Edi Matić. Abtrünniger vor Inselpanorama. Aus dem Kroatischen von Alida Bremer. Karlsruhe (Edition Converso) 2023, 256 S., 24.-€. ISBN 978-3-949558-19-1
Vom Ende zurück zum Anfang der Handlung – dieser Kriminalroman des renommierten kroatischen Schriftstellers, Lyrikers und Essayisten Matić verwirrt seine Leser*innen gleich zu Beginn der Story. Eine innere Stimme fordert eine Person namens Jadran Grobarek wiederholt auf, sich so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen. Es ist eine Aufforderung, der die angesprochene Person aber nicht Folge leisten kann, denn vor ihm sitzt ein Ermittler, der von ihm Aufklärung wünscht über einen Mord, an dem er als Augenzeuge in seiner beruflichen Funktion als ein Leibwächter eines Ministers beteiligt gewesen sein soll. Doch dieser windige Typ will sich auf Teufel komm raus nicht zu diesem Verdacht äußern. Stattdessen erzählt der Verdächtige eine haarsträubende Geschichte von einer abgelegenen Insel, wo er, verkleidet im Ornat eines franziskanischen Priesters, ausgerüstet mit einer Bibel und einem Rosenkranz (ein Gabe des Bruders Andrija), gelandet sei. Ein Fake, das vermuten alle, die im Polizeirevier dem Verhör kopfschüttelnd zu gehört haben. Rund 230 Seiten später wird der Leser endlich in die Hintergründe einer Geschichte eingeweiht, in der Zufall, Rollentausch und Blasphemie ein grotesk-gauklerhaftes Spiel betreiben. Doch zuvor wird er von Jadran in seiner Funktion als auktorialer Erzähler in eine abgeschiedene dörfliche Inselwelt vor der dalmatischen Küste geschickt, mit Sitten und Bräuchen der Inselbewohner vertraut gemacht. Dabei befindet er sich oft in Begleitung von Don Marco, dem Gemeindepfarrer, der ihn mit der Welt der Dorfbewohner vertraut macht. Meistens jedoch ist er allein auf der Insel unterwegs, erfährt etwas über das soziale Leben der – aufgrund von Auswanderung und Abwanderung auf das kroatische Festland – schwindenden Bevölkerung, engagiert sich sogar für die Entstehung eines Kulturzentrums. Kurzum, er macht sich belebt aufgrund seines persönlichen Engagements für die Dorfbewohner. Eine Zuneigung, die so weit reicht, dass er sogar in den Genuss eines sexuellen Abenteuers kommt! Und keiner hegt Verdacht, dass der verkleidete Franziskanerpriester auf der Flucht vor der Polizei ist.
Doch der Zufall will es, dass er – nach einigen Jahren als „Abtrünniger“ – auf einem Foto identifiziert wird und sich nun als Zeuge des Mordfalls verantworten muss. Im Fall der ermordeten Viktorija Klasnić hatte die Mordkommission lange Zeit im Dunklen getappt, weil vier Leibwächter des Ministers Glober den der Tat Verdächtigen mit ihren identischen Aussagen entlastet hatten, obwohl sie die Leiche der von Glober erwürgten Mitarbeiterin Klasnić nach der Tat weggeschafft und in einem Waldgrundstück verscharrt hatten. Da das Büro des Ministers verlauten ließ, dass Viktorija Klasnić ihren Dienst quittiert hätte und nach Belgien ausgewandert wäre, habe die Polizei lange Zeit den Fall ruhen lassen. Erst die zufällige „Wiederentdeckung“ des fünften Tatzeugen hatte Licht in das Dunkel der abscheulichen Mordtat und ihrer Hintergründe gebracht. Die abschließende Nachricht, dass der Minister Alojz Glober und seine Komplizen verhaftet wurden, enthält noch eine Notiz über ein besonderes Merkmal der staatlichen Administration. Sie hatte zunächst „von oben“ ein schnelles gerichtliches Verfahren gefordert, dann jedoch kam „auch von oben“ die Anweisung, die Anklage gegen den mutmaßlichen Mörder und seine Komplicen zu verzögern. Dass Jadran aufgrund seiner enthüllenden Aussagen über den Ablauf der Mordtat und seiner Flucht vor der Rache seiner „Leibwächter-Kollegen“ von einer Mit-Schuld freigesprochen wird, entlastet ihn, nicht jedoch den im Hintergrund verdeckt in Aktion tretenden kroatischen Machtapparat, der seine ministeriellen Diener mit einer Verzögerungs- und Vertuschungstaktik schützt.
Mit der vorliegenden Publikation, einer Kombination aus Kriminal- und Schelmenroman, greift der vor allem im südosteuropäischen Raum bekannte Autor, auch eine Reihe von Missständen auf. Sie betreffen sowohl die korrupten Machtstrukturen in der Kroatischen Republik, die im Sommer 2023 in die EU aufgenommen wurde, als auch die mangelnde Förderung der jahrzehntelang vernachlässigten dörflichen Gemeinschaften. Mit der Thematisierung dieser beiden Aspekte erfüllt die Edition Converso nicht nur die Auflagen der Co-Finanzierung durch die Europäische Union. Sie lockt ihre Leser*innen mit den beigefügten dalmatischen Kulinaria auch in die vor allem bei Urlaubern aus Deutschland so beliebten Fischspeisen. Dobar tek also für diese gelungene Publikation!