Herbert Hupkas Geburt 1915 auf der Insel Ceylon war so ungewöhnlich wie sein Tod 2006 in Bonn. Dass er weit weg von seiner schlesischen Heimat, die er ein Leben lang im Herzen trug, am 15. August 1915 geboren wurde, lag daran, dass seine Eltern, Erich und Therese Hupka, mit dem Schiff unterwegs waren nach Tsingtau in China, wo der Vater eine Professur für Physik angenommen hatte. Unterwegs wurden sie, die im Sommer 2014 im oberschlesischen Ratibor geheiratet hatten, vom Ausbruch des Ersten Weltkriegsüberrascht und von den Engländern, den Kriegsgegnern der Deutschen, gefangen genommen und in ein Internierungslager nach Ceylon, das seit 1803 britisches Kolonialgebiet war, verbracht. Später kamen sie in ein Internierungslager nach Australien, auf der Rückreise nach Deutschland 1919 starb der Vater an Lungenpest. Und auch Herbert Hupkas Tod am 24. August 2006 in der Bonner Lessingstraße 26 war ungewöhnlich: Er starb nach einem Sturz im Treppenhaus, neun Tage nach seinem 91. Geburtstag. Seine Frau Eva (1931-2012), die unter noch immer ungeklärten Umständen in der Bonner Wohnung verstorben war, wurde erst Wochen nach ihrem Tod aufgefunden, Sohn Thomas, 1960 in Bonn geboren, ist bis heute unauffindbar!
Herbert Hupkas Mutter, eine geborene Therese Rosenthal, deren Eltern vom Judentum zum Protestantismus konvertiert waren, kehrte als junge Witwe im Juli 1919 über Rotterdam mit ihren Sohn Herbert nach Ratibor zurück, der von Ostern 1921 an die katholische Volksschule besuchte. Den Sohn katholisch zu erziehen, das war das Versprechen, das Erich Hupka noch auf dem Totenbett seiner Frau Therese abgenommen hatte. Dass Herbert Hupka unter diesen Vorzeichen ein Verehrer des katholischen Dichters Joseph von Eichendorff (1788-1857) aus Lubowitz werden würde, verstand sich von selbst, zumal vor dem Landratsamt in Ratibor ein Denkmal des Dichters der „Mondnacht“ stand und Schloss Lubowitz nur neun Kilometer oderabwärts lag.
Nach der „Machtergreifung“ am 30. Januar 1933 wurde Herbert Hupka, der nach NS-Begriffen als „Halbjude“ galt, wegen seiner jüdischen Mutter, die elf Jahre später ins Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt werden sollte, angefeindet, durfte aber am Evangelischen Humanistischen Gymnasium, wo er Latein und Altgriechisch lernte, 1934 noch das Abitur ablegen. Danach studierte er, wie Joseph von Eichendorff, an der preußischen Universität in Halle und später in Leipzig, wo sein vom Niederrhein stammender Doktorvater Theodor Frings(1886-1968) Altgermanistik lehrte, Germanistik, Kunstgeschichte, Geografie, auch der Philosoph Hans-Georg Gadamer (1900-2002) war einer seiner akademischen Lehrer. Während er das Staatsexamen zur Lehrbefähigung an Höheren Schulen noch ablegen konnte, wurde ihm als „Halbjuden“ das Rigorosum zunächst verweigert, er konnte aber am 25. und 27. Mai 1940, während des Krieges, die Doktorprüfung nachholen.
Am 29. August 1939 war er zur Wehrmacht eingezogen worden und diente als Besatzungssoldat in Frankreich, Rumänien, Bulgarien und Griechenland. Hier in Südosteuropa wurde er mit Malaria infiziert und in ein Lazarett nach Freiberg in Sachsen verlegt. Kaum genesen, wurde er verhaftet und 1943 vor ein Kriegsgericht gestellt, weil er bei der Beförderung zum Leutnant der Reserve verschwiegen hatte, durch seine Mutter „jüdischer Mischling ersten Grades“ zu sein. Deutschen „nichtarischer“ Abstammung nämlich war der Aufstieg ins Offizierscorps der Wehrmacht versagt. Deshalb wurde er am 23. März 1943 zu einem Jahr Freiheitsentzug verurteilt und im Mai ins Wehrmachtsgefängnis Torgau-Brückenkopf eingeliefert. Dort konnte er die Zeit nutzen und seine Dissertation „Gratia und misericordia im Mittelhochdeutschen“ für die Veröffentlichung vorbereiten. Im Mai 1944 wurde er aus Torgau entlassen und im Sommer 1944 aus der Wehrmacht ausgemustert. Er kehrte zurück in seine Heimatstadt Ratibor in Oberschlesien, von wo seine Mutter am 18. Januar 1944 als „Volljüdin“ ins Konzentrationslager Theresienstadt im „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“deportiert worden war.
Ein Vierteljahr nach Kriegsende, am 15. August 1945, gelang es Herbert Hupka trotz der Nachkriegswirren, von Oberschlesien aus Theresienstadt in Böhmen zu erreichen, seine Mutter aus anderthalbjähriger Lagerhaft zu befreien und ins amerikanisch besetzte Bayern zu bringen. Über das im September 1945 im niederbayerischen Deggendorf errichtete Sammellager kamen Mutter und Sohn nach München, wo Therese Hupka im Altersheim der Israelitischen Kultusgemeinde aufgenommen wurde.
Als Herbert Hupka am 15. August 1945 Theresienstadt erreicht hatte, war er genau an diesem Tag 30 Jahre alt geworden und hatte bereits so viel an Leid und Verfolgung erfahren müssen, dass es für ein ganzes Leben gereicht hätte. Die Einzelheiten, die schließlich zu seinem Weg in die Politik und zu seinem unermüdlichen Einsatz für Schlesien geführt haben, kann man in der Festschrift zum 70. Geburtstag „Für unser Schlesien“ (1985), besonders aber in seinen Lebenserinnerungen „Unruhiges Gewissen“ (1984) nachlesen. Zunächst aber wurde er, was er schon beim Abitur als Berufswunsch genannt hatte, Journalist.
Am 16. November 1945 wurde er Redakteur bei „Radio München“, aus dem 1949 der „Bayerische Rundfunk“ hervorging, nach zwölf Jahren, am 12. Juli 1957, wechselte er als Programmdirektor zu „Radio Bremen“, wo er bis 30. Juni 1959 blieb. Bei beiden Sendern standen schlesische Geschichte und Kultur immer im Mittelpunkt seines Angebots! Auf Anregung Jakob Kaisers (1888-1961), des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen in Bonn, war am 14. Juni 1954, ein Jahr nach dem Arbeiteraufstand 1953 in Mitteldeutschland, in Bad Neuenahr/Rheinland-Pfalz das Kuratorium „Unteilbares Deutschland“ gegründet worden, das 1959 einen neuen Pressesprecher suchte. Auf diese Weise kam Herbert Hupka in die seit 1949 bestehende Bundeshauptstadt Bonn, wo er bis zu seinem Tod 2006 blieb. Er war von 1968 bis 2000 Vorsitzender der „Landsmannschaft Schlesien“, von 1969 bis 1987 Mitglied des „Deutschen Bundestags“ und von 1982 bis 1999 Präsident der „Stiftung Ostdeutscher Kulturrat“ in der Bonner Kaiserstraße 113.
Gesehen habe ich Herbert Hupka zuerst auf dem 20. CDU-Parteitag in Wiesbaden vom 9. bis 11. Oktober 1972, im Herbst 1981 traten wir als Referenten eines Literaturseminars des „Bundes der Vertriebenen“ in Bad Münstereifel auf, im Juli 1982 bewarb ich mich auf den Posten des Chefredakteurs der „Kulturpolitischen Korrespondenz“, der dreimal im Monat erscheinenden Zeitschrift der „Stiftung Ostdeutscher Kulturrat“, wo ich, ausgewählt aus 29 Bewerbern, die glücklichste Zeit meines Berufslebens verbrachte.
Die Arbeitsleistung, die Herbert Hupka in seinen drei Berufen erbrachte, war überwältigend, zumal er schon 54 Jahre alt war, als er als Abgeordneter in den Bundestag einzog. Bei der Stiftung war er der erfolgreichste Präsident überhaupt, den ich erlebte. Seine beiden Vorgänger, der Pommer Hans Joachim von Merkatz (1905-1982) und der Sudetendeutsche Dr. Götz Fehr (1918-1982), haben kaum Spuren hinterlassen, der erste ließ sich nur einmal im Jahr, obwohl er in Bonn wohnte, in der Kaiserstraße blicken, der andere verstarb nach einem halben Jahr.
Ganz anders Herbert Hupka, der im Herbst 1982 auf der Jahrestagung der Stiftung in Lübeck zum Präsidenten gewählt worden war und der sofort unglaubliche Aktivitäten entfaltete. Innerhalb weniger Jahre verdoppelte er die Zahl der Mitarbeiter, was ohnehin schwierig war, weil die wenigen Fachleute, die sich im historischen Ostdeutschland noch auskannten, wegstarben und Nachwuchs dünn gesät war. Einer davon war der 1964 geborene Dr. Stefan Kaiser, der heute das „Oberschlesische Landesmuseum“ in Ratingen-Hösel leitet. Unter Herbert Hupka, der Aufbruchsstimmung in die Stiftung brachte, erschien jedes Jahr auch ein Sonderheft der „Kulturpolitischen Korrespondenz“, so über den „Widerstand in Ostdeutschland“ (1984), über „Gerhart Hauptmann“ (1986) und über „0stdeutsche Autoren in Mitteldeutschland 1945-1995“ (112 Seiten) unter dem Titel „Verlorenes Leben, verdrängte Geschichte“ (1995). Auch die Anzahl der auf den Jahrestagungen zu vergebenden Kulturpreise wurde verdoppelt. Die herausragende Leistung aber, die bleiben wird, waren die zwölf Bände „Vertreibungsgebiete und vertriebene Deutsche“, die von 1992 bis 2005 im Münchner Langen-Müller-Verlag erschienen sind und sämtliche Gebiete Ostmitteleuropas abdeckten, wo einmal Deutsche gelebt hatten. Schon 1983, im ersten Jahr meiner Tätigkeit als Chefredakteur, durfte ich in der Bonner „Villa Hammerschmidt“ den Bundespräsidenten Dr. Karl Carstens (1914-1992) besuchen, der 1935 an der Albertina in Königsberg/Preußen studiert und eine Reise ins Baltikum unternommen hatte.
Merkwürdig war aber, was wir Mitarbeiter in der Stiftung mit Sorge beobachteten, dass unser Präsident innerhalb Deutschlands, besonders nach der Wiedervereinigung 1990, ständig angegriffen und als „Revanchist“ und „Kalter Krieger“ beschimpft wurde. So veranstalteten wir unsere Jahrestagung 1991 in Halle an der Saale, wo Herbert Hupka mehrere Semester studiert hatte. Damit verbunden war die Ausstellung „Große Deutsche aus dem Osten“, zu deren Eröffnung Herbert Hupka Polizeischutz anfordern musste, weil linke Demonstranten mit Tätlichkeiten gedroht hatten. In Polen, wohin er anschließend fuhr, war das genau umgekehrt: Dort erfreute er sich nach 1989 wachsender Beliebtheit, die polnischen Journalisten waren glücklich über ein ihnen gewährtes Interview, in Warschau trat er im Fernsehen auf, 1998 wurde er zum Ehrenbürger seiner Heimatstadt Ratibor ernannt und kaufte sich dort eine Eigentumswohnung.
Im Spätsommer 2006 nahm ich an seiner Trauerfeier in der Bonner Elisabethkirche teil, vor dem Eingang standen trotzig drei Männer in oberschlesischer Bergmannstracht, um einen ihrer Landsleute zu ehren. Dieses Bild hätte ihn zu Tränen gerührt!
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