Wissen unerwünscht – Die Vernichtung von Büchern bis zur digitalen Verbrennung von heute

Parthenon der Bücher, Quelle: Roland Roth

Schon der Apostel Paulus sorgte mit einer Bücherverbrennung für Aufsehen und lies unzählige „magische“ Werke vernichten. Im Mittelalter wurde Jagd auf „Zauberbücher“ gemacht und die Bücher-Verbrennung von 1933 in Deutschland war geradezu ein Minimalverlust gegenüber der Zerstörung von Schriften aus der antiken Bibliothek in Alexandria. Und Orwells Meisterwerk „1984“ zeigt anschaulich, was mit nicht regime-konformen Schriften zu geschehen hatte. Das erinnert mich immer an das Zitat von Heinrich Heine: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“

Eine Bücherverbrennung ist lt. Wörterbuch „die demonstrative Zerstörung von Büchern oder anderen Schriften durch Feuer“. Meist handelt es sich um moralische, politische bzw. religiöse Gründe, die nicht selten staatlich inszeniert waren. Diese Druckwerke mit ihrem unrühmlichen Ende wurden zumeist als blasphemisch, ketzerisch, unmoralisch oder obszön bezeichnet und gerne unter einer johlenden Menge und viel Tamtam öffentlich verbrannt. Doch wer sich in der Menschheitsgeschichte umschaut, dem fällt die Häufigkeit auf, in der unschätzbares Wissen dem Feuer des Irrglaubens oder dem Wahn zum Opfer fielen. Dabei sind die klerikalen Zerstörungen der römisch-katholischen Kirche und die Bücherverbrennungen von 1933 im nationalsozialistischen Deutschland nur die bekanntesten Tragik-Momente der Wissensvernichtung von dem in aller Regel alten, unwiederbringlich verlorenen Erbe.

Tragisch ist, dass dieses Verbrechen an einem der wichtigsten Kulturgüter heute noch geschieht. Überall auf der Welt brennen Bücher, weil sie den ideologischen Anforderungen manch eines Regimes oder einer Glaubenslehre nicht ins Bild passen.

„Bücherhinrichtungen“ sind ein Phänomen, das sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte zieht. Erste Buchexekutionen sind aus der Antike bekannt, prägten aber vor allem die Epoche des 17. und 18. Jahrhunderts, die Blütezeit der Büchervernichtungen in Europa. Der römische Kaiser Diokletian ließ in Konstantinopel die Schriften der Christen vernichten. „Autodafé“ nannte man damals die Verbrennung ketzerischer Bücher, im Rahmen der Vollstreckung eines Urteils der Inquisition. In der Neuzeit bedienten sich französische Revolutionäre und britische Truppen in Nordamerika nur zu gerne dieses extremen Mittels und brannten Teile der Bibliothèque Nationale bzw. die Library of Congress nieder. Die Gründe? So fadenscheinig wie eh und je: Die Aussagen der Bücher seien politisch untragbar, gefährlich, verleumderisch, obszön oder verderblich. Unerwünschte Werke wurden dabei oft in publikumswirksam inszenierten öffentlichen Bücherverbrennungen dem Feuer übergeben.

Der chinesische Kaiser Qin Shihuangdi (um 259 bis 210 v. Chr.) griff um das Jahr 213 vor Christus im Zuge der Reichseinigung zu absolut rigorosen Maßnahmen. So wurde die Vielfalt der philosophischen Schulen kurzerhand abgeschafft und verboten. Erlaubt war, wen wundert´s, einzig die staatstragende Philosophie. Alles andere wurde dem Feuer übergeben.

Schon das Neue Testament schildert in der Apostelgeschichte (19,19 EU) eine Bücherverbrennung, mit der Kirchen und Christengruppen bis zur Gegenwart immer wieder ihr Vorgehen gegen abweichende Meinungsdarstellungen gerechtfertigt haben: „Viele aber, die Zauberei getrieben hatten, brachten ihre [Zauber-]Bücher zusammen und verbrannten sie öffentlich und berechneten, was sie wert waren und kamen auf fünfzigtausend Silberdrachmen“.

Dieser Wahnsinn ging auf das Konto des Apostels Paulus in Ephesos. Sein missionarischer Eifer endete erst damit, dass bekehrte Magier ihre Bücher zusammentragen und verbrennen mussten. Ein unschätzbarer Verlust für die Menschheit.

Schon ab dem 4. Jahrhundert sind Nachweise für die Einäscherung von „Zauberbüchern“ im Rahmen christlicher Bekehrung bekannt. Vom frühen bis ins späte Mittelalter hinein gibt es Schilderungen, dass „Zauberbücher“ der Vernichtung anheimfielen. Besitzer von „Zauberbüchern“ wurden mitunter mit dem Tode bestraft. Die „Res Gestae“, der Leistungs- oder Rechenschaftsbericht des Ammianus Marcellinus (etwa 330 bis 395), berichten von der Verfolgung und Hinrichtung von Personen, denen der Besitz von Büchern mit verbotenem Inhalt vorgeworfen wurde. Ihre Codices und Rollen wurden in großer Zahl öffentlich verbrannt. Bei den umstrittenen Lettern soll es sich vor allem um Werke der „Artes liberales“, der klassischen antiken Wissenschaften gehandelt haben. Aus Furcht vor ähnlichen Schicksalen vernichteten die Besitzer in den östlichen Provinzen ihre ganzen Bibliotheken. Rein prophylaktisch, versteht sich. Unschätzbares Wissen ging in diesem Wahnsinn verloren. Bekannt ist auch die eingangs erwähnte Zerstörung des Serapeums in Alexandria, Gelehrtensitz und Bibliothek vieler Epochen, das 391 n. Christus in Flammen aufging. Hier wird oft jene Geschichte aus dem 13. Jahrhundert erzählt, der zufolge die Bücher des Museion in Alexandria vom muslimischen Eroberer Emir Amr ibn al-As (580 – 664) vernichtet wurden. Auf Befehl des Kalifen aus Konstantinopel sollen damit sechs Monate lang die 4.000 Bäder von Alexandria geheizt worden sein. So verwandelten sich unschätzbare Werke wegen warmen Blubberwassers in Staub und Asche.

Nicht anders war es gegen Ende des 5. Jahrhunderts in Beirut. Dort fanden Studenten bei einem Gelehrten im Zuge einer Hausdurchsuchung Zauberbücher, wohl eher beeindruckende Schriftzeugnisse, welche die debilen und zerstörungswütigen Zöglinge einfach nicht verstanden. Nachdem er gezwungen wurde, sie zu verbrennen, musste er die Namen von weiteren Besitzern solch ketzerischer Schriften preisgeben. Daraufhin begannen die Wahnwitzigen dank Unterstützung des Bischofs und der weltlichen Obrigkeit eine größere Hetzjagd. Sie fanden bei anderen Studenten und einigen namhaften Personen derartige Bücher und verbrannten sie johlend vor der Kirche.

Doch damit nicht genug im Wahnwitz der Geschichte. Im Jahre 1256 ordnete der Mongolen-Khan Hülegü Chan (um 1217 bis 1265) die Verbrennung der großen Bibliothek an, welche die Assassinen auf Alamut zusammengestellt hatten. Lediglich alle Koran-Handschriften und einige wissenschaftliche Werke wurden zuvor aussortiert. Den Gipfel der verblendeten Zerstörungswut erreichte am 12. Juli 1561 der Bischof von Yucatán, Diego de Landa (1524 bis 1579). Der ließ nämlich alle Götzen und Objekte, von denen er glaubte, dass sie den Maya zur Teufelsanbetung dienten, auf einem Scheiterhaufen verbrennen. Nur vier Codices überlebten die Flammen. Welche phantastischen „Götzen“ und „Objekte“ da verloren gingen? Unbekannt. Sicher ist nur, dass es sich um unwiederbringliche Zeugnisse einer großen Kultur handelte.

Der pure Wahnsinn fraß sich weiter durch die Geschichte und traf auch deutsche Literatur. Als die USA 1917 in den Ersten Weltkrieg eintraten, wurden in zahlreichen Bundesstaaten unter dem Absingen patriotischer Lieder wahllos Bücher aus dem „bösen Deutschland“ verbrannt. In Kambodscha hingegen waren es die Roten Khmer, die 1975 an die Macht kamen und völlig durchdrehten. Deren Führer Pol Pot (1925 bis 1998) wollte eine reine Agrargesellschaft schaffen, in der jeglicher Intellekt verboten war. Geld wurde abgeschafft, Bücher wurden den Flammen übereignet. Lehrer, Händler und fast die gesamte intellektuelle Elite des Landes wurde ermordet, um die wirren Phantasien eines Despoten zu verwirklichen. Ein ebenso unsagbares Verbrechen geschah im Mai 1981, denn da wurde die Jaffna Public Library in Sri Lanka gestürmt und niedergebrannt, wobei über 97.000 Bücher und Palmblatt-Manuskripte den Flammen zum Opfer fielen. Weiter ging es im Nahen Osten, genauer gesagt Afghanistan. Die 1987 gegründete Nasir-i Khuschra Stiftung in Kabul beinhaltete einen großen Schatz an Museumsgütern und Schriften. Die persische Sammlung war einmalig und enthielt unschätzbare Werke. Am 12. August 1998 zerstörten die Taliban Druckerei, Museum und Bücherei und verschonten nicht einen Band, nicht einmal eine tausendjährige Ausgabe des Korans.

In moderner Zeit werden neben Büchern auch andere missliebige Publikationsformen wie Tonbänder, Schallplatten, CDs oder Videobänder verbrannt. Die wohl erste Bücherverbrennung des 21. Jahrhunderts ist fast schon kurios, wenn der Grund nicht so unbarmherzig verdeutlicht, wie verblendet Menschen in unserer modernen Welt sind. Diese Farce betraf J. K. Rowlings „Harry Potter“, denn ein gewisser Pastor George Bender und Mitglieder der „Harvest Assembly of God“-Kirche in Pittsburgh verbrannten während eines sogenannten „Book Burning“- Gottesdienstes im März 2001 Harry-Potter-Bücher. Warum? Der Held unzähliger Leser verherrliche Zauberei und Hexenbrauch. Ebenso unfassbar ist eine Aktion im Mai 2006, wo zwei italienische Politiker in Ceccano ein Exemplar des Buches „Sakrileg“ von Dan Brown verbrannten, weil man „Jesus verteidigen“ müsse. Grund für den Ausraster: In „Sakrileg“ wird die These aufgestellt, Jesus und Maria Magdalena waren ein Ehepaar und hätten sogar Nachwuchs gezeugt.

In Literatur und Film wurde das Thema mehrfach aufgegriffen. Beispielsweise werden in George Orwells Roman „1984“ nicht regime-konforme Werke eingeäschert und in Ray Bradburys „Fahrenheit 451“ ist es ein schweres Verbrechen, Bücher zu besitzen oder zu lesen. In „Don Quijote“ von Miguel de Cervantes fackeln der Pfarrer und der Barbier Nikolas einen großen Teil der Bücher Don Quijotes ab, da ihn diese um seinen Realitätssinn gebracht haben.

Und heute, im 21. Jahrhundert, werden Personen und ihre Werke immer noch diffamiert oder verleugnet, wenn sie systemkritische Themen besitzen. Ein vernünftiger Diskurs findet meist nicht statt. Führende Medien geben eine Meinung vor, die bereitwillig zu schlucken ist. Ungeliebte Inhalte werden in elektronischen Medien gelöscht, reales Feuer braucht es nicht mehr. Das ist dann die digitale Verbrennung.

Und aktuell, im wahrsten Sinne des Wortes „brandaktuell“, werden Zeugnisse der Geschichte zerstört, weil sie fanatischen Weltverbesserern nicht in ihren Kram passen, wie beispielsweise bei den Unruhen aufgrund der Geschehnisse um den Afroamerikaner George Floyd. Denkmäler werden zerstört und geschändet, ein politischer Ikonoklasmus, den man bisher nur von den Taliban kannte, deren Bildersturm in Afghanistan seinesgleichen suchte. Und was zeigen uns diese aktuellen Gräueltaten an Kultur und Geschichte? Die Gesellschaft ist keinen Deut weiter, es findet eher eine Rückentwicklung statt in Barbarei und Zerstörung, wenn wir uns als Gesellschaft nicht an das erinnern, was einmal war. Wer seine Vergangenheit leugnet, kennt auch keinen Weg und kein Ziel für die Zukunft.

Wird die Menschheit also jemals aufhören, unschätzbare Vermächtnisse alter Kulturen zu vernichten, zu zerstören oder der Vergessenheit zu überlassen? Viele Hinweise auf uralte und verschollene Zivilisationen sind durch das aggressive Wirken von nachfolgenden Generationen unwiederbringlich zerstört worden. So ist es denn kein Wunder, dass nach Zeitspannen, die Jahrtausende zurückliegen, kaum Spuren etwaiger Kulturen auffindbar sind, die möglicherweise die ursprünglichen Lehrmeister der nachkommenden Menschengeschlechter waren. Sind so die „Wissens-Explosionen“ mancher Gesellschaften zu erklären, die bis zu einem Tag X Jäger, Sammler oder Bauern waren? Bis eines Tages Gelehrte von fernen Gefilden eintrafen, die den Menschen das notwendige Wissen brachten, um eine Zivilisation aufzubauen, wie wir sie heute vorfinden?  Und wie oft ist dies im Verlaufe der Erdgeschichte schon geschehen?

 

Buchhinweise:

Roland Roth

Merlins Garten

Mythen, Megalithen und vergangene Welten

Ancient Mail Verlag Groß-Gerau 2022

 

Über Roland Roth 15 Artikel
Roland Roth, Jahrgang 1971, ist seit vielen Jahren Autor von populärwissenschaftlichen Artikeln in verschiedenen Fachzeitschriften und Anthologien. Sein neues Buch trägt den Titel „Merlins Garten – Mythen, Megalithen und vergangene Welten“. Etliche Reisen und Recherchen an mystischen Plätzen und vergessenen Orten sind seine besondere Leidenschaft. Darüber hinaus ist Roland Roth ein großer Hundefan und engagiert sich in der Altenhilfe.