Meister der beschaulichen Katastrophen …“ oder: „Homeoffice“ à la Wilhelm Busch

Drunten am Eßtisch erwartet ihn eines seiner sieben Geschwister: seine liebe Fanny, mit der er im alten Pfarrhaus wohnt.

Aus seinem Arbeitszimmer rufen zugleich und im Kanon drei Kuckucksuhren zum Dienst.

Und siehe da: Pünktlich um 8.30 Uhr knarzt die Treppe. Wilhelm, der schlafberockte, vollbärtige Hausherr steigt herab.

Das Dienstmädchen – blütenweiße, gestärkte Schürze nebst Häubchen – entbietet ihm einen Knicks. Kaffee, Brot, Butter, Milch stehen bereit zum „Spätstück“. Seine drei Neffen, die er väterlich betreut, sind derweil schon in der Schule. Irgendwo tummelt sich der quirlige Dackel.

Danach begibt sich der Künstler ans Zeichnen und Dichten, meist miteinander aufs Feinste verwoben.

Ein hochlehniger, eichenhölzerner Stuhl, mit Armstützen und karierter Nackenstütze, dahinter eine schmale Staffelei, harren seiner. Dazu buhlen Zigarren sowie ein halbes Dutzend Pfeifen, sämtlich mit ellenlangen Mundstücken, um seine Gunst.

Beim Tabak hat er sich längst entschieden: „Scaferlati“, sortengemischt aus Burley, Kentucky und Virginia: warm, erdig, würzig. So recht passend zu seinem Tagesablauf in seiner wonnig-wohltuenden Wiedensahler Weltabgeschiedenheit.

Zwicker und Brille liegen parat. Daneben Gänsekiel, Tintenfaß. Und Stifte für jene so überraschend winzigen Zeichenpapiere, auf denen immer wieder Schöpfungen entstehen, die bis heute rund um den Globus Klein und Groß entzücken.

Wer kennt sie wohl nicht: Lehrer Lempel. Witwe Bolte. Die ach so Fromme Helene. Den Raben Hans Huckebein. Die „schlümmen“ Lausbuben Max und Moritz. Querköpfe wie Krischan Bolte, „ein eigner Kerl – er tat nicht gerne, was er sollte“.

Wilhelm mochte da aus Erfahrung sprechen, denn als Schüler bevorzugte er Märchenlesen, Forellenfischen und Vogelfang – hoch schätzte er den lieblichen Gesang des Schwarzplättchens. Und zur Königsdisziplin knospte schon das Zeichnen, das sein Lebensinhalt werden, nicht zuletzt sein Einkommen sichern sollte. Surreale, pfiffig-boshafte Knittelverse, grotesk deformierte, konkave, konvexe Figuren, wurden des Meisters Markenkern.

Vielleicht war heute noch ein Brief an seinen Verleger Kaspar Braun zu beantworten. Schriftlich natürlich, denn Telegraf wie Telefon mied er zeitlebens. Er unterlag nicht der Fortschrittsgläubigkeit seiner Zeit.

Mit Verleger Braun – diesem hatte er seine Münchner Gewächse „Max und Moritz“ zum Spottpreis von 1000 bayerischen Gulden überlassen – geriet er zuweilen in Hader. Beidseits „gemütlich“ geplante Tagesausklänge in der Schänke arteten mitunter zu wüstem Wortgeplänkel aus. Sodann schritten beide als geschiedene Leute ihren Wohnstätten zu.

Doch unser Autor war nicht nur streitbar, sondern geschäftlich zunehmend „ausgefuchst“ („Im übrigen von ganzer Seele, dein (schlauer…) Fuchs in der Höhle“). Tags darauf sandte Busch eine Zeichnung nebst Brieflein an seinen Verleger des Textes: „Sehr geehrter Herr! Es wäre mir eine große Freude, wenn Sie für meine Arbeit in Ihrem geschätzten Blatt Verwendung fänden …“. Braun erwiderte verbindlich, er habe „Interesse ihn persönlich kennenzulernen“, schlug vor, sich doch gleich Dienstagabend im Münchner Hofbräuhaus zu treffen.

Dort nun stellten sie sich einander förmlich vor, mit Verbeugung natürlich, Zylinder aufgeklappt in beiden Händen – tranken dann aber alsbald lärmig auf neue Brüderschaft.

Im Wiedensahler Pfarrhauskeller warteten späterhin feine Weine – alldieweil: „Rotwein ist für alte Knaben, eine von den besten Gaben“ – und im kühlen Salon auch ein „Likoer“, denn „Wer Sorgen hat, der …“

Wenn Sie das letzte Bonmot leicht vollenden können, hatte unser aller Loriot recht, als er anläßlich der Entgegennahme des Wilhelm-Busch-Preises äußerte: „Ich möchte mal wissen, wer in Deutschland sagen kann, daß er Max und Moritz nicht kennt. Mal stärker, mal schwächer, doch: Busch ist so vielfältig, daß er an irgendeiner Stelle jeden trifft.“

Buschs Leben lief gleich über drei große deutsche Stilepochen: Die behagliche Spitzweg’sche Spätromantik, das sich ins idyllisch-privatime flüchtende Biedermeier, dann hinüber in den Realismus, mit seiner verblümt dargebotenen harten Wirklichkeit.

Voilà – da haben Sie Wilhelm Buschs künstlerisches Gebräu. Doch halt, nicht ganz, denn: Zu Busch gehörte auch der Bezug zur pessimistischen Philosophie Schopenhauers, die er mit Neigung studiert hatte. Und was unsereiner heutzutage als gemütvoll-humoristisch an Buschs Werken schätzt, ist oftmals bloß mißdeutete Zeitkritik. Seine Grotesken waren ja häufig Satiren, und letzterer Aufgabe ist die verzerrende, extremisierende Anprangerung von Mißständen.

Busch jedoch verstand sich kaum politisch vorpreschend. Ihn als „revolutionär und antibürgerlich“ zu schildern, führte daher zu weit. Kritik am Militarismus und den SPD-„Vorwärts“ zu lesen, dabei zu geißeln „Der Eine fährt Mist, der Andre spazieren“, machten noch keinen neuen Marx. Im übrigen war Busch ein Verehrer des Fürsten von Bismarck.

Indes: Eine Prise Anarchie ist nicht zu leugnen. Erwachsene etikettierte er – da war sich „Metzlers Autorenlexikon“ sicher – als „selbstzufriedene, hinterhältige, rücksichtslose Spießer, denen jedes Mittel recht ist, um ihre heiligsten Güter – Ruhe, Ordnung und Besitz – wiederherzustellen, zu sichern“. Gerade die katholische Kirche nahm er treffsicher aufs Korn, sie war dem Protestanten Busch lange mehr als gram.

Weitere Busch-Exegeten suchen uns frohgemute Karikatur-Genießer zu entmutigen: „Grauen und Verzweiflung seien Ausgangspunkt für Buschs Humor“, und „bei aller Versöhnlichkeit Schadenfreude, Dressur, Beschränkung, Abschied“, so sei der „wahre Lebenston“ gewesen.

Busch also ein Fall für die Psycho-Couch? Eher doch jene Eltern, die sich im Internet damit brüsten, ihren Kindern „Max und Moritz“ verboten zu haben, da es ihren Charakter verderben könne. Geht es nicht zwei Nummern kleiner? Sind Kinder dumm oder schärfen sie vielmehr ihr Urteilsvermögen, um spätere Fake-News von echten unterscheiden zu können?

Der Mann Busch hatte fraglos seine melancholischen Phasen: Liebesschmerz gilt schließlich als reaktive Depression. Allein: Soweit erfüllbar, wollte er das Leben genießen, mahnte auch: „Ein Herz, was sich mit Sorgen quält, hat selten frohe Stunden.“ Und letztere genoß er durchaus üppig, eine Abiturientengruppe ließ er wissen: „Wohl ehedem, da trank des Weines auch ich mein Teil, und zwar kein kleines.“ Oder: „Auch uns, in Ehren sei’s gesagt, hat einst der Karneval behagt. Besonders und zu allermeist in einer Stadt die München heißt.“

Tja, dieses München. Eigentlich war es ihm, dem Niedersachsen, lange eine zweite, geliebte Heimat. Doch 1881 verließ er es, abrupt und für immer. Anlaß soll ein Vorkommnis gewesen sein, bei dem er auf einer Gesellschaft angetrunken herumgepöbelt habe.

Busch waren keine Kinder beschieden. Doch liebte er gerade sie ausnehmend. Seine Werke sollten mitnichten zu „Böse-Onkels“-Werke geraten, nicht die Kindlein erschrecken. Nein, alle sollten lachen, doch auch schon Wahrheiten erkiesen. Wie das Wilhelm-Busch-Museum unterstreicht: „Seine große Zuneigung und sein Verständnis für Kinder dokumentieren nicht nur unzählige Äußerungen in seinen Briefen, sondern ebenso seine einfühlsam gemalten und gezeichneten Kinderportraits.“

Busch war, das akzentuierte er wiederholt, ein eher furchtsames Kind. Das dann auch noch früh der elterlichen Obhut entsagen mußte: aus Platzmangel zu seinem Onkel, Pastor bei Göttingen, gegeben wurde. Der es aber herzensgut mit ihm meinte, ihn privat unterrichtete. Seiner Mutter Henriette blieb er zeitlebens ergeben: „O du, die mir die Liebste war, Dein treues Bild, was ich auch tu, es winkt mir zu.“

Wilhelm Busch war ein gutaussehender Mann. Es gab unglückliche Liebesbeziehungen und seine glühendste, doch wohl nur platonische Liebe zur Frankfurter Bankiersgattin Johanna Keßler, gleichzeitig seine Mäzenin, verlief sich nach fünf Jahren bitter. Jene „hübsche und gescheite Frau, die ihre Dienstboten gut behandelt“, welche er in „Von mir über mich“ auf den Thron hebt, schien ihm das Schicksal einfach nicht zuweisen zu wollen.

Busch zog es 1863 zurück nach Wiedensahl: in der Postkutschenepoche, 1832, sein Geburtsflecken im Königreich Hannover. „Die Stille des Pfarrhauses thut mir wohl.“ Und: In einem seiner 1600 erhaltenen Briefe in gefälliger Kurrentschrift: „Der Hang zur Einsamkeit scheint, wie die Glatze, immer größer zu werden.“

Wenn Kinder zu früh von den Eltern getrennt werden, ist es nicht selten zeitlebens belastend – ein ruhiger, heimeliger Hafen mag dann Balsam sein. Womöglich suchte er im Grünen im Nebeneffekt auch Zuflucht vor den in Ballungsräumen wie München wütenden, todbringenden Cholera-Epidemien. In Antwerpen war er einst bedrohlich an Typhus erkrankt.

Und überhaupt: Fern der Heimat hatte er seine Niederlagen erlitten. Als Maler war er begabt, die letzten Weihen jedoch blieben ihm versagt: 1856, 1869 und 1877 warf er sich jeweils eher erfolgsmager auf die Malerei – eintausend Gemälde in altflämischer Manier, nicht selten düster, zeugen davon.

„Also lautet ein Beschluß: Daß der Mensch was lernen muß.“ Und das hatte er wahrlich, aber das Polytechnikum in Hannover, Kunstakademien in Düsseldorf, Antwerpen, München hatte er abgebrochen. Und schaffte es dennoch hinauf in den Olymp. Bloß – das Publikum entschied – auf einem anderen Lichtkegel reitend als dem avisierten.

In Wiedensahl trat Buschs wahre Wesenheit lichter zu Tage. Er setzte seine Pfeiler: „Meine Welt ist die Welt der Phantasie, und darin will ich nicht gestört sein.“ Und „Wer beobachten will, der darf nicht mitspielen.“ Und: „Bei den meisten Menschen habe ich immer noch die Reißzähne von den Schneidezähnen ganz deutlich unterscheiden können.“ Und: „Gottlob, es gibt auch stille Leute, die meiden dies Gewühl und hassen’s, und bauen auf der anderen Seite eine Welt des Unterlassens.“

Nach eigenem Bekunden ein Bücherwurm und Sonderling, wußte er das Unikum in Worte zu kleiden, sich selbst amüsiert zu bespiegeln, zum Beispiel in „Der Einsame“.

Wer einsam ist, der hat es gut,
Weil keiner da, der ihm was tut.
Ihn stört in seinem Lustrevier
Kein Tier, kein Mensch und kein Klavier,
Und niemand gibt ihm weise Lehren,
Die gut gemeint und bös zu hören.
Der Welt entronnen, geht er still
In Filzpantoffeln, wann er will.
Sogar im Schlafrock wandelt er
Bequem den ganzen Tag umher.
Er kennt kein weibliches Verbot,
Drum raucht und dampft er wie ein Schlot.
Geschützt vor fremden Späherblicken,
Kann er sich selbst die Hose flicken.
Liebt er Musik, so darf er flöten,
Um angenehm die Zeit zu töten,
Und laut und kräftig darf er prusten,
Und ohne Rücksicht darf er husten,
Und allgemach vergißt man seiner.
Nur allerhöchstens fragt mal einer:
Was, lebt er noch? Ei, Schwerenot,
Ich dachte längst, er wäre tot.

Fast täglich wanderte er von jenem Holzsteg vor seinem geliebten Garten hinaus in die Natur, deren exzellenter Kenner er war, namentlich auch ihrer Flora. Zum Tagesausklang finden sich in seinen unter Vollast stöhnenden Bücherregalen neben der Bibel, Don Quijote, auch die Odyssee, die er als das „schönste aller Märchenbücher“ preist.

Mit dem Zeichnen wollte es irgendwann nicht mehr so geschmeidig von der Hand gehen: Augen müde, Finger zittrig. Da gab er sein Metier mit der gleichen Grazie auf, mit der er künstlerisch zu Werke gegangen war. „Maler Klecksel“, seine letzte Bildergeschichte, erscheint 1884.

„Denn hinderlich wie überall, ist der eigene Todesfall.“ Mit dem Alter naht die Endlichkeit – auch ihn trieb sie um: „Das Tor ist zu fest. Vergebens rütteln wir daran, um einen Blick ins Jenseits zu werfen.“

Und mit der Lebensneige stellen sich die Ehrungen ein. Selbst seine Hohenzollernsche „Majestät haben jelacht“ – Kaiser Wilhelm II. ließ es sich nicht nehmen, Wilhelm Busch zu seinem 70. Ehrentag ein Telegramm zu senden: „In Dankbarkeit für fröhliche Stunden.“

Und selbiger schrieb sich selbst auch eine Depesche:

Also geht alles zu Ende allhier:

Feder, Tinte, Tobak und auch wir.

Zum letztenmal wird eingetunkt,

Dann kommt der große schwarze Punkt.

Zu Jahresbeginn 1908 plagten Busch Halsschmerzen und es wurde eine Herzschwäche diagnostiziert. Einige ruhige nächtliche Stunden waren ihm dank Morphium und Kampferpulver noch beschert. Am frühen Morgen des 9. Januar, mit 75 Jahren, verschied Wilhelm Busch still und leise. Zu den Klängen des Arndt’schen Liedes „Geht nun hin und grabt mein Grab, denn ich bin des Wanderns müde” wurde er in Mechtshausen bestattet.

Der „Cottbuser Anzeiger“ rief ihm lobend nach: „In allem ein Weiser, war er es auch darin, daß er es verstand, zur rechten Zeit Schluß zu machen. Als er gesagt und geschaffen hatte, was ihm zu sagen und zu schaffen gegeben war, da legte er Feder und Stift still beiseite und lebte noch manch gutes Jahr als stiller, nachdenklicher, lächelnder Beobachter des Weltlaufes, der sich an seinem Gar­ten und am Wandel der Jahreszeiten erfreute. Aber je zurückgezo­gener er lebte, um so höher schwoll draußen in der Welt sein Ruhm an.“

 

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Saarlouiser Literatur-Revue „WohligErlesen“ und des Autors Norbert Breuer-Pyroth.

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