Unter dem Motto „Bridges“ – „Brücken“ fanden sowohl der diesjährige „Europäische Tag Jüdischer Kultur“ als auch die anschließenden „Jüdischen Kulturtage 2015“, die mit einem vielseitigen Programm den Kulturherbst am Jakobsplatz belebt haben.
Zu den Höhepunkten der wie immer mit großem Elan von Ellen Presser konzipierten Veranstaltungsreihe zählte die Lesung von Georg Stefan Troller aus seinem neuen Buch „Mit meiner Schreibmaschine-Geschichten und Begegnungen“. In seiner Sammlung aus in „Lettre Internationale“ und „Die Zeit“ erschienenen Essays geht es um seine Begegnungen mit Zeitgenossen, die er mit viel Mitgefühl und Selbstironie zugleich skizziert. Illustre Protagonisten der Kulturszene unserer Tage wie Man Ray oder Groucho Marx, Marlène Dietrich oder Peter Handke
füllen seine Erzählungen und gesellen sich gleichzeitig zu Menschen, die er noch kaum zu kennen glaubt.
An den siebzigsten Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau erinnerte die deutsch-amerikanische Filmproduktion „Die Befreier“ für die Regie von Emanuel Rotstein, der seit 2010 Leiter von A+E Networks Germany mit den Sendern HISTORY und A&E ist. Im Mittelpunkt steht hier das emotionsgeladene Zusammentreffen in Dachau zwischen dem 87jährigen Shoah-Überlebenden Joshua Kaufman und dem 89jährigen Dan Gillespie, der ihn dort als Soldat der 42. Infanteriedivision befreite.
Neben einer Dance- Performance mit dem erfolgreichen Duo Jill und Amnon Damti und einem Film über den Rheinländer Tom Franz, der mit seiner Koch Show „Masterchef“ im israelischen Fernsehen das Herzen der Israelis wie kaum ein anderer Deutscher in den letzten 70 Jahren eroberte, fand ein unvergesslicher Abend mit dem Multitalent Lucian Plessner statt, der Stücke aus der argentinischen Folklore an der Gitarre spielte.
Abwechselnd las er mit gleicher Einfühlsamkeit aus den Erzählungen von Alberto Gerchunoff, die vom gemeinsamen Leben der heimischen und jüdischen Gauchos sprechen und als Gründungstext der jüdisch-lateinamerikanischen Literatur gelten.
Begleitet wurden die „Jüdischen Kulturtage“ von der Ausstellung „Jüdisches Bestiarium – Fabelhafte Tiere von A wie Ameise bis Z wie Ziz. “ im Foyer der IKG am Jakobsplatz. „Bestiarien“, Fabeln, die vom Aussehen und Verhalten tierischer Lebewesen – sei es reeller wie auch märchenhaft-allegorischen Ursprungs – inspirieren ließen, hat es überall und zu jeder Zeit gegeben. Im antiken Ägypten und in Mesopotamien, dank Aesop im alten Griechenland oder Phädrus in Rom. In der christlichen Welt erfreuten sie sich im 13. und 14. Jht. größter Beliebtheit. Eine Reihe humorvoller Illustrationen des amerikanischen Zeichners Mark Podwal erweitert unser Blickfeld um die jüdische Perspektive. Die Bibel ist – wie man weiß – eine bunte Quelle unzähliger Geschichten, die von oft unheimlichen Begegnungen zwischen Menschen und Tieren berichten: Eva und die Schlange, Abraham und das Widder, Jonas und Leviathan. In Podwals witzig-nachdenklichen Zeichnungen geht es aber nicht allein um biblische Tiergestalten oder um rituelle Handlungen, sondern auch um die Identifikation von Juden mit Tieren bei der Namensgebung (Straus, Hirsch, Löw) oder selbst – diesmal herabwertend – bei antisemitischen Beschimpfungen von Luther bis hin zur NS-Propaganda.
Powals sensible Striche erzählen uns vom frommen Storch, der Gebetsriemen geschluckt hat, und sich der Spinne gesellt, die auf Königs David Harfe spielt; vom Esel, auf dem Abraham „zur Aufopferung Isaaks ritt“ und – laut dem Propheten Zacharias – eines Tages selbst den „Messias“ tragen wird; vom Schwein als schwarzer Schatten jener römischen Wölfin dargestellt, die für Juden als negatives Symbol der Zerstörung gilt, wobei Rom als Inbegriff der Perfidie durch das Schwein, das am meisten verachtete Tier, versinnbildlicht wird. Schließlich vom Phoenix, der seine Unsterblichkeit der Weigerung verdankt, die verbotene Frucht vom Baum der Erkenntnis zu kosten. In Buchform sind die Zeichnungen in einer eleganten Publikation im Berliner Hentrich & Hentrich-Verlag erschienen. In einschlägigen Kommentaren des Autors werden die Zeichnungen in all ihrer Komplexität erläutert: Tiefgründige Texte, die den Band in eine kleine Kulturgeschichte verwandeln, so lehrreich wie unterhaltend für alle. Zeichnen ist für Mark Podwal – nach Kafkas Wort – eine „Form des Gebets“. Seit beinahe drei Jahrzehnten ist er als Künstler an verschiedenen Projekten u.a. für des Jüdische Museums in Prag und im Ghetto-Museum in Theresienstadt beteiligt. Als erfolgreicher Buchautor hat er sich einen Namen mit Werken wie „Zeichnen für Gott“ und „Jerusalem Sky“ gemacht. Gepriesen wurde das „ökumenische Kinderbuch“, in dem er auf jüdische, christliche und muslimische Legenden zurückgreift, in The New York Times mit den Worten: „Drei Glauben, eine Lehre“.
„Jüdisches Bestiarium – Fabelhafte Tiere von A wie Ameise bis Z wie Ziz“, Hentrich & Hentrich Verlag 2015,
Aus dem amerikanischen Englischen von Henriette Schröder
Mit einem Nachwort von Michael Brenner
80 Seiten – 31 s/w Abbildungen € 17, 90
ISBN 978-3-95565-127-5
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