen einen globaleren, radikaleren, gewalttätigeren, tödlicheren Islam, als er bislang auf Erden vorstellbar war. Und dann würde auch die Ukraine zu einem moslemischen Kalifat.

Was ist das Fazit? Der Ukraine-Krieg ist nur ein Vorspiel einer größeren Auseinandersetzung. Längst werden in den Moscheen weltweit die Messer gewetzt. Oder glaubt etwa irgendwer an einen Zufall, wenn es um den Zeitpunkt des tödlichen Angriffs moslemischer Kämpfer auf das stark von russischer Einwanderung geprägte Israel geht?

Über Sebastian Sigler 104 Artikel
Der Journalist Dr. Sebastian Sigler studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bielefeld, München und Köln. Seit seiner Zeit als Student arbeitet er journalistisch; einige wichtige Stationen sind das ZDF, „Report aus München“ (ARD) sowie Sat.1, ARD aktuell und „Die Welt“. Für „Cicero“, „Focus“ und „Focus Money“ war er als Autor tätig. Er hat mehrere Bücher zu historischen Themen vorgelegt, zuletzt eine Reihe von Studien zum Widerstand im Dritten Reich.