21. November 2024

Tegernsee: Gerhard Richter – Werk im Plural – Aus der Sammlung Olbricht – Eine Homage an den Künstler

Die Ausstellung „Gerhard Richter. Werk im Plural. Aus der Sammlung Olbricht“ ist bis zum 28. Juli täglich außer Montag im Olaf Gulbransson Museum Tegernsee zu sehen., Quelle: OMNIS TERRA MEDIA

Er ist der realistischste und abstrakteste deutsche Künstler. Seit Jahren spielt Gerhard Richter in der Champions-League der Kunst. Seine Kunstwerke erzielen Rekordsummen bei den größten Auktionshäusern der Welt. Der Malerfürst ging mit 88 Jahren in den Ruhestand, reisen tut er nicht mehr. Auch wenn der Jahrhundertkünstler einen Gang zurückgeschaltet hat, reisen seine Bilder durch die Welt und mit ihnen auch der Künstler. Im Olaf- Gulbransson Museum am Tegernsee werden 88 Werke aus der gesamten Lebensspanne präsentiert. Doch wer ist eigentlich der Mann, der die Welt nach wie vor bezaubert. Einen Einblick gibt die Ausstellung „Gerhard Richter – Werk im Plural – Aus der Sammlung Olbricht.“

Gerhard Richter, geboren 1932 in Dresden im Osten der Republik, ist immer noch ein Marathonläufer. Kaum einer kann auf ein derartig vielschichtiges Werk zurückblicken, kaum einer hat derart monumentale Serien entworfen, kaum einer hat die Kunst der Nachkriegsjahre so nachhaltig geprägt. Voller Kraft und Dynamik erstrahlen seine abstrakten Visionen, ein Zusammenspiel von Vitalität und Disziplin, lyrischem Maß und sinnlichem Pathos.

Malen gegen das Vergessen

Der Stipendiat der Dresdner Hochschule hatte früh Karriere im Osten gemacht, galt als Wandmaler zu den gefragten Künstlern der noch jungen Republik. Doch Richter, dem „Picasso des 21. Jahrhunderts“, war die Enge des Staates, der Sozialistische Realismus nicht genug. Richter wollte mehr – die Freiheit schlechthin. Und diese eroberte er sich nach der Flucht in den Westen 1961. In Düsseldorf wurde er Professor, ein gefeierter Star, dem sich in den 90er-Jahren buchstäblich die ganze Welt auftat. Aber erst in Amerika feierte er Welterfolge, wurde zum gefragtesten Maler der Moderne – preisgekrönt – und dann mit Werkschauen weltweit förmlich überhäuft. Ob mit seinem Bild „Ema“ oder dem „Tisch“, Richter hat im ruhigen Fluss einer Arbeit immer wieder mit Nachdruck vorgeführt, was Malerei noch zu leisten vermag und dass sie sich gegen das Diktum der nachgesagten Unmöglichkeit, nach Auschwitz noch ein Bild zu malen, kraftvoll entgegengestellt hat. Richter malte gegen das Vergessen, flirtete mit Fluxus, Fotorealismus und Pop Art und Readymade – doch einordnen in eine Richtung ließ er sich nie. Seit Beginn der 60er-Jahre hatte er seine eigene Form gefunden, die Idee, Fotografien abzumalen, die Ränder der Figuren zu verwischen und damit Unschärfe zu erzeugen. Richter ist ein Unangepasster in der Kunst geblieben, einer, dem das Experimentieren alles ist, der sich weder in das Korsett des Sozialistischen noch des Kapitalistischen Realismus pressen ließ.

Kunst bleibt ein Geheimnis

Jenseits von einer regulativen Kunstästhetik war es das Spiel mit den Farben, Formen und Materialien, die er auf eine ganz eigene Art und Weise zum Sprechen brachte. Immer war es die Zerbrechlichkeit des Subjekts, seine Fragilität, die er über die Dinge und Figuren legte, um zu zeigen, dass die Malerei um einen behüteten privaten Kern spielt, den sie nicht preisgibt, der ihr Geheimnis bleibt.

Antisubjektivistisch ist die Kunst über die fast 70 Jahre seines künstlerischen Schaffens geblieben. Nie wollte er, dass seine Bilder für die Wahrheit schlechthin stehen, sondern gerade in der Offenheit des Kunstwerks sah er den weisenden Charakter, wo der Zufall eine nicht unbedeutende Rolle spielt. „Von den Bildern lernen“ wurde seine Maxime und die Bilder damit eigentlich zum Objektiven. Seine Arbeitsweise hatte Richter, der malt und übermalt, der Unschärfe zeichnet, in grau-schwarz und weiß oder später immer farbenfroher, in den 60er-Jahren als einen Prozess beschrieben, wo der Verstand ausgeschaltet ist, Pinsel und Rakel regieren und wo sich die Kunst selbst erschafft. „Wenn ich eine Fotografie abmale, ist das bewusste Denken ausgeschaltet. Ich weiß nicht, was ich tue“. Noch deutlicher sein Credo: „Das Denken ist beim Malen das Malen.“ Nicht die Idee, wie bei der Fluxus-Bewegung, ist das produktive Element, das hinter allem gravitätisch regiert, sondern im Akt des künstlerischen Agierens kommt etwas hervor, das es so vorher nicht gab. Kunst als Überraschung: „Ich möchte am Ende ein Bild erhalten, das ich gar nicht geplant hatte. Ich möchte ja gern etwas Interessanteres erhalten als das, was ich mir ausdenken kann.“ Dass Richter hiermit ganz explizit postmodern ist, liegt auf der Hand. Das Kunstwerk ist autonom, das Subjekt tritt in den Hintergrund und das so entstandene Werk bleibt jederzeit von jedermann interpretierbar. Es gibt einen Sinn, stellt ihn wieder in Frage, verweist über sich hinaus, ohne sich doch restlos zu offenbaren. Es legt Spuren des Interpretierbaren, aber eben nur Spuren, die Spuren erzeugen. „Es demonstriert die Zahllosigkeit der Aspekte, es nimmt uns unsere Sicherheit, weil es uns die Meinung und den Namen von einem Ding nimmt, es zeigt uns das Ding in seiner Vieldeutigkeit und Unendlichkeit, die eine Meinung und Ansicht nicht aufkommen lässt.“ Helge Meister hatte Richters Abmalvorgang ganz konkret beschrieben: „In Illustrierten, Zeitungen, Fotoalben und Fachbüchern sucht er seit Jahren nach geeigneten Fotos, schneidet sie aus, legt sie unter ein Episkop und projiziert die nun stark vergrößerten Bilder auf eine leere Leinwand. Auf ihr zieht er mit Kohle nach und pinselt Menschen wie Räume mit schwarzer, grauer und weißer Farbe aus. […] Die noch nassen Farben übermalt er mit einem breiten Pinsel, zieht die Konturen ineinander, egalisiert die Farbunterschiede.“

Richters Maxime: „Etwas entstehen lassen, anstatt kreieren”

Richters Quevre, die sich darin aussprechende Diskontinuität, hatten Kritiker als „Stilbruch als Stilprinzip“ bezeichnet – doch genau dadurch zeichnet sich Richters Einmaligkeit aus. Er versteckt gegenständliche Motive hinter zahlreichen Übermalungsschichten, verwischt diese wieder in einem wilden Farbnebel, bricht mit tradierten Formen und beginnt neu. Der Stilbruch ist kein Tabu, sondern der kreative Akt selbst.

So sehr sich Richters Kunst zwischen Realismus und Abstraktion in einem Wechselspiel aufbaut, fotografischen Serien, Landschaften, Porträts, Stillleben und historische Stoffe zu neuer Lebendigkeit verhilft, es ist seine forschende und experimentierende Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, die seine Kunst zu etwas höchst Eigenständigen und Unverwechselbaren werden lässt. Und selbst wenn er auf klassische Sujets der Kunst zurückgreift, so sind seine fotorealistischen Naturdarstellungen, seine nach Fotografien gemalten unscharfen Gemälde sowie die Gemälde mit höchster Abstraktionskraft bis hin zu Glas- und Spiegelobjekten beziehungsweise Installationen immer Spiegel dessen, was sich nicht voraussehen lässt. Das Ergebnis ist jedes Mal ein anderes und nur bedingt steuerbar. „Etwas entstehen lassen, anstatt kreieren,” heißt es bei Richter. „Wenn ich nicht weiß, was da entsteht, also kein festes Bild habe wie bei einem Foto, das ich abmale, dann spielen Willkür und Zufall eine wichtige Rolle.”

Längst im Künstlerhimmel angekommen

Wenn es um Ehre, Weltruhm und Ewigkeit geht, ist Gerhard Richter schon längst im Götterhimmel der Kunst angelangt. Und dort hat der Ewig-Schaffende schon jetzt einen festen Platz, was gar nicht so einfach für einen Atheisten „mit Hang zum Katholizismus“ ist. Doch „ohne den Glauben an eine höhere Macht oder etwas Unbegreifliches“ könne er nicht leben. Es ist das Bekenntnis eines religiös nicht ganz unmusikalischen Malers, der faustisch mit den Energien des Kreativen ringt, mit dem produktiven Dämon, der ins Unendliche treibt und Werke schafft, die ihresgleichen suchen.

Starallüren hat sich Richter stets verweigert, er ist kein Markus Lüpertz. Richter ist ein unabhängiger Künstlertyp geblieben. Das Malergenie liebt es eher unprätentiös, er ist denkbar bescheiden, der Hype um seine Person ihm unangenehm. Lange schon hatte sich der heute 92-jährige Titan von der Oberfläche der Eitelkeiten verabschiedet und in das Villenviertel Hahnwald in seiner Wahlheimat Köln zurückgezogen. Den größten Teil der heutigen Auktionskunst hält er allerdings für überteuert. Was fehle, sei der Maßstab für die Beurteilung des Wertes von Kunstwerken. „Wenn Sie die Auktionskataloge sehen, da wird ja 70 Prozent Müll für teures Geld verkauft.“ „Die Kriterien­losigkeit, die ist schon das Härteste dabei.“ Zwar finde er es angenehm, er, der sich nie als Marketingstratege verkauft hat, dass für seine Werke Millionensummen bezahlt werden, es zeigt immerhin, dass er geschätzt werde. Aber zugleich ist es für ihn auch „unerträglich und pervers, dass es solche Unsummen sind“. Und auf die Frage, ob er das Gefühl habe, dass seine Kunst verstanden wird, antwortet er: „Manchmal ja. Sonst hätte ich ja nicht so viel Erfolg. Also irgendwas wird ja schon ab und zu verstanden.“

Vor vier Jahren, mit 88 Jahren, legte der Mann, dessen Maxime es war, dass die „Kunst die höchste Form der Hoffnung“ sei, der laut „Manager Magazin“ zu den 500 reichsten Deutschen zählt und als der wichtigste Künstler der Gegenwart gehandelt wird, nun den Pinsel aus der Hand. Richters Abschied als Maler war die Vollendung der drei Kirchenfenster im Kloster Tholey. „Irgendwann ist eben Ende.“ „Das ist nicht so schlimm. Und alt genug bin ich jetzt,“ erklärte er im September 2020 und sein Abschied von der Malerei glich einem Paukenschlag.

Doch Richters Ruhestand wird ein Unruhezustand bleiben, zu aktiv, zu kreativ, zu sehr Schöpfungswille. Ganz kann er sich nicht zur Ruhe setzten. Er will noch ein wenig zeichnen. „Da wird wahrscheinlich noch was kommen, was im Februar gezeigt wird in München, eventuell in New York. Skizzen. Farbig-abstrakt. Nicht so doll“, kündigt er an. Dieses „nicht so doll“ ist typisch für Richter, spiegelt es doch die selbstkritische Haltung. In der Vergangenheit hatte er immer wieder fertige Gemälde verworfen und zerstört – so seine Werke aus der DDR-Vergangenheit, so seine frühen Werke im Westen. Doch Richter wird bleiben, selbst wenn er nicht mehr malt. Er ist jetzt schon unsterblich.

Die Ausstellung „Gerhard Richter. Werk im Plural. Aus der Sammlung Olbricht“ ist bis zum 28. Juli täglich außer Montag im Olaf Gulbransson Museum Tegernsee zu sehen., Quelle: OMNIS TERRA MEDIA

Text erschien zuerst in der GAZETTE 2020

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2157 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".