In dieser Woche hat sich erneut im Bundeskabinett ein Bild der Zerstrittenheit gezeigt: Das über Wochen vorbereitete „Wachstumschancengesetz“ des Bundesfinanzministers, das eigentlich vom Bundeswirtschaftsminister hätte kommen müssen, ist am Einspruch der grünen Bundesfamilienministerin gescheitert. Sie habe einen „Leitungsvorbehalt“ eingelegt, und damit habe der Gesetzentwurf des Bundesfinanzministers nicht verabschiedet werden können.
In der Bundesregierung wird nach ihrer Geschäftsordnung mit Stimmenmehrheit entschieden. Ein Widerspruchsrecht gegen Entscheidungen der Bundesregierung steht nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung dem Bundesfinanzminister bei Fragen von finanzieller Bedeutung zu. Justiz- und Innenminister können Widerspruch gegen Entscheidungen des Kabinetts einlegen, die nach ihrer Auffassung unvereinbar sind mit geltendem Recht, vor allem unvereinbar sind mit dem Grundgesetz. Aber die Familienministerin? In der Tat, auch sie hat besondere Rechte aus der Geschäftsordnung der Bundesregierung. Sie kann die Absetzung einer Kabinettsvorlage von der Tagesordnung verlangen, „wenn es sich um eine frauenpolitische Angelegenheit von besonderer Tragweite handelt und sie bei der Vorbereitung der Kabinettsvorlage nicht hinreichend beteiligt worden ist, (…).“
Das „Wachstumschancengesetz“ also als „frauenpolitische Angelegenheit von besonderer Tragweite“? Das glaubt nicht mal die Familienministerin. Sie will schlicht mehr Geld für ein in der Regierung hochumstrittenes Projekt vom Finanzminister erzwingen: die sogenannte „Kindergrundsicherung“. Es bleibt trotzdem eine sachfremde Erpressung des Bundeskabinetts, insbesondere des Bundesfinanzministers und eine offene Brüskierung des Vizekanzlers. Aber der Vorgang wird noch aufschlussreicher, wenn man den ganzen Satz aus der Geschäftsordnung liest. Dort heißt es nämlich weiter: „(…) es sei denn, dass der Bundeskanzler die sofortige Beratung für notwendig hält.“ Damit kommt der Bundeskanzler ins Spiel. Er hätte am Mittwoch das Wachstumschancengesetz auch gegen den Willen der Bundesfamilienministerin beschließen lassen können, wenn, ja wenn er denn die sofortige Beratung für notwendig befunden hätte. Das war aber offenkundig nicht der Fall. Und damit reiht sich der offene Streit in der Koalition und die Führungsverweigerung des Bundeskanzlers ein in dessen Fehleinschätzung der wirtschaftlichen Lage unseres Landes. Trotz steigender Insolvenzen, steigender Arbeitslosigkeit und hoher Kapitalabflüsse aus Deutschland gibt es für den Bundeskanzler offenbar keinen Grund zur Sorge. Im Gegenteil, Woche für Woche kommen neue Vorschläge aus seiner Koalition mit weiteren Regulierungen, Verboten und bürokratischen Auflagen für Betriebe und private Haushalte. Die ohnehin geringen steuerlichen Entlastungen, die der Bundesfinanzminister vorschlägt, müssen warten. „Wer Führung bestellt, bekommt Führung!“ – so hatte sich der Bundeskanzler zu Beginn seiner Amtszeit einmal eingelassen. Er macht stattdessen noch nicht einmal von den einfachsten Möglichkeiten Gebrauch, die ihm die Geschäftsordnung gibt, um sein Bundeskabinett arbeitsfähig zu erhalten. Zaudern, zögern, Streit auf offener Bühne, verschieben und vertagen – das sind die Merkmale der Bundesregierung. So kann man die viertgrößte Volkswirtschaft nicht führen.
Aber eine Entscheidung hat das Kabinett in dieser Woche dann immerhin doch getroffen: Cannabis darf in Zukunft angebaut werden und wird frei erhältlich sein. Wenn schon keine Wirtschaftspolitik, dann doch wenigstens Drogen für alle. Die Ampel lässt herzlich grüßen!
Quelle: MerzMail