Felsengänge und Menhire: Spurensuche in der Steinzeit

Die spannenden Forschungen von Prof. Heinrich Kusch

Menhir, Foto: Roland Roth

Zusammenfassung

Vor langer Zeit sind in Europa künstliche unterirdische Gangnetze geschaffen worden, die seit dem 16. Jahrhundert aus bisher ungeklärten Gründen wieder verschlossen und versiegelt wurden. Nur wenige Überreste, heute meist als „Erdställe“ benannt, blieben zugänglich. Untersuchungen der Karl-Franzens-Universität in Graz und der PURDUE-Universität in den USA errechneten ein überraschendes Richtalter von über 10.000 Jahren für diese mysteriösen Anlagen. Zudem ergab sich ein offensichtlicher Zusammenhang mit den vielerorts aufgerichteten Lochsteinen und Menhiren. Dabei handelt es sich nicht nur um ein regional begrenztes Phänomen.

Megalithkultur vor 10.000 Jahren?

Seit 1992 befassen sich das Archäologen-/Paläontologen-Ehepaar Heinrich und Ingrid Kusch mit den Phänomen der Erdställe, jenen mysteriösen in Europa weit verbreiteten unterirdischen Anlagen. Bei ihren weit über 900 Forschungseinsätzen haben sie allein in der Unterwelt der Steiermark unzählige prähistorische Kultplätze wiederentdeckt. Vor allem um Vorau und Pöllau in der Steiermark sind diese unterirdischen Anlagen auffällig häufig vorhanden. Dabei handelt es sich um Felsgänge, Bergwerke und Stollen sowie aus Trockenmauern errichtete unterirdische Räume und Schächte. Prof. Kusch schätzt die Anzahl auf weit über 1000 künstlich geschaffene unterirdische Anlagen allein in der Steiermark. Leider sind die Funde in diesen Anlagen eher spärlich, da Plünderungen in frühzeitlichen Hohlräumen ebenso an der Tagesordnung waren wie die Plünderungen der frühen Grabanlagen bei alten Hochkulturen.

Es war also längst Zeit, diese alten Anlagen mit echter wissenschaftlicher Methodik und bestmöglicher Präzision zu untersuchen und zu beurteilen, selbst dann, wenn wir unser Denken ändern und die Geschichte der Menschheit neu schreiben müssen. Die hierbei angewendete TCN-Datierung (1) durch Spezialisten in den USA gibt unwiderruflich Aufschluss über das tatsächliche Alter dieser Anlagen von weit über 10.000 Jahren. Diese Datierung ergab demnach, dass die Entstehung der Anlagen in das Mesolithikum, also in die mittlere Steinzeit vor ca. 11.600 bis 8.000 Jahre vor heute, verlegt werden muss. Das bedeutet, dass die ursprünglichen Erdställe möglicherweise über 10.000 Jahre alt sein könnten, oder gar noch weitaus älter sind. Dadurch ist nachgewiesen, dass die wenigen Funde aus Erdställen die bisher mit Hilfe der C14-Methode (Altersdatierungen von organischen Substanzen wie beispielsweise Holzkohle) auf ca. 1.400 Jahren datiert wurden, tatsächlich nur Sekundärfunde sind und nichts mit der weit älteren Entstehung zu tun haben können.

Mysteriöse Bewohner

Eingänge, Löcher und Schächte zu diesen Anlagen wurden im Laufe der Jahrhunderte nicht nur durch natürliche Einflüsse verschlossen, sondern zumeist wurde die Zugänglichkeit auch durch Menschenhand unmöglich gemacht. Auf Anweisung der Kirche wurden die Hohlräume mit Schwemmsand und tonnenweise mit Steinen und Müll verfüllt. Im Jahre 1859 schrieb Theodor Vernaleken in seinem Buch „Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich“ u.a.:

„Jetzt wird das Fenesloch nur noch benützt um die Steine der nahe gelegenen Äcker hineinzuwerfen, aber im Munde des Volkes leben die Sagen von den Fenesleuten fort.“

Wer waren diese ominösen „Fenesleute“, nach denen die Höhle benannt ist? Vernaleken beschreibt in seinem Buch diese Wesen, die dem Menschen zwar nichts zuleide taten, aber laut den Erzählungen durch das Austauschen ihrer eigenen Kinder mit den Kleinstkindern der Menschen bei der Bevölkerung auf verständlichen Unmut stießen und letztlich vertrieben wurden:

„Im nördlichen Schlesien, bei dem Dorfe Heinzendorf, ist ein Berg, auf dessen Gipfel sich das s.g. Fenesloch befindet. Dort im Inneren des Berges wohnten vor langer Zeit die Fenesleute; sie waren nicht größer als ein fünf oder sechsjähriges Kind, aber ihr Kopf, den sie mit einem großen, breitkremprigen Hut bedeckten, war von unförmlicher Größe und ihre Züge waren unschön.“

Diese ominösen Fenesleute waren also klein vom Wuchs und hatten große, unförmige Schädel, die im Auge des Betrachters auch noch „unschön“ waren? Die vielfältigen Zwergensagen und die Erzählungen vom Wechselbalg kommen da ins Gedächtnis.

Interessanterweise haben Untersuchungen zwischen heutigen Siedlungsgebieten und dem nicht verbauten Freiland ergeben, dass lediglich 20,5% der unterirdischen Anlagen bei Häusern bzw. in einem Umkreis von 100m um diese herum befinden, während sich der Großteil in Wäldern auf Berggipfeln oder Wiesenhängen befinden und somit auf heute noch unbewohntem Gebiet, oft Hunderte von Metern vom nächsten Gehöft entfernt. Zudem waren die meisten Erdstallanlagen im Mittelalter bereits vorhanden und auch nur durch Zufall entdeckt, wenn Gehöfte oder Burgen gebaut wurden. Viele dieser entdeckten Hohlräume wurden dann in den Bau integriert und als Lagerräume oder Abfalldepots verwendet.  Heute werden solche Erdställe beim Straßen- und Hausbau wiederentdeckt, zum Beispiel durch Erdfälle oder Einbrüche von schweren landwirtschaftlichen Maschinen.

Seltsame Bearbeitungsspuren

Prof. Kusch und sein Team forschen seit Jahren nach dem wahren Alter der alten Gänge, die für die aus Trockenmauerwerk errichteten Stein- und Felsgänge durch die aktuellen Richtwerte das erstaunliche Mindestalter von über 10.000 Jahren vermuten lassen. Vor allem auch die Werkzeugnutzung verblüfft dabei, vor allem die so genannten Schrämspuren, also das Abziehen von zumeist weichem Gesteinsmaterial, die an den Wänden zu finden sind. Allerdings findet man solche Bearbeitungsspuren auch an konglomeratähnlichen Gesteinsverbindungen und vor allem auch auf quarzhaltigem Felsgestein, was das Abziehen, also Schrämen, per Hand schier unmöglich macht. Hammer und Meißel scheiden ebenfalls aus, da diese sogleich größere oder kleinere Gesteinsbrocken herausbrechen würden. Überraschungen brachte die Entnahme von mikroskopisch kleinen Metallresten an den Arbeitsspuren, die mittels einem starken Industriemagneten entnommen wurden. Diese zeigten anhand von Rasterelektronen-Mikroskop-Aufnahmen durch das Institut für Erdwissenschaften an der Karl-Franzens-Universität in Graz, dass die Innenseite der Werkzeugspuren an den Stollenwänden einst verglast (versintert) gewesen sind, das bedeutet, das Gestein (Augengneis) wies eine verglaste Oberfläche auf. Eine solche Verglasung kann nur bei relativ hohen Temperaturen von über 1.200 bis 1.400 Grad Celsius während des Arbeitsprozesses entstehen. Das bedeutet, dass an der Werkzeugspitze während des Arbeitsprozesses Temperaturen von weit über 1.200 Grad vorhanden gewesen sein müssen, die das Gestein verflüssigt haben. Selbst an Quarzkristallen fanden sich diese Verglasungen.

Was für ein Werkzeug kann eine so hohe Temperatur an seiner Spitze erzeugen? Handelt es sich um maschinelle Arbeitsspuren von einem stark rotierenden Gesteinsfräskopf?  Die Spuren verlaufen an einigen Stellen der Felswände bis zu 3cm tief und etwa 40 cm lang. Erkennbar an den Arbeitsspuren ist, dass die Werkzeugspitzen stumpf und dreieckig waren. Ein normaler Eisenmeißel scheidet für die Herstellung des Ganges daher aus, unbeachtet der Tatsache, dass es Eisen, respektive Stahl, schon Tausende Jahre früher als bislang angenommen gegeben haben müsste. Laser-Präzisionsmessungen (2) in einem Gangabschnitt zeigten auch gleichmäßig durchgezogene Schrämspuren mit vielen abrupten Enden, die auf Wand- und Deckenbereichen lediglich eine Abweichung von 14 mm aufweisen. Eine solche Präzision ist von Hand aus unmöglich zu erreichen, vor allem durch die bemerkenswert einheitliche Arbeitsrichtung des Vortriebes. Darüber hinaus zeigte sich anhand von Mikrosondenanalysen, dass es sich bei den Eisenspuren nicht um natürliche im Gestein vorkommende Eisenreste (Eisenoxid) handelt, sondern um Eisen, das technisch hergestellt worden ist. (3) Wer oder was diese hergestellt hat, bleibt völlig unklar. Wohlgemerkt handelt es sich um jene Proben eines Felsenganges, der vor über 10.000 Jahren aus dem Gestein geschrämt worden ist. Hier stimmt also etwas nicht mit unserem Wissensstand vom frühen Vorkommen von Eisen in den vergangenen Kulturräumen. Hatte es schon vor der Eisenzeit Eisenwerkzeuge in der Steinzeit gegeben? Es stellt sich zudem die Frage nach dem pragmatischen Sinn für den Bau solcher Anlagen und in welcher Epoche das geschah. Bis heute gibt es darauf keine zufriedenstellenden Antworten, denn dazu müssen diese unterirdischen Gänge erst einmal genauer untersucht werden. Die alleinige Nutzungsform als Versteck oder Zufluchtsort scheidet aus, da solche Anlagen nur Schutz für ganz wenige Personen bot und es belegte Zeugnisse von Todesfällen von Personen in diesen Erdställen gibt, da die Menschen in den unterirdischen Anlagen schlicht und ergreifend erstickt sind. Viele Zeitzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg bezeugen, dass man sich nur kurzfristig in diesen Hohlräumen aufhalten konnte, weil es einfach nicht genug Atemluft für tagelange Aufenthalte gab.

Menhire und Lochsteine

Menhire und Lochsteine, also bearbeitete Hinkelsteine, könnten in einem direkten Zusammenhang mit den Felsengängen und Erdställen stehen. Man vermutet, dass diese vor Jahrtausenden errichteten Steine die Ahnen repräsentierten und die Seelen der Toten beherbergten. Man sagt, sie wurden einst durch magische Riten zum Sprechen gebracht, weshalb sie heute noch als sprechende Steine bekannt sind.

Die Verehrung dieser Megalithen muss bis in historische Zeit durchgeführt worden sein, doch zahllose uralte Spuren aus längst vergangener Zeit wurden nach und nach entsprechend umgestaltet. Das Volk verehrte die heiligen Ahnensteine heimlich weiter. Der Kult war lange Zeit nicht auszurotten. Oft wurden die Zeugnisse alter Riten und Bräuche umgeworfen oder zerschlagen. An den Kultplätzen wurden zudem christliche Kapellen errichtet.

Kaiser Karl der Große führte gar grausame Feldzüge gegen die heidnischen Stämme, um den alten Glauben auszumerzen. In seinen auf dem Landtag zu Aachen 789 erlassenen Kapitularien wurde unter anderem auch bestimmt, dass die vor Gott verwerfliche Sitte, an Bäumen, Quellen und Steinen Andachten zu verrichten, zu verbieten, und die dabei ertappten Personen zu bestrafen seien. Das zähe Festhalten des Volkes an seinen alten religiösen Gepflogenheiten veranlasste schließlich die Kirche, ihre bisherigen Christianisierungsmethoden, entsprechend den Ratschlägen, die Papst Gregor der Große dem Abt Millitus bereits im Jahre 601 brieflich übermittelte, zu ändern. Man ging ebenfalls dazu über, die heiligen Stätten der zu bekehrenden Völker nicht mehr zu zerstören, sondern die für diese Plätze überlieferte Ehrfurcht zu benützen, um dem an solchen Stellen bestehenden Gottesdienst ein christliches Gepräge zu geben.

Dennoch haben sich vielerorts die Jahrtausende alte Macht der Steine erhalten und man findet noch heute einzelne Menhire und alte Kultplätze aus fernen Tagen, viele sogar noch in situ, also noch an der ursprünglichen Stelle und wurden demnach nicht ortsversetzt. Viele Menhire und Lochsteine könnten auch als Wegweiser zu Eingängen in die Unterwelten gedient haben, so auch die erwähnten Erdställe. Lt. aktuellem Forschungsstand konnten weit über 400 solcher Steinsetzungen allein in der Steiermark registriert werden. Hinzu kommen die vielen Menhire in anderen Ländern, vor allem auch in Deutschland, denen der Verfasser dieses Beitrags seit Jahren auf der Spur ist. Hier ist allerdings noch ein erheblicher Forschungsbedarf nötig.

Forschungsbedarf

Man kann davon ausgehen, dass es vor vielen Jahrtausenden mindestens eine „megalithische Kultur“ in unseren Breiten gab, was aber noch Gegenstand zahlreicher Untersuchungen sein wird. Dass die Steinbauten und Steinsetzungen überwiegend prähistorischen Ursprungs sind, steht heute in der seriösen Wissenschaft außer Zweifel. Lediglich der genaue Zeitabschnitt muss noch geklärt werden. Dazu sind grenzüberschreitende Datierungsmaßnahmen erforderlich, die über Österreich, Norditalien und der Schweiz bis in den voralpinen Raum und weit in den Norden Deutschlands reichen. Wichtig ist es jedoch, diese Kulturdenkmale menschlichen Wirkens aus grauer Vorzeit entsprechend zu untersuchen und zu würdigen, auch wenn wir den eigentlichen Sinn ihrer Errichtung heute nicht mehr nachvollziehen können, weil ganz einfach die wesentlichen Informationen über diesen langen Zeitraum verloren gegangen sind und nur noch regionale Überlieferungen der einheimischen Bevölkerung existieren.

Literatur:

Behrens, Heinz A. – Hünensteine, Menhire, Seelenthrone, in: Bodendenkmalpflege im Kreis Wernigerode, Hrsg. Rat des Kreises Wernigerode, 1990

Gödel, Otto: Menhire, Speyer 1987

Korn, Wolfgang: Megalithkulturen – Rätselhafte Monumente der Steinzeit. Stuttgart 2005

Kusch, Heinrich u. Ingrid: Versiegelte Unterwelt. Graz 2014

Schulze-Thulin, Britta: Großsteingräber und Menhire – Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen. Halle 2007

Roth, Roland: Technogötter – Vorzeitliche Hochtechnologie und verschollene Zivilisationen. 2. Auflage, Groß-Gerau 2014

Vernaleken, Theodor: Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Wien 1859

http://www.suehnekreuz.de/VA/menhire.html

Anmerkungen:

(1)          TCN (=terrestrial cosmogenic nuclids), dabei werden in Gesteinsschichten durch kosmische Strahlung Kernreaktionen ausgelöst, wobei langlebige radioaktive Isotope und stabile Isotope entstehen.

(2)          Die Lasermessungen wurden durchgeführt von der Firma Surphaser – 3D Laser Scanners (England) in Zusammenarbeit mit den Firmen GEOs3D – Geoddetic and Industrial Surveying in Oberhofen (Tirol) und Energie Burgenland Geoservice.

(3)          Mit dem Rasterelektronenmikroskop durchgeführte Mikrosondenanalysen ergab eine Legierung aus Fe (Eisen), O (Sauerstoff), Mn (Mangan), Al (Aluminium), Si (Silizium), K (Kalium), Ca (Calzium) sowie Ti (Titan) und Cr (Chrom). In einer Probe war noch Mo (Molybdän) enthalten.

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Über Roland Roth 15 Artikel
Roland Roth, Jahrgang 1971, ist seit vielen Jahren Autor von populärwissenschaftlichen Artikeln in verschiedenen Fachzeitschriften und Anthologien. Sein neues Buch trägt den Titel „Merlins Garten – Mythen, Megalithen und vergangene Welten“. Etliche Reisen und Recherchen an mystischen Plätzen und vergessenen Orten sind seine besondere Leidenschaft. Darüber hinaus ist Roland Roth ein großer Hundefan und engagiert sich in der Altenhilfe.