Sehnsucht nach Liebe. Das Schriftsteller-Ehepaar Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann

Rose im Schlossgarten von Mersburg, Foto: Stefan Groß

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Europa mehrere berühmte Schriftsteller-Paare. Sowohl die Frau als auch der Mann wurden bekannt durch ihr schriftstellerisches Oeuvre.  In einzigartiger Weise konstellierten sie ihre besondere Beziehung. Schreiben war für beide die Berufung und im Privatleben versuchten sie gemeinsam eine Liebesbeziehung zu gestalten. Zwischen diesen beiden Polen bewegte sich meist diese außergewöhnlichen Beziehungen. Falls sie sich Briefe schrieben, haben sie meist eine besondere sprachliche Ausdruckskraft. Einige widmeten sich wechselseitig Liebesgedichte wie z.B. Ivan und Claire Goll oder Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Von vielen Schriftstellerpaaren liegt ein ausführlicher Briefwechsel vor, der später in Buchform erschien. Eindrucksvoll sind die Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Paul Celan, von Ingeborg Bachmann und Max Frisch, von Ivan und Claire Goll, von Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir und schließlich der von Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann. Gerda Marko (1998) hat eine sehr lesenswerte Anthologie über schreibende Paare verfasst. Alle hier genannten Paare mit Ausnahme des Paares Reimann/Pitschmann sind in diesem Buch enthalten. Dies ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass viele wichtige Publikationen über Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann erst nach dieser Anthologie erschienen sind.  Verfügungen der Autoren selbst oder der Nachfahren haben Einfluss auf den Zeitpunkt der Publikation eines solchen Briefwechsels. Im 21. Jahrhundert ragen der Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Paul Celan (Herzzeit, 2008) und der von Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann (Wär schön gewesen, 2013) hervor.

Liebesbeziehung und Ehe von Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann

Brigitte Reimann (1933 – 1973) und Siegfried Pitschmann (1930 – 2002) waren das prominente Vorzeige-Schriftstellerehepaar der DDR. Von 1959 bis 1964 waren sie verheiratet. Beide haben in dieser Zeit gemeinsam in Hoyerswerda und im Kombinat „Schwarze Pumpe“ gelebt und pflegten dort einen regen Austausch mit anderen DDR-Schriftsteller-Kollegen wie Reiner Kunze, Günter de Bruyn, Erwin Strittmater oder Christa Wolf.  Brigitte Reimann und ihr Ehemann verfassten gemeinsam Hörspiele und erhielten dafür Preise und Auszeichnungen. Die Publikationen der beiden waren stark durch die DDR-Zensurbehörden reglementiert, so dass einige wichtige Romane von beiden erst nach der Wende im 21. Jahrhundert erschienen. Das wichtigste Werk von Brigitte Reimann, der Roman „Franziska Linkerhand“erschien unvollendet und zensiert im Jahr 1974 posthum.  Im Jahr 1998 brachte der Aufbau Verlag Berlin die vollständige Ausgabe mit einem aufschlussreichen Nachwort heraus.

Die Liebesbeziehung zwischen Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann begann im März 1958. Zu dem Zeitpunkt waren beide noch mit anderen Partnern verheiratet. Der Auftakt war also schwierig und reich an Verwicklungen. Nachdem sich beide hatten scheiden lassen, haben sie schließlich am 10. Februar 1959 geheiratet. Knapp drei Jahre später begann Brigitte Reimann eine sexuelle Affäre mit dem verheirateten Schriftsteller Hans Kerschek, den sie schließlich später heiratete. Mehr als drei Jahre lebten die drei eine Ménage à trois. Die Dreiecksbeziehung zermürbte schließlich die beteiligten Liebespartner. Die Scheidung von Brigitte Reimann und Siegfried erfolgte schließlich am 13. Oktober 1964. Die beiden blieben freundschaftlich miteinander verbunden bis zum frühen Krebstod von Brigitte Reimann am 20. Februar 1973. Der Briefwechsel dauerte bis zu ihrem Lebensende und erstreckte sich somit über die Jahre 1958 bis 1973.

Sowohl Brigitte Reimann als auch Siegfried Pitschmann waren viermal verheiratet. Die Ehen von Brigitte Reimann dauerten im Durchschnitt weniger als vier Jahre, da sie ja bereits mit 39 Jahren starb und ihre erste Ehe mit 20 Jahren geschlossen wurde. Ihre Ehen blieben kinderlos. Sie war vermutlich mindestens zweimal schwanger. Vor ihrer ersten Ehe hatte sie eine Abtreibung und während ihrer ersten Ehe eine Todgeburt. Siegfried Pitschmann hatte in den drei Ehen mit anderen Frauen jeweils eigene Kinder. Hans Kerschek hatte in seinem Leben drei Ehen und hat sich mit 63 Jahren suizidiert.

„Wär schön gewesen“ – der Briefwechsel von Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann

Sowohl Brigitte Reimann als auch Siegfried Pitschmann waren Kenner und große Verehrer der Werke von Ernest Hemingway. Besonders Pitschmann versuchte sich in seinen literarischen Werken an dem Schreibstil von Hemingway zu orientieren, was der sozialistischen DDR-Zensur missfallen hat.

Bei ihrer Trennung verständigten sich Brigitte Reimann und Siegfried Pietschmann auf die Worte des von ihnen verehrten Idols. Seine Worte aus dem Roman „Fiesta“ schienen für ihr Beziehungsende und ihre Trennung mehr als passend: „Wär schön gewesen!“  Dies empfanden beide zutiefst nach ihrer gescheiterten Liebesbeziehung. Die Herausgeberin des Briefwechsels, Kristina Stella, wählte deshalb die Hemingway-Worte als Titel für ihre Buchausgabe des Briefwechsels.

In dem Briefwechsel-Band befinden sich 85 Briefe von Brigitte Reimann an Siegfried Pitschmann und 63 Briefe von ihm an sie.  Nach den Briefen ist noch der Nachruf abgedruckt, den Siegfried Pitschmann nach dem Krebstod von Brigitte Reimann im Februar 1973 verfasste. Er blieb ihr treu bis in den Tod als Freund.

Wer in den Jahren 1997 und 1998 die Tagebücher von Brigitte Reimann gelesen hat, war vorbereitet auf die sinnlich-erotischen Inhalte und auf den ungewohnt offenen sprachlichen Ausdruck sexuellen Begehrens und erotischer Lust. Beides kommt in den Briefen in anderer Weise deutlich zum Ausdruck.

Als im Literarischen Quartett im Jahr 1998 die Tagebücher von Brigitte Reimann besprochen wurde, betonte der namhafte Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki besonders ihre Sehnsucht nach Liebe mit den folgenden Worten:

„Ich kann mich nicht erinnern, das Buch einer Frau in deutscher Sprache gelesen zu haben, in dem die Sehnsucht nach Liebe mit einer solchen Sinnlichkeit und Intensität gezeigt wurde.“

Sexuelle Gier und erotische Anziehung – Höhepunkte und Abgründe

Die amour fou zwischen Brigitte Reimann und Siegfried Pietschmann begann in März 1958 im Schriftstellerheim „Friedrich Wolf“ in Petzow vor den Toren Potsdams. Beide wollten dort nach vielen anderen Belastungen endlich zur Ruhe kommen, ihre Kreativität wiederbeleben und gute Bücher schreiben. Doch schon bei der ersten Begegnung der beiden traf sie Amors Pfeil und sie waren füreinander entflammt – als Mann und Frau. Sie verliebten sich suchten zielstrebig nach einem gemeinsamen Liebesleben. Zu diesem Zeitpunkt waren beide noch verheiratet und Siegfried Pietschmann hatte neben Ehefrau noch Verantwortung für drei Kinder. Brigitte Reimann war verheiratet, ihr Mann Günter saß im Gefängnis und wurde bald entlassen. Der Zauber und das erotische Feuer der ersten Begegnungen war so überwältigend, dass beide alle Hindernisse überwanden. Die wechselseitige sexuelle Anziehung war dabei ein wesentlicher Faktor. Dies wird in Briefen deutlich, die beide wenige Wochen nach ihrem ersten Kennenlernen schrieben.

In ihren Briefen nennen sie sich „Jota und Delta“ – Brigitte Reimann ist das „Delta-Mädchen“ und er ist der „Jota-Mann“. In der Kurzform schreibt er ihr „Jota grüßt Delta“. Andere Kosenamen für Brigitte Reimann sind „süße Delta-Hermaphrodite“, „wunderbares Mann-Mädchen-Geschöpf“, „wildes heißes Raubkatzentier“ oder „Liebste mit den schönsten Mongolenaugen“.

Am 1. Juni 1958, also etwa zwei Monate nach Beginn ihrer Liebesbeziehung, schreibt Brigitte Reimann aus ihrem Elternhaus in Burg an ihren geliebten Siegfried Pietschmann:

„Ich bin hungrig, hungrig, hungrig, innen und außen, Liebling, so furchtbar hungrig, daß alles Blut in meinem Schoß zusammenströmt, wenn ich an Deinen Mund denke und an Deine wundervoll zärtlichen Hände…Das Delta ist verrückt nach Dir, mein Herz ist verrückt,,. und mein Kopf ist verrückt, und ich möchte schreien vor Schmerz und Lust. Ich halte es nicht aus, Dany, ich halte es nicht aus ohne Dich, es zerreißt mich…Dein Delta-Mädchen.“

Siegfried Pitschmann antwortet einen Tag später am 2. Juni 1958 mit folgenden Worten:

„Meine unerreicht süße Delta-Hermaphrodite, mein wunderbares invertierendes Mann-Mädchen-Geschöpf, Du eröffnest mir neue Gefühls- und Empfindungs-Qualitäten, die die vielleicht schon lange unbewußt (unterschwellig) herbeigewünscht habe…Ich werde verrückt bei dem Gedanken, daß ich Dich aus weiß der Teufel was für Gründen doch noch verlieren sollte, und ich könnte mich zerfleischen bei der Vorstellung, wie Du jemandem…irgendwas Süßes, Schönes antust. Jota grüßt Delta. Ich küsse Deinen Korinther-Ring. Hungrig! Hungrig! Hungrig!“

Es sollte keine drei Jahre dauern, dann ist dieser „Jemand“ bereits aufgetaucht und sein „Delta“ hat genau das getan, was er schon zu Beginn der Liebesbeziehung befürchtet hat. Am 27. Januar 1961 begann sie eine langdauernde sexuelle Affäre mit dem verheirateten Schriftsteller Hans Kerschek, der schließlich ihr dritter Ehemann wurde.

„Weder mit dir noch ohne dich“

Siegfried Pietschmann hatte von Anfang an in der Liebesbeziehung mit Brigitte Reimann erhebliche Selbstzweifel und Verlustangst. Bereits in seinem ersten Brief an „Delta“ vom 4. April 1958 schrieb er:

„Ich habe einfach Angst, Dich zu verlieren, ehe ich Dich gewann.“

Sein zweiter Brief, den er neun Tage später schrieb, ist voller Selbstzweifel und Verzweiflung:

„Ich habe entsetzliche Angst davor, wenn Du kommst, und ich weiß jetzt noch nicht, wie ich Dir begegnen soll, und zugleich habe ich einen wahnwitzigen Funken Hoffnung, daß Du mich nicht wie ein untaugliches Stück, einen dreckigen Gegenstand in die Ecke schmeißt.“

Der Brief endet mit üblen Selbstbezichtungen und Selbstentwertungen. Er bezeichnet sich als

„Jämmerlicher, idiotischer Versager, eine ewige Fehlzündung, ein Spott und Gelächter aller ehrlicher Menschen.“

Der Delta-Frau gelingt es, ihren Verzweifelten Liebhaber einzufangen, ihm Hoffnung und Glauben an sich selbst einzuhauchen. In der Folgezeit werden die Briefe von Siegfried Pitschmann positiver und lustvoller.

Als sich sein Delta-Weib zweieinhalb Jahre später in den Rivalen Hans Kerschek verliebt und ihn nach einer langen Dreiecksbeziehung schließlich heiratet, ist der Jota-Mann innerlich zerstört und hat die größte Krise seines Lebens. In seinen Lebenserinnerungen, die unter dem Titel „Verlustanzeige“ posthum erschienen sind, wird dies überaus deutlich.

Die anfängliche Verlustangst hat sich bitter bestätigt. Beschädigt bleibt er zurück wie viele Männer, die von Brigitte Reimann erobert und schließlich von ihr betrogen und verlassen wurden.

Dabei ließen sich Hunderte Beispiele nennen, in den Brigitte Reimann selbstkritisch ist, sich für ihr Sexual- und Beziehungsverhalten schämt und das Zerstörerische in ihr erkennt. Sie nennt sich Amazone, Egoistin, spricht von ihrer „männermordenden Taille“, bezeichnet sich als Ehebrecherin und Betrügerin und sieht in ihrem fragwürdigen Leben „Morast, Irrwege, Irrtümer, billige Betäubungen“.

Im Resümee dieser Liebesbeziehung wird deutlich, dass beide nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander leben konnten. Zu ihnen paßt die Formulierung aus dem Truffaut-Film „Die Frau von nebenan“. Dort heißt es

„Weder mit dir noch ohne dich“.

Die Reimann-Expertin Kristina Stella, die den Briefwechsel Reimann/Pitschmann herausgegeben hat, formulierte dies in ihrem Vorwort wie folgt:

„Sie können nicht ohne einander leben, aber miteinander können sie es auch nicht.“

Literatur

Bachmann, Ingeborg, Celan Paul, Herzzeit. Briefwechsel. Suhrkamp, Berlin, 2008

Gansel, Carsten, Ich bin so gierig nach Leben – Brigitte Reimann. Die Biographie. Aufbau-Verlag, Berlin 2023

Marko, Gerda, Schreibende Paare. Liebe, Freundschaft, Konkurrenz. Suhrkamp, Frankfurt 1998

Pitschmann, Siegfried, Verlustanzeige. Erinnerungen. Postum. Wartburg Verlag, Weimar 2004

Reimann, Brigitte, Die geliebte, die verfluchte Hoffnung. Tagebücher und Briefe 1948 bis 1973. Luchterhand Verlag, Darmstadt 1984

Reimann, Brigitte, Sei gegrüßt und lebe. Briefwechsel mit Christa Wolf 1964 bis 1973. Aufbau Verlag, Berlin 1993

Reimann, Brigitte, Ich bedaure nichts. Tagebücher 1955 bis 1963. Aufbau Verlag Berlin 1997

Reimann, Brigitte, Alles schmeckt nach Abschied. Tagebücher 1964 bis 1970. Aufbau Verlag, Berlin 1998

Reimann, Brigitte, Franziska Linkerhand. Roman. Vollständige Ausgabe. Mit einem Nachwort von Withold Bonner. Aufbau Verlag, Berlin 1998

Stella, Kristina (Hrsg), Wär schön gewesen! Briefwechsel zwischen Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2013

 

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. Herbert Csef, An den Röthen 100, 97080 Würzburg

Email: herbert.csef@gmx.de

Über Herbert Csef 150 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.